Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.07.2006, Az.: 11 LB 264/05
Voraussetzungen für die Anerkennung eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit als politischen Flüchtling; Möglichkeit einer politischen Verfolgung bei Rückkehr in die Türkei aufgrund der Vedächtigung einer Zusammenarbeit mit der PKK oder sonstiger herausgehobener separatistischer bzw. terroristischer Aktivitäten; Anforderungen an eine asylerhebliche Gefährdung; Möglichkeit einer ernsthaften Verfolgungsgefahr in Gestalt sippenhaftähnlicher Maßnahmen; Politische Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe; Bewertung der politischen Situation im Irak; Bestehen einer landesweiten Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.07.2006
- Aktenzeichen
- 11 LB 264/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 28269
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0718.11LB264.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 18.05.2005 - Az: 4 A 1745/03
- nachfolgend
- BVerwG - 07.12.2006 - AZ: BVerwG 1 B 234.06
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 AuslG a.F.
- § 60 Abs. 1 AufenthG
- § 60 Abs. 2 AufenthG
- § 60 Abs. 5 AufenthG
- § 60 Abs. 7 AufenthG
- Art. 16a GG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Kurden unterliegen in keinem Landesteil der Türkei einer gruppengerichteten Verfolgung.
- 2.
Kurdische Volkszugehörige, die einer Zusammenarbeit mit der PKK oder sonstiger herausgehobener separatistischer bzw. terroristischer Aktivitäten konkret verdächtigt werden, können aber trotz des Reformprozesses in der Türkei nach wie vor einer individuellen politischen Verfolgung ausgesetzt sein (hier verneint).
- 3.
Auch wenn die Zahl asylerheblicher sippenhaftähnlicher Maßnahmen in der Türkei insgesamt zurückgegangen ist, ist es nicht auszuschließen, dass solche in Einzelfällen weiterhin drohen.
Tatbestand
Die am 17. April 1982 in B. (Kreis Varto, Provinz Mus) geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit.
Das Heimatdorf der Klägerin wurde im August 1994 (teilweise) von türkischen Sicherheitskräften zerstört, da dessen Bewohner als der PKK nahe stehend angesehen wurden. Die Klägerin wohnte im Anschluss daran bis zu ihrer Ausreise in Manisa (Provinz Manisa, die in der Westtürkei liegt). Ihr Vater C. war bereits im Jahre 1993 aus der Türkei ausgereist und lebt seitdem in Deutschland. Er wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) vom 4. Oktober 1996 als Asylberechtigter anerkannt. Zur Begründung verwies das Bundesamt auf das Schicksal des Bruders D., der mit Bescheid vom 10. Oktober 1994 als Asylberechtigter anerkannt worden war. Außerdem bezog es sich auf die Unterlagen zum Schicksal des weiteren Bruders E., die nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes als echt anzusehen seien. Anträge der in der Türkei verbliebenen Ehefrau und Kinder des Vaters der Klägerin auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung von April 1997 blieben erfolglos. Allerdings wurde der Mutter der Klägerin und ihren fünf jüngeren Geschwistern im Jahr 2000 der Nachzug zu ihrem in Wuppertal lebenden Ehemann bzw. Vater gestattet. Der Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Visums wurde wegen Überschreitens des Nachzugalters abgelehnt. Nach ihren Angaben lebte sie bis zu ihrer Ausreise am 2. November 2001 allein in der Wohnung in Manisa.
Die Klägerin beantragte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. Januar 2002 die Anerkennung als Asylberechtigte. Als Begründung wurde angeführt: Sie entstamme einer in der kurdischen Sache engagierten Familie, die die PKK-Guerilla in ihrem Heimatdorf unterstützt habe. Im Rahmen der Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte seien der Bruder Mehmet ihres Vaters und der Cousin F. "ermordet" worden. Der Onkel E. sei noch in Haft. Auch ihr Vater habe wegen seiner Unterstützungsaktivitäten für die PKK fliehen müssen. Sie selbst sei in dem Haus in Manisa von den Sicherheitskräften, die in unregelmäßigen Abständen gekommen seien und nach dem Verbleib ihres Vaters und des Onkels D. gefragt hätten, behelligt worden. Sie sei beschimpft, bedroht und misshandelt worden. Zuletzt sei sie auch nach ihrem Cousin G. gefragt worden, der vor drohender Verfolgung habe fliehen müssen. Da sie diesen Druck nicht mehr habe aushalten können, sei sie zu ihrer Familie nach Deutschland geflohen.
Die Klägerin machte bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 15. Februar 2002 im Wesentlichen folgende Angaben:
In der Türkei sei sie nicht zur Schule gegangen und könne weder lesen noch schreiben. Sie habe auch nicht gearbeitet. In Manisa habe ein Onkel mütterlicherseits gewohnt, der sich um sie gekümmert habe. Ihr Vater habe diesem Geld geschickt. Sie habe noch eine Schwester, die mit einem Cousin verheiratet sei, und in Karapinar wohne.
Der türkische Staat habe ihr Heimatdorf zerstört. Neben ihrem Onkel Mehmet hätten die türkischen Sicherheitskräfte noch zwei weitere Verwandte, nämlich H. und I., im Jahre 1994 getötet. Als sie allein in Manisa gewesen sei, seien die türkischen Behörden bzw. Polizisten sehr häufig bei ihr gewesen und hätten nach ihrem Vater bzw. ihrem Onkel D. gefragt. Sie habe in ständiger Angst gelebt. Ausschlaggebend für ihre Ausreise sei folgendes Ereignis gewesen: Ihr Cousin G. sei bei ihr in Manisa erschienen und habe erzählt, dass er weggehen werde, weil der türkische Staat nach ihm suche. Er sei nur eine Nacht geblieben und am folgenden Morgen zu ihrem in Izmir lebenden Onkel weggegangen. Drei Tage später seien Polizisten bei ihr erschienen, hätten ihren Personalausweis gefordert und sie nach dem Aufenthaltsort von G. gefragt. Hierzu habe sie nichts sagen können. Daraufhin sei das Haus durchsucht worden. Man habe ihr ein paar Ohrfeigen verpasst und sie anschließend mit zur Wache genommen, verhört und nochmals aufgefordert, den Aufenthaltsort von G. zu nennen. Sie hätten ihren Personalausweis einbehalten und ihr angekündigt, dass sie in drei Tagen wiederkommen würden. Auf der Wache sei sie ca. eine Stunde lang festgehalten worden. Von der Wache aus habe sie ihren Onkel mütterlicherseits angerufen, welcher sie abgeholt und nach Hause gebracht habe. Kurz darauf habe sie mit ihrem Vater telefoniert. Er riet ihr, sofort nach Izmir zu einem weiteren Onkel zu gehen. Dort habe sie ihren Cousin G. wieder getroffen, mit dem sie ungefähr drei Wochen später ausgereist sei. Ihr Vater habe einen Schlepper ausfindig gemacht und ihm 5.000,-- DM bezahlt. Der Schlepper habe für sie einen gefälschten Reisepass besorgt, der nicht auf ihren Namen ausgestellt gewesen sei. Sie habe ihm vier Fotos gegeben. Sie hätten dem Schlepper, der sie am 2. November 2001 auf dem Flug nach Deutschland begleitet habe, nach der Passkontrolle in Düsseldorf sämtliche Reiseunterlagen zurückgeben müssen. Ihr Vater habe sie auf dem Parkplatz des Flughafens in Düsseldorf erwartet.
Auf die Frage, ob sie persönlich irgendetwas mit Politik oder Parteien in der Türkei zu tun gehabt habe, antwortete die Klägerin:
"Ich ging wohl zu Newroz-Feierlichkeiten, ansonsten hatte ich aber nichts mit Politik oder Parteien zu tun. Ich bin auch nicht zu irgendwelchen anderen Versammlungen gegangen."
Auf die Frage, ob sie außer den von ihr geschilderten Schwierigkeiten ansonsten jemals irgendwelche Probleme mit staatlichen Organen in ihrem Heimatland gehabt habe, antwortete sie:
"Ich habe alles, was ich erlebt habe, hier zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus gibt es keine Gründe."
Auf die Frage, was sie bei einer Rückkehr befürchte, antwortete sie, dass sie nicht in die Türkei zurückkehren, sondern hier leben möchte. Ihre sämtlichen Familienangehörigen lebten hier. Auf nochmaliges Befragen erklärte sie, dass der Staat sie verhaften werde, weil sie ihrem Cousin Unterschlupf gewährt habe. Auf die Frage, warum sie erst knapp zwei Monate nach ihrer Einreise Asyl beantragt habe, antwortete sie, dass sie so lange auf einen Termin bei einem Rechtsanwalt hätte warten müssen.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag ihres Cousins G. (geb. 21.5.1982) mit Bescheid vom 1. März 2002 als offensichtlich unbegründet ab. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Oldenburg durch rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 15. April 2002 als offensichtlich unbegründet ab.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen. Es führte zur Begründung aus:
Da die Klägerin den notwendigen Beweis für die Lufteinreise nicht habe erbringen können, scheide eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26 a Abs. 2 AsylVfG aus.
Es bestehe aber auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG. Die Klägerin habe eine politische Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Sie berufe sich im Wesentlichen darauf, dass ihr Cousin G. von der Polizei gesucht worden sei und dass es in diesem Zusammenhang zu den vorgetragenen Vorfällen gekommen sei. Ihr Cousin Deniz habe das behauptete Verfolgungsschicksal aber weder vor dem Bundesamt noch vor dem Verwaltungsgericht glaubhaft machen können. Dies lasse nur den Schluss zu, dass auch der Sachvortrag der Klägerin nicht glaubhaft sei und sie ein so nicht erlebtes Schicksal vorgetragen habe.
Eine Klage der Klägerin, die mit Bescheid vom 21. März 2002 der Stadt J. zugewiesen worden ist, auf Umverteilung nach K. wurde durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar 2005 abgewiesen.
Gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Oktober 2003 hat die Klägerin am 23. Ok-tober 2003 Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht: Entgegen der Behauptung des Bundesamtes habe sie sich nicht entscheidend auf eine Verfolgung wegen des Cousins G. berufen, sondern auf eine Verfolgung wegen ihres Vaters und des Onkels D.. Der Vorfall wegen des Cousins G. sei lediglich ein Auslöser gewesen.
