Landgericht Göttingen
Urt. v. 21.09.2005, Az.: 9 S 23/05
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 21.09.2005
- Aktenzeichen
- 9 S 23/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50782
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Herzberg am Harz, zugestellt am 01.04.2005 - 4 C 609/04 - wird auf seine Kosten nach einem Berufungsstreitwert von 1.467,49 Euro zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils mit der Maßgabe Bezug genommen, dass der Kläger nur eine Restforderung in Höhe von 1.467,49 Euro geltend macht, nachdem er bereits Teilzahlungen der Beklagten in Höhe von 672,-Euro erhalten und von dem eigentlichen Rechnungsbetrag in Höhe von 2.136,49 Euro nebst 3,-- Euro Lastschriftgebühren abgesetzt hatte.
Gegen das klagabweisende Urteil des Amtsgerichts wendet sich der Kläger mit seiner Berufung und macht geltend, die Entscheidung des Amtsgerichts beruhe auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung. Er meint, ein Rechtsanwalt sei keineswegs gehindert, auch einem beratungshilfeberechtigten Mandanten gegenüber nach den gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren abzurechnen. Er ist der Auffassung, durch Aushändigung einer schriftlichen, von der Beklagten gegengezeichneten Belehrung vom 14.11.2002, auf die Bezug genommen wird (Bl. 30 f.), die Beklagte ordnungsgemäß darüber aufgeklärt zu haben, dass diese Beratungshilfe in Anspruch nehmen könne. Gegen den formularmäßig erteilten Hinweis und auch gegen die nach dessen Maßgabe erteilte Erklärung der Beklagten, Beratungshilfe nicht in Anspruch nehmen zu wollen, sei auch unter dem Blickwinkel des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nichts einzuwenden. Weiter verweist der Kläger darauf, dass die Beklagte auch nach Aushändigung des schriftlichen Hinweises in der Folgezeit keine Beratungshilfe beantragt hat.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 1.467,49 Euro nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, der Kläger habe ihr durch Unterschieben des Formulars gezielt eine Desinformation durch Überinformation erteilt. Der Kläger habe sich daher ihr gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht, weswegen ihm der geltend gemachte Gebührenanspruch nicht zustehe. Hilfsweise rechnet sie mit einem Schadensersatzanspruch in Höhe der geltend gemachten Gebührenforderung auf.
Die Kammer hat die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.09.2005 persönlich angehört. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zwar ist der geltend gemachte Gebührenanspruch des Klägers entstanden. Die Beklagte kann diesem Anspruch jedoch eine rechtsvernichtende Einwendung entgegen halten. Denn ihr steht ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gegen den Kläger des Inhaltes zu, dass der Kläger die Beklagte so zu stellen hat, als habe diese von Anfang an Beratungshilfe in Anspruch genommen (§ 249 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Beklagte kann dies von dem Kläger im Wege der Naturalrestitution verlangen, weil der Kläger sie nicht hinreichend über die Möglichkeit aufgeklärt hat, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen. Nach dem Grundsatz, dass beratungsrichtiges Verhalten vermutet wird, ist davon auszugehen, dass die Beklagte im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung Beratungshilfe beansprucht hätte. Der von dem Kläger geltend gemachte Gebührenanspruch wäre dann nicht entstanden. Soweit die Beklagte nach dem Beratungshilfegesetz Eigenanteile an den Kläger hätte zahlen müssen, ist der dahingehende Anspruch des Klägers schon dadurch erfüllt, dass die Beklagte unstreitig bereits 672,-- Euro an ihn gezahlt hat.
Im Einzelnen:
Die rechtliche Ausgangsposition des Klägers trifft zu, denn auch dem beratungshilfeberechtigtem Mandanten gegenüber ist der Rechtsanwalt grundsätzlich nicht gehindert, die gesetzlichen Anwaltsgebühren geltend zu machen. Er ist lediglich verpflichtet, seinen Mandanten darüber zu belehren, dass die Möglichkeit der Beratungshilfe besteht, wenn dem Anwalt die schlechte wirtschaftliche Lage des Mandanten bekannt ist, wovon hier unstreitig ausgegangen werden muss (Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Auflage § 20 Rn 96; Schneider MDR 1988, 282; Kalthoener/Büttner, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, Rn 921, 988).
