Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 11.10.2023, Az.: 14 U 157/22
Kind; Unfall; Fahrzeug; Straßenverkehr; Radfahrer; Zebrastreifen; Schmerzensgeld; Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall: Kollision zwischen einem Pkw und einem 12-jährigen Rad fahrenden Kind auf einem Fußgängerüberweg
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.10.2023
- Aktenzeichen
- 14 U 157/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 39710
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2023:1011.14U157.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.11.2022 - AZ: 12 O 190/20
Rechtsgrundlagen
- StVG § 7 Abs. 1
- StVG § 9
- BGB § 254 Abs. 2
- StVO § 3 Abs. 2a
- StVO § 10 S.1
- StVO § 26 S. 1
- StVG § 18 Abs. 1
Fundstellen
- DAR 2024, 77-81
- SVR 2024, 103-105
- VRR 2023, 2-3
- VRR 2024, 19-20
- r+s 2024, 132-136
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Wer von einem Radweg auf die Fahrbahn einfahren will, hat sich dabei gemäß § 10 S. 1 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für denjenigen, der vom Radweg auf einem Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn einfährt.
- 2.
Auch gegenüber Kindern gilt der Vertrauensgrundsatz. Der Fahrer eines PKW muss besondere Vorkehrungen für seine Fahrweise gemäß § 3 Abs. 2a StVO nur dann treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer konkreten Gefährdung führen können, und das Kind nach dem äußeren Erscheinungsbild als solches erkennbar war.
- 3.
Ein Fahrzeugführer muss auch bei Annäherung an einen Fußgängerüberweg ohne erkennbare Umstände nicht damit rechnen, dass ein 12-jähriges Kind, ohne seine Absicht merklich anzuzeigen, auf dem Fahrrad fahrend den Fußgängerüberweg überquert.
- 4.
Bei der Abwägung der Betriebsgefahr eines Fahrzeuges gegenüber dem schuldhaften Verstoß eines 12-jährigen Kindes gegen § 10 S. 1 StVO tritt die Betriebsgefahr des Kfz unter Berücksichtigung des Alters des geschädigten Kindes einerseits sowie der deutlichen Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs im Unfallgeschehen andererseits, auch angesichts der weiteren Gesamtumstände des Unfallgeschehens, nicht zurück (hier: Betriebsgefahr mit 1/3 berücksichtigt).
In dem Rechtsstreit
1. ... Versicherung, ...
2. H. K., ...,
3. R. K., ...,
Beklagte und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2 und 3:
Anwaltsbüro ...,
gegen
L. W., ...,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2023 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02. November 2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover (12 O 190/20) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 23.214,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. Mai 2018 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zwischen der Beklagten zu 3) und ihm vom 07. März 2017 am Fußgängerüberweg der S.straße, H., zu 1/3 zu ersetzen, materielle Ansprüche jedoch nur, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte N. in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 48 Prozent und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 52 Prozent. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 44 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 56 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 45.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 40 % die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall am 07. März 2017 in H.
Der zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alte Kläger fuhr am 07. März 2017 gegen 13.50 Uhr parallel zu der S.straße kurz vor der Einmündung M.straße - wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob er den Radweg oder den Gehweg befuhr. Er war mit seinem Mountainbike (ohne Helm) unterwegs. Die Beklagte zu 3) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Pkw Smart fortwo Coupé, amtliches Kennzeichen ..., des Beklagten zu 2), ebenfalls auf der S.straße Richtung M.straße. Als der Kläger auf seinem Fahrrad fahrend die Fahrbahn der S.straße in Höhe der M.straße überquerte - wobei zwischen den Parteien insoweit streitig ist, ob auf oder hinter dem dortigen Zebrastreifen - kam es zur Kollision, durch die der Kläger 18,5 Meter weit geworfen und im rechten Seitenbereich einer Parkbucht zu Fall kam. Der Kläger erlitt lebensgefährliche Verletzungen (u. a. ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen, eine Felsenbeinfraktur rechts, eine Schlüsselbeinfraktur rechts und multiple Prellungen sowie Schürfungen an beiden Kniegelenken). Im Krankenhaus erhielt er eine Hirndrucksonde und wurde bis zum 12. März 2017 künstlich beatmet. Zehn Tage nach dem Unfall wurde er von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt. Am 20. März 2017 kam er in die H.-Klinik G. zur Anschlussheilbehandlung, die ursprünglich drei bis sechs Monate dauern sollte. Da der Kläger starkes Heimweh hatte, blieb er nur bis zum 12. April 2017 und absolvierte in der Folgezeit von zuhause aus eine Vielzahl von Behandlungen und Therapien. Wegen der Einzelheiten der erlittenen Verletzungen und Behandlungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, dort S. 3f., verwiesen.
Mit außergerichtlichem Schreiben vom 15. März 2017 forderte der Kläger die Beklagte zu 1) auf, ihre Regulierungsbereitschaft anzuzeigen. Mit Schreiben vom 25. Mai 2018 lehnte die Beklagte zu 1) eine Regulierung ab.
Die Parteien streiten um den genauen Hergang des Unfallgeschehens sowie die Bildung der Haftungsquote.
Der Kläger hat behauptet, dass er auf dem Radweg der S.straße gefahren sei, so dass ihn die Beklagte zu 3) dort von Anfang an hätte sehen können. Als er den Laternenpfahl vor dem Fußgängerüberweg zur M.straße erreicht habe, habe er gebremst und anschließend gestanden. Er habe mit beiden Füßen auf den Boden getreten, um zu kontrollieren, ob sich Fahrzeuge dem Überweg näherten. Er habe das Auto der Beklagten zu 3) herannahen sehen, jedoch nach Blickkontakt mit dieser angenommen, sie werde ihm das Überqueren des Zebrastreifens ermöglichen. Daher habe er sich mit den Füßen vom Boden abgestoßen und sei über den Zebrastreifen gefahren. Er ist der Ansicht, die Beklagte zu 3) habe den anschließenden Unfall weit überwiegend verursacht. Neben Schadensersatz u.a. für beschädigte Kleidung, Therapiekosten, Besuchskosten und Verdienstausfall seiner Mutter stünde ihm zudem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zu.
Die Beklagten haben gemeint, der Unfall sei für die Beklagte zu 3) bereits unvermeidbar gewesen. Sie haben behauptet, der Kläger sei auf dem Fußgängerweg der S.straße gefahren, so dass ihn die Beklagte zu 3) wegen der zwischen dem Fußgängerweg und dem Radweg vorhandenen Baumreihe nicht habe sehen können. Im Übrigen habe der Kläger die S.straße nicht auf dem Zebrastreifen, sondern dahinter überquert. Er habe nicht vor dem Zebrastreifen angehalten. Vielmehr sei er hinter dem Fußgängerüberweg hinter einem dort in einer Parkbucht stehenden Fahrzeug auf die Fahrbahn aufgefahren, so dass ihn die Beklagte zu 3) erst unmittelbar vor der Kollision habe sehen können.