Ihr Onkel L. sei im November 2002 zur Wache bestellt und danach nicht wieder lebend gesehen worden. Dieser Fall habe national und international großes Aufsehen erregt. Fünf Monate später sei seine Leiche im Fluss Murat gefunden worden. Dies gehe aus Berichten der Zeitung Özgür Politika hervor. Es spreche alles dafür, dass ihr Onkel, der für die HADEP aktiv gewesen sei, von den türkischen Sicherheitskräften ermordet worden sei. Er habe auch die Klägerin in Manisa besucht und sie zu Versammlungen der HADEP mitgenommen. Nach dem Auffinden der Leiche seien eine Reihe von Verwandten des Ermordeten und der Klägerin festgenommen worden. So sei auch der Onkel des Ermordeten, M., in Manisa festgenommen worden. Das Gleiche sei seinem Sohn N., der in der früheren Wohnung der Klägerin lebe, passiert. M. und N. hätten Frau O., die sich im Sommer 2003 in der Türkei aufgehalten habe, berichtet, dass ihre Festnahme eine Reaktion auf die Anzeige der Familie gegen den türkischen Staat gewesen sei. N. habe gegenüber der Zeugin auch mitgeteilt, dass er nach dem Aufenthaltsort verschiedener Verwandter, darunter der Klägerin und ihres Vaters, befragt worden sei. Sie - die Klägerin - befürchte deshalb, ebenfalls für die Anzeige der Familie von L. gegen den türkischen Staat zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie befürchte auch Verfolgung wegen des Kontaktes zu der PKK-Aktivistin P., die sie noch kurz vor ihrer Ausreise bei der HADEP getroffen habe. Sie habe P. ihre Adresse gegeben, damit diese sie besuchen könne. Naile Firat befinde sich im Gefängnis von Elazig. Sie sei wegen PKK-Mitgliedschaft zu 12 Jahren Haft verurteilt worden. Ihr Onkel Q., der sich in der Zeit vom 3. bis zum 30. Oktober 2004 in der Türkei aufgehalten habe, habe dies während eines Besuches von P. im Gefängnis erfahren. Er sei im Rahmen einer Ausweiskontrolle auf dem Weg nach Varto aufgefordert worden, mit zur nahe gelegenen Wache zu kommen. Der vernehmende Gendarm habe eine Akte vor sich aufgeschlagen und ihn nach dem Aufenthaltsort einer Reihe von Personen, vor allem von Verwandten, befragt. Darunter habe sich auch der Name der Klägerin befunden. Der Gendarm habe sie als Terroristin bezeichnet. Im Rahmen einer weiteren Kontrolle gegen Ende seines Türkei-Aufenthalts sei er vor Van erneut nach dem Aufenthaltsort von Mitgliedern der Familie R. befragt worden. Darunter habe sich wieder der Name der Klägerin befunden, die auch hier als Terroristin bezeichnet worden sei.
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2005 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, diese habe ihm bei der Vorbesprechung erstmals erklärt, dass sie im Zusammenhang mit der Festnahme ihres Onkels E. im Heimatdorf von türkischen Soldaten mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden und danach in Ohnmacht gefallen sei und deshalb noch heute Hörprobleme habe. Die Klägerin leide an psychischen Problemen und habe sich so stark in sich zurückgezogen, dass sie von sich aus kaum etwas über ihre erlittene Verfolgung berichtet habe.
Die Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 16. Februar 2005 angehört. Sie erklärte u. a.: In der Türkei lebten noch drei Onkel von ihr. Ein Onkel mütterlicherseits wohne in Manisa, zwei Onkel väterlicherseits lebten in Dörfern in der Nähe von Varto. Ein weiterer Onkel lebe noch in Izmir. Von ihren Großeltern lebe nur noch ihr Großvater mütterlicherseits.
Sie selbst sei in der Türkei nicht politisch aktiv gewesen. P. habe sie aus ihrem Heimatdorf gekannt. Diese habe sich schon damals der Guerilla angeschlossen. Sie - die Klägerin - habe P. im Jahr ihrer Ausreise in Manisa wiedergetroffen. Dies sei auf einer Versammlung der HADEP gewesen, zu der sie von ihrem Onkel, der für diese Partei tätig gewesen sei, mitgenommen worden sei. Sie selbst habe P. ihre Adresse nicht geben können, weil sie nicht schreiben und lesen könne. Dies habe ihr Onkel getan.
In der mündlichen Verhandlung überreichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verschiedene Unterlagen, bei denen sich auch ein Brief des bereits genannten N. an die Klägerin befand, den sie im März 2004 erhalten hatte. Die zu der mündlichen Verhandlung geladene Dolmetscherin übersetzte diesen Brief, aus dem hervorgeht, dass die Polizei in Manisa N. häufig nach der Klägerin und ihren Aufenthaltsort gefragt habe.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte in der mündlichen Verhandlung Beweisanträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens von Osman Aydin und auf Vernehmung des Herrn Q. als Zeugen, auf die Bezug genommen wird (Bl. 46-48 d. GA). Daraufhin vertagte die Einzelrichterin diese Sache.
In der (weiteren) mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2005 lehnte das Verwaltungsgericht die zuvor gestellten Beweisanträge ab. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte weitere Beweisanträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens des Rechtsanwalts Osman Aydin (Bl. 65 u. 65R d. GA), die das Verwaltungsgericht ebenfalls ablehnte.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzunge des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 18. Mai 2005 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Sie habe die Türkei nicht unter dem Druck bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender landesweiter politischer Verfolgung verlassen; eine solche drohe ihr auch im Falle der Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie im Jahr 1994 von den Sicherheitskräften so stark geschlagen worden sei, dass sie noch heute Hörprobleme habe. Denn dieser Vorfall stehe nicht mehr in zeitlichem Zusammenhang mit der erst Jahre später erfolgten Ausreise. Soweit die Klägerin geltend mache, wiederholt von den Sicherheitskräften aufgesucht und nach den Aufenthaltsorten von Verwandten gefragt worden zu sein, einmal auch mit zur Wache genommen, verhört und nach dem Aufenthaltsort ihres Cousins Deniz befragt worden zu sein, rechtfertige dies ebenfalls nicht die Annahme einer Vorverfolgung. Bei diesen Befragungen und dem kurzzeitigen Festhalten auf der Wache handele es sich um Maßnahmen, denen es an Asylrelevanz fehle. Die Klägerin habe vor ihrer Ausreise auch keine politische Verfolgung zu gewärtigen gehabt. Es sei insbesondere nichts dafür ersichtlich, dass sie wegen des kurzzeitigen Aufenthalts ihres Cousins in ihrer Wohnung mit asylrelevanten Maßnahmen zu rechnen gehabt hätte. Der zusammen mit ihr ausgereiste G. habe in seinem Asylverfahren nicht glaubhaft machen können, in der Türkei Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen zu sein oder solche befürchten zu müssen.
Die Klägerin habe bei Rückkehr in die Türkei auch keine politische Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer Sippenhaft zu erwarten. Aus der Tatsache, dass ihr Vater in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden sei, könne sie nichts Günstiges für sich herleiten. Die Asylanerkennung sei bereits 1996 erfolgt. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin noch jahrelang nach der Flucht und der Anerkennung ihres Vaters in der Türkei gelebt habe und seinetwegen keinen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt gewesen sei, erscheine eine Gefährdung bei Rückkehr in die Türkei nicht beachtlich wahrscheinlich. Verfolgungsgefahr wegen der von ihr im Einzelnen benannten weiteren Familienangehörigen müsse sie schon deshalb nicht befürchten, weil es sich bei den genannten Personen nicht um nahe Verwandte handele.
Soweit sie sich darauf berufe, dass ihr Verwandter Q. anlässlich seines Türkeiaufenthalts im Oktober 2004 zweimal im Rahmen von Ausweiskontrollen nach ihrem Aufenthaltsort gefragt worden sei, wobei sie jeweils als Terroristin bezeichnet worden sei, sei dies nicht geeignet, auf eine landesweite Verfolgung zu schließen. Selbst wenn die Klägerin bzw. deren Familie im Südosten der Türkei "bekannt" und dies in Unterlagen vermerkt sein sollte, belege dies nicht, dass auch im Westen der Türkei nach der Klägerin gesucht werde. Auch seien keine Gründe für eine landesweite Suche nach der Klägerin zu erkennen. Sie habe sich nach ihrem eigenen Bekunden zu keinem Zeitpunkt selbst politisch betätigt. Soweit sie sich darauf berufe, dass die Suche nach ihr darauf zurückzuführen sein könnte, dass P. ihren Namen preisgegeben habe bzw. ihre Adresse bei dieser gefunden worden sei, oder aber im Zusammenhang mit der Anzeige der Familie Kaya gegen den türkischen Staat wegen der Ermordung von L. stehe, handele es sich um bloße Vermutungen. Dass keineswegs alle Mitglieder der Familie R. wegen der Anzeige der Familie S. zur Rechenschaft gezogen würden, belege im Übrigen der Umstand, dass Q. während seines Besuchsaufenthalts in der Türkei mit Ausnahme von Befragungen bezüglich des Aufenthaltsortes von Verwandten offensichtlich keine Probleme mit den staatlichen Stellen bekommen habe.
Ohne Erfolg berufe sich die Klägerin auch auf einen Brief, den sie im März 2004 von dem in ihrer ehemaligen Wohnung in Manisa lebenden N. erhalten habe. Unabhängig davon, dass Briefen von Verwandten von vornherein nur ein eingeschränkter Beweiswert zukomme, gebe der Inhalt dieses Briefes keinen Anlass für die Annahme einer der Klägerin bei Rückkehr in die Türkei drohenden politischen Verfolgung. N. habe lediglich davon berichtet, dass nach der Klägerin gefragt werde und auch er selbst häufig aufgesucht und befragt worden sei. Schließlich unterliege die Klägerin auch wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit keiner landesweiten Gruppenverfolgung. Jedenfalls stehe ihr im Westen der Türkei eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 12. August 2005 die Berufung gegen das angefochtene Urteil wegen der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zugelassen.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend führt sie aus:
Zwar sei es richtig, dass sie in der Türkei keine Aktivitäten begangen habe, die eine Eintragung auf Listen gesuchter PKK-Terroristen rechtfertigten, doch sei eine politische Verfolgung allein deshalb nicht ausgeschlossen, da man auch zu Unrecht einer bestimmten Tat beschuldigt werden könne. Mit dem Hinweis auf einen Zusammenhang mit der als PKK-Aktivistin verurteilten P. und der Tatsache, dass eine Reihe von Mitgliedern der Großfamilie der Klägerin im Zusammenhang mit Aktivitäten der PKK verfolgt worden seien bzw. würden, bestehe zumindest die Möglichkeit einer solchen Beschuldigung. Dass der Zeuge Q. sowohl in der Heimatregion der Klägerin als auch in der Provinz Van nach der Klägerin befragt worden sei, spreche eindeutig gegen eine nur regionale Verfolgung. Zudem sei durch den Brief von N. belegt, dass auch in Manisa von Sicherheitskräften nach dem Aufenthaltsort der Klägerin geforscht werde.
Mit Schriftsatz vom 5. September 2005 trägt die Klägerin darüber hinaus vor, dass ihr Cousin T. bei einem Türkeibesuch auf dem Weg in ihr Heimatdorf von Soldaten kontrolliert worden sei. Der ihn befragende Soldat habe eine Akte herausgeholt und ihn dann nach einer Reihe von Personen aus der R. -Familie gefragt. Darunter habe sich auch der Name der Klägerin befunden. Der Soldat habe wissen wollen, wo sich die Genannten aufhielten. Dies belege die anhaltende Suche nach der Klägerin.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klagantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten stellt keinen Antrag.
Mit Beschluss vom 15. September 2005 hat der Senat über die Behauptung der Klägerin, dass sie in der Türkei bei den örtlichen Sicherheitsbehörden in Manisa (Provinz Manisa), Varto (Provinz Mus) und Van (Provinz Van) als PKK-Unterstützerin registriert sei und gesucht werde, durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes Beweis erhoben. Dieses teilte in seiner Auskunft vom 16. Januar 2006 mit, dass Nachforschungen eines Vertrauensanwalts ergeben hätten, dass bei den Oberstaatsanwaltschaften Mus, Varto, Manisa, Van und Izmir keine Ermittlungen, Festnahmen oder Fahndungen bezüglich der Klägerin registriert seien und dass in der Türkei gegen sie weder ermittelt noch nach ihr gefahndet werde.
Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2006 hat die Klägerin beanstandet, dass sich die Auskunft zu der Beweisfrage, ob sie bei den örtlichen Sicherheitsbehörden als PKK-Unterstützerin registriert sei, nicht verhalte. Es werde beantragt, Rechtsanwalt Osman Aydin mit der Beantwortung dieser Frage zu beauftragen. Wie aus anderen Gutachten von Herrn Aydin bekannt sei, lasse er durch Vertrauensanwälte vor Ort, etwa durch Befragung von Amtspersonen wie Dorfvorstehern, Nachbarn usw. ermitteln. Auf diese Weise könne festgestellt werden, ob die Klägerin auf einer Liste verdächtiger PKKler der Sicherheitsbehörden, die bei Kontrollen verwendet würden, verzeichnet sei. Die Existenz derartiger Suchlisten sei belegt.
Auf Ersuchen des Senats um ergänzende Auskunft teilte das Auswärtige Amt am 10. März 2006 mit, dass die Anfrage des Gerichts vom 15. September 2005 im Sinne des Beweisbeschlusses beantwortet worden sei. Unabhängig davon führten nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes Geheimdienste, Polizei und Jandarma Datenblätter (sog. "Fisleme") über auffällig gewordene Personen, die z.B. auch Angaben über Verfahren, die mit einem Freispruch endeten oder über Vorstrafen, die im Strafregister längst gelöscht worden seien, enthalten könnten. Eine gesetzliche Grundlage für diese Datenblätter gebe es im Grunde nicht. Auch würden Erkenntnisse aus solchen Datenblättern von Gerichten nicht als Beweismittel zugelassen. Das Auswärtige Amt habe jedoch keine konkreten Erkenntnisse über die Systematik der Nutzung solcher Außenstehenden nicht zugänglichen Daten.
Hierauf hat die Klägerin erwidert, dass es nach der Auskunft der Deutschen Botschaft Ankara vom 1. Dezember 2003 an das Bundesamt Listen mit wegen ideologischer Taten gesuchter Personen gebe. Bei den in jenem Verfahren in Betracht kommenden Oberstaatsanwaltschaften in Tunceli und Malatya seien nach den Angaben des Vertrauensanwalts der Deutschen Botschaft trotzdem keine Ermittlungen anhängig gewesen; ebenso habe kein Haftbefehl gegen den dortigen Kläger existiert. Die Ausführungen des Auswärtigen Amtes zur Praxis der "Fisleme"-Blätter berührten die hier interessierende Frage der von Sicherheitskräften verwandten Fahndungslisten nur marginal. Sie sehe deshalb weiterhin keine nachvollziehbare Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zu den Fragen des Beweisbeschlusses des Senats. Sei sie aber in einer Liste von "Terroristen" verzeichnet, bestehe die Gefahr, dass sie bei einer Kontrolle festgenommen und menschenrechtswidrig behandelt werden würde. Diese Gefahr sei seit der Zuspitzung des politischen Klimas in der Türkei weiter gewachsen.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (Bl. 181-185 GA).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten betreffend die Klägerin und ihren Cousin G. Bezug genommen. Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ergeben sich aus den Anlagen zu den gerichtlichen Schreiben vom 20. Juni 2006 und vom 10. Juli 2006 sowie aus der Sitzungsniederschrift vom 18. Juli 2006.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) zu. Ebenso wenig bestehen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG (früher: § 53 AuslG).
1.
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Hierauf kann sich nicht berufen, wer aus einem sicheren Drittstaat und damit auf dem Landweg nach Deutschland einreist (Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG). Behauptet der Asylbewerber, auf dem Luftweg eingereist zu sein, alle schriftlichen Unterlagen aber weggegeben zu haben, so führen zwar weder die damit verbundene Selbstbezichtigung einer Verletzung der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten noch der fehlende urkundliche Nachweis der Luftwegeinreise zum Verlust des Asylrechts; den Asylbewerber trifft insoweit keine Beweisführungspflicht. Allerdings kann das Gericht bei der Feststellung des Reiseweges die behauptete Weggabe wichtiger Beweismittel wie bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Bleibt der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.9.1999 - 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174 = DVBl. 2000, 414 = InfAuslR 1999, 526).
Hiervon ausgehend hat der Senat erhebliche Zweifel, dass die Klägerin, die zuletzt in Manisa in der Nähe von Izmir (also in der Westtürkei) wohnhaft war, tatsächlich - wie sie behauptet - am 2. November 2001 auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist. Sie hat zwar einige Angaben zu den Umständen des Fluges von Izmir nach Düsseldorf gemacht, doch hat sie keinerlei Unterlagen, welche die Einreise auf dem Luftweg bezeugen könnten, vorlegen können. Vielmehr behauptet sie, dem Schlepper nach der Durchführung der Passkontrolle in Düsseldorf sämtliche Reiseunterlagen ausgehändigt zu haben. Sie hat also zu ihrem Nachteil Beweismittel aus der Hand gegeben. Sollte sie tatsächlich am 2. November 2001 auf dem Flughafen in Düsseldorf angekommen sein, hätte es schon in ihrem eigenen Interesse nahe gelegen, sich - auch ohne Papiere - unverzüglich bei der Grenzbehörde im Flughafen zu melden und dort um asylrechtlichen Schutz nachzusuchen. Sie hat jedoch erst mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. Januar 2002 und damit fast 3 Monate nach ihrer behaupteten Einreise einen Asylantrag gestellt. Dies könnte ebenfalls gegen eine berechtigte Verfolgungsfurcht sprechen. Ihre Einlassung, dass sie so lange auf einen Termin bei dem Rechtsanwalt warten musste, erscheint wenig plausibel. Ungereimt erscheinen auch ihre Angaben zur Mitnahme ihres türkischen Nationalpasses. Aus den Verwaltungsvorgängen der Stadt J. ergibt sich, dass die Stadt U. den Nationalpass der Klägerin am 29. Januar 2002 in Verwahrung genommen und an das Bundesamt weitergeleitet hat. Während die Klägerin gegenüber dem Bundesamt erklärt hatte, ihr Cousin V. habe den Pass nach ihrer Ausreise aus der Türkei mitgebracht, gab sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, die Ehefrau ihres Onkels D., also ihre Tante, habe den Pass bereits kurz vor der Ausreise der Klägerin aus der Wohnung in Manisa, in der sie sich mit ihrem gemeinsamen Verwandten N. getroffen habe, sicherheitshalber für sie mitgenommen. Auch dieser gravierende Widerspruch lässt Bedenken an ihrer Behauptung aufkommen, sie sei mit Hilfe eines gefälschten Reisepasses auf dem Luftweg ausgereist. Es scheint eher so gewesen zu sein, dass sie mit ihrem Nationalpass auf dem Landweg nach Deutschland eingereist ist. Letztlich kann die Frage des Einreiseweges aber offen bleiben, denn eine Asylgewährung zugunsten der Klägerin kommt auch materiell-rechtlich nicht in Betracht.
2.
Die Klägerin hat die Türkei nicht aufgrund erlittener oder unmittelbar bevorstehender landesweiter Verfolgung verlassen.
a)
Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin in ihrem Heimatland einer individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder ihr eine solche drohte. Ebenso wenig bestand die Gefahr einer sippenhaftähnlichen Inanspruchnahme.
Soweit die Klägerin sich erstmals im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht darauf berufen hat, sie sei im Jahre 1994 von den Sicherheitskräften in ihrem Heimatdorf Karapinar im Südosten der Türkei so stark geschlagen worden, dass sie noch heute Hörprobleme habe, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Vorfall nicht mehr in zeitlichem Zusammenhang mit der erst im November 2001 erfolgten Ausreise steht. Es fehlt deshalb bereits an dem asylrechtlich geforderten Kausalzusammenhang zwischen politischer Verfolgung und Flucht (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.7.2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 = DVBl. 2001, 207 = InfAuslR 2001, 48).
Die Klägerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie in der Zeit bis zu ihrer Ausreise anderweitig politisch verfolgt worden war oder ihr eine solche Verfolgung drohte.
Die Klägerin ist nach ihrem eigenen Bekunden zu keinem Zeitpunkt in der Türkei selbst politisch aktiv gewesen. Allerdings stammt sie aus dem Dorf Karapinar, dessen Bewohner nach Recherchen eines Vertrauensanwalts des Auswärtigen Amtes (vgl. Auskunft v. 26.1.2006) als der PKK nahestehend angesehen wurden. In dem Dorf wurden deshalb auch wiederholt Razzien durchgeführt. Im August 1994 wurde es (teilweise) von türkischen Sicherheitskräften zerstört. Ebenso ist es unstreitig, dass der Vater der Klägerin und andere Mitglieder der Großfamilie R. in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt worden sind bzw. Abschiebungsschutz erhalten haben. Außerdem sollen Verwandte in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert oder sogar von türkischen Sicherheitskräften getötet worden sein. Die Klägerin macht in diesem Zusammenhang geltend, wiederholt von den türkischen Sicherheitskräften in Manisa aufgesucht und nach den Aufenthaltsorten von Verwandten gefragt worden zu sein. Derartige Nachforschungen sind aber nicht asylrelevant. Die Klägerin hat zwar nach ihrem Vortrag auch an Newroz-Feierlichkeiten teilgenommen, doch hat sie deswegen - wie sie gegenüber dem Bundesamt erklärt hat - keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen gehabt. Gegen ein ernsthaftes Interesse der türkischen Sicherheitskräfte an der Klägerin spricht ferner, dass es - wie die Klägerin bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung des Senats angegeben hat - auch keine Probleme bei der Verlängerung ihres Nationalpasses am 10. Februar 2000 in Manisa gab. Hätten die türkischen Behörden damals die Klägerin als PKK-nahestehend angesehen, wäre es unwahrscheinlich, dass der Nationalpass ohne Weiteres verlängert worden ist (vgl. dazu etwa Taylan, Gutachten v. 31.5.2004 an VG Sigmaringen).
Eine asylerhebliche Gefährdung ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin geschilderten Vorgängen im Zusammenhang mit der angeblichen Suche nach ihrem Cousin G., der kurz vor ihrer Ausreise bei ihr in Manisa übernachtet haben soll. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass türkische Polizisten ihr bei dieser Gelegenheit ein paar Ohrfeigen verpasst und sie anschließend für ca. eine Stunde mit zur Wache genommen haben, handelt es sich dabei von der Intensität her nicht um Beeinträchtigungen, die als politische Verfolgung angesehen werden können (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315, 335). Im Übrigen hat der Senat - ebenso wie bereits das Bundesamt und das Verwaltungsgericht - starke Zweifel, ob der Klägerin überhaupt dieser Vortrag abgenommen werden kann. Ihr Cousin G. konnte in seinem eigenen Asylverfahren nicht glaubhaft machen, in der Türkei Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen zu sein oder solche befürchten zu müssen. Das Bundesamt hat seinen Asylantrag deshalb sogar als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem hat sich das Verwaltungsgericht Oldenburg im rechtskräftig gewordenen Gerichtsbescheid vom 15. April 2002 - 5 A 98/02 - angeschlossen.
