Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 20.04.2015, Az.: S 40 AS 81/14

Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung durch den Grundsicherungsträger nach einem Umzug

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
20.04.2015
Aktenzeichen
S 40 AS 81/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 22657
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2015:0420.S40AS81.14.0A

Tenor:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013 verurteilt, für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2013 Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe von 800,00 Euro zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom beklagten Grundsicherungsträger zu übernehmenden Unterkunftskosten.

Bei den Klägern handelt es sich um eine sechsköpfige Familie. Die Kinder, drei Söhne und eine Tochter, wurden im Zeitraum von 1998 bis 2002 geboren. Die Familie wohnte in der Vergangenheit in M ... Dort hatten sie zuletzt pro Monat Unterkunftskosten in Höhe von 626,00 Euro und Heizkosten in Höhe von 140,00 Euro zu entrichten.

Mit Bescheid vom 30.05.2013 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2013. Dabei übernahm er für Unterkunft und Heizung die genannten tatsächlichen Kosten.

Die Kläger beabsichtigten in der Folgezeit den Umzug in eine andere Wohnung in M ... Als Grund gaben sie gegenüber dem Beklagten einen Schimmelbefall ihrer bisherigen Wohnung an.

Der Außendienst des Beklagten stellte bei einem Hausbesuch am 08.07.2013 vereinzelte schimmelartige Verfärbungen fest.

Die Kläger äußerten hierzu, das Gebäude sei in einen Hang gebaut und verfüge im unterirdischen Bereich über keinen Schutz vor aufsteigendem Wasser. Die mitunter auch fühlbare Feuchtigkeit habe an verschiedenen Stellen zu einem nachhaltigen Schimmelbefall geführt. Der Vermieter kenne das Problem, habe aber lediglich wenig kostenaufwändige Versuche der Abhilfe unternommen. Zudem sei die Wohnung ungünstig geschnitten. Sie hätten bisher versucht, die Kinder nach Geschlecht getrennt unterzubringen. Die nun in Betracht gezogene Wohnung weise mehr Zimmer auf und sei daher auch in dieser Hinsicht von Vorteil.

Mit Bescheid vom 20.08.2013 lehnte der Beklagte eine Zusicherung zum Umzug ab. Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid zurückwies. Eine anschließend angestrengte Klage vor dem erkennenden Gericht (Az.: S 23 1382/13) nahmen die Kläger nach erfolgtem Umzug zurück.

Am 01.10.2013 bezogen die Kläger die neue Wohnung. Für diese fielen pro Monat Unterkunftskosten von 680,00 Euro und Heizkostenabschläge von 120,00 Euro an.

Mit Änderungsbescheid vom 14.10.2013 setzte der Beklagte aufgrund des Umzuges die Leistungshöhe für den Zeitraum vom 01.10. bis zum 31.12.2013 neu fest. Nunmehr gewährte er für die Unterkunft einen monatlichen Betrag von nur 638,00 Euro. Die Heizkosten übernahm er in der vollen Höhe von 120,00 Euro.

Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2013 zurückwies. Zur Begründung führte er aus, die Kläger hätten keine Zusicherung zum Umzug erhalten. Eine solche würde auch inzwischen nicht erteilt werden, da die Unterkunftskosten für die neue Wohnung unangemessen hoch seien. Der Landkreis M. habe seinerzeit ein Mietwertgutachten in Auftrag gegeben, in welchem der örtliche Wohnungsmarkt untersucht worden sei. Die damals ermittelten Werte seien inzwischen aktualisiert worden. Das Wohnungsmarktgutachten bilde ein schlüssiges Konzept, welches die als angemessen anzusehenden Unterkunftskosten abbilde. Für einen sechsköpfigen Haushalt seien danach hier 638,00 Euro als Obergrenze anzusehen.

