Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 26.03.2015, Az.: S 24 AS 1116/14

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
26.03.2015
Aktenzeichen
S 24 AS 1116/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 26617
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2015:0326.S24AS1116.14.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Rechtmäßigkeit der Anrechnung der sogenannten Mütterrente auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch -Zweites Buch- (SGB II). Die im September 1952 geborene Klägerin steht seit längerem im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen. Ferner bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes (im Sommer 2014 in Höhe von 545,32 EUR monatlich), die bis November 2015 befristet ist. Eine Klage auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nahm die Klägerin im August 2014 zurück. Auf ihren am 23. Mai 2014 eingegangenen Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte ihr mit Bescheid vom 26. Mai 2014 Grundsicherungsleistungen in Form von Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von 261,48 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014. Im Juli 2014 ging bei dem Beklagten eine Rentenanpassungsmitteilung ein, aus der sich ergab, dass der Klägerin ab dem 1. Juli 2014 eine laufende monatliche Rente in Höhe von 554,44 EUR zustehe. Der neue Rentenbetrag werde am 31. Juli 2014 erstmals gezahlt. In der Mitteilung hieß es, dass aus den persönlichen Entgeltpunkten für Zeiten der Kindererziehung ab dem 1. Juli 2014 eine monatliche Rente in Höhe von 51,02 EUR resultiere. Mit Bescheid vom 17. Juli 2014 änderte der Beklagte seine Alg-II-Bewilligung für die Klägerin ab dem 1. August 2014 dahingehend ab, dass sie monatliche KdU-Leistungen im Umfang von 252,36 EUR erhalte. Der neue Betrag errechnete sich unter Anrechnung des neuen Rentenzahlbetrages abzüglich der Versicherungspauschale von 30,- EUR. Im September 2014 übersandte die Klägerin einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) vom 1. September 2014, wonach sie ab dem 1. November 2014 eine monatliche Rente in Höhe von 605,79 EUR erhalte, die am Monatsende ausgezahlt werde. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober 2014 betrage die Nachzahlung 205,40 EUR. Mit Bescheid vom 16. September 2014 änderte der Beklagte die Alg-II-Bewilligung für die Klägerin ab Oktober 2014 ab und bewilligte für die Klägerin monatliche KdU in Höhe von 201,01 EUR monatlich.

Dabei rechnete er den neuen Rentenzahlbetrag in Höhe von 605,79 EUR unter Abzug der Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR, also 575,79 EUR, als Einkommen bei der Bedarfsberechnung an und verwies auf die gesetzlichen Regelungen bei einer wesentlichen Änderung in den für die Bewilligung von Leistungen maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 30. September 2014 Widerspruch, der das Aktenzeichen W 994/14 erhielt. Die Klägerin begründete ihren Widerspruch damit, dass es sich bei Rentennachzahlung um zusätzliche Leistungen -"Mütterrente" - handele. Sie werde gegenüber Leistungsempfängerinnen, die keine Kinder erzogen hätten, benachteiligt, weil diese den gleichen Betrag erhielten wie sie. Letztlich werde ihre Leistung der Erziehung nicht honoriert, weil sie bei der Berechnung des Existenzminimums wieder abgezogen werde. Sie müsse als Mutter doch mehr Geld bekommen, als eine Frau ohne Kinder. Nachdem die Klägerin einen Kontoauszug übersandte, wonach ihr der Rentennachzahlungsbetrag am 8. Oktober 2014 gutgeschrieben wurde, erließ der Beklagte sodann den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 2. Oktober 2014, mit dem er seine Alg-II-Bewilligung für den Monat Oktober 2014 teilweise aufhob und von der Klägerin einen Betrag von 154,05 EUR zurückforderte. Er begründete seine Entscheidung damit, dass durch den Zufluss der Rentennachzahlung eine wesentliche Änderung in den für die Bewilligung maßgeblichen Verhältnissen eingetreten sei. Bei der Rentennachzahlung handele es sich um Einkommen, das auf den Grundsicherungsbedarf der Klägerin anzurechnen sei. Für den Monat Oktober 2014 stehe ihr unter Berücksichtigung des Zuflusses der Rentennachzahlung nur noch ein Betrag von 46,96 EUR zu, so dass der überschießende Betrag von 154,05 EUR von ihr zu erstatten sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2014 zurück. Die Anrechnung der Rentenzahlungen nach den ab 1. Juli 2014 geltenden neuen Regelungen über die Mütterrente an die Klägerin als Einkommen entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Insbesondere gehöre die Mütterrente nicht zu den Leistungen, die ausdrücklich von der Anrechnung ausgenommen seien. Dagegen hat die Klägerin am 30. Oktober 2014 Klage erhoben und sich auf ihr Vorbringen im Vorverfahren berufen. Die Anrechnung der Mütterrente auf die Grundsicherungsleistungen verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil Frauen, die keine Kinder erzogen hätten, die gleichen Grundsicherungsleistungen erhielten, wie sie. Gerade die besonders schutzwürdigen Mütter, die zusätzlich zu ihrer Rente noch Grundsicherungsleistungen erhielten, profitierten von dem "Geschenk" nicht, weil es ihnen sofort wieder abgezogen würde. Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen, die Bescheide des Beklagten vom 16. September 2014 und 2. Oktober 2014 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 15. Oktober 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seine Bescheide seien rechtmäßig. Bei der Mütterrente handele es sich um Einkommen, das den Grundsicherungsbedarf der Klägerin mindere. Es gebe keine gesetzliche Regelung, wonach die Mütterrente von der Anrechnung auszunehmen sei. Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 23. Februar 2015 dazu angehört worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer kann nach Anhörung der Beteiligten über die Klage gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im schriftlichen Verfahren durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 16. September 2014 und 2. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2014 verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten und sind daher nicht aufzuheben. Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide sind §§ 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, 40 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sowie 330 Absatz 3 SGB III in Verbindung mit § 50 Absatz 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Der Beklagte hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Hinblick auf die durch die Bewilligung und Auszahlung der Mütterrente an die Klägerin durch die DRV Bund zu Recht bejaht. Die Kammer nimmt ausdrücklich auf die ausführliche Begründung des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2014 Bezug und sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Nach Auffassung der Kammer verstößt die Anrechnung der Mütterrente auf den Grundsicherungsbedarf -Existenzminimum- bei den betroffenen Frauen nicht gegen das aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG- folgende Gleichbehandlungsgebot. Dieses Grundrecht wird verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird oder wesentlich Ungleiches gleich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) verstößt eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte bzw. die Gleichbehandlung völlig verschiedenartiger Sachverhalte gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn dies willkürlich geschieht (vgl. BVerfGE 1, 14/52 [BVerfG 23.10.1951 - 2 BVG 1/51]). Der Gesetzgeber muss deshalb bei seinen Entscheidungen für unterschiedliche Regelungen zumindest irgendeinen sachlich vertretbaren, zureichenden Grund anführen können. Als Differenzierungsgrund kommt grundsätzlich jede vernünftige Erwägung in Betracht, wobei eine objektive Betrachtung geboten ist. Einen besonders weiten Spielraum hat der Gesetzgeber dann, wenn es um gewährende Staatstätigkeit geht (vgl. zum Vorstehenden die Darstellung von Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 2. Auflage 1992, Art. 3 Rdnrn 11 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes vermag die Kammer in Bezug auf die Anrechnung der Mütterrente auf die Grundsicherungsleistungen nicht zu erkennen. Im Hinblick auf die Ermittlung des Existenzminimums wird zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder nicht differenziert. Der Bedarf wird in beiden Fällen -bei Vorliegen identischer Sachverhalte - gleich ermittelt. Eine andere Behandlung der Empfängerinnen der Mütterrente ergibt sich erst durch die Anrechnung der Mütterrente bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens. Für die darin liegende Differenzierung gibt es aber nach Auffassung der Kammer sachliche Gründe. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zu dem Gesetz über die Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23. Juni 2014 (BGBl I 787), auf dem die Gewährung der Mütterrente beruht, ausdrücklich dargelegt, dass die durch eine Ausweitung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder entstehenden finanziellen Belastungen zu beachten sind. Sie erlaubten keine völlige Gleichstellung bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für alle Geburten unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt (BT-Drucksache 18/909, Seite 14). Deshalb werde die Leistung auch nicht wie die seinerzeitige Leistung für Kindererziehung ausgestaltet, sondern als Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten zu den bisherigen Entgeltpunkten. Obwohl daher grundsätzlich keine Neuberechnung der Renten erfolge, wirke die Erhöhung wie jede andere Rentenerhöhung auch, das heißt die - erhöhte - Rente ist als Einkommen bei Bezug anderer Sozialleistungen zu berücksichtigen (§ 299 SGB VI gilt nicht) und sie sei auch bei Hinterbliebenenrenten zu berücksichtigen (Bt-Drucksache 18/909, Seite 24). Ersichtlich hat der Gesetzgeber also die Frage der Anrechnung der Mütterrente auf Alg-II-Leistungen geprüft und entschieden, dass eine Anrechnung erfolgen soll. Zu dieser Entscheidung ist er unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums bei der gewährenden Staatsverwaltung verfassungsrechtlich befugt. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber willkürlich gehandelt hat. Ersichtlich hat er sich bei seiner Entscheidung davon leiten lassen, die finanziellen Auswirkungen der Mütterrente in Grenzen zu halten. Dazu ist er nach der Rechtsprechung des BVerfG im hier zu entscheidenden Zusammenhang befugt (vgl. BVerfGE75, 40/72 [BVerfG 08.04.1987 - 1 BvL 8/84]). Die Kammer hat keine Veranlassung gesehen, die Berufung zuzulassen, weil die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Rechtsfrage verfassungsrechtlich geklärt ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.