Die Einlassung der Klägerin im gerichtlichen Verfahren, sie habe sich gegenüber dem Bundesamt nicht entscheidend auf eine Verfolgung wegen ihres Cousins G., sondern auf eine solche wegen ihres Vaters und ihres Onkels D. berufen, vermag zu keiner ihr günstigeren Beurteilung führen. Beide hatten die Türkei schon lange vor der Klägerin verlassen. Ihr Vater war bereits im Jahre 1993 aus der Türkei ausgereist; er wurde im Oktober 1996 als Asylberechtigter anerkannt. Dessen Bruder D. war sogar schon im Oktober 1994 eine Asylberechtigung zugesprochen worden. Wenn aber die Klägerin in der Zwischenzeit bis zu ihrer Ausreise mit Ausnahme der von ihr geschilderten Befragungen nach dem Ver-bleib von Verwandten unbehelligt in der Türkei gelebt hatte, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die türkischen Sicherheitskräfte in der letzten Zeit vor ihrer Ausreise auf einmal an ihr ein auf ihre Familie bezogenes Verfolgungsinteresse hätten haben sollen. Dagegen spricht auch, dass ihre Mutter und ihre fünf jüngeren Geschwister im Jahr 2000 aus der Türkei ausreisen durften. Sie selbst konnte lediglich wegen des Überschreitens des Nachzugsalters nicht mitreisen. Die Ehefrau ihres Onkels D. durfte sogar - den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats zufolge - noch kurz vor der eigenen Ausreise der Klägerin zu einem Besuch in die Türkei fahren. Dies deutet darauf hin, dass das Interesse der türkischen Sicherheitskräfte auch an ihrem Onkel D. erloschen ist.
Hiervon abgesehen liegen auch die Voraussetzungen, unter denen der Senat bisher eine ernsthafte Verfolgungsgefahr in Gestalt sippenhaftähnlicher Maßnahmen annimmt, nicht vor (vgl. etwa Urt. v. 27.2.2003 - 11 LB 288/02 - u. Beschl. v. 19.5.2004 - 11 LA 141/04 -).
Das Institut der Sippenhaft ist dem türkischen Strafrecht zwar fremd. Kein türkischer Staatsangehöriger kann deshalb wegen der Tat eines Familienangehörigen strafrechtlich verfolgt werden. Gleichwohl kam es nach den vorliegenden Erkenntnismitteln zumindest bis zum Jahre 2002 in der Praxis relativ häufig zu Übergriffen auf nahe Verwandte von politischen Straftätern bzw. flüchtigen Verdächtigen, insbesondere von Mitgliedern illegaler kurdischer Organisationen, um von den Angehörigen etwas über die verdächtige Person zu erfahren oder zu erreichen, dass sie sich stellt. Andererseits konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass in der Türkei seinerzeit landesweit generell und regelmäßig sippenhaftähnliche Maßnahmen praktiziert wurden. Vielmehr ging der Senat in weitgehender Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte davon aus, dass von sippenhaftähnlichen Maßnahmen grundsätzlich nur nahe Angehörige von Personen betroffen waren, die dem führenden Kreis der PKK/KADEK oder anderer militanter staatsfeindlicher Organisationen angehörten oder aufgrund eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens per Haftbefehl gesucht wurden. Danach schied im hier maßgeblichen Zeitraum der Ausreise der Klägerin im November 2001 eine sippenhaftähnliche Gefährdung schon deswegen aus, weil keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihr Vater zum führenden Kreis der PKK/KADEK gehörte oder mit einem Haftbefehl gesucht wurde. Soweit es um die von der Klägerin weiter genannten Verwandten wie Onkel und Cousins geht, handelt es sich nicht um nahe Angehörige im Sinne der Rechtsprechung des Senats (Ehegatten, Eltern, Kinder ab 14 Jahren und Geschwister).
Schließlich kann die Klägerin ein Verfolgungsinteresse der türkischen Sicherheitsbehörden auch nicht aus ihrem angeblichen Kontakt zu der PKK-Aktivistin P. herleiten. Sie hat erstmals im Schriftsatz vom 4. November 2003 an das Verwaltungsgericht behauptet, sie habe P., die zwischenzeitlich als KADEK-Guerilla festgenommen worden sei, kurze Zeit vor ihrer eigenen Flucht nach Deutschland bei der HADEP getroffen und ihr ihre Adresse gegeben, damit diese sie besuchen könne. Im Schriftsatz vom 2. Februar 2005 trug sie ergänzend vor, dass P. wegen PKK-Mitgliedschaft zu 12 Jahren Haft verurteilt worden sei und sich im Gefängnis von Elazig befinde. Dies habe ihr Onkel Q. erfahren, der P. dort während seines Türkei-Aufenthalts im Oktober 2004 besucht habe. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 16. Februar 2005 erklärte die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung, dass sie P. schon aus ihrem Heimatdorf kenne. Sie habe P. auf einer Versammlung der HADEP, zu der sie von ihrem Onkel, der für diese Partei tätig sei, mitgenommen worden sei, wieder getroffen. P. habe sie gern einmal besuchen wollen. Daraufhin habe ihr Onkel P. ihre Adresse in Manisa gegeben, weil sie selbst nicht schreiben und lesen könne. Selbst wenn diese Angaben der Klägerin der Wahrheit entsprechen sollten, woran der Senat - wie später noch ausgeführt wird - Zweifel hat, hat sie selbst nicht behauptet, dass den türkischen Sicherheitsbehörden schon vor ihrer Ausreise der Kontakt zu P. bekannt geworden sei, zumal diese auch erst später festgenommen worden sein soll. Von daher kann die Klägerin deswegen auch seinerzeit nicht in den Verdacht der Unterstützung der PKK/KADEK geraten sein.
Nach alledem hat der Senat den Eindruck, dass die damals 19-jährige Klägerin die Türkei im November 2001 nicht aus asylerheblichen Gründen, sondern in erster Linie deshalb verlassen hat, um mit ihren in Deutschland wohnenden Eltern und jüngeren Geschwistern zusammen zu leben.
b)
Die Klägerin war vor ihrer Ausreise auch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe politisch verfolgt. Diese ethnische Minderheit unterlag damals keiner von dem türkischen Staat ausgehenden oder diesem zuzurechnenden landesweiten Gruppenverfolgung (vgl. etwa Senatsurt. v. 16.4.2002 - 11 LB 34/02 -).
3.
Die unverfolgt ausgereiste Klägerin muss bei einer Rückkehr in die Türkei auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten. Es liegen weder subjektive noch objektive Nachfluchtgründe vor.
a)
Auf subjektive Nachfluchtgründe, insbesondere ein exilpolitisches Engagement, hat sich die Klägerin nicht berufen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie lediglich darauf hingewiesen, dass sie in Deutschland an kurdischen Festivitäten und auch an Demonstrationen teilnehme, wenn sich dazu die Gelegenheit ergebe. Damit unterscheidet sie sich nicht von der Mehrheit der im Bundesgebiet lebenden kurdischstämmigen Türken. Es ist deshalb auch nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 AsylVfG erfüllt sind.
b)
Als objektiver Nachfluchtgrund kommt die Entwicklung der Verhältnisse in den traditionellen Siedlungsgebieten der Kurden (22 türkische Provinzen, vgl. OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -, S. 24 f.), zu denen auch die Heimatregion Mus der Klägerin gehört, in der Zeit nach November 2001 in Betracht. Ob nicht assimilierte Kurden aus diesen Gebieten einer regionalen bzw. örtlich begrenzten Gruppenverfolgung oder einer Einzelverfolgung wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind, hat der erkennende Senat bisher offen gelassen, weil für diese Personengruppe jedenfalls in den westlichen Landesteilen eine inländische Fluchtalternative bestehe (vgl. etwa Urt. v. 7.12.2005 - 11 LB 193/04 -, v. 21.9.2004 - 11 LB 22/04 -, v. 27.2.2003 - 11 LB 228/02 - u. v. 18.1.2000 - 11 L 3404/99 -). Eine Überprüfung der neueren Entwicklung in der Türkei und der dazu vorliegenden Erkenntnismittel hat jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Kurden gegenwärtig in ihren traditionellen Siedlungsgebieten allein oder vorrangig wegen ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt werden (ebenso aus jüngster Zeit OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.5.2006 - 10 B 5.05 -; OVG Bremen, Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 9.2.2006 - A 12 S 1505/04 -; OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -). Dazu im Einzelnen:
Bei den Parlamentswahlen vom 3. November 2002 errang die konservative, gemäßigt islamische AKP (Gerechtigkeits- und Aufbaupartei) die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Ihr Vorsitzender Erdogan wurde Ministerpräsident. Der schon von der Vorgängerregierung eingeleitete Reformkurs wurde mit einer Vielzahl von Verfassungs- und Gesetzesänderungen fortgeführt mit dem Ziel, die Voraussetzungen für eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union gerade auch im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen. Insgesamt wurden seit Ende 2002 acht sog. Reformpakete verabschiedet. Die Kernpunkte sind: Abschaffung der Todesstrafe, Auflösung der Staatssicherheitsgerichte, Reform des Nationalen Sicherheitsrates (Eindämmung des Einflusses des Militärs), Zulassung von Unterricht in anderen in der Türkei gesprochenen Sprachen als türkisch (de fakto kurdisch), die Benutzung dieser Sprachen in Rundfunk und Fernsehen, erleichterte Bestimmungen über die rechtliche Stellung von Vereinen und religiösen Stiftungen, Neuregelung zur Erschwerung von Parteiverboten, Maßnahmen zur Verhütung sowie zur erleichterten Strafverfolgung und Bestrafung von Folter. Am 1. Juni 2005 traten in Anlehnung an westeuropäische Standards u. a. ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Strafprozessordnung sowie ein neues Strafvollzugsgesetz in Kraft. Am 3. Oktober 2005 kam es zu der Einigung der Türkei und der Europäischen Union über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Lagebericht des AA zur Türkei v. 11.11.2005, S. 6 f.).
Auch von Menschenrechtsorganisationen werden die Erfolge dieser Reformpolitik, die auf Demokratisierung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit setzt, grundsätzlich anerkannt. Allerdings wird die seit Anfang 2005 offenbar stagnierende Entwicklung in manchen Bereichen beklagt (vgl. etwa ai v. 31.7.2005, Länderkurzinfo Türkei; SZ v. 9.6.2006; Berliner Zeitung v. 13.4.2006; NZZ v. 2. 3. 2006). Die Umsetzung einiger Reformen geht langsamer als erwartet voran. Die Implementierungsdefizite werden u. a. darauf zurückgeführt, dass viele Entscheidungsträger in Verwaltung, Justiz und bei den türkischen Sicherheitskräften Skepsis und Misstrauen gegenüber der AKP-Regierung hegen und deshalb dieser Politik Widerstand entgegensetzen. Zwar ist die dominierende Stellung des Militärs zurückgedrängt worden. Es ist jedoch eine der mächtigsten Institutionen geblieben und versteht sich ebenso wie Jandarma und Polizei als Hüter kemalistischer Traditionen und Grundsätze, besonders der Einheit der Nation (vor allem gegen kurdischen Separatismus) und des Laizismus (gegen islamistische Tendenzen). Der erforderliche Mentalitätswandel hat somit noch nicht alle Teile der türkischen Sicherheitskräfte, der Verwaltung und Justiz vollständig erfasst (SZ v. 15.12.2005). Dies führt dazu, dass die Menschenrechtspraxis nach wie vor hinter den - wesentlich verbesserten - rechtlichen Rahmenbedingungen zurückbleibt. Die Bekämpfung von Folter und Misshandlungen sowie ihre lückenlose Strafverfolgung ist noch nicht in der Weise zum Erfolg gelangt, dass solche Fälle überhaupt nicht mehr vorkommen. Folter wird immer noch - wenn auch seltener als früher und vorwiegend mit anderen, weniger leicht nachweisbaren Methoden - praktiziert, ohne dass es dem türkischen Staat bisher gelungen ist, diese wirksam zu unterbinden (vgl. AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 30 f.; ai, Stellungnahme v. 20.9.2005, Kaya, Gutachten v. 8.8.2005 und Oberdiek v. 2.8.2005, jew. an VG Sigmaringen; Taylan, Gutachten v. 17.3.2005 an VG Frankfurt/Oder; NZZ v. 9.9.2005; FAZ v. 20.8.2005; Die Welt v. 6.8.2005). Auch wenn sich insofern seit dem Jahre 2001 die Situation verbessert hat, meldeten für das Jahr 2004 der Türkische Menschenrechtsverein IHD 843 und die Türkische Menschenrechtsstiftung TIHV 922 angezeigte Fälle von Folter/Misshandlung. Nach einem Bericht des IHD sind im Jahr 2005 825 Fälle von Folter und Misshandlung gemeldet worden. In diesem Bericht wird ferner darauf hingewiesen, dass Folterer in der Türkei nur ausnahmsweise Strafen zu befürchten hätten; in 52 Verfahren wegen Folter und Misshandlung seien nur 6 Angeklagte verurteilt worden (vgl. NZZ v. 2.3.2006). Amnesty international (Jahresbericht 2006, Stichwort: Türkei, S. 465 f.) führt dies auf den fehlenden Willen von Justizorganen zurück, die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen strafrechtlich zu belangen. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht v. 11.11.2005, S. 31) sieht eine der Hauptursachen für das Fortbestehen von Folter und Misshandlung in der nicht effizienten Strafverfolgung. Für das laufende Jahr 2006 sind wieder zahlreiche Fälle von Folter und Misshandlung gemeldet worden (vgl. IMK-Menschenrechtsinformationsdienst Nr. 1/2006, S. 7).
