Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.06.2004, Az.: 7 ME 104/04

Abfall; Abfallverbringung; Genehmigung; Gülle; Notifizierung; Verbringung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.06.2004
Aktenzeichen
7 ME 104/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.04.2004 - AZ: 2 B 45/03

Gründe

1

I. Die Antragsgegnerin stellte mit der angefochtenen Verfügung vom 19. Mai 2003 fest, dass die Antragstellerin für die Verbringung von Kälbergülle in Form von sog. NPK-Dünger aus den Niederlanden nach Niedersachsen einer abfallrechtlichen Genehmigung gem. Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (EG-Abfallverbringungsverordnung - EG-AbfVerbrVO) bedarf, untersagte der Antragstellerin die weitere Verbringung ohne abfallrechtliche Genehmigung und ordnete die sofortige Vollziehung an. Den von der Antragstellerin begehrten vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht ab, weil die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen abfallrechtlichen Verfügung und dem gegenläufigen privaten Interesse der Antragstellerin zu deren Lasten ausgehe. Dabei seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache unberücksichtigt geblieben, weil diese als offen anzusehen seien. Mit ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, die angefochtene Verfügung sei offensichtlich rechtswidrig, weil es sich bei dem NPK-Dünger nicht um Abfall handele, die EG-Hygieneverordnung die Anwendbarkeit der Bestimmungen der EG-AbfVerbrVO ausschließe und Art. 26 Abs. 5 dieser Verordnung keine Ermächtigungsgrundlage für ein präventives Einschreiten sei; jedenfalls müsse aber eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausgehen. Die Antragsgegnerin tritt diesem Vorbringen entgegen und verteidigt den Beschluss des Verwaltungsgerichts.

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II. Die Beschwerde ist unbegründet.

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Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), geben keinen Anlass, den erstinstanzlichen Beschluss zu ändern.

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1. a) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erweist sich die angefochtene Verfügung nicht deshalb als offensichtlich rechtswidrig, weil – wie die Antragstellerin meint – die EG-AbfVerbrVO auf diesen Fall nicht anwendbar sei.

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Die Vorschriften der EG-Hygiene VO sind nicht geeignet die abfallrechtlichen Regelungen zu ersetzen. In der Hygiene-VO werden die seuchen- und hygienerechtlichen Aspekte geregelt, während das Abfallrecht die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung des Stoffes, hinsichtlich der zu erwartenden Umweltbelastungen regelt.

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Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, dass die EG-AbfVerbrVO nicht als subsidiär hinter der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03. Oktober 2002 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte (EG-HygieneVO) zurücktrete, ist zumindest vertretbar. Zwar regelt diese Verordnung auch die Versendung von tierischen Nebenprodukten, wie z.B. Gülle, in andere Mitgliedstaaten. Diese Regelungen sind jedoch, wie auch die Bestimmungen über sonstige von der Verordnung erfasste Vorgänge, im Hinblick auf tierseuchen- und hygienerechtliche Aspekte erlassen worden. Nach Zweck und Zielrichtung sind diese Vorschriften nicht ohne weiteres geeignet, abfallrechtliche Regelungen zu ersetzen, mit denen andere Ziele und Schutzzwecke verfolgt werden. Anders als die Antragstellerin meint, stellt der seuchen- und hygienerechtliche Aspekt nicht das einzig abfallrechtlich relevante Gefährdungspotential für Umwelt und Mensch dar. Es ist durchaus denkbar, dass die Verwertung von tierischen Nebenprodukten den Anforderungen der EG-HygieneVO entspricht und insoweit unbedenklich ist, aber eine nach den Kriterien des Abfallrechts ordnungsgemäße und schadlose Verwertung im Hinblick auf bestimmte zu erwartende Umweltbelastungen gleichwohl nicht festgestellt werden kann. Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht darauf hingewiesen, dass die EG-AbfVerbrVO verschiedene weitergehende Anforderungen und Möglichkeiten enthält (vgl. z.B. Art. 25, 27), die eine Entsprechung in der EG-HygieneVO nicht gefunden haben.

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Die grenzüberschreitende Abfallverbringung unterliegt den besonderen Regelungen der EG-AbfVerbrVO.

