Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.06.1996, Az.: 2 U 233/96
Vermutung der vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit wegen Falschangabe des Kaufpreises in betrügerischer Absicht; Ausschluss der Leistungsfreiheit eines Versicherers nach der freiwilligen Korrektur einer Falschangabe; Leistungsfreiheit als Sanktion eines Versuchs arglistiger Täuschung bei den Entschädigungsverhandlungen; Vorlage einer Anschaffungsrechnung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.06.1996
- Aktenzeichen
- 2 U 233/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21422
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0610.2U233.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 3 VVG
- § 273 BGB
- § 320 BGB
Amtlicher Leitsatz
Kein Treueverstoß bei Berufung auf Leistungsfreiheit wegen Aufklärungspfichtverletzung, wenn Fahrzeugversicherer Wiederauffinden des Fahrzeugs aus sachlich vertretbarem Grund verschweigt.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat die gem. § 6 Abs. 3 VVG bestehende Vermutung der vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nicht widerlegt. Wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, steht vielmehr fest, dass er seine Falschangabe hinsichtlich des Kaufpreises arglistig zum Zwecke des Betruges der Beklagten gemacht hat; denn eine andere plausible Erklärung für sein Verhalten gibt es nicht.
Dass die Falschangabe im Sinn der sog. Relevanzrechtsprechung (z.B. BGH r+s 1984, 178) generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, bedarf angesichts der erheblichen Diskrepanz der Kaufpreisangabe zum in Wahrheit bezahlten Preis keiner weiteren Darlegungen.
Der Kläger hat keine Umstände aufgezeigt, die ausnahmsweise zur Verneinung eines erheblichen Verschuldens führen könnten. Zwar mag unter Umständen bei einer freiwilligen Korrektur einer Falschangabe das Verschulden des Versicherungsnehmers geringer erscheinen und eine Leistungsfreiheit des Versicherers nicht gerechtfertigt sein (OLG Köln r+s 1996, 298, 299; Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl. § 6 Anm. Ca). Die Voraussetzungen für einen derartigen Ausnahmefall liegen hier jedoch nicht vor. Dagegen spricht schon, dass der Kläger bei seiner Obliegenheitsverletzung nicht nur vorsätzlich, sondern in Betrugsabsicht eine erhebliche Falschangabe gemacht hat. Zudem kann von einer freiwilligen Korrektur nicht ausgegangen werden. Die Beklagte hatte nämlich mit Schreiben vom 26.04.1995 um weitere Angaben, u.a. um Vorlage der Anschaffungsrechnung, gebeten. Da der Kläger eine solche nicht vorweisen konnte, musste er damit rechnen, dass die Beklagte beim vorherigen Eigentümer hinsichtlich des Kaufpreises Nachforschungen anstellen und den vorangegangenen Betrugsversuch aufdecken würde. Ein geringes Verschulden eines Versicherungsnehmers kann jedoch nicht angenommen werden, wenn dieser seine ursprüngliche Falschangabe erst korrigiert, nachdem er erkennt, dass sein Betrugsversuch zum Scheitern verurteilt ist.
Die von der Rechtsprechung im Fall einer folgenlosen Obliegenheitsverletzung geforderte Belehrung des Versicherungsnehmers ist in dem vom Kläger ausgefüllten Schadenformular vorhanden, im Übrigen wäre die Belehrung angesichts des arglistigen Handelns des Klägers auch entbehrlich (BGH VersR 1978, 121, 122; OLG Hamm r+s 1992, 41).
Die Berufung der Beklagten auf ihre Leistungsfreiheit verstößt nicht gegen Treu und Glauben gem. 242 BGB. Es kann insoweit offen bleiben, ob die Tatsache, dass die Beklagte den Kläger nicht unverzüglich über das Wiederauffinden des Fahrzeugs informiert hat, überhaupt eine Vertragsverletzung darstellt. Einen allgemeinen Grundsatz, dass nur derjenige seine vertraglichen Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat, gibt es nicht; vielmehr führt ein vertragswidriges Verhalten in der Regel nur unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zu einem Schadensersatzanspruch und zu den Befugnissen aus den §§ 273, 320 BGB; es bewirkt aber grundsätzlich nicht einen Wegfall eigener Rechte (BGH NJW 1971, 1747; MüKo-Roth, BGB, 3. Aufl., 9 242, 417 ff). Für das Vorliegen eines Schadensersatzanspruches ist hier jedoch weder etwas vorgetragen noch etwas ersichtlich.
Allerdings kann ausnahmsweise die Inanspruchnahme von Leistungsfreiheit als Sanktion eines Versuchs arglistiger Täuschung bei den Entschädigungsverhandlungen verwirkt sein, wenn der Versicherer sich in einer diesem Tatbestand gleichwertigen oder schwerer wiegenden Art und Weise verhalten hat (BGH VersR 1989, 842). Von einem solchen Verhalten der Beklagten kann vorliegend jedoch nicht die Rede sein. Im Zeitpunkt des Auffindens des angeblich gestohlenen Fahrzeugs stand bereits fest, dass der Kläger zumindest der Höhe nach durch Angabe eines falschen Kaufpreises versucht hatte, die Beklagte zu betrügen. Die Beklagte ihrerseits durfte auf Grund dieser Tatsache im Zusammenhang mit weiteren Indizien zu dem berechtigten Verdacht gelangen, dass der Versicherungs- fall vorgetäuscht sein könnte; insbesondere ist zu bedenken, dass die Beklagte in Erfahrung gebracht hatte, dass gegen den Kläger 1995 zwei weitere Ermittlungsverfahren anhängig waren, nämlich wegen Diebstahls sowie wegen Betrugs zum Nachteil eines Versicherers. Unstreitig hatte der Kläger zudem in einem von ihm behaupteten weiteren Versicherungs- fall vom 27.01.1995 versucht, einen von ihm benannten Zeugen zu einer Falschaussage anzustiften.
Dass die Beklagte unter diesen Umständen es zumindest aus ihrer Sicht für dienlich erachtete, Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht unverzüglich dem Kläger mitzuteilen, ist durchaus verständlich und stellt zumindest keine schwer wiegende Vertragsverletzung dar. Bei der Bewertung des Verhaltens der Beklagten ist auch zu bedenken, dass der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten jederzeit durch Einsichtnahme der Ermittlungsakten selbst den Stand der Ermittlungen in Erfahrung bringen konnte, soweit keine Gefährdung des Untersuchungszwecks bestand.