Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 26.05.2015, Az.: S 37 AS 994/12

Minderung der Leistungen des Leistungsempfängers zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sanktion bei Weigerung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
26.05.2015
Aktenzeichen
S 37 AS 994/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 22641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2015:0526.S37AS994.12.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Sanktion.

Der im Jahr 1961 geborene Kläger bezieht seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Mit dem Bescheid vom 25.04.2012 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 01.05. 2012 - 31.10.2012 Leistungen in Höhe von 535,06 EUR/M.

Am 28.02.2012 unterbreitete der Beklagte dem Kläger einen schriftlichen Vermittlungsvorschlag mit Rechtsfolgenbelehrung für eine Tätigkeit als Call-Center-Agent bei der Fa. G. und forderte ihn auf, sich umgehend per E-Mail oder schriftlich zu bewerben oder einen Vorstellungstermin zu vereinbaren und Lebenslauf und Zeugnisse beizufügen bzw. mitzubringen. Das entsprechende Bewerbungsschreiben des Klägers hatte folgenden Wortlaut:

Werte/r Frau/Herr H. mit der für die Hartz-Behörde üblichen Androhung finanzieller Sanktionierung werde ich mit beigefügtem Vermittlungsvorschlag vom 28.02.2012 (postalisch bei mir eingegangen am 02.03.2012) ex officio aufgefordert, mich in Ihrem Hause als Call-Center-Agent/in zu bewerben. Aus diesem Grund überlasse ich Ihnen heute meine aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen mit der Bitte um wohlwollende Prüfung. Bedauerlicherweise sind "Telefongeschäfte" absolut nicht mein Ding, und Ihr meinerseits vorausgesetztes Interesse an Kommunikations- und Mobilfunkthemen ist eher peripher einzuordnen. In hoffnungsfroher Erwartung eines in Kürze stattfindenden Vorstellungsgespräch zur Klärung vielleicht offener Fragen verbleibe ich für heute mit vorzüglicher Hochachtung (Name/Unterschrift des Klägers) Initiative gegen Hartz-IV und Sozialabbau

Außerdem markierte er die in der Stellenbeschreibung der Fa. I. enthaltenen Rechtschreibfehler und forderte die Firma dazu auf, die Rechtsschreibung zu überprüfen. Die im Bewerberanforderungsprofil der Fa. G. genannten "Sehr gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift" wurden vom Kläger mit der Bemerkung "selber!" kommentiert (Bl. 519 Rückseite der Akte der Beklagten (= VA)). Im Schreiben vom 06.03.2012 reagierte die Fa. G. äußerst verärgert auf die Bewerbung und teilte dem Kläger u. a. mit, dass er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde. Hinsichtlich des genauen Wortlauts wird auf Bl. 521 VA Bezug genommen. Auch dem Beklagten teilte die Fa. G. mit, dass sich der Kläger zwar schriftlich beworben habe, eine Einstellung jedoch nicht in Betracht kommen würde. Es wurde eine Kopie des Bewerbungsschreibens des Klägers vom 03.03.2012 nebst Anlagen sowie die Absage vom 06.03.2012 übersandt.

Nach Durchführung einer Anhörung verfügte der Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2012, dass das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.06.2012 - 31.08. 2012 um 30 % des maßgebenden Regelbedarfes (= 112,20 EUR) monatlich abgesenkt werde (Bl. 531 VA). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses bei der Fa. G. durch sein Bewerbungsverhalten verhindert habe. Die Bewilligungsentscheidung vom 25.04.2012 wurde mit Änderungsbescheid vom 02.05.2012 entsprechend geändert (Bl. Bl. 533 VA). Der hiergegen am 14.05. 2012 erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2012 zurückgewiesen.

Ebenfalls am 14.05.2012 hatte der Kläger beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg beantragt, die aufschiebende Wirkung des gegen die Sanktionsentscheidung eingelegten Widerspruchs im Wege der einstweiligen Anordnung anzuordnen. Der Antrag war mit dem Beschluss des SG Lüneburg vom 11.06.2012 abgewiesen worden (S 46 AS 200/12 ER).

