Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 17.08.2015, Az.: S 1 R 529/11

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
17.08.2015
Aktenzeichen
S 1 R 529/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 26605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2015:0817.S1R529.11.0A

Tenor:

  1. 1.)

    Der Bescheid der Beklagten vom 07.04.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 werden aufgehoben.

  2. 2.)

    Es wird festgestellt, dass zwischen der Klägerin und der Beigeladenen kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht.

  3. 3.)

    Die Beklagte hat der Klägerin in der Beigeladenen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach §§ 7a ff. Viertes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB IV), darüber ob zwischen der Klägerin und der beigeladenen Zahnärztin ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht.

Die im Jahr 1967 geborene Klägerin hat vom 01.09.1984 - 31.08.1987 eine Ausbildung zur stomatologischen Schwester absolviert und arbeitete im Anschluss daran bis zum 09.02.1990 in diesem Beruf. Vom 01.03.1990 - 29.02.2008 war sie als Zahnarzthelferin beschäftigt. Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Dentalhygienikerin. Seit dem 01.03.2008 arbeitet sie für diverse Auftraggeber als freiberufliche Dentalhygienikerin. Seit dem 25.01.2010 ist sie in dieser Funktion auch für die Beigeladene tätig. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestehen keine schriftlichen Vereinbarungen.

Am 15.09.2010 beantragte der Steuerberater der Klägerin bei der Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen bei der Beklagten die Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Es wurde angegeben, dass das Arbeitseinkommen aus der Tätigkeit für die Beigeladene 50 % des Gesamteinkommens der Klägerin beträgt (Bl. 3 der Akte der Beklagten (= VA)). Unter dem 06.09.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie im Rahmen der Vertragsbeziehung zur Beigeladenen ästhetische und prophylaktische Vorsorgeleistungen an Patienten sowie bedarfsorientierte Schulungen von Praxismitarbeitern und Patienten erbringen würde. Die Terminierung würde entsprechend ihrer Verfügbarkeit erfolgen. Es gebe keine Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Auftragserfüllung und keine regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeiten. Sie würde ihre Arbeitszeit selbst bestimmen. Die Tätigkeit werde in den Räumlichkeiten der Beigeladenen erbracht. Sie sei nicht in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen eingebunden. Sie selbst würde einen Mitarbeiter beschäftigen, Werbung betreiben, ihre Preise selbst gestalten und eigene Fortbildungsveranstaltungen durchführen. Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung sowie eine private Renten-, Kranken- und Unfallversicherung abgeschlossen. Bezogen auf die Tätigkeit bei der Beigeladenen würden keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsanspruch und keine Umsatz- oder Beschäftigungsgarantie bestehen.