Die Kläger haben am 21.01.2014 Klage erhoben. Sie tragen vor, die Wohnfläche der neuen Wohnung sei zwar geringer als die frühere Unterkunft, verfüge aber über eine ausreichende Zahl von Zimmern. Außerdem habe die alte Wohnung teilweise im Souterrain gelegen. Die Kläger haben Photos der alten Wohnung vorgelegt.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013 zu verurteilen, für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2013 die tatsächlichen Wohnkosten zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, eine Umzugsnotwendigkeit sei nicht zu ersehen. Die Kläger hätten keine Nachweise über eine Mängelanzeige gegenüber dem Vermieter vorgelegt. Die Notwendigkeit eines Umzugs sei erst nach Ausschöpfung sonstiger Abhilfemöglichkeiten anzunehmen. Im Übrigen bestehe auch kein Anspruch auf eine bestimmte Zimmeranzahl. Der Einwand der Raumaufteilung sei auch nicht nachvollziehbar, da die Kläger erst im Jahre 2010 in die nun beanstandete Wohnung gezogen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger sind durch den Bescheid vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Bescheide sind rechtswidrig. Die Kläger haben neben den übrigen, bereits bewilligten Leistungen auch Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung.

Mit dem Umzug der Kläger zum 01.10.2013 ist im Vergleich zur ursprünglichen Bewilligung zu ihren Gunsten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), so dass ab diesem Zeitpunkt bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 31.12.2013 höhere Leistungen zu gewähren sind.

Die Kläger sind, wie auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, dem Grunde nach leistungsberechtigt im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Streitig ist allein, in welcher Höhe Kosten für Unterkunft zu berücksichtigen sind. Diese Aufwendungen bilden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen zwingend mit den Heizkosten verbundenen Streitgegenstand, sind also einer isolierten gerichtlichen Entscheidung nicht zugänglich (s. nur Bundessozialgericht, Urteil v. 23.05.2012, Az.: B 4 AS 67/12 R; Urteil v. 16.10.2012, Az.: B 14 AS 11/12 R).

Neben den vom Beklagten in tatsächlicher übernommenen Heizkosten von 120,00 Euro ist in den drei Monaten von Oktober bis Dezember 2013 für die Unterkunft jeweils ein Betrag von 680,00 Euro pro Monat zu berücksichtigen.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (Satz 2).

Eine Begrenzung der Aufwendungen nach der letztgenannten Vorschrift, d. h. aufgrund eines nicht erforderlichen Umzuges, kommt nicht in Betracht. Nach Auffassung der Kammer war der Umzug der Kläger - insbesondere auch der Auszug aus der früheren Wohnung - erforderlich in diesem Sinne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Annahme eines hinreichenden Auszugsgrundes schon plausible Umstände genügen, von denen sich auch ein Nichtbedürftiger leiten lassen würde (Bundessozialgericht, Urteil v. 24.11.2011, Az.: B 14 AS 107/10 R; Urteil v. 23.08.2012, Az.: B 4 AS 32/12 R). Solche Umstände sind hier in dem Schimmelbefall der alten Wohnung zu sehen. Sein Vorliegen ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Mag auch das sichtbare Ausmaß des Befalls gering sein, hält es die Kammer doch für nachvollziehbar, dass die Kläger die Wohnung verlassen wollten, um gesundheitliche Schäden infolge des Schimmelbefalls zu vermeiden. Angesichts der Gesundheitsgefahren insbesondere auch für die noch im Kindesalter befindlichen Kläger konnten sie auch nicht darauf verwiesen werden, erst noch ein weiteres Tätigwerden des Vermieters und das Ergebnis seiner Bemühungen abzuwarten.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob auch der Zuschnitt der Wohnung als plausibler Grund für den Umzug anzusehen wäre.