Mit am 02. November 2022 verkündeten Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und der erstinstanzlichen Anträge Bezug genommen wird, hat das Landgericht nach informatorischer Anhörung der Parteien sowie Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. M. sowie Anhörung des Sachverständigen der Klage zu einem überwiegenden Teil stattgegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000 € und Erstattung materieller Schadensersatzansprüche in Höhe von 1.790,93 € verurteilt. Zudem hat es dem auf Feststellung der Haftung gerichteten Antrag beschränkt auf eine Ersatzpflicht in Höhe von 60 % sowie dem auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Antrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht insbesondere Folgendes aus:
Die Beklagte zu 3) habe den Unfall überwiegend verschuldet. Der Unfall sei bei dem Betrieb des Fahrzeuges entstanden. Die Beklagten hätten aus dem Verkehrsunfallgeschehen mit einer Quote von 60 % für die Schäden des Klägers einzustehen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei erwiesen, dass die Beklagte zu 3) den Unfall durch einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO verschuldet habe. Die Beklagte zu 3) habe von dem Zeitpunkt an, in dem sie den Kläger an der S.straße hätte sehen können, besondere Vorkehrungen im Sinne einer Verringerung der Fahrgeschwindigkeit und Einnehmen der Bremsbereitschaft zu treffen gehabt. Die konkrete Gefahrenlage habe sich daraus ergeben, dass ein Kind auf einem Fahrrad in Richtung Zebrastreifen gefahren sei. Dass die Beklagten behauptet hätten, der Kläger habe nicht wie ein Kind ausgesehen, vermöge sie bereits deshalb nicht zu entlasten, weil die Beklagte zu 3) den Kläger überhaupt nicht wahrgenommen habe, als er auf den Zebrastreifen zufuhr, was sie jedoch hätte tun können und müssen. Die Beklagte zu 3) sei jedoch - wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergäbe - mit einer Geschwindigkeit im Bereich von 50 km/h auf den Zebrastreifen zugefahren. Nach Ansicht des Landgerichts hätte die Beklagte zu 3) richtigerweise zumindest auf 30 km/h abbremsen müssen, um eine Gefährdung des Klägers auszuschließen. Im Ergebnis läge daher ein Verstoß der Beklagten zu 3) gegen § 3 Abs. 2a StVO vor. Ob der Kläger vor dem Auffahren auf den Zebrastreifen angehalten habe, könne dahinstehen, da der Sachverständige ausgeführt habe, dass die Beklagte zu 3) bei einem Abbremsen auf 30 km/h in jedem Fall die Kollision vermieden hätte. Schließlich sei der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Landgerichts in einer Bogenfahrt nach links in die Fahrbahn eingefahren. Anhand der Unfallspuren habe sich feststellen lassen, dass der Kollisionsort auf dem Zebrastreifen gewesen sei. Der Vernehmung der Zeugin H., die zum Termin vor dem Landgericht nicht erschienen war, habe es demnach nicht bedurft. Erstattungsfähig seien materielle Schäden des Klägers unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens von 40 % in Höhe von 1.790,93 €. Darüber hinaus sei die Klage diesbezüglich nicht begründet. Zudem sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € angemessen. Aufgrund der vom Kläger vorgelegten Arztberichte und Gutachten sowie der Angaben des Klägers und seiner Eltern im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung im Verhandlungstermin am 31. August 2022 könne ohne weitere - gerichtliche - Gutachten das Schmerzensgeld bemessen werden. Der Kläger habe unstreitig erhebliche lebensbedrohliche Verletzungen erlitten und sei durch diesen aus seinem Leben komplett herausgerissen worden. Die Tage des zum Unfallzeitpunkt erst 12-jährigen Klägers seien anschließend durch Schmerzen, körperliche Einschränkungen und Therapien geprägt gewesen und nur mit Kraft und Energie und dank der Unterstützung durch seine Familie habe er es trotz der schwersten Verletzungen geschafft, ins Leben zurückzufinden. Es würden gleichwohl physische und psychische Einschränkungen verbleiben und im Bereich der knöchernen Verletzungen könnten zukünftig Verschleißschäden auftreten, wie etwa Arthrose. Dieser Mechanismus sei der Einzelrichterin, die jahrelang Mitglied in einer Spezialkammer für Arzthaftungssachen gewesen sei, aus einer Vielzahl von Fällen bekannt. In Anbetracht der gravierenden Folgen des Unfalls für den Kläger sei unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils von 40 % ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € angemessen. Auf die von den Beklagten bestrittenen Folgen des Unfalls käme es insoweit nicht an. Schließlich bewege sich die geforderte Höhe im Rahmen der Vergleichsrechtsprechung.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie die Abweisung der Klage begehren. Zur Begründung machen sie Folgendes geltend:
Das Landgericht habe unzutreffend ein Verschulden auf Beklagtenseite angenommen. Es habe einen Verstoß der Beklagten zu 3) aus zweierlei unzutreffenden Annahmen bejaht: Das Landgericht habe verkannt, dass der Kläger nicht bewiesen habe, vor der Kollision auf dem Radweg gefahren zu sein, so dass die Annahme, dies begründe eine konkrete Gefahrenlage, unzutreffend sei. Im Hinblick auf die Erkennbarkeit des Klägers habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagten bestritten hatten, dass der Kläger als fahrradfahrendes Kind erkennbar gewesen sei. Über dieses Bestreiten habe sich das Landgericht nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens hinwegsetzen dürfen. Denn der Kläger, der zum Unfallzeitpunkt zwar 12 Jahre alt war, habe jedoch eine derartige Körpergröße aufgewiesen, die ihn nicht von einer erwachsenen Person unterscheiden ließ. Schließlich sei die vom Landgericht angenommene Quote unzutreffend, da das Landgericht die Mithaftung des Klägers zu gering bewertet habe. Gerade weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits 12 Jahre alt war, sei hier von einem derart hohen Mitverschulden des Klägers auszugehen, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide. Vorsorglich rügen die Beklagten das zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € als überhöht. Das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die von der Mutter des Klägers organisierte und kontrollierte ambulante Reha nicht zu einer Heilungsverzögerung geführt habe.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Hannover vom 02. November 2022, zugestellt am 03. November 2022, Az.: 12 O 190/20 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das ihm günstige erstinstanzliche Urteil als richtig und trägt vor, die Einzelrichterin habe richtig und zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte zu 3) den Kläger auf seinem Fahrrad nicht gesehen habe und ihr Vortrag, der Kläger sei auf dem Gehweg gefahren, nur ins Blaue hinein ohne eigene Wahrnehmungen hierzu erfolgt sei. Überdies sei der Kläger zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles noch ein Kind und in physischer Hinsicht als solches objektiv erkennbar gewesen.
Der Senat hat zum Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H., durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Dipl. Ing. M. sowie des Klägers und der Beklagten zu 3) persönlich. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 06. Juni 2023 (Bl. 311 ff. d.A.) und vom 12. September 2023 (Bl. 336ff. d.A.) Bezug genommen. Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hannover - 3672 Js 98706/17- war zu Informations- und Beweiszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat Bezug auf den vorgetragenen Inhalt der zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.