Im Schreiben vom 27.01.2011 teilte die Beigeladene der Beklagten mit, dass sie mit der Klägerin keinen schriftlichen Vertrag abgeschlossen habe. Die Klägerin würde hauptsächlich Parodontitisbehandlungen und die damit verbundene Vorbehandlungs- und Recallsitzungen durchführen. Die für die Behandlung notwendige Diagnostik und Therapieplanung werde von der Klägerin vorgenommen. Die Klägerin würde auch die in der Zahnarztpraxis angestellten Prophylaxehelferinnen bei Fragen, die im Rahmen der Prophylaxebehandlung auftreten würden, informieren und instruieren. In der Zahnarztpraxis seien 5 festangestellte Helferinnen mit einer Wochenarbeitszeit von ca. 20 Stunden und eine Auszubildende beschäftigt. Zwei der Helferinnen hätten eine Zusatzausbildung für Prophylaxe. Bei der Erhebung des zahnärztlichen Befundes würde sie festlegen, ob der Patient für eine Behandlung durch die Klägerin in Frage kommen würde. Ggf. würde an diesen ein Termin für einen Zeitpunkt vergeben, für den die Klägerin ihre Anwesenheit angekündigt habe. Die Termine würden sodann in das Bestellbuch der Praxis eingetragen, in dem eine gesonderte Spalte für Prophylaxebehandlungen vorgesehen sei. Die Klägerin würde ihr etwa 6 Monate im Voraus mitteilen, wann sie bei ihr in der Praxis arbeiten könne. Die anderen Prophylaxebehandlungen würden von den Prophylaxehelferinnen abgedeckt. Wenn die Klägerin krank sei oder Urlaub habe, würden für sie keine Patienten einbestellt. Die Klägerin habe auch keine Verpflichtung zur Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen. Die Praxis würde schon seit Jahren über ein umfangreiches Sortiment von Ultraschall und Handinstrumenten verfügen. Sämtliche Anschaffungen würden von ihr getätigt. Die Klägerin sei nicht daran beteiligt. Die Klägerin würde auch kein Nutzungsentgelt an die Praxis bezahlen. Die Klägerin würde ihr am Ende des Monats eine Rechnung über die geleisteten Stunden stellen, nur mit ihr abrechnen und kein Geld direkt von den Patienten erhalten. Falls die Patienten ihre Rechnungen nicht bezahlen, würde sie, die Beigeladene, das Geld einfordern und ggf. ein Mahnverfahren einleiten. Alle Leistungen, die in ihrer Praxis erbracht werden, würden gegenüber den Patienten ausschließlich von ihr selbst abgerechnet

Mit dem Bescheid vom 07.04.2011 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin fest, dass ihre Tätigkeit für die Beigeladene eine abhängige Beschäftigung ist (Bl. 174 VA). Außerdem wurde festgestellt, dass ab dem 25.01.2010 bis laufend Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehen würde. In der gesetzlichen Krankenversicherung würde keine Versicherungspflicht bestehen. Der Bescheid enthält weiterhin folgende Ausführungen:

Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis: - Sie führen kein eigenes Terminbuch und der Auftraggeber vergibt die Ersttermine. - Der Auftraggeber stellt sämtliche Arbeitsmittel und -geräte unentgeltlich zur Verfügung. - Sie beteiligen sich nicht anteilig an den Kosten der zur Verfügung gestellten Räume. - Ein unternehmerisches Risiko durch den Einsatz eigener Betriebsmittel liegt nicht vor. - Sie haben die Leistung in eigener Person zu erbringen. - Das Forderungsmanagement erfolgt durch Mitarbeiter des Auftraggebers. - Sie rechnen die erbrachten Stunden direkt mit dem Auftraggeber ab. - Die Rechnungslegung für GKV und PKV oder für die Patienten selbst erfolgt durch den Auftraggeber.

Merkmale für eine selbständige Tätigkeit: - Die Festlegung der Arbeitszeiten in der Praxis erfolgt einvernehmlich zwischen ihnen und dem Auftraggeber. - Sie haben keine Verpflichtung Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen zu übernehmen. - Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen. - Sie haben keine einheitliche Arbeitskleidung zu tragen. - Sie ist für eine Vielzahl von Auftraggebern tätig.

Rechtliche Würdigung: Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwiegen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Das Fehlen von vertraglichen Regelungen über Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall schließt das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nicht aus. Die Aufnahme entsprechender Regelungen gehört nicht zu den Voraussetzungen für die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Es ist vielmehr so, dass beim Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses Urlaubsfortzahlungsansprüche und Lohnfortzahlungsansprüche gesetzlich entstehen.

Dass die Tätigkeit in hohem Maße durch eigene Verantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit gekennzeichnet ist, schließt das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nicht aus. Auch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis kann durch Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit gekennzeichnet sein. Der Auftraggeber setzt dann nur noch den äußeren Rahmen, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird.

Allein die Möglichkeit, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, ist kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit, wenn die Tätigkeit immer vom Auftragnehmer selbst ausgeführt wird, da tatsächlich kein unternehmerisches Handeln vorliegt.