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Die Auffassung der Antragstellerin, der deutsche Gesetzgeber habe den Vorrang der EG-HygieneVO anerkannt, indem er in § 2 Abs. 2 Nr. 1a KrW-/AbfG geregelt habe, dass die Vorschriften dieses Gesetzes im Falle von tierischen Nebenprodukten im Sinne der EG-HygieneVO nicht anwendbar seien, geht fehl. Ein derartiger Schluss lässt sich aus der Einfügung dieser Nr. 1a durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Verarbeitung und Beseitigung von nicht für den menschlichen Verzehr bestimmten tierischen Nebenprodukten vom 25. Januar 2004 (BGBl.I S. 82, 87) nicht herleiten. Die EG-HygieneVO regelt eine Materie, die bisher Gegenstand des nationalen Tierkörperbeseitigungsgesetzes war. Mit der Schaffung dieser gemeinschaftsrechtlichen Grundlage bestand die Notwendigkeit, gleichlautendes und entgegenstehendes nationales Recht aufzuheben und anzupassen. Da das bisherige Tierkörperbeseitigungsgesetz nun durch die EG-Verordnung sowie damit in Zusammenhang stehende Durchführungsvorschriften abgelöst worden ist, war die Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG, wonach die Vorschriften dieses Gesetzes unter anderem nicht für die nach dem Tierkörperbeseitigungsgesetz zu beseitigenden Stoffe gelten, aufzuheben und durch die Einfügung der Nr. 1a in § 2 Abs. 2 KrW-/AbfG sicherzustellen, das entsprechend dem bisherigen Recht auch diese Neuregelungen, soweit sie die Entsorgung tierischer Nebenprodukte bestimmen, als besonderes Abfallrecht den allgemeinen Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes vorgehen. Ein Bedarf, die grenzüberschreitende Abfallverbringung vom Geltungsbereich des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes auszunehmen bestand nicht; sie wird von § 2 Abs. 1  KrW-/AbfG von vornherein nicht erfasst, sondern unterliegt den besonderen Regelungen der EG-AbfVerbrVO (vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/1667, S. 16, sowie § 10 KrW-/AbfG).

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Auch wenn die EG-Verordnung verbindlich und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, kann sie nicht Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Verwaltungsakten sein.

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b) Durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen auch nicht deshalb, weil – wie die Antragstellerin meint – Art. 26 Abs. 5 und Art. 30 Abs. 1 der EG-AbfVerbrVO keine taugliche Rechtsgrundlage für ein präventives Verbot der Einfuhr von Abfällen seien. Allerdings kann aus dem Umstand, dass EG-Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten, noch nicht der Schluss gezogen werden, dass einzelne Bestimmungen dieser Verordnungen eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Verwaltungsakten darstellen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob aus dem Wortlaut der genannten Bestimmungen abgeleitet werden kann, dass sie sich lediglich an die Mitgliedstaaten richten und diese zum Erlass von Rechtsnormen anhalten, um die illegale Verbringung durch geeignete rechtliche Maßnahmen zu verbieten und zu ahnden. Auch wenn eine im Sinne der Auslegung des Verwaltungsgerichts klarere Regelung in Gestalt einer Ermächtigung der zuständige Behörde denkbar gewesen wäre, ist dem Wortlaut der Normen eine Beschränkung auf einen Umsetzungsauftrag an die Mitgliedstaaten nicht eindeutig zu entnehmen. Selbst wenn Art. 26 Abs. 5, 30 Abs. 1 EG-AbfVerbrVO jedoch die Ermächtigung zum Erlass von Einzelakten nicht enthalten, würde sich die Frage stellen, ob andere Rechtsvorschriften als Eingriffsgrundlage in Betracht kommen. Der Umstand, dass der Bundesgesetzgeber eine generalklauselartige Ermächtigung in das Abfallverbringungsgesetz (AbfVerbrG) nicht aufgenommen hat, steht einer Heranziehung der ordnungsbehördlichen Generalklausel zur Gefahrenabwehr nicht von vornherein entgegen. Es liegt eher fern, dass der Bundesgesetzgeber mit der Schaffung von § 14 und § 15 AbfVerbrG und § 326 Abs. 2 StGB abschließende Regelungen zur Umsetzung des Art.26 Abs. 5 EG-AbfVerbrVO hat treffen und ein präventives Tätigwerden der Behörde zur Gefahrenabwehr hat ausschließen wollen.

