Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.06.2004, Az.: 8 LA 128/04
Kosovo; Kosovo-Albaner
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2004
- Aktenzeichen
- 8 LA 128/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50591
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 01.03.2004 - AZ: 10 A 5609/03
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 6 S 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Kriterien für eine etwaige Gefährdung i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG von ehemaligen Polizisten mit albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo
Gründe
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der von dem Kläger geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.
Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 88 ff., m. w. N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylVfG Rn. 140, m. w. N.). Ob die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist, bestimmt sich nach der Rechtsansicht und den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, soweit diese nicht mit beachtlichen Zulassungsgründen angegriffen worden sind (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 153). Nicht klärungsbedürftig sind Tatsachenfragen, die durch besondere Umstände des Einzelfalls geprägt werden oder die von vornherein nur für eine geringe Zahl im entscheidungserheblichen Tatsachenkern vergleichbarer Fälle auch in anderen Fällen entscheidungserheblich sein können, weil solche Tatsachenfragen einer fallübergreifenden Klärung nicht zugänglich sind (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 135).
Der Kläger wirft die Frage auf, "ob ehemalige albanische Angehörige der Polizei, die der Kollaboration mit den Serben oder der Gegnerschaft zur UCK bezichtigt werden, asylrechtlich relevanten Übergriffen im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG von albanischen Landsleuten ausgesetzt sind". Zu Gunsten des Klägers wird davon ausgegangen, dass er unter den "asylrechtlich relevanten Übergriffen im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG“ eine im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erhebliche konkrete Gefahr versteht. Der so verstandenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich und im Übrigen einer fallübergreifenden Klärung nicht zugänglich ist.
Die o.a. Frage ist nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich nicht festgestellt, dass der Kläger der Kollaboration mit den Serben oder der Gegnerschaft zur UCK bezichtigt wird. In dem Urteil ist gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG insoweit auf die Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug genommen worden. Danach ist es abwegig, dass der Kläger von der albanischen Bevölkerung mit dem serbischen Regime in Verbindung gebracht wird, zumal er nach den im Anerkennungsverfahren gemachten Angaben bereits 1990 aus dem Polizeidienst entlassen worden war und sich sogar selbst separatistisch betätigt hatte. Ebenso wenig wird in den Urteilsgründen davon ausgegangen, dass der Kläger der Gegnerschaft zur UCK bezichtigt wird. Der Kläger bestreitet zwar die Richtigkeit dieser Feststellungen, hat sie aber nicht mit Zulassungsgründen angegriffen. Deshalb sind die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts für das Zulassungsverfahren maßgebend. Auf die Frage, "ob ehemalige albanische Angehörige der Polizei, die der Kollaboration mit den Serben oder der Gegnerschaft zur UCK bezichtigt werden, asylrechtlich relevanten Übergriffen im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG von albanischen Landsleuten ausgesetzt sind", kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.
Im Übrigen ist diese Frage auch keiner fallübergreifenden Klärung zugänglich. Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Da Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt werden, setzt § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG grundsätzlich eine einzelfallbezogene individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation für Leib, Leben oder Freiheit voraus. Diese Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG muss landesweit drohen. Ein Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift kommt daher nicht in Betracht, wenn in einem für den Ausländer erreichbaren Teil seines Herkunftslandes derartige Gefahren nicht drohen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.3.1997 – 9 B 627/96 - m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen lässt sich die von dem Kläger aufgeworfene Frage nach der Gefährdung von albanischen Volkszugehörigen, die vormals als Polizisten (im Kosovo) tätig waren, nicht fallübergreifend einheitlich beantworten. Für eine etwaige Gefährdung dieses Personenkreis ist zunächst danach zu unterscheiden, zu welchem Zeitpunkt der jeweils Betroffene den Polizeidienst verlassen hat oder aus ihm entlassen worden ist. So geht der UNHCR nur von einer fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus, die nach 1990 ein Amt in der serbisch dominierten Verwaltung, Justiz oder Polizei bekleideten (vgl. UNHCR v. 8.11.2001 an das VG Schleswig und die UNHCR-Position v. 30.3.2004 zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen; Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Lage im Kosovo vom 10. Februar 2004). Zur Einschätzung einer etwaigen Gefährdung von ehemaligen Polizisten aus dem Kosovo ist darüber hinaus zu berücksichtigen, in welcher Weise sie sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst bis zum Verlassen des Heimatlandes bzw. außerhalb des Heimatlandes für das serbische Regime einerseits oder die Unabhängigkeitsbestrebungen der ethnischen Albaner im Kosovo andererseits eingesetzt haben. Denn von diesem Verhalten ist es abhängig, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß der Betroffene damit rechnen muss, der Kollaboration mit den Serben oder der Gegnerschaft zur früheren UCK bezichtigt zu werden und deshalb im Kosovo gefährdet zu sein, ohne dass ihm in den übrigen Landesteilen von Serbien und Montenegro außerhalb des Kosovos eine Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Hängt somit eine etwaige Gefährdung von albanischen Volkszugehörigen, die vormals als Polizisten in Serbien und Montenegro einschließlich des Kosovo tätig gewesen sind, wesentlich von den zuvor angeführten besonderen Umständen ihres Verhaltens im Einzelfall ab, so ist die von dem Kläger aufgeworfene Frage, „ob ehemalige albanische Angehörige der Polizei, die der Kollaboration mit den Serben oder der Gegnerschaft zur UCK bezichtigt werden, asylrechtlich relevanten Übergriffen im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG von albanischen Landsleuten ausgesetzt sind“, nicht fallübergreifend zu klären.