Dass sie für mehrere Auftraggeber tätig sind, schließt das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht zwangsläufig aus. Auch abhängig Beschäftigte können mehrere Beschäftigungsverhältnisse gleichzeitig eingehen. Es ist vielmehr für jedes Vertragsverhältnis im Einzelnen festzustellen, ob die Tätigkeit Merkmal eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses oder einer selbstständigen Tätigkeit überwiegen.

Angesichts der Zahlung fester Bezüge tragen Sie kein eines die selbstständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko, dass nur dann gegeben ist, wenn der Einsatz von Kapital oder der eigenen Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes verbunden ist.

Dass in ihrem Honorar die Nutzung der Räumlichkeiten sowie der benötigten Instrumente berücksichtigt wurde und sie andernfalls einen höheren Honorarsatz erhalten würden, wurde von Ihnen nicht nachgewiesen.

Die von Ihnen angeführten Gründe sind bei der Entscheidung zum Status berücksichtigt worden. Sie führen jedoch nicht zu einer anderen Entscheidung, weil die Indizien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung überwiegen.

Mit einem weiteren Bescheid vom 07.04.2011, der zwar keine gleichlautende, jedoch entsprechende Ausführungen enthält, stellte die Beklagte auch gegenüber der Beigeladenen fest, dass zwischen dieser und der Klägerin ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht. Außerdem wurde auch gegenüber der Beigeladenen festgestellt, dass ab dem 25.01.2010 bis laufend Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehen würde. In der gesetzlichen Krankenversicherung würde keine Versicherungspflicht bestehen.

Gegen die ihnen zugesandten Bescheide legten die Klägerin und die Beigeladene jeweils Widerspruch ein. Die Widersprüche wurden mit den Widerspruchsbescheiden vom 14.09.2011 zurückgewiesen.

Die Beigeladene legte hiergegen kein Rechtsmittel ein.

Demgegenüber hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen den ihr zugestellten Widerspruchsbescheid am 23.09.2011 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin nicht in die Praxisorganisation der Beigeladenen integriert sei. Im Übrigen würde die Festlegung der Arbeitszeiten und der Arbeitstage nach den persönlichen Vorgaben und Wünschen der Klägerin erfolgen. Sie würde nicht weisungsgebunden arbeiten und eigenständig die Gestaltung der ihrer Tätigkeit sowie den Umfang ihrer Urlaubstage bzw. der freien Tage bestimmen. Sie könne sich auch der Mithilfe Dritter bedienen. Die Klägerin könne Aufträge auch ablehnen. Sie würde auch ein wirtschaftliches Risiko tragen, da sie bei einem Terminausfall keinen Ersatz erhalten würde. Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen, würde am Markt als Unternehmerin auftreten, eigene Werbung betreiben und sich in großem Umfang um Aufträge bemühen. Außerdem würde sie in Kurse für die ZMP-Ausbildung anbieten.

