Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.06.2004, Az.: 7 ME 114/04

Einstweiliger Rechtsschutz hinsichtlich der Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung; Abschiebung aufgrund Nichtausübung eines ordnungsgemäßen Studiums

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.06.2004
Aktenzeichen
7 ME 114/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 37810
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:0607.7ME114.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 01.04.2004 - AZ: 6 B 1089/04
nachfolgend
OVG Niedersachsen - 07.06.2004 - AZ: 7 ME 114/97

Fundstellen

  • AUAS 2004, 184-186
  • AuAS 2002, 184

Aus dem Entscheidungstext

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung der vorinstanzlichen Entscheidungen nicht.

2

1.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alternative VwGO gegen die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung gewährt, obwohl der Antragsteller diesen Verlängerungsantrag erst (kurz) nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der zuvor erteilten Aufenthaltsbewilligung gestellt hat. Das Verwaltungsgericht ist damit der Auffassung gefolgt, dass in einem solchen Fall der Verlängerungsantrag zwar regelmäßig nicht die Fiktion des erlaubten Aufenthalts nach § 69 Abs. 3 AuslG, wohl aber die Fiktion des (nur) geduldeten Aufenthalts nach § 69 Abs. 2 AuslG (analog) auslöst und daran anknüpfend die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestattet. Dieser von mehreren Obergerichten und auch in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. zum Meinungsstand nur OVG Hamburg, Beschl. v. 10. 10. 2000 - 3 Bs 289/00 -, NVwZ-RR 2001, 270) setzt die Antragsgegnerin den Hinweis entgegen, dass nach Ansicht anderer Obergerichte und eines Teils der Literatur eine derartige Fiktionswirkung nicht eintrete und deshalb vorläufiger Rechtsschutz nur nach § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht komme. Damit genügt die Beschwerdebegründung indes nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach sie die Gründe darlegen muss, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander zu setzen hat. Dafür reicht es nicht aus, zu einer bestimmten, vom Verwaltungsgericht immerhin vertretbar beantworteten Frage einen kontroversen Meinungsstand aufzuzeigen.

3

2.

a)

Selbst wenn der gegenteiligen Auffassung, die in Fällen dieser Art gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO gewähren will, zu folgen wäre, könnte die Beschwerde keinen Erfolg haben. Der Antragsteller hatte - vom Verwaltungsgericht als Hilfsantrag gedeutet - auch beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig die Durchsetzung seiner Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung nach Ägypten zu unterlassen.

4

Diesem Antrag hätte entsprochen werden müssen, denn Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch liegen insoweit vor. Damit hätte der Antragsteller im Ergebnis nicht schlechter gestanden als infolge der Stattgabe des Hauptantrages, denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bewirkt hier - da der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nur eine Duldungsfiktion auslösen konnte - lediglich die Aussetzung der Abschiebung.

5

b)

Soweit die Antragsgegnerin meint, eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung im Wege der einstweiligen Anordnung stelle eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache dar, verkennt sie, dass es dem Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht um eine derartige Verlängerung, sondern lediglich um die vorläufige Aussetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht geht. Insoweit fehlt es auch nicht an der erforderlichen Dringlichkeit, denn die Antragsgegnerin hatte lediglich ihre Bereitschaft erklärt, nach Stellen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz den Aufenthalt des Antragstellers bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über diesen Antrag zu dulden, im übrigen aber die unverzügliche Abschiebung angekündigt.

6

c)

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin steht dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zu, denn es ist hinreichend wahrscheinlich, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bei fehlerfreier Entscheidung anders ausfallen wird. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 AuslG kann die Aufenthaltsbewilligung um jeweils längstens 2 Jahre nur verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann. Dafür sprechen hier gewichtige Gründe, die es rechtfertigen, von einer Durchsetzung der Ausreisepflicht derzeit abzusehen.

7

Allerdings kann dem Antragsteller nicht bereits deshalb ein Anordnungsanspruch zugebilligt werden, weil die Antragsgegnerin nicht so verfahren ist, wie es die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz (AuslG-VwV) verlangt. Dabei handelt es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um innerdienstliche Richtlinien, die nicht unmittelbar Rechte und Pflichten für den Ausländer begründen. Sie können im Verhältnis zu ihm Wirkungen nur deshalb entfalten, weil die Verwaltung zur Wahrung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet ist und sich demgemäß durch die pflichtgemäße Anwendung der Verwaltungsvorschriften selbst bindet. Für die rechtliche Beurteilung ist dabei nicht ausschlaggebend, ob die Behörde gegenüber dem Ausländer so verfährt, wie es die Verwaltungsvorschriften nach ihrem durch richterliche Auslegung ermittelten Inhalt verlangen, sondern ob die Behörde in einem durch die Verwaltungsvorschrift geregelten Fall ihr Ermessen ohne sachgerechten Grund anders ausübt als sonst und dadurch das Gleichbehandlungsgebot verletzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.11.1992 - 1 B 182.91 -, Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 133 m.w.N.). Dafür bestehen hier hinreichende Anhaltspunkte.