Eine Begrenzung der Unterkunftskosten lässt sich auch nicht mit der fehlenden Zusicherung des Beklagten begründen. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständige kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen; der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (§ 22 Abs. 4 Satz 1). Die Kläger haben zwar vor dem Umzug keine Zusicherung des Beklagten zur Berücksichtigung der neuen Unterkunftskosten erhalten. Dies führt jedoch nicht dazu, dass Unterkunftskosten nur in begrenzter Höhe zu übernehmen sind. Da die Unterkunftskosten der Kläger nämlich aus den nachfolgend genannten Gründen übernahmefähig sind, hat der Beklagte die tatsächlichen Kosten zu tragen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Angemessenheit von Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in mehreren Schritten zu prüfen (s. nur Bundessozialgericht, Urteile v. 17.12.2009, Az.: B 4 AS 27/09 R, B 4 AS 50/09 R, B 4 AS 19/09 R): Zunächst ist danach in einer abstrakten Angemessenheitsprüfung die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. Anschließend ist der nach den örtlichen Verhältnissen angemessene Mietzins je Quadratmeter zu ermitteln. Die Prüfung der abstrakten Angemessenheit muss die örtlichen Verhältnisse erfassen und beurteilen, damit auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne für die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten festgesetzt werden kann.

Sofern örtliche Mietspiegel oder andere Mietdatenbanken für den zugrunde zu legenden Vergleichsraum nicht existieren, hat der Grundsicherungsträger nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Zwecke der Ermittlung der abstrakt angemessenen Wohnkosten ein schlüssiges Konzept einschließlich entsprechender Tabellen mit grundsicherungsrelevanten Daten zu erstellen. Diese dürfen auf einer schwächeren Datenbasis als ein Mietspiegel nach § 558 d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beruhen. Gleichwohl müssen sie den maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarkt nachvollziehbar abbilden. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiederzugeben. Folgende Anforderungen an die Schlüssigkeit sind dabei nach Auffassung des Bundessozialgerichts einzuhalten (s. Urteil v. 22.9.2009, Az.: B 4 AS 18/09 R; Urteil v. 17.12.2009, Az.: B 4 AS 50/09 R): - Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), - es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z. B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße, - Angaben über den Beobachtungszeitraum, - Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z. B. Mietspiegel), - Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, - Validität der Datenerhebung, - Einhaltung anerkannter mathematisch- statistischer Grundsätze der Datenauswertung, - Angaben über die gezogenen Schlüsse (z. B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Die Erstellung eines schlüssigen Konzepts soll dabei dem Grundsicherungsträger obliegen, welcher dem Sozialgericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls noch notwendige Ermittlungen nachzuholen hat (Bundessozialgericht, Urteil v. 20.12.2011, Az.: B 4 AS 19/11 R). Unverhältnismäßig aufwändige Ermittlungen insbesondere für weit zurückliegende Zeiträume sind dabei allerdings nicht erforderlich. Gleichwohl ist dann vom Sozialgericht darzulegen, weshalb ein schlüssiges Konzept mit den vorhandenen Daten nicht möglich ist (Bundessozialgericht, Urteil v. 11.12.2012, Az.: B 4 AS 44/12 R; Urteil v. 12.12.2013, Az.: B 4 AS 87/12 R; Urteil v. 14.02.2013, Az.: B 14 AS 61/12 R). Nach einer anderen Formulierung des Bundessozialgerichts besteht bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts aufgrund eines "Notfalles" gegebenenfalls eine Begrenzung der Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts (Bundessozialgericht, Urteil v. 17.12.2009, Az.: B 4 AS 27/09 R). Sofern sich ein schlüssiges Konzept trotz weiterer Ermittlungen nicht aufstellen lässt, sind die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen, jedoch begrenzt auf die Kappungsgrenzen des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG), welche noch um einen "Sicherheitszuschlag" von 10 % zu erhöhen sein sollen (Bundessozialgericht, Urteil v. 12.12.2013, Az.: B 4 AS 87/12 R; Urteil v. 10.09.2013, Az.: B 4 AS 3/13 R; für die Werte nach § 8 WoGG a. F.: Urteil v. 20.08.2009, Az.: B 14 AS 41/08 R; Urteil v. 16.04.2013, Az.: B 14 AS 28/12 R).