Mit dem Beschluss vom 01.02.2012 hat das SG Lüneburg die Zahnärztin L., zu dem Rechtsstreit beigeladen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, dass sie eine eigene Firma mit dem Namen "Dentalhygienikerin F." und hierfür auch Werbung, insbesondere eine eigene Website, betreiben würde. Sie sei auch in großem Umfang für andere Zahnarztpraxen tätig. Seit dem Jahr 2010 habe sie einen Mitarbeiter für die Bürotätigkeit auf Geringfügigkeitsbasis eingestellt. Dieser würde auch die Praxismaterialien einkaufen, nicht jedoch als Dentalhygieniker arbeiten. Seit dem Jahr 2011 würde sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit auch Geräte benutzen, die sie sich selbst angeschafft haben, wie bspw. ein Luft-, Wasserstrahl- und ein Prothesenreinigungsgerät. Sie habe dementsprechend ihr Honorar auch um eine Gerätepauschale erhöht. Für die Betriebsmittel würde sie mindestens ca. 10.000,00 EUR pro Jahr investieren. Hinzukommen würde ihr Firmenwagen. Sie habe zwar keinen Privatwagen. 90 % der Fahrten seien bei ihr jedoch betrieblich veranlasst. So werde es auch gegenüber dem Finanzamt erklärt. Sie würde Einkommensteuer zahlen und sei zur Entrichtung von Vorauszahlungen verpflichtet. Private Fahrten würde sie außerdem auch mit ihrem Motorrad durchführen. Im Übrigen würde sie nur besonders schwierige Fälle therapieren. Dies sei auch der wesentliche Unterschied zu der abhängigen Beschäftigung, die sie bis zum 28.02.2008 ausgeübt habe bzw. zu der Tätigkeit der Prophylaxehelferinnen. Im Übrigen sei den Patienten der Praxis bekannt, dass sie selbstständig tätig sei. Normalerweise werde nur der erste Termin von der Praxis der Beigeladenen vereinbart. Die Folgetermine würde sie mit den Patienten in der Regel selbst vereinbaren. Sie könne nach wie vor nicht nachvollziehen, warum sie abhängig beschäftigt sein soll. Sofern darauf abgestellt würde, dass die Beigeladene über die von ihr erbrachten Leistungen mit den Patienten selbst abrechnen würde, sei dies nichts Unübliches. Auch die Dentallabore würden den Zahnärzten ihre Leistungen in Rechnung stellen, die dann von den Zahnärzten gegenüber den Patienten komplett abgerechnet würden. Auch dort würde niemand auf die Idee kommen, dass es sich bei dem Dentallabor um "Angestellte" der Zahnarztpraxis handelt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 07.04.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass zwischen der Klägerin und der Beigeladenen kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht.

Die Beigeladene beantragt,

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 07.04.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass zwischen der Klägerin und ihr kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Ihr steht insbesondere nicht die Bestandskraft des gegenüber der Beigeladenen ergangenen Bescheides vom 07.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2011 entgegen. Zwar wird gem. § 77 Sozialgerichtsgesetz (= SGG) - soweit durch das Gesetz nichts anderes bestimmt ist - ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegen diesen gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Da über den Gegenstand der Regelung - nämlich die Feststellung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladenen - nur einheitlich entschieden werden kann und weder die Beigeladene noch die Klägerin gegen diesen - der Beigeladenen zugestellten - Widerspruchsbescheid Klage erhoben haben, sind diese Voraussetzungen - scheinbar - erfüllt.

Allerdings führt gerade die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung - was im Klageverfahren beim Anfechtungsstreit des einen Beteiligten zwingend die notwendige Beiladung des oder der anderen Beteiligten zur Folge hat - hier zu einem abweichenden Ergebnis und zu einem Nichteintritt der Bestandskraft. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann nämlich ein fehlerhafter Verwaltungsakt, der für einen oder mehreren Beteiligten gegenüber infolge des Ablaufs der für diese laufenden Anfechtungsfristen (scheinbar) unanfechtbar und damit bindend geworden ist, von einem Beteiligten aber noch angefochten werden kann und rechtzeitig angefochten wird, mit Wirkung für alle Beteiligten aufgehoben werden (vgl. Bundessozialgericht (= BSG), Urt. v. 25.05.1966 - 3 RK 37/62, m. w. N.). Dies muss nach Auffassung der Kammer auch dann gelten, wenn die Behörde - aus welchen Gründen auch immer - gegenüber den Beteiligten getrennte Bescheide erlassen hat, da es auch insoweit nur eine einheitliche Entscheidung geben kann (vgl. zu dieser Problematik: Berchtold, Verfahrensrechtliche Probleme des § 7 a SGB IV, NZS 2014, 885 ff., 889, m. w. N.). Darauf, dass sich hieraus - ungeachtet der Rechte der Beteiligten auch nach einem bestands- bzw. rechtkräftigen Abschluss eines Verfahrens einen Überprüfungsantrag gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB X) zu stellen - ein u. U. jahrelang hinziehender Schwebezustand ergeben kann, hat das BSG bereits vor nunmehr fast 50 Jahren hingewiesen, ohne dass der Gesetzgeber hierauf mit einer überzeugenden Lösung reagiert hätte (BSG, Urt. v. 25.05.1966 - 3 RK 37/62; Berchtold, a. a. O.). Die Beklagte könnte diesem Schwebezustand allerdings auch dadurch entgegenwirken, dass sie die erforderlichen Feststellungen in einem einheitlichen Bescheid trifft. Dann könnte jeder Beteiligte erkennen, wer an dem Verfahren beteiligt ist. Demgegenüber ist die von der Beklagten praktizierte Verfahrensweise, unterschiedliche Bescheide gegenüber den Beteiligten zu erlassen, nicht geeignet, die Verfahren zu konzentrieren und für mehr Transparenz zu sorgen.

Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte zu Unrecht festgestellt hat, dass zwischen der Klägerin und der Beigeladenen ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht. Die angefochtene Entscheidung ist daher rechtswidrig und war dementsprechend aufzuheben.

Gem. § 7 a Abs. 1 S. 1 SGB IV können die Beteiligten bei der Deutschen Rentenversicherung (= DRV) Bund schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Da im vorliegenden Fall weder die Einzugsstelle noch ein anderer Versicherungsträger ein derartiges Verfahren eingeleitet hatten, war die Beklagte für die eine entsprechende Entscheidung zuständig.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Gem. § 7 a Abs. 2 SGB IV entscheidet die DRV Bund aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, ob eine Beschäftigung vorliegt (auch ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteile v. 22 06.2005 - B 12 KR 28/03 R, Rz. 20; 28.05.2008 - B 12 KR 13/07 R, Rz. 15; 29.08.2012 - B 12 KR 25/10, Rz. 15 jeweils m.w. N.).Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus der Vertragsgestaltung der Beteiligten, so wie sie im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen ist (BSG, Urt. v. 28.05.2008 - B 12 KR 13/07 R, Rz. 17 m. w. N.; BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 25/10. m. w. N.). Ausgangspunkt der Prüfung ist daher nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Vertragsverhältnis der Beteiligten wie es sich aus den von ihnen geschlossenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich daraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, wenn sie von den Vereinbarungen abweicht. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung danach so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Rechtssinne gehört unabhängig von ihrer Ausübung, auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urt. v. 29.08.2012 - B 12 KR 25/10; BSG, Urt. v. 28.08.2008 - B 12 KR 13/07 R, Rz. 17; BSG, Urt. v. 24.01.2007 - B 12 KR 31/08 R, Rz. 17).

Bei Anwendung dieser Grundsätze bestand und besteht zwischen der Klägerin und der Beigeladenen kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Zwar wurden keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen. Aus deren im Laufe des Verfahrens gemachten, übereinstimmenden und glaubhaften Angaben ergibt sich jedoch, dass die wesentlichen Kriterien für die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses hier nicht erfüllt sind. Zum einen besteht kein umfassendes Weisungsrecht der Beigeladenen hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung, da die Klägerin sowohl die Inhalte als auch die Zeiten, zu denen sie tätig sein will, frei bestimmen kann. So werden die Termine für die Therapiesitzungen nicht vorgegeben, sondern vielmehr in Abstimmung mit der zahnärztlichen Praxis in einer freien und einvernehmlichen Übereinkunft festlegt. Außerdem ist die Klägerin auch berechtigt, Aufträge der Beigeladenen im Einzelfall abzulehnen. Eine Verpflichtung zur Übernahme von Krankheits- und Urlaubsvertretungen existiert ebenfalls nicht. Derartige Freiheiten sind Arbeitnehmern i. d. R. nicht gestattet. Darüber hinaus ist die Klägerin auch nicht verpflichtet, an Schulungen o. ä. der Beigeladenen teilzunehmen. Vielmehr war es sogar so, dass die Klägerin die bei der Beigeladenen beschäftigten Prophylaxehelferinnen informierte und instruierte. Dass die Klägerin die Therapien in der Zahnarztpraxis zu erbringen hat, ist kein Kriterium der Weisungsgebundenheit. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass eine Dentalhygienikerin, die im Rahmen eines Honorarvertrags für eine Zahnarztpraxis tätig wird, auch auf deren die Räume und ggf. Geräte zurückgreifen kann.