Am 05.07.2012 hat der Kläger gegen die Bescheide vom 02.05.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 15.06.2012 beim SG Lüneburg Klage erhoben (S 37 AS 994/12) und zur Begründung auf sein Antwortschreiben im Rahmen der Anhörung vom 18.03.2012 verwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass trotz seines Desinteresses an Kommunikations- und Mobilfunkthemen ein außerordentliches Interesse an einem Vorstellungsgespräch vorgelegen habe, um mögliche anderweitige Beschäftigungsoptionen erörtern zu können. Im Übrigen seien die Sanktionsregelungen verfassungswidrig.

Der Beklagte hält die angefochtene Sanktion demgegenüber für rechtmäßig. Die Anbahnung des Beschäftigungsverhältnisses habe der Kläger mit seinem Bewerbungsverhalten vereitelt. Er habe in seinem Bewerbungsschreiben vom 03.03.2012 deutlich gemacht, dass er sich aufgrund einer Aufforderung des Beklagtes und nur unter Androhung von Sanktionen bewerbe, er habe nahezu ausdrücklich mitgeteilt, dass er kein Interesse an der angebotenen Stelle habe. Dieses Verhalten und die Markierung von Rechtschreibfehlern in der der Bewerbung beigefügten Stellenbeschreibung zielten eindeutig darauf ab, die Bewerbung zu vereiteln.

Im der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass er vor dem Hintergrund, dass die Fa. J. im Anforderungsprofil sehr gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift verlangt habe, deren rechtschreibfehlerbehaftete Stellenbeschreibung als - versteckten - Test angesehen habe, um seine Rechtschreibkenntnisse unter Beweis zu stellen. Auf Nachfrage des Gerichts hat er außerdem ausgeführt, dass er vor der streitgegenständlichen Bewerbung in Trägerschaft des Jobcenters bereits vier Bewerbungstrainingsmaßnahmen durchgeführt habe.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 02.05.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 15.06.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Akte des Beklagten und die Akten des SG Lüneburg (S 37 AS 994/12, S 46 AS 200/12 ER) zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig, da der Beklagte streitgegenständliche Sanktion zu Recht erlassen hat.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 31 a Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II um 30 % des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindert. Das gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegen und nachweisen kann. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung der Vorschrift bestehen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 nicht (BvL 1/09, 3/09 und 4/09). Es hat darin insbesondere ausgeführt, dass nicht festgestellt werden kann, dass die gesetzlich festgelegten Regelsätze evident unzureichend sind und der Gesetzgeber nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet ist, höhere Leistungen festzusetzen (Rz. 151, 152 und 211). Auch aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvL 1691/13) ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

Der Beklagte hat dem Kläger am 28.02.2012 eine Tätigkeit bei der Fa. G. schriftlich mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung angeboten. Der schriftliche Vermittlungsvorschlag wies die Art der Tätigkeit in Vollzeit aus (Bl. 516 VA). Die Anlage enthielt eine Stellenbeschreibung und Hinweise auf die Anforderungen. Diese dem Kläger angebotene Beschäftigung als Call-Center-Agent war ihm aufgrund der langen Arbeitslosigkeit auch zumutbar.