Der Kläger hat Ansprüche gemäß § 7 Abs. 1, § 9, § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 249, § 253 Abs. 2, § 254 Abs. 2 BGB, § 115 Abs. 1 S.1 Nr. 1 VVG gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG, § 421 BGB auf Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 22.220,00 €, materiellen Schadensersatz in Höhe von 994,86 € sowie auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 €. Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung gemäß § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe von 1/3 für das Unfallereignis vom 07. März 2017 haften.
1)
Auf die Berufung der Beklagten war die Haftungsquote gemäß § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 StVG abzuändern. Anders als das Landgericht angenommen hat, haften die Beklagten dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 07. März 2017 mit einer Haftungsquote zu 1/3. Auf dieser Grundlage war über die Zahlungsanträge und über den Feststellungsantrag zu entscheiden. Die Berufung der Beklagten ist insoweit begründet.
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagten grundsätzlich gemäß §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG haften, da sich der Unfall bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs ereignet hat, der Unfall nicht auf höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG zurückzuführen ist und die Beklagte zu 3) den Entlastungsbeweis (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG) nicht geführt hat.
b) Ebenso noch zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass ein Mitverschulden des Klägers Berücksichtigung zu finden hat. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist auf Verschuldenseite beim Kläger jedoch ein Verstoß gegen § 10 S. 1 StVO einzustellen. Ein Verschulden auf Seiten der Beklagten steht dagegen nicht fest.
Bei einem Unfall zwischen einem Kind und einem Kraftfahrzeug hat die Abwägung gemäß § 9 StVG, § 254 BGB zu erfolgen. Eine danach gebotene Abwägung setzt stets die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus, wobei die für die Abwägung maßgebenden Umstände feststehen müssen. Es dürfen damit lediglich unstreitige, zugestandene oder nach § 286 ZPO bewiesene Tatsachen, die für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein müssen, eingestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12, juris Rn. 7 mwN). Im Einzelfall kann dies sogar zu einem Entfallen der Mithaftung aus Gefährdungshaftung führen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 4. April 2023 - VI ZR 11/21, juris Rn. 9). In einem zweiten Schritt sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen.
aa) Dem Kläger ist ein Verstoß gegen § 10 S. 1 StVO anzulasten.
(1) Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für denjenigen, der - wie hier der Kläger - vom Radweg auf einem Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn einfährt (OLG Hamm, Urteil vom 2. März 2018 - 9 U 54/17, juris Rn. 8; vgl. auch OLG München, Urteil vom 16. Februar 2022 - 10 U 6245/20, juris Rn. 23, auf Fußgängerfurt überquert; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl., StVO § 10 Rn. 4).
(2) Nach dem Ergebnis der erst- und zweitinstanzlichen Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger beim Einfahren auf die Fahrbahn die ihn treffenden hohen Sorgfaltsanforderungen des § 10 S. 1 StVO nicht beachtet hat. Indem der Kläger - ohne anzuhalten und Umschau - auf den Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn auffuhr, hat er versäumt, die Gefährdung des fließenden Verkehrs auszuschließen.
Der Sachverständige Dipl.-Ing. M., der dem Senat als Fachsenat für Verkehrsunfallrecht aus vielen Verfahren als außerordentlich gründlich und kompetent bekannt ist, hat sich in seinem unfallanalytischen Gutachten vom 02. November 2021 und dem Ergänzungsgutachten vom 09. Februar 2022 sehr ausführlich, nachvollziehbar und sorgfältig mit dem Unfallgeschehen auseinandergesetzt. Der Sachverständige hat den Unfall unter Berücksichtigung der vorgefundenen Unfallspuren, der an dem beteiligten Fahrzeug entstandenen Beschädigungen sowie der zur Verfügung stehenden Lichtbilder rekonstruiert. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass der Kollisionspunkt auf dem markierten Fußgängerüberweg mit einem seitlichen Abstand von knapp 1,5 m zum rechten Fahrbahnrand lag. Der Kläger sei in einer Bogenfahrt nach links in die Fahrbahn eingefahren und habe sich in einer Winkelstellung von etwa 60 ° zum Fahrbahnverlauf und dem sich von links nähernden Pkw Smart befunden (Seite 9 des Gutachtens vom 02. November 2021). Anhand der Unfallspuren auf dem Zebrastreifen lasse sich mit Sicherheit feststellen, dass der Kollisionsort dort gewesen sei. Man sehe eine deutliche Druckspur des Hinterrades und eine etwas weniger deutliche Spur des Vorderrades, die mit der Spur des Hinterrades gut korrespondiere. Der PKW der Beklagten zu 3) sei mit dem rechten Frontbereich gegen die linke Seite des Klägers gestoßen, der dabei auf die Front des Fahrzeuges aufgeladen worden und in die Scheibe des Fahrzeuges eingeschlagen sei. Anschließend sei der Kläger 18,5 Meter weit geworfen worden und das Fahrzeug nach etwa 17 Metern zum Stehen gekommen. Die Auswertung der Unfallspuren ergebe eine Kollisionsgeschwindigkeit von etwa 10 km/h für den Radfahrer und 50 km/h für den beteiligten PKW. Bei einer Geschwindigkeit des Klägers von etwa 20 km/h und einer entsprechenden Bremsung vor der Kollision ergebe sich ein Einfahren auf die Fahrbahn etwa 0,5 Sekunden vor Kollision und eine früheste Reaktionsaufforderung für die Beklagte zu 3) etwa einer Sekunde vor der Kollision, als der Kläger in Richtung des Fußgängerüberweges geschwenkt habe (vgl. Seite 14f. des Gutachtens vom 02. November 2021). Der Sachverständige Dipl. Ing. M. hat im Verhandlungstermin zudem erklärt, dass davon auszugehen sei, dass der Kläger auf dem Radweg gefahren und mit einer durchgehenden Bewegung auf die Fahrbahn aufgefahren sei (vgl. Protokoll 12. September 2023, Bl. 340 d.A.)
Aufgrund dieser nachvollziehbaren und überzeugenden schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M., denen sich der Senat nach eigener kritischer Würdigung anschließt, steht fest, dass der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 15 km/h bis 20 km/h auf den Fußgängerüberweg zugefahren ist. Die Kollisionsgeschwindigkeit betrug noch etwa 10 km/h (vgl. Seite 12-14 des Gutachtens des Sachverständigen vom 02. November 2021). Damit befand sich entgegen der Annahme der Beklagten der Kollisionspunkt auf den Markierungen des Fußgängerüberweges (vgl. Seite 9 des Gutachtens vom 02. November 2021).
Angesichts der räumlichen Nähe zwischen dem Kollisionsort auf dem Fußgängerüberweg der S.straße und des daneben befindlichen, zuvor befahrenen Radweges steht demzufolge fest, dass der Kläger entgegen seiner Schilderungen im Rahmen der informatorischen Anhörung vor dem Landgericht nicht zuvor sein Fahrrad angehalten haben kann. Denn dies würde eine derartige Beschleunigung des Fahrrades nach Wiederanfahrt von 0 km/h auf mindestens 10 km/h auf einer sehr kurzen, bloß 1,5 Meter betragenden Distanz (vgl. Seite 14 des Gutachtens) zwischen dem Kollisionsort und dem daneben befindlichen Radweg erfordern, was vom Sachverständigen nicht festgestellt werden konnte (s.o.).
