Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.04.2015, Az.: S 30 AS 77/15 ER

Gewährung von Leistungen wegen Hilfebedürftigkeit i.R.d. Berücksichtigung der Einschätzung des Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
14.04.2015
Aktenzeichen
S 30 AS 77/15 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 22620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2015:0414.S30AS77.15ER.0A

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 23. März 2015 bis zum 31. Mai 2015, längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache, ohne Anrechnung eines Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers zu zahlen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II. Er betreibt seit dem 13. September 2013 einen selbständigen landwirtschaftlichen Betrieb, aus dem er ein lediglich geringes Einkommen bezieht. Im Februar 2015 gab der Antragsteller auf Anforderung des Antragsgegners eine vorläufige Einschätzung seines Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb ab. Hierbei gab er an, dass er in den Monaten Februar bis Mai 2015 keinerlei Einkommen erwartet, hingegen in den Monaten Juni und Juli Einkommen von (geschätzt) jeweils 7.500 Euro. Da damit auf den Bewilligungszeitraum gerechnet Einnahmen von 15.000 Euro erwartet wurden, denen - ebenfalls nach Schätzung des Antragstellers - Ausgaben in Höhe von 7.939 Euro gegenüberstanden, war gerechnet auf diese 6 Monate ein Gewinn von 7.061 Euro zu erwarten. Diesen Betrag verteilte der Antragsgegner rechnerisch auf die Monate Januar bis Juni 2015 und kam zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller Einkommen zur Verfügung stand und er damit nicht mehr bedürftig war im Sinne des SGB II. Hiergegen wendet sich der Antragsteller. Er trägt vor, das Einkommen, welches der Antragsgegners anrechnet, werde ihm erst im Juli, frühestens im Juni zufließen. Bis zur diesjährigen Ernte sei er jedoch völlig mittellos, da vorher keine Einnahmen aus der Landwirtschaft zu erwarten seien. Er sei mittlerweile bereits mit seiner Miete im Rückstand und laufe Gefahr, seine Wohnung durch Kündigung zu verlieren. Des Weiteren fehle es ihm an Geld für eine Krankenversicherung. Durch die Entscheidung des Antragsgegners sei er in eine extreme Notlage geraten. Der Antragsgegner verweist darauf, dass der Antragsteller die Tätigkeit als Landwirt bereits ab Februar 2015 ausgeübt hat. Bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft sei von den Betriebseinnahmen auszugehen. Werde eine Erwerbstätigkeit nur während eines Teiles des Bewilligungszeitraumes ausgeübt, sei das Einkommen nur für diesen Zeitraum (Bewilligungszeitraum) zu berechnen, wie sich aus § 3 Absatz 1 Alg II-Verordnung ergebe. Für jeden Monat sei dabei der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Da der Antragsteller seine Tätigkeit als Landwirt im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ausgeübt habe, habe vorliegend eine Aufteilung der Betriebseinnahmen auf den gesamten Bewilligungszeitraum erfolgen dürfen.

II.

Der Antrag hat Erfolg. Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges. Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Antragsteller hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mindestens bis zum 31. Mai 2015 ohne Anrechnung von Einkommen aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb. Gemäß § 11 Absatz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11 a SGB II genannten Einnahmen. Ergänzt wird diese Vorschrift durch die Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V). Dort ist in § 3 die Berechnung des Einkommens u. a. aus Landwirtschaft geregelt. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Der Bewilligungszeitraum beträgt grundsätzlich 6 Monate und läuft im Falle des Antragstellers im Zeitraum von Februar bis Juli 2015. Rein rechnerisch ist die Verteilung des Einkommens auf die 6 Monate des Bewilligungszeitraumes durch den Antragsgegner daher zutreffend. Die Anwendung dieser Vorschrift führt jedoch im vorliegenden Fall dazu, dass dem Antragsteller, da ihm sein Einkommen erst im Juni/Juli 2015 zufließt, für die Monate Februar bis Mai gänzlich ohne Einkommen dasteht. Die Sicherung des Existenzminimums ist jedoch grundrechtlich unabdingbar geboten. Hierbei ist auch einzubeziehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Einkommen dann zu berücksichtigen ist, wenn es tatsächlich zufließt. Erst hierüber ist sichergestellt, dass die Mittel aktuell zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen. Dies ist im Fall des Antragstellers jedoch nicht gegeben, da das Einkommen, wovon beide Beteiligte ausgehen, ihm frühestens im Juni 2015 zur Verfügung steht. Eine grundrechtskonforme Auslegung der entsprechenden Vorschriften ergibt daher, dass die Einnahmen des Antragstellers aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb so zu verteilen sind, dass sein Existenzminimum jederzeit gesichert ist. Für derartige Fälle hat § 3 Absatz 5 Alg II-V geregelt, dass auch eine jährliche Berechnung des Einkommens erfolgen kann. Im Hinblick darauf, das Landwirte regelmäßig ausschließlich im Sommer (zumindest, wenn keine Viehwirtschaft betrieben wird) Einkommen erhalten, ist es im vorliegenden Fall im Wege einer verfassungskonformen Auslegung geboten, das Einkommen des Klägers im Juni und Juli auf das gesamte Jahr zu berechnen und zu verteilen. Hierfür spricht auch, dass der Kläger von dem zu erwartenden Gewinn voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt (mutmaßlich im Herbst) Ausgaben für die Beschaffung von Saatgut tätigen muss. Da sich die Bewirtschaftung der Landwirtschaft des Antragstellers an der einmaligen jährlichen Einnahme orientiert, es jedoch gleichzeitig notwendig ist, die Landwirtschaft ganzjährig zu betreiben, um dieses jährliche Einkommen zu erwirtschaften, ist im vorliegenden Fall eine jährliche Betrachtung nach § 3 Absatz 5 Alg II-V unumgänglich. Die Kammer geht davon aus, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift erlassen hat, um in Fällen wie dem vorliegenden eine ganzjährige Deckung des Existenzminimums zu gewährleisten. Im Hinblick darauf, dass derzeit noch nicht sicher ist, wie hoch das Einkommen des Antragstellers in den Monaten Juni und Juli sein wird und darauf, dass die Kammer keine Kenntnis darüber hat, welche Betriebsausgaben (insbesondere Beschaffung von Saatgut) dem Antragsteller danach bevorstehen, kann eine genaue Berechnung des Anspruchs des Antragstellers für den Monat Juni 2015 nicht erfolgen. Im vorliegenden Verfahren wäre dies auch nicht sinnvoll, da es in erster Linie um die Sicherung des Existenzminimums des Antragstellers geht. Da dieser eindeutig bis Mai 2015 kein Einkommen haben wird, waren ihm jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Da im Eilverfahren Leistungen erst ab Antragstellung zugesprochen werden können, wurden diese von der Kammer ab 23. März 2015 (Eingang des Eilantrages bei Gericht) zugesprochen. Die dem Antragsteller zustehenden Leistungen für die Zeit ab 01. Februar 2015 sind Gegenstand des Klageverfahrens. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.