Zwar ist die Klägerin insoweit in den Betrieb der Beigeladenen eingegliedert, als dass Sie die Prophylaxehelferinnen instruiert und die Abrechnungen gegenüber den Patienten allein durch die Beigeladene vorgenommen wird. Hieraus ergibt sich jedoch keine persönliche Abhängigkeit der Klägerin von der Beigeladenen (vgl. auch BSG, Urt. v. 14.09.1989 - 12 RK 64/87 = SozR 2200 § 165 Nr. 96). Vielmehr haben die Beigeladene und die Klägerin schlüssig dargestellt, dass diese Vorgehensweise bei allen Dienstleistungen, die die Beigeladene gegenüber den Patienten erbringt, praktiziert wird. So stellen bspw. auch die Dentallabore der Beigeladenen ihre Leistungen in Rechnung, die dann von ihr gegenüber den Patienten komplett abgerechnet wird. Auch dort würde niemand auf die Idee kommen, dass es sich bei dem Dentallabor bzw. den dort Tätigen um "Angestellte" der Zahnarztpraxis handelt auch die Praxis der Terminvergabe spricht für eine selbständige Tätigkeit, da nur der erste Termin, d. h. die Kontaktanbahnung, von der Praxis der Beigeladenen organisiert wird. Die Folgetermine werden demgegenüber von der Klägerin mit den Patienten in der Regel selbst vereinbart.

Darüber hinaus ist bei der Frage, ob eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, zu beachten, dass die Klägerin nicht nur für die Beigeladene, sondern in großem Umfang auch für andere Praxen als Dentalhygienikerin tätig ist. In der mündlichen Verhandlung hat Klägerin schlüssig dargelegt, dass es sich bei diesem Beruf um eine hochqualifizierte Tätigkeit handelt, wobei in der Bundesrepublik Deutschland bislang nur wenige Absolventen dieser Ausbildung existieren und dementsprechend die Nachfrage auf dem Markt auch entsprechend groß ist. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin ihre eigene Firma mit dem Namen "Dentalhygienikerin F." gegründet, wofür sie auch Werbung und insbesondere eine eigene Website betreibt. Seit dem Jahr 2010 beschäftigt die Klägerin auch einen Mitarbeiter für die Bürotätigkeit und den Einkauf auf Geringfügigkeitsbasis eingestellt. Daran, dass die Klägerin ein eigenes Unternehmen betreibt, können daher nicht die geringsten Zweifel bestehen. Da nach § 7 Abs. 2 SGB IV bzw. nach der Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, das Gesamtbild maßgeblich ist, kann nach Auffassung der Kammer nicht nur auf die jeweils streitbefangene Tätigkeit abgestellt werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen in welchem Rahmen der Betreffende als Auftragnehmer agiert und welches Geschäftsmodell er seinen Aktivitäten zugrunde legt und wie er dieses am Markt präsentiert. Wenn man demgegenüber nur auf die konkrete Tätigkeit bei einem Auftraggeber nicht aber auf den rechtlichen und geschäftlichen Rahmen, innerhalb dessen die Tätigkeit ausgeführt wird, abstellen würde, würden gerade nicht alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Würde man dieser Argumentation folgen, könnte letztendlich auch jeder selbständiger Handwerksmeister mit eigener Firma als Arbeitnehmer seiner - jeweiligen - Kunden eingeordnet werden. Der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 24.09.2014 - L 1 KR 351/12 kann sich daher die Kammer insoweit nicht anschließen. Die Kammer geht im vorliegenden Fall vielmehr davon aus, dass der äußere Rahmen, in dem die Klägerin ihre weitgehend eigenverantwortliche Tätigkeit wahrnimmt, nicht - wie die Beklagte meint - durch die Beigeladene, sondern durch das Geschäftsmodell bzw. das Unternehmen, mit welchem sich die Klägerin am Markt präsentiert, vorgegeben wird.