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Die Vorschriften über die Genehmigungsbedürftigkeit einer bestimmten Tätigkeit sind zugleich die gesetzliche Grundlage für den feststellenden Verwaltungsakt, der dieselbe als genehmigungsbedürftig bezeichnet.

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Von dem Vorstehenden abgesehen hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass Vorschriften über die Genehmigungsbedürftigkeit einer bestimmten Tätigkeit zugleich eine hinreichende gesetzliche Grundlage jedenfalls für einen feststellenden Verwaltungsakt abgeben, wenn sein Inhalt etwas als Rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht Rechtens hält, also die konkrete Tätigkeit als genehmigungsbedürftig bezeichnet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10. 10. 1990 - 1 B 131.90 -, NVwZ 1991, 267 m.w.N.). Ob mit diesen Erwägungen nicht nur die Feststellung der abfallrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit, sondern als daraus folgende Konsequenz auch die Untersagung einer weiteren Verbringung ohne Genehmigung gerechtfertigt werden kann, kann dahingestellt bleiben, weil gewichtige Gründe dafür sprechen, dass sich die Antragsgegnerin auf eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung stützen kann.

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Ein Stoff, der Abfall im rechtlichen Sinne ist, unterliegt so lange den abfallrechtlichen Vorschriften, bis der Verwertungsvorgang abgeschlossen ist.

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c) Dass die anfallende Gülle ihre Abfalleigenschaft bereits durch die von der Antragstellerin geschilderte Behandlung und die Anreicherung mit Stickstoff und Kalium verliert, hat das Verwaltungsgericht als zweifelhaft und in einem Hauptsacheverfahren als klärungsbedürftig bezeichnet. Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gesichtspunkte erlauben demgegenüber eine eindeutige Beurteilung zu ihren Gunsten nicht. Auch unter Berücksichtigung der von ihr zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 19. 11. 1998 - 7 C 31.97 -, NVwZ 1999, 1111) bedarf der Klärung, ob die Gülle nach der Aufbereitung ihre Abfalleigenschaft verliert. Die Notwendigkeit, einen dem Abfallbegriff unterfallenden Stoff den Anforderungen des Abfallrechts zu unterwerfen, entfällt nach dessen Zweck erst mit Beendigung des konkreten Verwertungsvorgangs. Hier ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Verwertungsvorgang erst mit der Aufbringung auf den Boden im Sinne des Verwertungsverfahrens R 10 des Anhangs IIB zur Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (EWG-Abfallrahmenrichtlinie) endet. Selbst wenn dies aber anders zu beurteilen wäre, erlaubte der Umstand, dass ein Stoff das Ergebnis eines vollständigen Verwertungsverfahrens ist, nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung, es handele sich damit nicht mehr um Abfall (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 15. 06. 2002 - Rs. C-418, 419/97 -, NVwZ 2000, 1156 [BGH 15.10.1999 - V ZR 418/97]).

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2. Das Beschwerdevorbringen ist auch nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Ergebnis in Zweifel zu ziehen. Das Interesse der Antragstellerin, den sogenannten NPK-Dünger bis zu einer abschließenden Entscheidung ohne Notifizierungsverfahren nach Deutschland zu verbringen, ist von geringerem Gewicht als das öffentliche Interesse an der Einhaltung des nach der EG-AbfVerbrVO vorgesehenen Verfahrens, mit dem eine unkontrollierte Abfallverbringung in andere Länder verhindert werden soll. Treffen die Angaben der Antragstellerin zu, ist es ihr voraussichtlich bei Erfüllung der Voraussetzungen möglich, das Notifizierungsverfahren erfolgreich zu durchlaufen. Es ist indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass für die Antragstellerin gewichtige Nachteile allein mit der Einhaltung dieses Verfahrens verbunden sind.