Ungünstig auf die innenpolitische Entwicklung wirkt sich auch das Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den staatlichen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei aus. Die PKK verkündete am 1.Juni 2004 die Beendigung des seit 2000 währenden Waffenstillstandes. Vorausgegangen waren interne Auseinandersetzungen innerhalb der PKK, die sich mehrfach umbenannt hat (KADEK/KHG/ Kongra-Gel), aber inzwischen zu ihrer ursprünglichen Bezeichnung zurückgekehrt ist, bei denen die gemäßigten Kräfte unterlagen. In der Zeit von 1984 bis 1999 hatten die Kämpfe fast 35.000 Menschenleben unter PKK-Kämpfern, türkischen Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung gefordert. Danach beruhigte sich die Lage, was dazu führte, dass der in einigen Provinzen im Südosten seit 15 Jahren geltende Ausnahmezustand zum 30. November 2002 vollständig aufgehoben wurde. Seit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK im Juni 2004 kam es vermehrt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen türkischem Militär und der PKK-Guerilla, die seit Mai 2005 weiter eskaliert sind. Die PKK-Kämpfer unterhalten Stützpunkte im Nordirak, von denen sie immer wieder in den Südosten der Türkei eindringen. Dabei kommt es nahezu täglich zu Zusammenstößen mit türkischen Sicherheitskräften, die auf beiden Seiten Todesopfer fordern. Allerdings erreichen die Kampfhandlungen bisher nicht die Intensität, mit der sie früher geführt worden waren. Auch die dort lebende Zivilbevölkerung bleibt von den Auswirkungen der bewaffneten Auseinandersetzungen nicht verschont. Dabei ist ein Anstieg von Übergriffen der Sicherheitskräfte auf kurdische Dorfbewohner zu verzeichnen, denen vorgeworfen wird, PKK-Kämpfer zu unterstützen (vgl. ai, Länderkurzinfo Türkei v. 31.7.2005; Kaya, Gutachten v. 8.8.2005, Oberdiek, Gutachten v. 2.8.2005 und Aydin, Gutachten v. 25.6.2005, jeweils an VG Sigmaringen; FR v. 12.7.2005; Die Welt v. 29.6.2005; SZ v. 26.6.2005; NZZ v. 24.6.2005). Türkischen Angaben zufolge kamen allein von Mitte 2004 bis Oktober 2005 über 100 türkische Soldaten, 37 Zivilisten und mehrere PKK-Kämpfer um (AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 17). Nach einem Bericht der Zweigstelle Diyarbakir des IHD haben in den ersten vier Monaten des Jahres 2006 in den überwiegend kurdisch besiedelten Provinzen im Südosten der Türkei bei Gefechten und gewaltsamen Auseinandersetzungen 89 Personen, bei Angriffen unbekannter Täter und extralegalen Hinrichtungen 30 Personen und durch Minen und Sprengstoffexplosionen vier Personen ihr Leben verloren. Im gleichen Zeitraum seien 2015 Personen festgenommen und 884 Personen verhaftet worden (vgl. IMK-Menschenrechtsinformationsdienst, Nr. 1/2006, S. 7).
Im Jahr 2005 verübte die PKK erstmals seit langer Zeit wieder Anschläge auf touristische Ziele in der Türkei (SZ v. 20.9.2005), die auch im Jahr 2006 fortgesetzt wurden (FR v. 28.6.2006). Eine Verschärfung der Situation im Südosten der Türkei wurde durch ein Bombenattentat auf einen kurdischen Buchladen in der Kleinstadt Semdinli am 9. November 2005 ausgelöst. Anfangs war die PKK in Verdacht geraten, dieses Attentat verübt zu haben. Kurz darauf stellte sich aber heraus, dass die Täter zwei Unteroffiziere des Geheimdienstens der türkischen Gendarmerie (JITEM) und ein PKK-Überläufer waren, die den Anschlag der PKK anlasten wollten, um den Kurdenkonflikt zu verschärfen. Es wird vermutet, dass dies auf Veranlassung einer der Armee nahestehenden Organisation, die als "tiefer Staat" bezeichnet wird, erfolgt ist (NZZ und SZ v. 22.11.2005; IMK-Menschen-rechtsinformationsdienst Nr. 1/2006, S. 7 f.). Die beiden Geheimdienst-Unteroffiziere wurden im Juni 2006 zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt (Die Welt v. 21.6.2006; IMK-Menschenrechtsinformationsdienst Nr. 2/2006, S. 4). Im Anschluss an dieses Bombenattentat kam es zu zahlreichen gewaltsamen Protesten der kurdischen Bevölkerung in der Region (Die Welt v. 17.11.2005, SZ v. 22.11.2005; FR v. 6.12.2005). Dass der Geheimdienst der türkischen Gendarmerie in dieses Attentat verwickelt war, ermöglichte es der PKK, die sich untereinander zerstritten und an Zustimmung unter der kurdischen Bevölkerung verloren hatte, einen Teil ihres Einflusses zurück zu gewinnen (NZZ v. 6.5.2006 u. v. 15.2.2006; SZ v. 10.4.2006; FAZ v. 4.6.2006).
Ein vorläufiger Höhepunkt der jüngsten Spannungen wurde Ende März 2006 erreicht, als in Diyabarkir und anderen Orten im Südosten bei Zusammenstößen zwischen kurdischen Demonstranten aus dem Umfeld der PKK und staatlichen Sicherheitskräften mindestens 15 Todesopfer und mehrere hundert Verletzte zu beklagen waren (SZ v. 4.4.2006; FAZ v. 31.3.2006). Die Unruhen weiteten sich auf Städte im Westen der Türkei aus. In der Folgezeit nahm auch die Zahl der von der PKK bzw. ihres Ablegers "Freiheitsfalken Kurdistans" verübten Anschläge zu. Es wird vermutet, dass für die Eskalation der Auseinandersetzungen der PKK-Vorsitzende Öcalan, der sich seit 1999 in Haft befindet, aber trotzdem weiterhin maßgeblichen Einfluss in der PKK ausübt, eine Mitverantwortung trägt (FAZ v. 5.4.2006). Die Armee hat ihre Verbände im Südosten verstärkt; nach offiziellen Angaben sollen dort inzwischen mehr als 250.000 Soldaten - ein Drittel der gesamten Streitkräfte - stationiert sein (NZZ v. 6.5.2006). Dies dürfte ein Zeichen dafür sein, dass der Kurdenkonflikt aus Sicht des Militärs vorrangig mit militärischen Mitteln gelöst werden soll.
Was den Minderheitenschutz und die Ausübung der kulturellen Rechte betrifft, hat sich die Situation der Kurden im Zuge der EU-Bewerbung der Türkei verbessert. Ihnen war es lange nicht erlaubt, ihre Muttersprache in der Öffentlichkeit zu benutzen. Seit April 2004 werden Kurdisch-Kurse an privaten Lehrinstituten angeboten; mittlerweile finden diese Kurse in vielen Großstädten statt. Kurdisch ist indes weder als zweite offizielle Sprache der Republik anerkannt noch darf kurdisch in den öffentlichen Schulen unterrichtet werden (NZZ v. 24.3.2006). Allmählich wurde auch das Verbot, Radio- und Fernsehprogramme in kurdischer Sprache auszustrahlen, gelockert. So dürfen zwei in Diyarbakir stationierte Fernsehsender ihre Programme an 5 Wochentagen maximal 45 Minuten lang auf kurdisch senden; es besteht jedoch eine Verpflichtung zur Einblendung von türkischsprachigen Untertiteln (NZZ v. 24.3.2006; SZ v. 22.3.2006; IMK-Menschenrechtsinformationsdienst Nr. 1/2006, S. 10). Ein kurdischer Radiosender darf Programme bis insgesamt 5 Stunden in der Woche ausstrahlen.
Allerdings haben sich die Hoffnungen der kurdischen Minderheit im Südosten der Türkei auf Verbesserung ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage weitgehend nicht erfüllt. Zwar sprach Ministerpräsident Erdogan bei einem Besuch in Diyarbakir im August 2005 als erster türkischer Regierungschef überhaupt von einem Kurdenproblem in der Türkei und dass der Staat in dieser Frage Fehler gemacht habe; seine Regierung werde die Defizite der Vergangenheit mit "mehr Demokratie, mehr Freiheiten und Wohlstand, mehr Rechte und Gerechtigkeit kompensieren" (NZZ v. 20.8.2005; FAZ v. 25.8.2005; Die Welt v. 6.9.2005; SZ v. 22.11.2005). Diese Versprechungen sind aber nicht annähernd in die Tat umgesetzt worden. Die wirtschaftliche Lage in den überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten im Südosten der Türkei, die Jahrzehnte lang von den jeweiligen Regierungen vernachlässigt worden sind, ist weiterhin desolat. Das Pro-Kopf-Einkommen beläuft sich gerade einmal auf ein Fünftel des türkischen Durchschnitts, die Arbeitslosigkeit beträgt vielerorts 60 % bis 70 % (NZZ v. 6.5. und v. 15.2.2006; SZ v. 4.4. und v. 22.3.2006). Die türkische Regierung verweigert Gespräche mit der im August 2004 gegründeten prokurdischen "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP), die einen Großteil der Bürgermeister im Südosten stellt. Ihr wird vorgeworfen, dass sie sich nicht genügend von der PKK distanziere (SZ v. 10.4.2006). Gegen 56 kurdische Bürgermeister wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil sie sich im Dezember 2005 schriftlich an die dänische Regierung mit der Bitte gewandt hatten, dem Drängen der türkischen Regierung zu widerstehen, den in Dänemark ansässigen Fernsehsender ROJ-TV zu schließen, der während mehrerer Stunden am Tag Sendungen in kurdischer Sprache ausstrahlt (NZZ v. 4.1.2006; IMK-Menschenrechtsinformationsdienst Nr. 2/2006, S. 1 f.). Die Türkei beschuldigt ROJ-TV, das Sprachrohr der PKK zu sein. Die Bürgermeister wurden wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (Art. 220 tStGB) angeklagt. Ende März/Anfang April 2006 wurden ca. 50 Mitglieder der DTP wegen mutmaßlicher Verbindungen zur PKK festgenommen (Die Welt v. 21.4.2006; SZ v. 4.4.2006).