Überdies hat auch die Zeugin H. einen Unfallhergang geschildert, der nicht für den Kläger spricht. Der von der Zeugin geschilderte zeitlich enge Ablauf des Unfallgeschehens steht der Annahme eines Anhaltens entgegen. Angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen ihrer Wahrnehmung der Unfallbeteiligten und dem vernommenen Knall, als der Kläger mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 3) kollidierte, ist ein "Gliden", Anhalten mit aufgestellten Beinen und ein anschließendes Wiederanfahren - wie der Kläger es schilderte - auszuschließen. Die Zeugin H. hat im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Senat angegeben, dass sie den Kläger auf dem Fahrradweg und die Beklagte zu 3) auf der Fahrbahn unmittelbar vor der Kollision wahrgenommen habe. Sie habe kein Abbremsen, Handzeichen und auch kein Anhalten des Klägers gesehen. Sie habe nach rechts geschaut, einen Knall vernommen und dann sei der Kläger auf die Straße geflogen. Diese Schilderungen der Zeugin sind belastbar und glaubhaft. Die Angaben der Zeugin stimmten insoweit mit ihren Angaben vor der Polizei überein (vgl. Bl. 100 d. Ermittlungsakte zum AZ 3672 JS 98706/17). Die Zeugin schilderte das Unfallgeschehen aus ihrer Sicht stimmig. Die nachhaltigen Eindrücke, die der schwere Unfall bei der Zeugin hinterlassen hatte, waren weiterhin feststellbar. Dennoch war eine Belastungstendenz zu Gunsten einer Partei nicht erkennbar.
Zudem waren die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu berücksichtigen, wonach er abschließend von einer durchgehenden Bewegung des Klägers vom Radweg auf die Fahrbahn ausgehe. Eine solche durchgehende Bewegung ist jedoch mit den ersten Schilderungen des Klägers nicht in Einklang zu bringen. Der Sachverständige, an dessen beruflicher Qualifikation angesichts seiner jahrelangen Tätigkeit als Dipl.-Ing. und öffentlich bestellter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle keine Zweifel bestehen, hat nachvollziehbar und überzeugend erläutert und abschließend ausgeführt, dass es schließlich keinen Hinweis auf ein Anhalten oder ein erkennbares Anrollen in Richtung Zebrastreifen gegeben habe. Er gehe schließlich - und wie bereits in seinem Ursprungsgutachten ausgeführt - von einer durchgehenden Bewegung vom Radweg auf den Zebrastreifen und einer Verlangsamung auf 10 km/h aus, woraus sich die entsprechende Kollisionsgeschwindigkeit ergebe. Ausgehend davon war ein Anhalten des Klägers nicht möglich.
(3) Dagegen vermochten die Angaben des Klägers zum Unfallgeschehen nicht zu überzeugen. Sie korrespondieren nicht mit den übrigen Schilderungen zum Unfallhergang oder lassen sich nicht durch objektive Anhaltspunkte oder durch die Feststellungen des Sachverständigen belegen. Vielmehr ist die Schilderung des Klägers, er habe nach dem Anhalten gesehen, wie das Fahrzeug der Beklagten zu 3) abgebremst habe, nach den widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ersichtlich mit den festgestellten Unfallspuren unvereinbar. Insoweit wird auf die Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 02. November 2021 Bezug genommen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. ist nach Analyse des Unfallhergangs nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass sich das Beklagtenfahrzeug mit einer konstanten Annäherungsgeschwindigkeit bewegte und eine Bremsung unmittelbar nach der Kollision erfolgte (vgl. Seite 12 des Gutachtens). Dieser Hergang spricht gegen die Schilderungen des Klägers, der aufgrund seines Anhaltens mit dem Rad ein Abbremsen der Beklagten zu 3) erkannt haben will.
Letztlich sprechen auch die Angaben der Beklagten zu 3) gegen ein Anhalten des Klägers, bei dem er ein Abbremsen der Beklagten zu 3) zu erkennen glaubte. Die Beklagte zu 3) widerspricht dem Kläger, indem sie einräumt, den Kläger nicht wahrgenommen und damit auch nicht verlangsamt oder abgebremst zu haben. Diese im Gegensatz zu den Angaben des Klägers stehende Darstellung deckt sich jedoch mit den gutachterlichen Feststellungen zu der konstanten Annäherungsgeschwindigkeit der Beklagten zu 3).
bb) Der Kläger kann sich nicht auf den Schutzbereich der Vorschrift des § 26 S. 1 StVO berufen. Als nicht abgestiegener Radfahrer unterfiel der Kläger nicht dem Schutzbereich dieser Norm. Der Vorrang nach § 26 StVO steht nur dem Bevorrechtigten zu, der als Fußgänger ein Rad mitführt, solange er damit nicht fährt. Radfahrer, die - wie hier unstreitig der Kläger - den Fußgängerüberweg benutzen, ohne ihr Rad bei der Überquerung zu schieben, genießen nicht den Schutz des § 26 S. 1 StVO (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2019 - I-31 U 23/19, juris Rn. 20; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl., StVO § 26 Rn. 4). Dass der Kläger sein Fahrrad nicht über den Fußgängerüberweg der S.straße geschoben hat, ergibt sich neben den unstreitigen Schilderungen der Parteien überdies aus den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, wonach andernfalls Anstoßspuren und damit korrespondierend Verletzungsbilder im unteren Bereich, d.h. an der Stoßstange und im Beinbereich feststellbar sein müssten (vgl. Protokoll vom 06. Juni 2023, Bl. 313 d.A.).
cc) Der Verkehrsverstoß gegen § 10 S. 1 StVO ist dem Kläger grundsätzlich auch vorwerfbar. Bei Kindern führt ein Verstoß gegen eine straßenverkehrsrechtliche Norm nicht sogleich zu einem Verschulden und somit einer Mithaftung. Jugendliche über zehn und unter 18 Jahren müssen sich nach § 828 Abs. 3, § 254 Abs.1 BGB eine Anspruchskürzung gefallen lassen, wenn sie ein Mitverschulden trifft, es sei denn, sie hatten bei der Begehung der schädigenden Handlung noch nicht die erforderliche Einsicht. Nach dieser Bestimmung ist, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und dessen Verantwortlichkeit nicht gemäß § 828 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nur dann nicht verantwortlich, wenn er bei Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte. Es besitzt derjenige die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht iSd § 828 Abs. 3 BGB, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03, juris Rn. 16). Auf die individuelle Fähigkeit, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an (BGH, Urteil vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03, NJW 2005, 354). Die fehlende Einsichtsfähigkeit muss das Kind bzw. der Jugendliche nachweisen.