Ermöglicht wird dem Grundsicherungsträger eine Begrenzung der Leistungen für die Unterkunft erst, wenn der Leistungsempfänger auf die Unangemessenheit der Unterkunftskosten hingewiesen wurde. Bei dieser Aufforderung zur Senkung der Aufwendungen handelt es sich nach Ansicht jedenfalls des 4. Senates des Bundessozialgerichts um ein Angebot, in einen Dialog über die angemessenen Unterkunftskosten einzutreten (Bundessozialgericht, Urteil v. 19.02.2009, Az.: B 4 AS 30/08 R; Urteil v. 10.09.2013, Az.: B 4 AS 77/12 R).

Die skizzierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erscheint der Kammer nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) nicht mehr tragfähig. Letzteres führte aus, die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums müsse durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig. Der Umfang des Anspruchs sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Schon nach früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (s. nur Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 08.08.1978, Az.: 2 BvL 8/77).

Diesen Vorgaben wird jedoch eine Auffassung, nach welcher die Beurteilung der Übernahmefähigkeit von Unterkunftskosten zuvörderst den Behörden obliegt, nicht gerecht. Folge jener Auffassung ist eine Rechtsunsicherheit, welche im die Menschenwürde betreffenden und damit grundrechtsrelevanten Bereich des Grundsicherungsrechts nicht zu akzeptieren ist. Das Sozialgericht Dresden hat die bisherigen Wirkungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts trefflich in folgender Weise dargestellt (Urteil vom 25.01.2013, Az.: S 20 AS 4915/11):

"Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" sich in der Praxis auswirkt, kann bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen ist, ein "schlüssiges Konzept" zu erstellen, das vor dem BSG Bestand hatte [ ...]. Die Rechtsprechung des BSG hat in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums - die Sicherung der Unterkunft ist eine der wichtigsten Grundlagen der physischen Existenz des Menschen - keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt."

Die regelmäßige Beurteilung der Angemessenheit von Unterkunftskosten ausschließlich durch die Grundsicherungsträger bzw. (mit deren Hilfe) durch die Gerichte ist nach den vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Grundsätzen mit Verfassungsrecht nicht vereinbar (im Ergebnis ebenso: Sozialgericht Leipzig, Urteil v. 15.02.2013, Az.: S 20 AS 2707/12; Sozialgericht Mainz, Urteil v. 18.10.2013, Az.: S 17 AS 1069/12). Dass angesichts der eigentlichen Verpflichtung des Gesetzgebers für einen "Dialog" der Verfahrensbeteiligten über die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten erst recht kein Raum ist, bedarf dabei keiner weiteren Ausführungen.

Der Begriff der angemessenen Unterkunftskosten in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bildet nach dem Gesagten einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Grundsicherungsrecht nicht der Exekutive oder Judikative überlassen bleiben darf; die in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung, unbestimmte Rechtsbegriffe seien verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich (so Berlit, Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den Kosten der Unterkunft, info also 2014, S. 243), ist daher nicht haltbar. Im Gegenteil ist sogar davon auszugehen, dass die unbestimmte Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II - für sich betrachtet - den skizzierten Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht genügt, da sie keine hinreichend konkrete Regelung des Leistungsumfangs trifft (s. hierzu auch ausführlich Sozialgericht Mainz, Vorlagebeschluss v. 12.12.2014, Az.: S 3 AS 130/14).

Auch die mit Wirkung vom 01.04.2011 eingeführten Regelungen der §§ 22 a bis 22 c SGB II können zu einer ausreichenden Bestimmung der übernahmefähigen Unterkunftskosten nicht herangezogen werden, vermögen also keine Kriterien einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufzuzeigen. Mit ihnen eröffnet der Gesetzgeber in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Möglichkeit, durch Satzungen die angemessenen anzuerkennenden Anforderungen zu bestimmen. Ungeachtet des Umstandes, dass auch Satzungen der Prüfung durch die Gerichte unterliegen und von diesen verworfen werden können, bietet die Eröffnung der Regelungsmöglichkeiten in § 22 b SGB II einen so breiten Spielraum, dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung des Anspruchs auf das menschenwürdige Existenzminimum nicht genügt wird.