Es hat insgesamt den Anschein, als ob sich die türkische Regierung in der Defensive gegenüber nationalistischen Kräften und Teilen des Militärs befindet. Diesen Gruppen ist die Annäherung der AKP-Regierung an die Europäische Union, die forcierte Privatisierung von Staatsbetrieben, die Einschränkung der Macht der Streitkräfte und die auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts zielende Politik suspekt (SZ v. 3.6.2006 und v. 22.11.2005; NZZ v. 20.8.2005; FAZ v. 25. 8. 2005). Mit der Zuspitzung der Lage im Südosten der Türkei wurde der Ruf insbesondere von Seiten der Militärführung nach schärferen Gesetzen und härterem Vorgehen gegen die PKK-Guerilla und deren Sympathisanten immer lauter. Die türkische Regierung geriet zunehmend unter Druck, der durch einen Vorfall am 17. Mai 2006 in Ankara noch verstärkt wurde. An diesem Tag wurden durch Schüsse eines Rechtsanwalts im Obersten türkischen Verwaltungsgericht ein Richter getötet und 4 weitere verletzt. Der Täter gab als Motiv die Weigerung des Verwaltungsgerichts an, das Kopftuchverbot in staatlichen Institutionen aufzuheben (NZZ v. 19.5.2006). Er soll der rechtsgerichteten Szene in der Türkei angehören, in der sich nationalistische und religiöse Ideen miteinander verbinden (IMK-Menschenrechtsinformationsdienst 1/2006, S. 5 f.). Mehr als 10.000 Bürger nahmen die Beisetzung des ermordeten Richters in Ankara zum Anlass, um gegen die islamistische Gefahr zu demonstrieren (NZZ v. 19.5.2006). Teile des Militärs, der Justiz und der Bürokratie machen die AKP-Regierung für das Attentat moralisch mit verantwortlich. Sie werfen dem Ministerpräsidenten Ergodan vor, er habe seine Wandlung vom radikalen Islamisten zum bürgerlichen Demokraten nur vorgetäuscht; in Wirklichkeit strebe er einen islamischen Gottesstaat an. Dadurch, dass die AKP seit ihrem Wahlsieg die Lockerung des Kopftuchverbots verspreche, habe sie den Attentäter ermuntert. Demgegenüber nehmen Vertreter der Regierung und Teile der Medien an, dass Gegner Erdogans hinter dem Attentat stehen, um die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. In der Presse wird von der schärfsten Konfrontation zwischen Militärs und Politikern seit dem von der Armee erzwungenen Ende der islamistischen Regierung unter Erbakan im Jahr 1997 gesprochen (vgl. zum Vorstehenden IMK-Menschen-rechtsinformationsdienst Nr. 1/2006, S. 5 f.).
Als Reaktion auf die Zunahme der Spannungen im Südosten der Türkei und als Konzession an die Armeeführung verschärfte das türkische Parlament am 29. Juni 2006 das Anti-Terror-Gesetz (NZZ v. 1.7., v. 6.5. und v. 20.4.2006; SZ v. 28.6.2006; IMK-Menschen-rechtsinformationsdienst Nr. 2/2006, S. 7). Die Änderungen sehen u. a. eine Wiedereinführung des früheren Art. 8 ATG ("Strafbarkeit von separatistischer Propaganda"), eine weit formulierte Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Erweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner novellierten Form wird von Kritikern als "Rücknahme demokratischer" Reformen bezeichnet; auch bei der Europäischen Union werden diese Änderungen mit Sorge betrachtet (NZZ v. 1.7.2006; SZ v. 28.6.2006; Die Welt v. 21.4.2006).
Trotz dieser in Teilbereichen ungünstigen Entwicklung der letzten Zeit lässt sich eine asylrelevante Verschlechterung der Sicherheitslage für Kurden in der Türkei aber nicht feststellen. Dies gilt auch für die traditionellen kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten. Zum einen haben die Kampfhandlungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften bisher nicht den Umfang und die Intensität früherer Jahre erreicht. Zum anderen knüpfen die im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen vorkommenden Übergriffe der Sicherheitskräfte auf kurdische Zivilisten weder allein bzw. überwiegend an die kurdische Volkszugehörigkeit an noch weisen diese die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte auf (vgl. dazu im Einzelnen: OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -, S. 22-76; AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 14-17).
Dass kurdische Dorfbewohner bei Razzien und Zwangsräumungen sowie im Polizeigewahrsam häufiger als sonstige türkische Staatsangehörige Opfer von Misshandlungen und Folter werden, ist nicht in erster Linie auf ihre Abstammung zurückzuführen. Vielmehr liegt dies daran, dass die türkischen Sicherheitskräfte sie der Beteiligung an strafbaren separatistischen Aktivitäten verdächtigen, zumal sich die Unterstützung der PKK nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutiert. Es ist somit vorrangig die politische Überzeugung, an die die Verfolgungsmaßnahmen anknüpfen. Auch erfasst die Gefahr einer Misshandlung durch Sicherheitskräfte weder pauschal alle Kurden noch schließt sie Angehörige anderer Volksgruppen aus. Ein beachtlicher Teil der Kurden - auch im Südosten der Türkei - lehnt den bewaffneten Kampf der PKK ab und tritt für ein friedliches Miteinander ein. Das Risiko, wegen eines Einsatzes für kurdische Interessen politisch verfolgt zu werden, besteht vor allem dann, wenn damit aus der Sicht der türkischen Sicherheitskräfte separatistische Ziele verfolgt werden. Wer die Türkei als Einheitsstaat akzeptiert, kann dagegen ungeachtet einer kurdischen Volkszugehörigkeit unbehelligt leben und sogar bis in höchste Funktionen aufsteigen. So ist z. B. der Innenminister kurdischer Abstammung (AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 14).
Unabhängig hiervon unterliegen Kurden in ihren traditionellen Siedlungsgebieten auch deshalb keiner regionalen Gruppenverfolgung, weil es an der erforderlichen Verfolgungsdichte fehlt. Von ca. 14 Millionen kurdischstämmigen türkischen Staatsangehörigen (etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung) leben etwa 6 Millionen im Osten und Südosten der Türkei (AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 14). Auch wenn seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe - wie bereits dargelegt - ein Anstieg von asylerheblichen Übergriffen türkischer Sicherheitskräfte auf kurdische Dorfbewohner zu verzeichnen ist, rechtfertigt die sich daraus ergebende Anzahl im Verhältnis zur Gesamtheit der dort lebenden kurdischen Bevölkerung die Annahme einer regionalen Gruppenverfolgung nicht. Die Verfolgungsschläge sind nicht so zahlreich, dass jeder bisher nicht betroffene Kurde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit konkret befürchten müsste, in absehbarer Zeit selbst betroffen zu sein.
Im Übrigen - eine regionale Gruppenverfolgung unterstellt - steht kurdischen Volkszugehörigen auch eine inländische Fluchtalternative in den westlichen Landesteilen der Türkei zur Verfügung (ebenso OVG Bremen, Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 9.2.2006 - A 12 S 1505/04 -; Hess. VGH, Urt. v. 18.1.2006 - 6 UE 489/04 -; OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.9.2005 - 2 R 2/05 -; OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -). Dort fehlt es erst recht an tragfähigen Hinweisen darauf, dass eine an die kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung in der erforderlichen Dichte bestehen könnte. Für kurdische Volkszugehörige liegen bei einer Ansiedlung im Westen bzw. in den Tourismusregionen der Türkei regelmäßig auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative vor. Der erkennende Senat geht nach wie vor in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte davon aus, dass kurdische Zuwanderer bzw. Rückkehrer in der Westtürkei trotz der schwierigen Lebensbedingungen eine wenn auch bescheidene wirtschaftliche Existenz finden können, und zwar selbst dann, wenn sie über keine Schul- oder Berufsausbildung verfügen und die türkische Sprache nicht oder nur schlecht beherrschen. Auch sind Zuwanderer aus der Südosttürkei keinen wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt, die in ihrer Heimatregion so nicht bestünden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschl. v. 29.7.2003 - 2 BvR 32/03 -, DVBl. 2004, 111; BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200). Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind - wie bereits erwähnt - durch ein starkes Ost-West-Gefälle geprägt (vgl. AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 37 f.). Die wirtschaftlichen Bedingungen in den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten sind wesentlich schlechter als im Westen der Türkei. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, dass die Zuwanderer am Ort der Fluchtalternative ein Leben erwartet, das zu Hunger und Verelendung führt. Gegenteilige Meldungen finden sich auch nicht in der Medienberichterstattung, die der Senat laufend und aufmerksam verfolgt.
Es liegen auch keine besonderen Umstände vor, die Anlass geben könnten, die jetzt 24-jährige Klägerin von der hier anzulegenden generalisierenden Betrachtungsweise auszunehmen. Zwar ist die unverheiratete Klägerin Analphabetin und verfügt über keine Berufsausbildung, so dass es für sie schwierig sein wird, in der Türkei eine Arbeit zu finden und ein selbständiges Leben zu führen (vgl. Kaya, Gutachten v. 20.2.2005 an VG Schleswig). Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass sie bereits nach dem Wegzug ihrer Mutter und jüngeren Geschwister im Jahre 2000 bis zu ihrer Ausreise im November 2001 allein in der gemeinsamen Wohnung in Manisa gelebt hatte und ihre Versorgung sichergestellt war. Sie gab insofern bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt an, dass in Manisa auch ein Onkel mütterlicherseits gewohnt habe, der sich um sie gekümmert habe; ihr Vater habe diesem Geld geschickt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie bestätigt, dass dieser Onkel weiterhin in Manisa wohnt; auch wohne ihr Großvater mütterlicherseits bei ihm. In Manisa lebt außerdem ihren Angaben zufolge ein weiterer Verwandter, nämlich N. (Sohn ihres Vetters L.), und zwar in ihrer früheren Wohnung. Die Klägerin hat nicht behauptet, dass ihr eine Rückkehr in diese Wohnung nicht möglich sei. Angesichts des traditionellen Zusammenhalts innerhalb kurdischer Großfamilien ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Manisa Schutz und Hilfe bei den genannten Verwandten finden wird. Ebenso wird sie mit einer finanziellen Unterstützung durch in Deutschland lebende Angehörige, insbesondere ihres Vaters, rechnen können. Darüber hinaus besteht für mittellose türkische Staatsangehörige die Möglichkeit, jedenfalls vorübergehend Leistungen aus dem Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität zu beziehen (vgl. AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 38). Gegebenenfalls müsste sie sich darauf verweisen lassen, ihren Lebensunterhalt (ergänzend) durch Aushilfstätigkeiten wie Reinigungskraft oder Küchenhilfe bzw. im landwirtschaftlichen Bereich zu bestreiten (vgl. Kaya, Gutachten v. 20.2.2005 an VG Schleswig). Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass ihr bei einer Rückkehr in die Türkei das lebensnotwendige Existenzminimum nicht zur Verfügung stehen würde.