Der Senat hat nach den erstinstanzlichen Feststellungen keinen Zweifel daran, dass der Kläger als altersgemäß entwickeltes 12-jähriges Kind zum Zeitpunkt des Unfalls die erforderliche Einsichtsfähigkeit gemäß § 828 Abs. 3 BGB hatte, die Gefährlichkeit seiner Handlung zu erkennen. Die Regelungen zum Überqueren der Fahrbahnen gehören zu den Verkehrsvorschriften, die ein zwölfjähriges Kind, welches mit seinem Fahrrad am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt, beherrschen sollte. Etwas Anderes ist weder von dem Kläger vorgetragen, noch bewiesen worden; dafür ergeben sich auch keine Anhaltspunkte aus den Akten.
dd) Des Weiteren teilt der Senat jedoch die Auffassung des Landgerichts nicht, dass allein aus dem Alter des Klägers von 12 Jahren und dem Befahren des Radweges eine konkrete Gefahrenlage folge und der Beklagten zu 3) damit ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO anzulasten sei. Die Einwände der Berufung greifen insoweit durch.
(1) Gemäß § 3 Abs. 2a StVO gilt, dass derjenige, der ein Fahrzeug führt, sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten muss, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Ist ein Kind für den anderen Verkehrsteilnehmer erkennbar, trifft diesen die aus § 3 Abs. 2a StVO resultierende Pflicht, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, sich so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Senat hat dazu bereits in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2021 ausgeführt:
"Geboten im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO sind insbesondere erhöhte Aufmerksamkeit, Beobachtung auch der angrenzenden Straßenteile (KG VRS 74, 257), insbesondere am Fahrbahnrand stehender Kinder (OLG Schleswig ZfS 1988, 380 = VRS 75, 282) und vorsichtige Fahrweise (BGH VRS 26, 348), auch rechtzeitige erhebliche Verminderung der sonst zulässigen Geschwindigkeit (BGH VRS 62, 166; OLG Düsseldorf VRS 63, 257), wenn diese nach den Umständen nicht schon gering genug ist, insbesondere der überhöhten (KG VRS 74, 257) unter Umständen bis auf Schrittgeschwindigkeit (OLG Hamm NZV 1993, 397) und stete Bremsbereitschaft (BayObLG NJW 1982, 346). Diese besonderen Sorgfaltspflichten setzen allerdings voraus, dass das Kind nach dem äußeren Erscheinungsbild als solches erkennbar war (OLG Hamm NZV 2006, 151; OLG Schleswig VersR 87, 825)" (Senat, Urteil vom 19. Mai 2019 - 14 U 129/20, Rn. 6, juris).
(2) Auch gegenüber Kindern gilt der Vertrauensgrundsatz. Danach muss der Fahrer besondere Vorkehrungen für seine Fahrweise aber nur dann treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer Gefährdung führen können (BGH, Urteil vom 01. Juli 1997 - VI ZR 205/96, NJW 1997, 2756). Geboten ist indes dann eine erhöhte Aufmerksamkeit (BGH, Urteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 3/80, Rn. 7, juris) und auch Beobachtung der angrenzenden Straßenteile, wenn insbesondere Kinder am Fahrbahnrand stehen. Sieht ein Autofahrer Kinder am Fahrbahnrand stehen, so muss er damit rechnen, dass diese unachtsam die Straße überqueren. Er hat sein Fahrverhalten auf diese Möglichkeit einzustellen (OLG Schleswig, Urteil vom 15. Juli 1987 - 9 U 108/86, juris). Es bedarf damit einer konkreten Gefahrenlage (BGH, Urteil vom 23. April 2002 - VI ZR 180/01, Rn. 13, juris).
(3) Ein entsprechendes Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO der Beklagten ist nicht erwiesen.
Dabei kann die von den Parteien im Berufungsverfahren umstrittene Frage, ob der nach den Legaldefinitionen des Gesetztes als Kind geltende, zum Unfallzeitpunkt 12-jährige Kläger nach seinem äußeren Erscheinungsbild insgesamt als Kind wahrzunehmen war, hier dahinstehen. Jedenfalls sind Auffälligkeiten im Verhalten oder in der konkreten Verkehrssituation, die objektiv eine besondere Schutzbedürftigkeit des Klägers bzw. eine besondere Gefährdung begründen könnten, nicht ersichtlich. Den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren und auch dem Vortrag der Parteien ist eine objektive Gefahrenlage nicht zu entnehmen.
Ein Verschulden der Beklagten zu 3) liegt nicht schon darin, dass sie nachweislich ohne abzubremsen mit gleichbleibender Geschwindigkeit (vgl. Seite 14 des Gutachtens vom 02. November 2021) die Straße befuhr, während der Kläger mit seinem Rad den Radweg entlang der S.straße benutzte. Auch gegenüber Kindern darf an die Sorgfaltspflicht des Kraftfahrers keine überspannten Anforderungen gestellt werden, wenn nach der gewöhnlichen Lebenserfahrung eine Gefährdung nicht zu erwarten ist (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99, NJW 2001, 152). Ohne erkennbare Umstände, die einzelfallabhängig zu würdigen sind, muss ein Verkehrsteilnehmer nicht damit rechnen, dass (ältere) Kinder auf dem Fahrrad fahrend einen Fußgängerüberweg - ohne vorheriges Anhalten und Umschau - nutzen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster und zweiter Instanz lassen sich nach dem Maßstab des § 286 ZPO keine Auffälligkeiten oder Verhaltensweisen des Klägers feststellen, die eine erkennbare Gefährdung begründet hätten. Dem beweisbelasteten Kläger ist ein entsprechender Nachweis nicht gelungen.
Unstreitig hat der Kläger seine Absicht, die Fahrbahn zu überqueren, nicht durch entsprechende Handzeichen oder eine deutlich erkennbare Umschau angezeigt. In diesem Fall hätte sich die Beklagte zu 3) auf das Abbiegen des Klägers einstellen und nötigenfalls mit einer Abbremsung reagieren müssen.
Soweit der Kläger eingewandt hat, er habe vor dem Überqueren sein Rad angehalten, wodurch seine Absicht den Fußgängerüberweg zu überqueren deutlich geworden sei, ist dies - wie bereits ausgeführt - mit den Ergebnissen der Unfallanalyse des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. und der Aussage der Zeugin H. nicht in Einklang zu bringen. Angesichts der geringen Entfernung des Fahrbahnrands zum späteren Kollisionspunkt, den der Sachverständige nachvollziehbar auf 1,5 Mieter bemisst, erscheint ein Anhalten des Klägers nicht plausibel. Zudem hat der Sachverständige Dipl.-Ing. M. abschließend deutlich ausgeführt, dass er von einer durchgehenden Bewegung des Klägers ausgehe und es für ein Anhalten des Klägers schließlich keine Nachweise gebe (vgl. S. 14 des Gutachtens vom 02. November 2021; Protokoll vom 12. September 2023, Bl. 340 d.A.).
Sonstige Umstände, die der Beklagten zu 3) Anlass für eine Anpassung ihrer Fahrweise und einer deutlichen Herabbremsung ihrer Geschwindigkeit geboten hätten, liegen nicht vor. In dem Zusammenhang ist nicht zuletzt die Aussage der Zeugin H. zu berücksichtigen. Demnach fuhr der Kläger nur auf dem Fahrradweg. Ein Handzeichen, Bewegungen zum Zebrastreifen oder ein Abbremsen und Anhalten habe sie nicht gesehen (vgl. Protokoll vom 12. September 2023, Bl. 337 d.A.). Es spricht nichts dafür, dass die Beklagte zu 3) insoweit bessere Erkenntnismöglichkeiten hatte.
Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. hat sich in Rahmen der mündlichen Erörterung auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Abbremsen des Klägers vorgelegen hat, welches Veranlassung zu einer deutlichen Reaktion der Beklagten zu 3) gegeben hätte (vgl. Protokoll vom 12. September 2023, Bl. 340f. d.A.). Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen kann ein erkennbares Abbremsen des Klägers nach dem Maßstab des § 286 ZPO zur Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden. Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. hat diesbezüglich festgestellt, dass ein Herabbremsen bis zur letztlich gefahrenen Geschwindigkeit bei der Kollision von 10 km/h ohne wesentliche Bedeutung sei bzw. nicht wesentlich wahrgenommen oder erkannt werden könne. Davon allein gehe keine besondere Reaktionsaufforderung aus.
Soweit der Kläger meint, die Beklagte zu 3) hätte ihn grundsätzlich (früher) wahrnehmen können und müssen, ist jedoch nicht ersichtlich, warum sich daraus eine konkrete Gefahrensituation im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO, für die keine Anhaltspunkte feststellbar waren, ergeben könnte. Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO folgt nicht bereits allein aus dem Umstand, dass der Kläger als Kind in der Nähe eines Fußgängerüberweges den Radweg nutzte, ohne dass die Beklagte zu 3) ihre Fahrt verlangsamte. Wie bereits dargelegt, erfordert nicht jede in das Blickfeld eines Fahrzeugführers geratende Person im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO eine Verlangsamung, Abbremsung und Anpassung des Fahrverhaltens.
(4) Zudem war auch die gegebene Verkehrssituation unter den Umständen des Streitfalls - insbesondere unter Berücksichtigung des vorhandenen Fußgängerüberweges ohne Sichtbehinderung - allein nicht geeignet, eine Verpflichtung der Beklagten zu 3) zu besonderer Rücksichtnahme im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO zu begründen. Aufgrund der konkreten Verkehrssituation war ohne weiteres nicht mit dem unerwarteten Überfahren der Fahrbahn zu rechnen. Anders als ein Radweg, der in eine auf der Fahrbahn aufgezeichnete Furt mündet (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.1997 - VI ZR 205/96, NJW 1997, 2756), vermag ein die Fahrbahn querender Fußgängerüberweg auch bei verkehrsungewandten Radfahrern nicht die Vorstellung zu erwecken, sie hätten Vorrecht, zumal eine solche Wertung der Verkehrslage mit der eindeutigen Regelung des § 26 S.1 StVO nicht vereinbar wäre, wonach gerade keine Radfahrer vom Schutzbereich des § 26 S. 1 StVO erfasst und damit bevorrechtigt sind.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alt und altersgemäß entwickelt; er fuhr selbständig mit dem Fahrrad auf dem Radweg. Irgendeine Besonderheit, die zu Gefährdungen hätte führen können, ist nach Abschluss der Beweisaufnahme nicht ersichtlich. Die vom Landgericht angenommene Auffassung in einem solchen Fall, ohne weitere Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung wäre von der Beklagten zu 3) zu verlangen, vorsorglich die Geschwindigkeit durch Abbremsen auf 30 km/h zu verringern, überspannt die Sorgfaltspflichten des Kraftfahrers. Insoweit kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.
ee) Ein Verstoß der Beklagten zu 3) gegen § 1 Abs. 2 StVO steht nach den Umständen des Falls ebenso nicht fest.
Zwar besteht gemäß § 1 Abs. 2 StVO für jeden Verkehrsteilnehmer die Pflicht, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt oder gefährdet wird. Dies wird ergänzt durch die in § 1 Abs. 1 StVO normierte Pflicht, am Straßenverkehr nur unter ständiger Vorsicht teilzunehmen. Jeder Fahrzeugführer muss daher das Verkehrsgeschehen aufmerksam beobachten, um auf etwaige Gefahrensituationen rechtzeitig reagieren und diesen durch Bremsen oder Ausweichen begegnen zu können (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 1 StVO, Rn. 27). Ein solches Fehlverhalten der Beklagten zu 3) ist nicht feststellbar. Der auch insoweit beweisbelastete Kläger, der nachweisen muss, dass die Beklagte zu 3) unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verspätet reagiert hat bzw. früher hätte reagieren können, hat den Beweis dafür, dass sein Abbiegen früher und rechtzeitig erkennbar war, nicht erbracht.
Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme iSd § 286 ZPO überzeugt, dass die Beklagte zu 3) mangels vorheriger Anhaltspunkte in der verbliebenden Reaktionszeit die Kollision mit dem Kläger nicht vermeiden konnte. Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. hat sich ausführlich, nachvollziehbar und sorgfältig mit dem Unfallgeschehen auseinandergesetzt. Hierbei ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte zu 3) erstmals mit einem Einfahren des Klägers rechnen musste, als dieser dazu ansetzte, von dem Radweg auf die Fahrbahn aufzufahren. Etwa eine Sekunde vor der Kollision sei der Kläger vom Radweg nach links in Richtung Überweg geschwenkt. Bei einer Reaktionsdauer von 0,8 Sekunden und einer anschließenden Vollbremsung, die dann unmittelbar vor der Kollision eingesetzt hätte, wäre die Kollision mit dem Kläger auf dem Rad für die Beklagte zu 3) weder zeitlich noch räumlich vermeidbar gewesen (Seite 13 des Gutachtens vom 02. November 2021). Zu diesem Ergebnis gelangte zudem bereits der Sachverständige R., der im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens den Unfallhergang rekonstruiert hatte (vgl. SH Bl. 38ff., Gutachten des Dipl.-Ing. R., Seite 26). Angesichts dieser erst unmittelbar vor dem Überqueren der Fahrbahn bestehenden Möglichkeit der Wahrnehmung des Abbiegevorganges kann die fehlende Ausweich- und Bremsreaktion der Beklagten zu 3) nicht als schuldhaft im Sinne des § 1 Abs. 2 StVO gewertet werden.
ff) Die Beklagte zu 3) hat den Entlastungsbeweis i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nicht geführt. Bei § 18 StVG wird vermutet, dass der Fahrzeugführer die Schädigung durch ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten herbeigeführt hat. Der Fahrzeugführer kann sich dadurch entlasten, dass er die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beweist. Erforderlich ist die Feststellung, dass der Fahrzeugführer alles einem ordentlichen Kraftfahrer Zumutbare getan hat, den Unfall zu vermeiden. Hierzu bedarf es des Nachweises, dass der Kfz-Führer sich so verhalten hat, wie dies jeder andere ordentliche Kraftfahrzeugführer unter den gegebenen Umständen auch gemacht hätte; maßgebend ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Verkehrsteilnehmer zu fordern ist (OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2000 - 9 U 128/99, Rn. 20, juris). Diesen Nachweis kann die Beklagte zu 3) schon deshalb nicht führen, weil sie mit der höchsten gerade noch zulässigen Geschwindigkeit auf einen Fußgängerüberweg zugefahren ist, während ein Fahrradfahrer parallel neben ihr auch auf diesen zufuhr (auch wenn dies - wie ausgeführt - kein Verschulden der Beklagten zu 3) zu begründen vermag).
