Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.06.2004, Az.: 2 LA 282/03

Analogbewertung; Kompositrestauration; Zahnbehandlungskosten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.06.2004
Aktenzeichen
2 LA 282/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50428
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.06.2003 - AZ: 2 A 5448/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Beihilfefähigkeit der zahnärztlichen Leistung der Feinhybrid-Kompositrestauration in Schmelz-Dentin-Adhäsiv-Schicht-Technik.

Gründe

1

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

1. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

3

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, das ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; Nds. OVG, Beschl. v. 03.06.2004 - 2 LA 26/03 -). Es kommt nicht darauf an, ob einzelne Begründungselemente der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung unrichtig sind, sondern darauf, ob diese im Ergebnis unrichtig ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.06.2004, a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall.

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Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil dargelegt und begründet, warum es zu der Auffassung gelangt ist, dass der Beklagte verpflichtet ist, die dem Kläger am 27. März 2002 in Rechnung gestellten Aufwendungen für die zahnärztliche Behandlung seiner Tochter in voller Höhe als beihilfefähig anzuerkennen und hierauf nach dem maßgeblichen Bemessungssatz von 80 vom Hundert eine Beihilfe zu gewähren. Der Senat macht sich die Begründung des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO analog). Der Beklagte hat im Zulassungsverfahren keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

5

Mit Rücksicht auf das Vorbringen des Beklagten im Zulassungsantrag ist folgendes hervorzuheben bzw. zu ergänzen:

6

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass hinsichtlich der hier streitigen zahnärztlichen Leistung der Feinhybrid-Kompositrestauration in Schmelz-Dentin-Adhäsiv-Schicht-Technik die Voraussetzungen für eine analoge Bewertung nach § 6 Abs. 2 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ), die gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 der Beihilfevorschriften (BhV) anzuwenden ist, vorliegen.

7

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 17.02.1994 - 2 C 10.92 -, BVerwGE 95, 117; Urt. v. 30.05.1996 - 2 C 10.95 -, NJW 1996, 3094), der sich der beschließende Senat anschließt, ist eine Gebührenberechnung beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn ausnahmsweise bei objektiver Betrachtungsweise ernsthaft widerstreitende Auffassungen über die Berechtigung eines Gebührenansatzes bestehen, soweit der vom Zahnarzt in Rechnung gestellte Betrag einer zumindest vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entspricht und der beihilfepflichtige Dienstherr nicht für rechtzeitige Klarheit über die von ihm vertretene Auffassung gesorgt hat. Eine solche Fallkonstellation hat das Verwaltungsgericht bezogen auf die hier streitige zahnärztliche Leistung zu Recht angenommen.

8

Bei der Feinhybrid-Kompositrestauration in Schmelz-Dentin-Adhäsiv-Schicht-Technik handelt es sich um eine Behandlungsmethode, die erst nach dem Inkrafttreten der Gebührenordnung für Zahnärzte, also nach dem 1. Januar 1988, im Sinne des § 6 Abs. 2 GOZ entwickelt, das heißt zur Praxisreife gelangt ist. Dies ergibt sich zur Überzeugung auch des beschließenden Senates aus den vorliegenden zahnmedizinischen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Statt vieler wird insofern auf den in der Zeitschrift „Zahnärztliche Mitteilungen“ Nr. 6/2004 Seite 34 veröffentlichten Aufsatz „Die Bewertung direkter Komposit-Restaurationen“ verwiesen. Darin wird von der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und den deutschen Hochschullehrern für Zahnerhaltung festgestellt, dass es sich bei der bei Behörden und Kostenträgern anzutreffenden Meinung, bei restaurativen Therapien werde lediglich ein Loch mit plastischem Material aufgefüllt, was keiner größeren Differenzierung bedürfe, um eine laienhafte Vorstellung handele. In dem genannten Aufsatz wird dezidiert die Entwicklung der Schmelz-Dentin-Adhäsiv-Schicht-Technik seit Beginn der 90ger Jahre dargestellt und auch, dass es sich nicht lediglich um die Weiterentwicklung einer bereits in den 80ger Jahren vollständig bekannten Fülltechnik handelt. Erst seit Anfang bis Mitte der 90ger Jahre liegen nämlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse - mit entsprechender aussagekräftiger Literatur und klinischer Absicherung - vor, um eine klinische Anwendung zu empfehlen. Daher kann auch nach Ansicht des beschließenden Senates erst seit diesem Zeitpunkt von einer Praxisreife gesprochen werden.

9

Auch die weitere Voraussetzung für eine Angemessenheit der Gebührenberechnung im beihilferechtlichen Sinne, nämlich eine Unklarheit der gebührenrechtlichen Erfassung der Behandlungsmethode, die zu Lasten des beihilfepflichtigen Dienstherrn geht, liegt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt hat, vor.