Auch wenn derzeit eine landesweite Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei nicht besteht, #können Personen, die einer Zusammenarbeit mit der PKK oder sonstiger herausgehobener separatistischer bzw. terroristischer Aktivitäten konkret verdächtigt werden, trotz des Reformprozesses nach wie vor politischer Verfolgung ausgesetzt sein. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit der aktuellen Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.5.2006 - 10 B 5.05 -; OVG Bremen, Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 10.3.2006 - 10 A 10665/05.OVG -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 9.2.2006 - A 12 S 1504/05 -; OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.9.2005 - 2 R 2/05 -; OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005 - 8 A 273/04.A -). Zu diesem gefährdeten Personenkreis gehörte die Klägerin - wie bereits dargelegt wurde - vor ihrer Ausreise aber nicht. Ebenso wenig droht ihr bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Individualverfolgung aus nach der Einreise in das Bundesgebiet eingetretenen Gründen. Dies gilt auch im Hinblick auf die im Mittelpunkt ihres Vortrags stehende Behauptung, sie sei deshalb besonders gefährdet, weil sie auf einer Liste verdächtiger PKK-ler der örtlichen Sicherheitsbehörden, die bei Kontrollen verwendet würde, verzeichnet sei.
Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf Aussagen ihres Onkels Q. und ihres Cousins T., wonach diese bei ihren jeweiligen Türkei-Besuchen 2004 bzw. 2005 getrennt voneinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten bei Personenkontrollen von Soldaten bzw. Polizisten, denen eine Akte vorgelegen hätte, nach dem Aufenthaltsort von Mitgliedern der Familie R. gefragt worden seien. Darunter habe sich auch der Name der Klägerin befunden, die sogar als Terroristin bezeichnet worden sei. Ihr Verwandter N. habe in einem Brief, den sie im März 2004 erhalten habe, mitgeteilt, dass er in seiner Wohnung in Manisa häufig ebenfalls nach der Klägerin und ihrem Aufenthaltsort gefragt worden sei. Dies habe er zuvor auch der Zeugin W. bei deren Türkei-Aufenthalt im Sommer 2003 berichtet. Ob diese Angaben der Wahrheit entsprechen, konnte offen bleiben. Selbst wenn die Klägerin auf Suchlisten örtlicher Sicherheitskräfte als Terrorverdächtige eingetragen sein sollte, hält es der Senat nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass sie bei einer Rückkehr in die Türkei asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt sein würde.
Der erkennende Senat hat über die Behauptung der Klägerin, dass sie in der Türkei bei den örtlichen Sicherheitsbehörden in Manisa (Provinz Manisa), Varto (Provinz Mus) und Van (Provinz Van) als PKK-Unterstützerin registriert sei und gesucht werde, eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt (Beschl. v. 15.9.2005). Dieses hat unter dem 16. Januar 2006 mitgeteilt, Nachforschungen eines Vertrauensanwaltes hätten ergeben, dass bei den Oberstaatsanwaltschaften Mus, Varto, Manisa, Van und Izmir keine Ermittlungen, Festnahmen oder Fahndung bezüglich der Klägerin registriert seien und dass in der Türkei gegen diese weder ermittelt noch nach ihr gefahndet werde. Der Anregung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Schriftsatz vom 7. Juni 2006, den Auskunftsverfasser zur mündlichen Erläuterung zu laden, musste nicht nachgegangen werden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt (vgl. Urt. v. 22.1.1985 - 9 C 52.83 -, InfAusR 1985, 147), dass die Auskünfte des Auswärtigen Amtes die ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisquellen - das gelte auch für die Namen von Informanten - nicht im Einzelnen anzugeben brauchen. Die Beteiligten haben deshalb grundsätzlich keinen Anspruch auf Mitteilung der Entstehungsgeschichte und der Grundlagen von Auskünften des Auswärtigen Amtes in Asylsachen. Auch die Gerichte sind in aller Regel nicht gehalten, in dieser Hinsicht Ermittlungen anzustellen, es sei denn, gewichtige und fallbezogene Zweifel gäben im Einzelfall dazu Anlass; gegebenenfalls bedarf es dann der Einholung einer weiteren Auskunft bzw. eines Sachverständigengutachtens (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22; Beschl. v. 18.8.1995 - 1 B 55.95 -, InfAuslR 1995, 405). Eine Vernehmung des Auskunftsverfassers scheidet deshalb als untaugliches Beweismittel von vornherein aus. Im Übrigen hat der Senat das Auswärtige Amt um ergänzende Stellungnahme zu den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin geäußerten Bedenken ersucht, dass sich die Auskunft zu der Beweisfrage, ob die Klägerin (auch) bei den örtlichen Sicherheitsbehörden als PKK-Unterstützerin registriert ist, nicht verhalte. Das Auswärtige Amt hat in seiner ergänzenden Auskunft vom 10. März 2006 entgegnet, dass Geheimdienste, Polizei und Gendarma Datenblätter (sog. "Fisleme") über auffällig gewordene Personen, die z. B. auch Angaben über die Verfahren, die mit einem Freispruch endeten, oder über Vorstrafen, die im Strafregister längst gelöscht worden seien, enthalten könnten. Eine gesetzliche Grundlage für diese Datenblätter gebe es im Grund nicht, auch würden Erkenntnisse aus solchen Datenblättern von den Gerichten nicht als Beweismittel zugelassen. Das Auswärtige Amt habe jedoch keine konkreten Erkenntnisse über die Systematik der Nutzung solcher Außenstehenden nicht zugänglichen Daten. Dieser Stellungnahme des Auswärtigen Amtes hält die Klägerin entgegen, dass das Problem der "Fisleme"-Datenblätter die hier interessierende Frage der von Sicherheitskräften verwandten Fahndungslisten nur marginal berühre. Diese Meinungsverschiedenheit musste aber vom Senat nicht abschließend geklärt werden, da es darauf letztlich nicht entscheidungserheblich ankommt. Auch nach einer Auswertung der zu diesem Problemkreis vorliegenden Erkenntnismittel bleibt unklar, worin der Unterschied zwischen Listen, in denen Personen eingetragen sind, die sich der PKK-Unterstützung verdächtig gemacht haben bzw. wegen ideologischer Taten gesucht werden, einerseits und dem Führen vertraulicher Datenblätter über auffällig gewordene Personen ("Fisleme" oder "Fis") andererseits besteht. Möglicherweise ist damit das Gleiche gemeint. Jedenfalls ergibt sich aus den Erkenntnismitteln, dass eine gesetzliche Grundlage für diese Listen nicht besteht; auch werden sie von Gerichten als Beweismittel nicht zugelassen. Streit besteht lediglich darüber, ob diese von örtlichen Sicherheitskräften geführten Suchlisten in einem zentralen Computer abrufbar sind. Während dies etwa von Kaya (Gutachten v. 10.7.2004 an VG Sigmaringen), Oberdiek (Gutachten v. 24.5.2004 an VG Sigmaringen), Aydin (Gutachten v. 1.6.2004 an VG Sigmaringen) und amnesty international (Auskunft v. 24.8.2004 an VG Sigmaringen) verneint wird, gelangt Dinc (Gutachten v. 18.6.2004 an VG Sigmaringen) zum gegenteiligen Ergebnis. Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vertritt in seinem Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A - (S. 107) die Einschätzung, es sei davon auszugehen, dass die Grenzbehörde auch Zugriff auf die bei der Polizeidienststelle des Heimatortes gespeicherten Daten habe, aus denen sich ergebe, ob der Betreffende schon einmal politisch auffällig geworden sei. Die früher geführten Datenblätter seien inzwischen in Computerkarteien erfasst. Aber auch dieser Streitfrage musste nicht weiter nachgegangen werden. Denn die vorstehend zitierten Erkenntnismittel stimmen insoweit überein, dass in Abschiebungsfällen von der Flughafenpolizei gegebenenfalls Nachforschungen bei den örtlichen Polizeidienststellen angestellt werden. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Rückkehrer als Mitglied oder Unterstützer der PKK bzw. einer Nachfolgeorganisation nahe steht oder schon vor der Ausreise ein Separatismusverdacht gegen ihn bestanden hat, muss der Betroffene mit einer intensiveren Befragung, unter Umständen auch mit menschenrechtswidriger Behandlung, rechnen (OVG NRW, Urt. v. 19.4.2005, a.a.O., S. 108). Es ist deshalb im Ergebnis unerheblich, wie die von den örtlichen Polizei- bzw. Gendarmeriebehörden geführten Listen bezeichnet werden.
Geht man zugunsten der Klägerin davon aus, dass ihr Name auf einer derartigen Liste verzeichnet ist, bedeutet dies aber nicht automatisch, dass sie bei einer Rückkehr allein aus diesem Grund mit Folter oder sonstiger Misshandlung zu rechnen hat. Maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls und dabei insbesondere das inhaltliche oder politische Gewicht der politischen Aktivitäten des Betreffenden sowie das daraus abzuleitende Interesse des türkischen Staates an dieser Person und an den Informationen, die er durch sie erlangen kann.
Hiervon ausgehend kann nicht festgestellt werden, dass nach der Ausreise der Klägerin Ereignisse eingetreten sind, die nunmehr zu der Annahme einer ernsthaften Rückkehrgefährdung führen könnten. Allerdings können zu den objektiven Nachfluchtgründen auch Verhaltensweisen eines Dritten, die ohne eigenes Zutun des Asylbewerbers entstanden sind, oder Vorgänge im Heimatland gehören, die an ein früheres Verhalten des Asylbewerbers anknüpfen (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl., Art. 16 a GG Rdnr. 54; Hailbronner, AuslR, Art. 16 a GG Rdnr. 182 ff.). Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang zum einen auf das Schicksal ihres Vetters L., der von den türkischen Sicherheitskräften Ende 2002/Anfang 2003 getötet worden sein soll. Die Familie von L. habe den türkischen Staat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deswegen angezeigt. Daraufhin seien eine Reihe von Verwandten des Ermordeten und der Klägerin festgenommen worden. Sie befürchte deshalb, für diese Anzeige gegen den türkischen Staat ebenfalls zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zum anderen befürchte sie Verfolgung wegen ihres Kontaktes zu der PKK-Aktivistin P., die inzwischen zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Naile Firat sei im Besitz ihrer Adresse in Manisa gewesen. Zwar mag es sein, dass die Klägerin wegen dieser beiden Ereignisse auf die in Rede stehenden Suchlisten geraten ist, doch hält es der Senat für fraglich, dass sich daraus beachtliche Nachfluchtgründe zugunsten der Klägerin herleiten lassen.
Die Zahl der die Türkei betreffenden Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist sehr hoch (vgl. AA, Lagebericht v. 11.11.2005, S. 35). Nach Informationen von Kaya (Gutachten v. 11.3.2005 an VG Münster) soll es auch vorgekommen sein, dass die türkischen Sicherheitskräfte auf Personen, welche Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht haben, Druck ausgeübt haben. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass diesen Personen im Falle der Rückkehr oder Abschiebung eine politische Verfolgung drohe. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Frage anders als Kaya zu beurteilen, zumal keine gegenteiligen Erkenntnisse vorliegen. Im Falle der Klägerin kommt noch hinzu, dass nicht sie persönlich, sondern die Familie von L. die entsprechende Klage erhoben haben soll. Zudem handelt es sich bei L. um ihren Vetter. Es ist deshalb auch unter dem Aspekt einer sippenhaftähnlichen Gefährdung unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des Senats (a.a.O.) unwahrscheinlich, dass sie in eine etwaige Verfolgung von Angehörigen der Familie S. einbezogen wird.
Nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 19. April 2005 (a.a.O., S. 101 ff.) hat im Zuge des Reformprozesses sogar die Wahrscheinlichkeit, dass nahe Angehörige von landesweit gesuchten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisation Opfer von sippenhaftähnlichen Maßnahmen werden, eben-so abgenommen wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Beeinträchtigungen der Angehörigen durch diese Maßnahmen die Schwelle des asylrechtlich Unzumutbaren überschreiten. Auch aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln geht hervor, dass sippenhaftähnliche Übergriffe in letzter Zeit allgemein nachgelassen haben (vgl. etwa Kaya, Gutachten v. 10.12.2005 und AA, Auskunft v. 21.11.2005, jew. an Hess. VGH; Taylan, Gutachten v. 26.6.2004 an VG Frankfurt/Oder). Allerdings weist amnesty international (Länderkurz-Info Türkei v. 31.7.2005) darauf hin, dass vor allem Angehörige gesuchter PKK-Mitglieder starkem Druck ausgesetzt seien. Sie würden oft bedroht, aufgefordert, die betreffenden Verwandten herbeizuschaffen, oder verdächtigt, selbst die PKK zu unterstützen. Es komme aber auch zu Festnahmen und Folterungen. Als Beispiele führt amnesty international (wie bereits in der Stellungnahme v. 10.1.2005 an VG Sigmaringen) drei Fälle aus dem Jahr 2004 aus dem Südosten der Türkei an. So sei ein 12-jähriges Mädchen gefoltert worden sei, weil sie den Aufenthaltsort ihrer Schwester nicht angegeben habe. Der 61-jährige Vater eines Guerilla-Kämpfers der PKK sei wegen des Vorwurfs gefoltert worden, die Terroristen zu unterstützen. Sein Cousin habe dem Menschenrechtsverein in Siirt außerdem berichtet, er sei zuvor ebenfalls von demselben Gendarmerieoffizier und denselben Dorfschützern gefoltert worden. Weitere Referenzfälle sind in den letzten Jahren aber nicht bekannt geworden, so dass sie nicht verallgemeinert werden können. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige einer gesuchten Person Opfer von sippenhaftähnlichen Maßnahmen werden können, insgesamt abgenommen hat, zeigen die von amnesty international berichteten Fälle aber, dass derartige Übergriffe nach wie vor stattfinden. Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) lehnt deshalb nicht generell die Möglichkeit einer asylrelevanten Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft ab, sondern hält dann, wenn ein Asylbewerber eine solche geltend macht, eine genaue einzelfallbezogene Würdigung für erforderlich (ebenso OVG Bremen, Urt. v. 22.3.2006 - 2 A 303/04.A -). Dem schließt sich auch der erkennende Senat an.
Dass die Klägerin vor ihrer Ausreise keinen sippenhaftähnlichen Übergriffen ausgesetzt war und ihr solche auch nicht wegen der Klage der Familie S. vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte drohen, hat der Senat bereits dargelegt. Es ist ferner nicht erkennbar, welche weitergehenden familienbezogenen Informationen die türkischen Sicherheitskräfte von der Klägerin erhalten sollten. Zwar mag es sein, dass man der Klägerin bei der Rückkehr angesichts der politischen Aktivitäten von Angehörigen mit Misstrauen begegnen wird, doch ist die Gefahr, dass ihr gegenüber physischer Druck oder Folter angewendet werden, als gering einzuschätzen. Dass nicht alle Mitglieder der Großfamilien R./S. automatisch und generell von den türkischen Sicherheitsbehörden als PKK-verdächtig angesehen werden, zeigt sich auch daran, dass offensichtlich weder ihr Onkel Q. noch ihr Cousin T. bei ihren jeweiligen Türkeibesuchen im Jahr 2004 bzw. 2005 mit Ausnahme von Befragungen bezüglich des Aufenthaltsorts von Verwandten Probleme mit staatlichen Stellen bekommen haben, geschweige denn asylerhebliche Maßnahmen über sich ergehen lassen mussten. Das Gleiche gilt für ihre Verwandte O., die sich im Sommer 2003 in der Türkei aufgehalten hat.
Ebenso wenig ergibt sich eine beachtliche Rückkehrgefährdung aus dem angeblichen Kontakt der Klägerin zu der PKK-Aktivistin P.. Der Senat hat bereits Zweifel an der Behauptung der Klägerin, dass sie P. vor ihrer eigenen Ausreise in Manisa bei einer HADEP-Versammlung getroffen habe und dieser ihre Adresse habe zukommen lassen. Dieser Vortrag steht zumindest teilweise im Widerspruch zu ihren Angaben während der Anhörung vor dem Bundesamt. Ausweislich der Niederschrift hat sie damals auf die Frage, ob sie persönlich irgendetwas mit Politik oder Parteien in der Türkei zu tun gehabt habe, Folgendes geantwortet:
"Ich ging wohl zu Newroz-Feierlichkeiten, ansonsten hatte ich aber nichts mit Politik oder Parteien zu tun. Ich bin auch nicht zu irgendwelchen anderen Versammlungen gegangen."
Demgegenüber hat sie erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet, die PKK-Aktivistin P. bei einer Versammlung der HADEP getroffen zu haben; zu dieser Veranstaltung sei sie von ihrem Onkel mitgenommen worden. Der Senat wies die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf diesen Widerspruch hin. Daraufhin erklärte sie, dass sie damals auch zu anderen kulturellen Veranstaltungen (als den Newroz-Feierlichkeiten) von ihrem Onkel mitgenommen worden sei; an Sitzungen der Partei HADEP habe sie aber nicht teilgenommen. So habe sie die Frage beim Bundesamt auch verstanden. Auf Nachfrage des Senats gab sie an, sie habe damals auch gegenüber dem Bundesamt erwähnt, dass ihr Onkel sie zu den Newroz-Feierlichkeiten oder anderen kulturellen Veranstaltungen mitgenommen habe. Dieser Erklärungsversuch erscheint angesichts des eindeutigen Wortlauts des Protokolls des Bundesamtes, in dem auch von der Mitnahme durch den Onkel nicht die Rede ist, wenig überzeugend, zumal die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt hatte, dass die rückübersetzte Aufzeichnung ihren Angaben entspreche und es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Die Klägerin muss sich in diesem Zusammenhang weitere Ungereimtheiten vorhalten lassen. So ließ sie mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4. November 2003 vortragen, dass sie der P. ihre Adresse gegeben habe, damit diese sie besuchen könne. Dagegen hat sie bei ihrer informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar 2005 erklärt, sie selbst habe der P. ihre Adresse nicht geben können, weil sie nicht lesen und schreiben könne; dies habe vielmehr ihr Onkel getan. Außerdem wird aus den Angaben der Klägerin nicht klar, welcher ihrer Verwandten sie mit zu den Versammlungen der HADEP mitgenommen haben soll. In dem bereits erwähnten Schriftsatz vom 4. November 2003 ist die Rede davon, dass es sich um ihren Onkel L. gehandelt habe, der die Klägerin in Manisa besucht und sie zu Versammlungen der HADEP mitgenommen habe. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass L. nicht ein Onkel, sondern ein Vetter von ihr ist. Im späteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hat sie den Eindruck vermittelt, dass ihr in Manisa wohnender Onkel sie zu den HADEP-Veranstaltungen mitgenommen habe. Dies dürfte auch eher den Tatsachen entsprechen, da sie vorgetragen hat, dass dieser Onkel (X.) sich auch sonst um sie in Manisa gekümmert hatte, während der (verstorbene) Vetter L. aus dem Dorf Karapinar stammte.
Abgesehen von diesen gravierenden Unstimmigkeiten hält es der Senat auch für unwahrscheinlich, dass die Klägerin aufgrund ihres angeblichen Kontakts zu P. nach deren Verhaftung in das Visier der türkischen Sicherheitskräfte geraten ist. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen würde, dass ihr Onkel der P. ihre Adresse in Manisa gegeben hat, könnte ein entsprechender Verdacht der türkischen Sicherheitskräfte gegenüber der Klägerin nur dann entstanden sein, wenn diesen der Zettel mit der Adresse der Klägerin auch in die Hände gefallen wäre und sie daraus zusätzlich den Schluss einer möglichen PKK-Nähe der Klägerin hätten ziehen können. Dies dürften jedoch unrealistische Spekulationen sein. Wäre den türkischen Sicherheitskräften der Kontakt der Klägerin zu der PKK-Aktivistin P. wirklich bekannt geworden, hätte es sich ihnen zudem geradezu aufdrängen müssen, den nach der Ausreise der Klägerin in ihrer Wohnung lebenden N. aufzusuchen und ihn dazu näher zu befragen. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass N. nach dem Aufenthaltsort verschiedener Verwandter, darunter der Klägerin und ihres Vaters, befragt worden sei. Dies hat N. auch in einem Brief an die Klägerin bestätigt. Dass diese Nachforschungen aber wegen des angeblichen Kontakts der Klägerin zu P. angestellt worden sind, wird mit keinem Wort erwähnt.
Nach alledem vermag der Senat es der Klägerin nicht abzunehmen, dass sie wegen ihres Kontaktes zu P. in das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten ist. Allerdings ist es durchaus möglich, dass sie im Falle einer Eintragung in den genannten Suchlisten, wofür nach Auffassung des Senats aus den angeführten Gründen kein berechtigter Anlass besteht, einem Verhör bei der Einreisekontrolle unterzogen wird. Dabei wird sich aber nach Einschätzung des Senats schnell herausstellen, dass die Klägerin keine ernst zu nehmende Regimegegnerin ist. Sie hat sich bisher weder für die kurdische Sache aktiv betätigt noch ein entsprechendes politisches Bewusstsein entwickelt. Nach dem Eindruck, den der Senat von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, stellt sie auch nach ihrem Persönlichkeitsbild keine Gefahr für den türkischen Staat dar. Dies wird auch den Grenzbeamten bei der Befragung der Klägerin nicht verborgen bleiben. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren kein einziger Fall mehr bekannt geworden ist, in dem ein aus der Bundesrepublik in die Türkei zurückgekehrter oder abgeschobener abgelehnter Asylbewerber gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. AA, Lagebericht v. 11.11.2005 S. 36 f.; Kaya, Gutachten v. 8.8.2005 an VG Sigmaringen; Taylan, Gutachten v. 21.7.2005, jeweils an VG Sigmaringen; ai, Länderkurzinfo Türkei v. 31.7.2005). Es ist deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Türkei asylrelevanten Repressalien ausgesetzt sein wird.
4.
Das Begehren der Klägerin auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls unbegründet. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfasst den des Art. 16 a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843 zu der Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG), soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der politischen Verfolgung betrifft. Die mit dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Neuregelungen in § 60 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AufenthG betreffen nicht den vorliegenden Fall. Wie sich aus den Ausführungen des Senats unter 2. und 3. ergibt, droht der Klägerin in der Türkei keine politische Verfolgung.
5.
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Nach den obigen Darlegungen besteht für die Klägerin bei Rückkehr in die Türkei weder die konkrete Gefahr der Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) noch einer sonstigen unmenschlichen Behandlung (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK) oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).
6.
Die Zulässigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen folgt aus §§ 34 Abs. 1 und 38 Abs. 1 AsylVfG.