gg) Festgehalten werden kann damit, dass der Beklagten zu 3) ein unfallursächliches Verschulden nicht nachzuweisen ist. Für die nach § 9 StVG, § 254 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung ist aber festzuhalten, dass einerseits die Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Beklagten zu 3) im Unfallhergang deutlich erhöht und andererseits zu Lasten des Klägers ein schuldhafter Verstoß gegen § 10 S. 1 StVO zu berücksichtigen ist. Trotz des Verstoßes des Klägers gegen § 10 S. 1 StVO tritt unter Berücksichtigung des Alters des Klägers sowie der deutlichen Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 3) diese, auch angesichts der weiteren Gesamtumstände des Unfallgeschehens, nicht zurück. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts hält der Senat dabei eine überwiegende Haftung der Beklagten für nicht gerechtfertigt. Denn den Kläger trifft hier ein deutlich höherer Verantwortungsanteil als die Beklagte zu 3), weil erst sein sorgfaltswidriges Verhalten bei Auffahren auf die Fahrbahn überhaupt zu dem Unfall geführt hat, während der Beklagten zu 3) kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen ist. Bei dieser Sachlage kann die von dem Landgericht ermittelte Haftungsquote von 40 % zu 60 % zu Lasten der Beklagtenseite keinen Bestand haben und war auf die Berufung zu Gunsten der Beklagten zu einer Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 abzuändern.
(1) Bei der vorzunehmenden Abwägung der erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges und dem Verschulden des Klägers ist - wie oben bereits im Zusammenhang mit dem Verstoß des Klägers gegen § 10 S. 1 StVO erwähnt - das Verschulden bei Unfällen mit Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Deren Verschulden kann dabei so schwer wiegen, dass dahinter die einfache Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zurücktritt, was aber bei jüngeren Jugendlichen in der Regel nicht der Fall ist. Ein Mitverschulden von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 BGB ist in der Regel jedoch geringer zu bewerten als das entsprechende Mitverschulden eines Erwachsenen (BGH, Urteil vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02, NZV 2004, 187).
Dies folgt bereits aus dem Haftungszweck der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG. Die Gefährdungshaftung soll die übrigen Verkehrsteilnehmer von den Schadenslasten freihalten, in denen sich die Gefahr des Kraftfahrzeugbetriebs realisiert. Kinder sind durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen wegen der fehlenden Eingewöhnung und Erfahrung im Straßenverkehr erheblich stärker gefährdet als Erwachsene (BGH, Urteil vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89, Rn. 22, juris). Soweit sich in deren Unfallbeitrag altersgemäße Defizite der Integrierung in den Straßenverkehr und seine Gefahren auswirken, stellt dieser Beitrag auch dann nicht von der Haftung nach § 7 StVG frei, wenn er objektiv als grob verkehrswidrig erscheint und deshalb, wäre ein Erwachsener geschädigt worden, die Haftung für den Halter entfallen lassen würde (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1990, aaO). Eine völlige Freistellung des Pkw-Fahrers von der Gefährdungshaftung wegen eines grob verkehrswidrigen Verhaltens des Kindes setzt zunächst voraus, dass der Verkehrsverstoß altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbar war. Dies ist nicht der Fall.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt gerade 12 Jahre alt. Es ist altersgemäß und nicht ungewöhnlich, wenn ein 12 Jahre alter Junge beim Radfahren im Straßenverkehr unachtsamer ist als Erwachsene oder ältere Jugendliche. Jugendlicher bzw. kindlicher Leichtsinn sind in der Altersstufe des Klägers nicht unüblich. Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt in dem Alter, in dem Kinder typischerweise die Teilnahme im Straßenverkehr erlernen, ohne jedoch bereits sämtliche Risiken des Straßenverkehrs sicher in ihre Entscheidungen einstellen zu können. Auch wenn Kinder in dem Alter in aller Regel bereits an die Teilnahme im Straßenverkehr herangeführt wurden und bei Beherrschen der grundlegenden Verkehrsregeln erste Fahrten ohne Begleitung der Eltern unternehmen können, sind unachtsame Fahrweisen, wie die des Klägers vor dem Unfallgeschehen, nach Auffassung des Senats einem 12-jährigen Jungen nicht wesensfremd und subjektiv nicht in besonderem Maße - wie dagegen einem älteren Jugendlichen - vorzuwerfen. Eine deutlich überhöhte Geschwindigkeit oder eine besonders risikoreiche Fahrweise ließen sich den Feststellungen des Sachverständigen sowie den Aussagen und Angaben der Zeugin und der Parteien nicht entnehmen. Insbesondere die Zeugin H., die den Kläger bereits vor der Kollision wahrgenommen hatte, schilderte keine risikoreiche Fahrweise des Klägers bis zum Unfallgeschehen.
(2) Die Beklagten müssen sich dagegen im Rahmen der Haftungsabwägung eine erhöhte Betriebsgefahr zurechnen lassen. Auf Seiten der Beklagten sind erhebliche gefahrerhöhende Umstände zu berücksichtigen.
Die allgemeine Betriebsgefahr wird dabei nicht nur durch eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise erhöht. Ein etwaiges Verschulden des Geschädigten und dessen Schwere bildet nur einen Faktor der Abwägung (vgl. BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 46). Eine Erhöhung der Betriebsgefahr kann sich auch aus einem zulässigen Fahrverhalten ergeben, wenn nur besondere, die allgemeine Gefahr des Fahrens übersteigende Gefahrenmomente vorhanden sind. Auch ein gefahrenträchtiger Verkehrsvorgang oder eine den konkreten Verkehrsvorgang beeinflussende schwierige Örtlichkeit kann die Betriebsgefahr erhöhen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - VI ZR 352/03, Rn. 35, juris; Senat Urteil vom 10. Mai 2023 - 14 U 36/20, Rn. 63, juris) Maßgebend sind zudem Fahrzeuggröße, Fahrzeugart, Gewicht, Fahrzeugbeschaffenheit sowie typische Eigenschaften im Verkehr, Beleuchtung, Fahrgeschwindigkeit (vgl. Kuhn in: Buschbell/Höke, MAH StraßenVerkehrsR, 5. Auflage, § 23 Haftungsrecht und Beweisfragen Rn. 337).
Dabei fällt zunächst ins Gewicht, dass zu Lasten der Beklagten zu 3) die von ihrem Fahrzeug ausgegangene Betriebsgefahr gemäß § 7 Abs. 1 StVG zu berücksichtigen ist, während für das Fahrrad des Klägers ein solches Gefahrenmoment nicht in Ansatz zu bringen ist (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2011 - I-1 U 173/10, juris Rn. 11). Bei Verkehrsunfällen zwischen einem Kraftfahrzeug auf der einen Seite und einem Radfahrer oder Fußgänger auf der anderen Seite fällt im Verhältnis zum Verschulden des Radfahrers oder Fußgängers in der Regel die mitwirkende Betriebsgefahr ins Gewicht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juli 1981 - 1 U 105/81, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 30. November 1982 - 11 U 144/82, juris). Dies hat seinen Grund darin, dass die der Masse und der Schnelligkeit eines Kraftfahrzeugs anhaftende Gefährlichkeit objektiv - wie hier - bei dem Geschehen mitgewirkt und dessen Folgen beeinflusst hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 1986 - 1 U 52/85, NJW-RR 1988, 35 mwN).