8

Die Antragsgegnerin ist zu ihrer Feststellung, dass der Antragsteller ein ordnungsgemäßes Studium nicht (mehr) betreibe, unter Heranziehung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz gelangt, sie hat dabei aber ihrer Entscheidung unzutreffende Tatsachen zugrunde gelegt und deshalb eine ermessensfehlerhafte Entscheidung getroffen. Nach Nr. 28.5.2.3 Satz 4 AuslG-VwV liegt ein ordnungsgemäßes Studium regelmäßig vor, solange der Ausländer die durchschnittliche Studiendauer an der betreffenden Hochschule in dem jeweiligen Studiengang nicht um mehr als 3 Semester überschreitet. Diese Beurteilung legt auch die Antragsgegnerin - wie die Begründung ihres Ablehnungsbescheides erkennen lässt - ihrer Verwaltungspraxis zugrunde. Sie hat jedoch übersehen, dass die durchschnittliche Studiendauer in dem Studiengang des Antragstellers nicht - wie von ihr angenommen - 10, sondern - wie das Verwaltungsgericht ermittelt hat - 12 Semester beträgt. Es wäre Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, sich bei der Hochschule über die (tatsächliche) durchschnittliche Studiendauer zu vergewissern (vgl. Nr. 28.5.2.3 Satz 5 AuslG-VwV); der Studierende verfügt insoweit regelmäßig nicht über zuverlässige Erkenntnisse. Unter diesen Umständen hätte bei ermessensfehlerfreier Entscheidung der Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nicht aus den angegebenen Gründen abgelehnt werden können, weil sich der Antragsteller zurzeit der behördlichen Entscheidung (erst) im 13. Semester befand. Tatsächlich war damit die vom Antragsteller bisher absolvierte Studienzeit als solche nicht geeignet, Zweifel an einem ordnungsgemäßen Studium zu begründen; für dieses besteht bei einer an den Verwaltungsvorschriften ausgerichteten Verwaltungspraxis vielmehr noch eine Vermutung. Selbst bei Überschreitung der zulässigen Studiendauer nach Nr. 28.5.2.3 AuslG-VwV scheidet eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bei Vorlage einer aussagekräftigen Stellungnahme der Ausbildungsstelle gemäß Nr. 25.5.4.1 AuslG-VwV nicht aus.

9

Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des Studiums lassen sich hier ausnahmsweise auch nicht damit begründen, dass der Antragsteller sein Studium nicht innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von 10 Jahren im Bundesgebiet abgeschlossen hat. Weder § 28 Abs. 2 Satz 2 AuslG noch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift ist eine derartige absolute Grenze zu entnehmen; vielmehr kommt es darauf an, ob im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt damit gerechnet werden kann, dass der Antragsteller sein Studium noch innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolgreich abschließen wird (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 21. 8. 1998 - 17 B 2314/96 -, InfAuslR 1998, 493 [OVG Nordrhein-Westfalen 21.08.1998 - 17 B 2314/96]). Für die ihre ablehnende Entscheidung tragende, dies verneinende Prognose hat die Antragsgegnerin bisher ausreichende Erkenntnisse nicht gewonnen. Insbesondere hat sie eine Auskunft der Universität Hannover nicht eingeholt. Zwar hat sie den Antragsteller, der gemäß § 70 AuslG in besonderer Weise zur Mitwirkung verpflichtet ist, angehört, sie konnte jedoch unter den hier gegebenen Umständen allein aus dem Schweigen des Antragstellers zu den sein Studium betreffenden Verhältnissen keine ihm nachteiligen Schlüsse ziehen. Nach ihrem Rechtsstandpunkt, den sie dem Antragsteller mit ihrem Anhörungsschreiben mitgeteilt hatte, musste dieser davon ausgehen, dass Umstände, die den Aufenthaltszweck und die Dauer seines Studiums betreffen, für die Entscheidung der Antragsgegnerin keine Bedeutung mehr haben konnten. In dieser Lage ist es nicht angemessen, durch Abschiebung des Antragstellers zu seinen Lasten vollendete Tatsachen zu schaffen. Sollte allerdings nach weiterer Sachverhaltsklärung durch die Antragsgegnerin unter Mitwirkung des Antragstellers und Einschaltung der Hochschule erkennbar sein, dass ein Abschluss des Studiums nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erwarten ist, könnte die Antragsgegnerin im Rahmen einer fehlerfreien Entscheidung erneut zur Ablehnung des Verlängerungsantrages gelangen und - sofern auch sonst Abschiebungshindernisse nicht bestehen - die Ausreisepflicht durchsetzen.