Der Kammer erscheint indes aufgrund eines Vergleichs mit dem Wohngeld ein weiterer Aspekt bedeutsam, welcher den Weg zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ebnet:

Auch wenn Wohngeld und Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II unterschiedlichen Regelungskomplexen unterfallen, besteht doch eine wesentliche Gemeinsamkeit in ihrer grundsätzlichen Zielrichtung: Das Wohngeld soll Haushalten mit niedrigem Einkommen einen angemessenen, also einen einem Mindestwohnstandard entsprechenden Wohnraum wirtschaftlich ermöglichen und auf Dauer sichern (Zimmermann, Wohngeldgesetz, § 1, Rn. 3). Vergleichbares gilt für Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (vgl. Berlit, in: Münder, SGB II, 5. Aufl., § 22, Rn. 44).

Von Bedeutung ist dabei auch das gesetzliche Zusammenwirken beider Leistungsregime: Wer Leistungen nach dem SGB II bezieht, ist vom Wohngeldbezug grundsätzlich ausgeschlossen, wenn bei der Leistungsberechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt wurden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG). Der Ausschluss kann jedoch unter anderem dann entfallen, wenn durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden bzw. beseitigt werden kann (s. § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 WoGG). Wenn sich der gesamte Bedarf einer Bedarfsgemeinschaft mit Wohngeld (und Kinderzuschlag) decken lässt, sind diese vorrangigen Leistungen zu beantragen (vgl. Geiger, in: Münder, SGB II, 5. Aufl., § 12 a, Rn. 8).

Insoweit hängt auch das Wohngeld von der Frage ab, ob eine Hilfebedürftigkeit im Sinne des Grundsicherungsrechts besteht. Während also Leistungen nach dem SGB II für Hilfebedürftige gewährt werden, kommt die Gewährung von Wohngeld für solche Personen in Betracht, deren wirtschaftliche Situation - im Vergleich zu Beziehern von Arbeitslosengeld II - ähnlich ist bzw. sich nur in geringem Maße besser darstellt.

Dieser letztgenannte Aspekt schließt es nach Auffassung der Kammer aus, für Bezieher von Arbeitslosengeld II einerseits und Wohngeldempfänger andererseits unterschiedlich hohe Kappungsgrenzen bei den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten zu ziehen.

Zwar wirken sich die tatsächlichen Aufwendungen im Bereich des SGB II (bis zur Angemessenheitsgrenze) unmittelbar und in unveränderter Höhe auf den Leistungsanspruch aus, während Miete bzw. Belastung nur einen von mehreren Faktoren bei der Wohngeldberechnung darstellen (§ 19 WoGG). Gleichwohl beeinflussen die Unterkunftskosten auch im Wohngeldrecht die Höhe des Leistungsanspruchs auf maßgebliche Weise.

Geht man beispielsweise von einem Zwei-Personen-Haushalt mit einem nach den §§ 13 ff. WoGG bereinigten Gesamteinkommen von 800,00 und einer berücksichtigungsfähigen Miete von 350,00 Euro aus, ergibt sich nach der Formel des § 19 WoGG (i. V. m. Anlage 1) ein Wohngeldanspruch von 110,00 Euro. Erhöht sich die berücksichtigungsfähige Miete um 100,00 Euro auf 450,00 Euro, erhöht sich der Wohngeldanspruch immerhin um 58,00 Euro auf 168,00 Euro. Bei einem bereinigten Gesamteinkommen von nur 700,00 Euro führen Aufwendungen von 350,00 Euro einerseits und 450,00 Euro andererseits sogar zu einem um 65,00 Euro höheren Wohngeldanspruch (148,00 bzw. 213,00 Euro).