10

Dass derartige Unklarheiten zunächst selbst bei dem Beklagten vorhanden waren, ergibt sich daraus, dass - wie der Kläger mit seinem Widerspruch vom 28. April 2002 unwidersprochen vorgetragen hat - dem Kläger für frühere gleichartige Behandlungen seiner Tochter in Rechnung gestellte zahnärztliche Gebühren als beihilfefähig anerkannt worden sind.

11

Des Weiteren ergibt sich das Vorliegen einer objektiven Unklarheit in diesem Bereich auch aus den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen unterschiedlichen Auffassungen. Danach wird eine Analogbewertung teils befürwortet, teils abgelehnt (vgl. Schröder/Beckmann/Weber, Bundeskommentar, Bd. I, Stand: April 2002, § 5 BhV Seite 72.6.1 ff. mit Nachweisen zum Meinungsstand).

12

Es bestehen entgegen der Auffassung des Beklagten auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts insofern, als es den Gemeinsamen Runderlass des MF und des MFAS vom 6. August 2001 (Nds. MBl. S. 748) nicht als eine zur Klarstellung der Abrechnungsweise ausreichende und hinreichend veröffentlichte Verlautbarung des Dienstherrn bewertet hat. Von dem unter Ziffer 6.2 des genannten Runderlasses genannten Begriff der „lichthärtenden Kompositfüllung in Schicht- und Ätztechnik“ geht gerade keine hinreichend deutliche Signalwirkung aus. Dass es sich bei dem verwendeten Terminus um einen Oberbegriff für ähnliche andere Behandlungstechniken handeln mag, ist unerheblich. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass der Dienstherr dadurch jedenfalls nicht in einer für den Kläger ausreichend deutlich erkennbaren Weise klargestellt hat, ob die hier verfahrensgegenständliche Feinhybrid-Kompositrestauration ebenfalls unter diesen Oberbegriff fallen soll. Durch die hier vertretene Auffassung werden die Anforderungen an eine Klarstellung nicht überspannt, zumal - auch angesichts der Fülle bekannter und praktisch angewendeter medizinischer Behandlungstechniken - das Spektrum möglicher zahnärztlicher Behandlungsmethoden immer noch eingrenzbar ist. Da diese sich jedoch untereinander teilweise erheblich in der Art der Ausführung, des verwendeten Materials und dem jeweils erforderlichen Arbeits- und Zeitaufwand unterscheiden, ist die Zusammenfassung unter diesen unklaren Oberbegriff nicht geeignet, den Anforderungen an eine Klarstellung im beihilferechtlichen Sinne gerecht zu werden.

13

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

14

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die in diesem Sinne zu verstehende grundsätzliche Bedeutung muss durch Anführung mindestens einer konkreten, sich aus dem Verwaltungsrechtsstreit ergebenden Frage, die für die Entscheidung des Berufungsgerichts erheblich sein wird, und durch die Angabe des Grundes, der die Anerkennung der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll, dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.06.2004, a.a.O.).

15

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Beklagten nicht. Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen an eine öffentliche Klarstellung des Dienstherrn über seine Auffassung zu einer umstrittenen gebührenrechtlichen Frage zu stellen sind, ob der Dienstherr insbesondere gezwungen ist, jede einzelne Behandlungstechnik, die er einer bestimmten gebührenrechtlichen Sichtweise unterwerfen will, in jedem Fall einzeln zu benennen, oder ob er sich dabei geeigneter zusammenfassender Oberbegriffe bedienen darf, solange von diesen für die Beihilfeberechtigten im Einzelfall eine ausreichende „Warnfunktion“ ausgeht, bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Denn aus den Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergibt sich bereits, dass von der Bestimmung der Ziffer 6.2 des Runderlasses vom 6. August 2001 (a.a.O.), auf die es hier entscheidungserheblich ankommt, entgegen der Ansicht des Beklagten keine hinreichend deutliche Signalwirkung ausgeht. Da sich die aufgeworfene Frage mithin schon im Berufungszulassungsverfahren ohne weiteres beantworten lässt, ist es deshalb nicht erforderlich, zu ihrer Klärung ein Berufungsverfahren durchzuführen (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. v. 19.04.2004 - 2 LA 293/03 -; vgl. zur Revisionszulassung BVerwG, Beschl. v. 27.08.1996 - 8 B 165.96 -, Buchholz 310, § 132 Abs. 2 Ziffer 1 VwGO, Nr. 13).

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 13 Abs. 2 GKG.

17

Dieser Beschluss ist gemäß §§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.