Im diesem Zusammenhang ist im vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch ein erhebliches unternehmerisches Risiko trägt. Nach ihren glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung hat sie in beachtlichem Umfang in Betriebsmittel investiert, die sie auch im Rahmen der für die Beigeladene ausgeübten Tätigkeit benutzt, wie etwa ein Luft-, Wasserstrahl- und ein Prothesenreinigungsgerät. Die Investitionen für die Betriebsmittel betragen dabei mindestens ca. 10.000,00 EUR pro Jahr. Hinzu kommt der Firmenwagen, den die Klägerin zu 90 % der Fahrten betrieblich nutzt und der entsprechend steuerlich abgeschrieben wird. Weiterhin spricht für eine unternehmerische Tätigkeit, dass die Klägerin kein festes Gehalt erhält, sondern nur nach Rechnungstellung der tatsächlich geleisteten Stunden vergütet wird. Dabei trägt die Klägerin das Risiko des Honorarausfalls, wenn eine Therapieeinheit - aus welchen Gründen auch immer - ausfällt. Davon, dass die Klägerin von der Beigeladenen "feste Bezüge" erhält und daher kein unternehmerisches Risiko trägt, kann daher keine Rede sein. Vielmehr wertet die Kammer das Risiko des Honorarausfalls als erhebliches Unternehmerrisiko. In der Gesamtbetrachtung überwiegen daher - beim Fehlen eines umfassenden Weisungsrechts, einer nur marginal ausgeprägten Eingliederung in den Betrieb der Beigeladenen und dem Umstand, dass die Klägerin ihre Dienstleistung im Rahmen ihres eigenen Unternehmens anbietet - die für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Argumente deutlich.

Im Übrigen gibt das vorliegende Verfahren Anlass darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungsfindung der Beklagten kaum nachzuvollziehen ist. Dies betrifft sowohl die Auswahl der Merkmale als auch deren Gewichtung. Während es zunächst in dem angefochtenen Bescheid eher den Anschein hat, dass die Gewichtung nach dem Enummerationsprinzip erfolgt (hier: 8 Merkmale für die abhängige Beschäftigung und nur 5 für die selbständige Tätigkeit), wird in der rechtlichen Würdigung suggeriert, dass bestimmte Kriterien stärker als andere zu berücksichtigen sind. So implizieren Formulierungen wie "der Annahme eines Arbeitsverhältnisses steht nicht entgegen, dass " oder " schließen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht aus", dass Argumente, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen und die im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätten berücksichtigt werden müssen, schlichtweg unter den Tisch gefallen sind und die Entscheidung für das Vorliegen einer Beschäftigung bereits vor dem Ende des Abwägungsprozesses getroffen wurde. Das Gesetz enthält im Übrigen keine Vermutung dahingehend, dass die zu beurteilende Tätigkeit eine Beschäftigung darstellt, welche - um zur Feststellung einer selbständigen Tätigkeit zu gelangen - widerlegt werden muss.

Bei einer derartig methodisch intransparenten Vorgehensweise sind sozialgerichtliche Verfahren vorprogrammiert, was wiederum - unabhängig vom Verfahrensausgang - Anlass zur Überprüfung geben kann, ob die Verfahrenskosten zumindest zum Teil nach dem Veranlassungsprinzip der Beklagten aufzuerlegen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.