Die Beklagte fuhr nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. mit der an der Unfallstelle maximal zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Dies begründet zwar kein Verschulden, ist jedoch als erhöhender Gesichtspunkt bei der Abwägung erheblich. Die an der äußersten Grenze des Zugelassenen gefahrene Geschwindigkeit sowie die im Vergleich zum Fahrrad deutlich höhere Masse des Fahrzeuges beinhalten erhebliche Zerstörungskräfte gegenüber Fußgängern und Fahrradfahrern. Diese gefahrerhöhenden Faktoren haben sich insoweit unmittelbar im streitgegenständlichen Unfallgeschehen folgenschwer, insbesondere durch eine hohe Aufprallwucht, ausgewirkt, was sich bereits aus der Tatsache ergibt, dass der Kläger nach dem Aufprall anschließend 18,5 Meter weit geworfen wurde (vgl. u.a. Seite 14 des Gutachtens vom 02. November 2023). Aufgrund des frontalen Aufpralls wirkten die enormen Kräfte des Fahrzeuges zudem beträchtlicher, als dies bei einem seitlichen Anstoß der Fall gewesen wäre.
Außerdem ist in diesem Zusammenhang die konkrete Unfallstelle zu berücksichtigen. Die hohe Betriebsgefahr resultiert hier vorliegend auch aus dem objektiven Gefahrenpotential der Unfallstelle unmittelbar im Bereich eines Fußgängerüberweges, an dem wegen vermehrten Fahrbahnüberquerungen von einer besonderen Gefahrenträchtigkeit des Straßenverkehrs auszugehen ist.
c) Hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzbegehrens folgt der Senat den vom Landgericht umfassend getroffenen und überzeugenden Feststellungen, die von den Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht - hinreichend - angegriffen werden.
aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Beschluss vom 21. März 2018 - VII ZR 170/17, juris Rn. 15; Senat, Urteil vom 08. Juli 2020 - 14 U 27/20 juris Rn. 61). Konkrete Anhaltspunkte, die die Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern bei der Sachverhaltsfeststellung ergeben. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Gleiches gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht Tatsachenvortrag der Parteien übergangen oder von den Parteien nicht vorgetragene Tatsachen verwertet hat (Senat, Urteil vom 08. Juli 2020 aaO, mwN zur ständigen Rspr. des BGH). Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz (Senat, Senat, Urteil vom 08. Juli 2020 aaO).
bb) Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab liegen konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der landgerichtlichen Feststellungen zur Schadenshöhe auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens nicht vor. Das Landgericht hat den Sachverhalt umfassend durch die informatorische Anhörung der Parteien und Verwertung der vorgelegten ärztlichen Unterlagen und außergerichtlichen Gutachten aufgeklärt und die Höhe des Schmerzensgeldes ermittelt. Einwendungen gegen die vom Kläger vorgelegten Gutachten haben die Beklagten nicht erhoben. Das Landgericht hat sich dabei mit dem Parteivortrag, einschließlich der von dem Kläger vorgelegten Privatgutachten, den ärztlichen Unterlagen und der Vergleichsrechtsprechung bezüglich des Schmerzensgeldes auseinandergesetzt und das Schmerzensgeld detailliert begründet. Der Senat sieht keinen Anlass, eine hiervon abweichende Würdigung vorzunehmen. Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes war aufgrund des überwiegenden Mitverschuldens des Klägers wegen des Verstoßes gegen § 10 S.1 StVO jedoch ein höherer Mitverschuldensanteil zu berücksichtigen. Soweit die Beklagten im Übrigen zur grundsätzlichen Schmerzensgeldhöhe mit der Berufung vorbringen, dass die von der Mutter des Klägers organisierte Reha zu einer Heilungsverzögerung geführt hätte, begründet dieser pauschale Einwand unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des Landgerichts keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen. Die Mutter des Klägers hatte erstinstanzlich ausdrücklich bekundet, ihre berufliche Tätigkeit für die Betreuung vorübergehend aufgegeben und die Reha engmaschig nach einem strengen Plan der Klinik in G. koordiniert zu haben.
Danach ist im Ergebnis die grundlegende Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes nicht anzugreifen. Es ist unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils des Klägers von 2/3 von einem angemessenen, aber auch ausreichenden Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 22.220 € auszugehen.
cc) Da die Beklagten mit ihrer Berufung die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe der übrigen Schadensersatzpositionen nicht angreifen und im Übrigen Mängel an den diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts nicht ersichtlich sind, war der zugesprochene Schadensersatzbetrag aufgrund des Haftungsanteils anzupassen, so dass sich bei einer Haftung der Beklagten in Höhe von 1/3 somit ein an den Kläger zu erstattender Betrag in Höhe von 994,86 € ergibt.
d) Der Kläger hat aus dem Unfallereignis gemäß § 249 Abs. 1 BGB auch einen Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlich begründeten Rechtsanwaltskosten. Unter Berücksichtigung eines begründeten Streitwertes von insgesamt bis zu 30.000,00 € (23.214,86 € zzgl. Feststellungsbegehren, der mit 2.000,00 € beziffert wird) ergibt dies vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.358,86 €.
e) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 i. V. m. § 288 BGB.
2.
Auf die Berufung der Beklagten war die Feststellungsklage bezüglich der Haftungsquote abzuändern.
Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere ist das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung gemäß § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zu 1/3 für alle Folgen aus dem Verkehrsunfall vom 07. März 2017 gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 421 BGB haften. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99, juris, Rn. 7). Dies ist vorliegend der Fall. Bei ungewissen und unvorhersehbaren Schadensverläufen wie dem vorliegenden und aufgrund der erheblichen Verletzungen in einem kindlichem Alter mit ungewissen Verlauf, ist nicht abzusehen, welche weiteren Unfallfolgen noch eintreten können.
III.
Dem Kläger war kein Schriftsatznachlass auf die rechtlichen Hinweise des Senats bezüglich der Verschuldenshaftung und Haftungsabwägung in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2023 zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 139 Abs. 5 ZPO liegen nicht vor. Der Senat hat insoweit lediglich seine Hinweise aus der mündlichen Verhandlung vom 06. Juni 2023 nach dem Abschluss der Beweisaufnahme wiederholt. Der Kläger hatte im Anschluss an die Verhandlung vom 06. Juni 2023 hinreichend Gelegenheit, zu diesen Hinweisen des Senats Stellung zu nehmen. Zur Beweisaufnahme konnte der Kläger ohnedies jederzeit vortragen, was er auch mit Schriftsatz vom 29. September 2023 getan hat.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO. Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zu der erörterten obergerichtlichen Rechtsprechung. Im Übrigen erfolgt die Quotenbildung nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalles.
VI.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 3, 5 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.