Die Kammer geht weiterhin davon aus, dass das Bewerbungsschreiben des Klägers aufgrund seines spezifischen Inhalts einer Verhinderung der Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses gleichzusetzen ist. Das Bundessozialgericht (= BSG) hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass ein Bewerbungsschreiben einer Nichtbewerbung gleichzusetzen ist (und damit sperrzeitauslösend sein kann), wenn es für den Bewerber erkennbar geeignet ist, dass ihn ein verständiger Arbeitgeber schon wegen des Inhalts und der Form des Bewerbungsschreibens aus dem Bewerbungsverfahren ausscheidet (BSG, Urt. v. 05.09.2006 - B 7a AL 14/05 R). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Zwar ist der Arbeitslose im Hinblick auf das Informationsrecht des Arbeitgebers nicht verpflichtet, ausschließlich positive Gesichtspunkte zu erwähnen. Andererseits soll der Arbeitnehmer mit der Bewerbung sein Interesse an der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Er ist daher in diesem Stadium gehalten, alle Bestrebungen zu unterlassen, die dieser Intention (d. h. die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses) nach außen hin erkennbar entgegen laufen und den Arbeitgeber veranlassen, ihn schon vor einer persönlichen Vorstellung aus dem Bewerberkreis auszuscheiden (BSG a. a. O.). Vorliegend hat der Kläger seine Obliegenheit durch die Gestaltung und die Wortwahl des Bewerbungsschreibens verletzt, da ein Adressat allein aufgrund des objektiven Inhalts und der Form davon ausgehen musste, dass er an der Aufnahme der angebotenen Beschäftigung nicht interessiert war. Bereits mit der Anrede "Werte/r Frau/Herr H." hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er den Vermittlungsvorschlag nur oberflächlich zur Kenntnis genommen hat, da ihm als Ansprechpartner Herr H. benannt worden war. Darüber hinaus erwecken die Formulierung "mit der für die Hartz-Behörde üblichen Androhung finanzieller Sanktionierung werde ich mit beigefügtem Vermittlungsvorschlag vom 28.02.2012 ex officio aufgefordert, mich in Ihrem Hause als Call-Center-Agent/in zu bewerben" und der Hinweis, dass bedauerlicherweise "Telefongeschäfte" absolut nicht sein Ding seien und sein Interesse an Kommunikations- und Mobilfunkthemen eher peripher einzuordnen sei, in der Zusammenschau bei einem verständigen Arbeitgeber den Eindruck, dass an der angebotenen Tätigkeit kein Interesse besteht und die Bewerbung nur widerwillig erfolgte. Dies wird noch durch den Zusatz in der Unterschriftenzeile "Initiative gegen Hartz-IV und Sozialabbau", unterstrichen. Das Bewerbungsschreiben musste daher allein schon wegen seines objektiven Inhalts vom Arbeitgeber als offensichtlich unernst gemeint behandelt werden. Schließlich konnte in dem o. g. Kontext die vom Kläger vorgenommene Korrektur der Stellenbeschreibung mit dem Hinweis "Rechtschreibung überprüfen!" bzw. die weiteren Bemerkungen objektiv nur als Verhöhnung aufgefasst werden. Dass dies so geschehen ist, ergibt sich aus dem Antwortschreiben den Arbeitgebers vom 06.03.2012 (Bl. 521 VA).

Die Kammer geht außerdem davon aus, dass der Kläger auch in subjektiver Hinsicht, nach seinem individuellen Vermögen, seinem Bildungsstand, seiner Berufserfahrung und seien intellektuellen Fähigkeiten in der Lage war, mögliche negative Konsequenzen seiner Bewerbung zu erkennen, zumal er vier Semester Sozialwissenschaften studiert hat, von 1987 - 1996 leitende Positionen im Bäderbetrieb inne hatte und vor der streitgegenständlichen Bewerbung schon mehrere Bewerbungstrainingsmaßnahmen absolviert hatte. Selbst wenn er in Erwägung gezogen haben sollte, dass die in der Stellenbeschreibung der Fa. K. enthaltenen Rechtsschreibfehler einen versteckten Test enthalten, mit dem Bewerber ihre Rechtschreibkenntnisse unter Beweis stellen sollten, kann dies zu keiner für ihn günstigeren Beurteilung führen. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrücke besitzt der Kläger vielmehr ein hinreichendes Reflektionsvermögen um zu erkennen, dass aufgrund der Art und Weise seiner Bewerbung - einschließlich der Aufforderung, die Rechtschreibung zu überprüfen - ein enormes Risiko bestand, den Adressaten zu verärgern.

Der Kläger ist über die Rechtsfolgen der Verletzung der Pflichten im Schreiben vom 28.02. 2012 ausreichend belehrt worden.

Die Absenkung trifft mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt (§ 31 b Abs. 1 SGB II), so dass die Absenkung um 30 % für die Monate Juni bis August 2012 nicht zu beanstanden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 144 Abs. 2 SGG).

Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden. Die Nichtzulassung der Berufung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBl. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass - die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, - ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Lüneburg, Adolph-Kolping-Straße 16, 21337 Lüneburg, schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der obengenannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.