Die Auswirkungen der Wohnkosten auf den Wohngeldanspruch sind damit grundsätzlich geeignet, Bezieher von Wohngeld zur Suche nach einer günstigeren Wohnung zu veranlassen, wenn ihre Unterkunftskosten aufgrund der Kappungsgrenzen des § 12 WoGG nur in vermindertem Maße berücksichtigt werden. Sie befinden sich dann in der gleichen Situation wie Bezieher von Arbeitslosengeld II, die sich nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II um eine Senkung ihrer Unterkunftskosten bemühen müssen.

Die Kappungsgrenzen des § 12 WoGG dienen unter anderem der Wahrung von Gleichheit unter den Wohngeldempfängern (Stadler u. a., Wohngeldgesetz, § 12, Lfg. 65, Rn. 1). In gleicher Weise hält es die Kammer nicht für zulässig, Wohngeldempfänger und Bezieher von Arbeitslosengeld II in Bezug auf die maximal berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten unterschiedlich zu behandeln.

Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) erscheint es ausgeschlossen, für Bezieher von Arbeitslosengeld II höhere Unterkunftskosten als die Werte nach § 12 WoGG als abstrakt berücksichtigungsfähig anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sollen lediglich einen Mindeststandard gewährleisten und die bestehende Hilfebedürftigkeit ausgleichen. Wenn nun Wohngeldbezieher nur weniger teure Wohnungen als Bezieher von Arbeitslosengeld II nutzen dürften, obwohl sie wirtschaftlich doch nicht schlechter als diese stehen sollen, ließe sich das Gefälle im Wohnkomfort nur erreichen, indem Wohngeldbezieher einen größeren Anteil ihres Einkommens für ihre Unterkunft aufwenden, welcher dann für ihren sonstigen Lebensunterhalt nicht mehr zur Verfügung stünde. Dies liefe jedoch dem Ziel des Gesetzgebers zuwider, mit dem Wohngeld eine Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund findet ein "Sicherheitszuschlag" von 10 % auf die Werte des § 12 WoGG für Bezieher von Arbeitslosengeld II keine Berechtigung. Dessen ungeachtet ist freilich ohnehin zu berücksichtigen, dass eine vom Bundessozialgericht frei gewählte, einer konkreten Grundlage entbehrende Größe von 10 % mit der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen ist.

Im Übrigen lässt sich ohnehin eine gewisse, sachlich jedoch gerechtfertigte Besserstellung für Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht gänzlich vermeiden, da bei ihnen im Sinne einer konkreten Angemessenheit zu prüfen ist, ob ihnen ein Wohnungswechsel möglich und zumutbar ist. Während die Wohngeldbehörden durch die gesetzlichen Vorgaben des § 12 WoGG auch in Härtefällen gebunden sind (vgl. Stadler u. a., Wohngeldgesetz, Lfg. 71, § 12, Rn. 15; Zimmermann, Wohngeldgesetz, § 1, Rn. 3), kann sich im Bereich des SGB II ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten ergeben (s. für einem Umzug entgegenstehende persönliche Umstände etwa Bundessozialgericht, Urteil v. 22.08.2012, Az.: B 14 AS 13/12 R). Wäre dies nicht möglich, könnte es zu einer dauerhaften Bedarfsunterdeckung kommen, welche im Grundsicherungsrecht im Hinblick auf die sicherzustellende Menschenwürde nicht zulässig wäre. Im Hinblick auf diesen wesentlichen Unterschied der konkreten Betrachtung des Einzelfalls erscheint es der Kammer erst recht nicht geboten bzw. möglich, die abstrakt berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten für Bezieher von Arbeitslosengeld II höher als für Wohngeldbezieher anzusetzen.

Auf der anderen Seite hält die Kammer aber auch eine Besserstellung der letztgenannten Gruppe nicht für gerechtfertigt. Wie bereits ausgeführt, können sich Angehörige beider Personengruppen durch eine Kappung der berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten zu einem Wohnungswechsel veranlasst sehen, da sie zu den finanziell schwächsten Teilen der Bevölkerung gehören. Weshalb aber Beziehern von Arbeitslosengeld II der Verlust der Unterkunft und damit ihres Lebensmittelpunktes schon ab einer geringeren Schwelle drohen soll als Wohngeldempfängern, leuchtet der Kammer nicht ein.

Infolge dessen erscheint es geboten, für die Bestimmung der übernahmefähigen Unterkunftskosten auf die Werte des § 12 WoGG abzustellen. Diese beruhen auf dem Prinzip rechtlicher Gleichheit (vgl. Stadler u. a., Wohngeldgesetz, Lfg. 65, § 12, Rn. 7), in welches die Empfänger von Arbeitslosengeld II nach dem Gesagten einzubeziehen sind. Die Ermittlung der im Einzelfall als abstrakt angemessen anzusehenden Kappungsgrenzen beruht im Gegensatz zur Beurteilung anhand eines schlüssigen Konzepts im oben genannten Sinne auch auf einem formellen Gesetz. Der Gesetzgeber hat dabei auch bezüglich der nach § 12 Abs. 1 WoGG maßgebenden Mietenstufen die wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen: In § 12 Abs. 2 bis 5 WoGG ist die Art und Weise der Ermittlung dieser Stufen vorgegeben. Danach richten sich die einzelnen Mietenstufen nach dem Mietenniveau von Wohnraum und dem gleichzustellenden Nutzungsverhältnissen (Abs. 2). Das jeweilige Mietenniveau richtet sich nach der vom statistischen Bundesamt jeweils für die Gemeinden bis 10.000 Einwohnern gesondert ermittelten Miethöhe; bei kleineren Gemeinden erfolgt eine Ermittlung des Mietenverhältnisses jeweils für die Landkreise (Abs. 3). Die Wohngeldanpassung erfolgt nur aufgrund einer Gesetzesänderung, nämlich aufgrund einer Änderung des WoGG (Zimmermann, Wohngeldgesetz, § 12, Rn. 5). Den oben dargestellten Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt ist damit genügt.

Der Kammer ist durchaus bewusst, dass fraglich ist, ob auf der Grundlage der pauschalierenden Regelung des § 12 WoGG die realen Verhältnisse des Wohnungsmarktes stets zutreffend abgebildet werden (s. Stadler u. a., Wohngeldgesetz, Lfg. 65, § 12, Rn. 14). Zu bedenken ist indes auch, dass sich der Wohnungsmarkt auf Dauer an konkrete Werte, die mit dem WoGG auch für das SGB II vorgegeben sind, anpasst. Dementsprechend erscheint es nachvollziehbar, dass bei den Überlegungen zur Änderung des SGB II im Jahre 2010 auch im Gesetzgebungsverfahren erwogen wurde, bezüglich der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausdrücklich auf die Werte nach § 12 WoGG zu verweisen (s. Bundestags-Drucksache 17/3958, S. 14).

Die Stadt M. unterfällt der Mietenstufe 3. Gemäß § 12 WoGG ergibt sich für einen Sechs-Personen-Haushalt bei dieser Mietenstufe ein Miethöchstbetrag von 715,00 Euro. Da die von den Klägern zu tragenden Unterkunftskosten unter dieser Grenze bleiben, sind sie als angemessen anzusehen und daher in tatsächlicher Höhe zu übernehmen.

Die Leistungen für Unterkunft und Heizung sind den Klägern dabei unter Aufteilung nach Köpfen zu gewähren (s. Bundessozialgericht, Urteil v. 23.05.2013, Az.: B 4 AS 67/12 R; Urteil v. 22.08.2013, Az.: B 14 AS 85/12 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit und wegen entscheidungserheblicher Abweichung von Entscheidungen des Bundessozialgerichts zugelassen (§ 144 Abs. 2 SGG).