Der Kläger hat im vorliegenden Falle seine Hinweis- und Belehrungspflicht nicht in dem erforderlichen Umfang erfüllt.
Zwar hat er der Beklagten das von ihm vorbereitete Formular "Hinweise auf Beratungshilfe" sowie zusätzlich ein weiteres Informationsschreiben vom 14.11.2002 (Bl. 48 ff.) ausgehändigt und beide Formulare von ihr unterschreiben lassen. In beiden Formularen ist auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hingewiesen worden. Durch das Formular "Hinweis auf Beratungshilfe" hat der Kläger die Beklagte sogar ausdrücklich erklären lassen, sie wolle Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz nicht in Anspruch nehmen.
Die persönliche Anhörung der Parteien hat jedoch ergeben, dass der Kläger der Beklagten im Rahmen der Mandatierung darüber hinaus mündlich keine zusätzlichen Informationen erteilt hat. Was die anwaltliche Vergütung angeht, hat er lediglich mit ihr besprochen, in welchem Umfang ihr - auf der Basis gesetzlicher Gebühren - Ratenzahlungen möglich seien.
Die Beklagte hat dies im vorgenannten Sinne geschildert. Der Kläger hat schriftsätzlich schon nicht mit Substanz vorgetragen, dass auch eine mündliche Information erfolgt wäre. Lediglich auf S. 7 der Berufungsbegründungsschrift (Bl. 101) findet sich ein Anhaltspunkt dafür, indem dort ausgeführt ist, die Hinweise zur Beratungshilfe seien auch erörtert worden; wie dies inhaltlich geschehen sein soll, ist nicht dargelegt. Konsequenterweise heißt es denn auch in dem Schriftsatz vom 8.9.2005 auf S. 2 (Bl. 118), der erforderliche Hinweis auf die Beratungshilfe sei umfassend erteilt worden, nämlich durch schriftliche Belehrung. Damit deckt sich das Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers durch die Kammer, welche nicht zu einer weiteren Substantiierung beigetragen hat, im Gegenteil: Der Kläger hat sich auf wiederholtes Befragen dahin erklärt, im Detail keine Erinnerung mehr daran zu haben, ob er ausdrücklich auch mündlich auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hingewiesen habe. Damit hat er das Vorbringen der Beklagten nicht in zulässiger Weise bestritten mit der Folge, dass die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO eingreift. Zwar kann sich eine Partei grundsätzlich auch damit erklären, sie habe die Tatsachen, zu denen sie sich zu erklären hat, vergessen, weswegen eine Erklärung mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) zulässig sein kann. Dies gilt aber nur, sofern das Gericht die Ausführungen der Partei, weshalb sie sich nicht ausdrücklich erklären könne, für ausreichend hält (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 138 Rn 14). Der Kammer genügen die Erklärungsversuche des Klägers indessen nicht. Sie hält seinen Vortrag vielmehr für ausgesprochen unplausibel. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger ersichtlich darum bemüht war, sich nicht festzulegen und ausweichend zu antworten, nachdem er zu der Schilderung der Beklagten angehört und sodann vom Vorsitzenden zweifach eindringlich danach befragt worden war, was hinsichtlich des Honorars und der Möglichkeit der Beratungshilfe mündlich besprochen worden sei. Der Kläger war ersichtlich bemüht, um den heißen Brei herum zu reden. Überdies ist seine Schilderung des Ablaufs auch alles andere als überzeugend. Denn wenn die Beklagte ausdrücklich auf die kostengünstige Alternative der Beratungshilfe hingewiesen worden wäre, hätte eine Diskussion zwischen den Parteien darüber, weswegen die Beklagte sich gleichwohl zur Zahlung des gesetzlichen Honorars - in Raten - verpflichten sollte und welche Vorteile dies für beide Parteien habe, auf der Hand gelegen. Denn die Beklagte hatte unstreitig nicht das Geld, um den Kläger zu bezahlen. Von alledem indessen hat der Kläger nichts berichtet. Er wollte sich lediglich an die Ratenvereinbarung erinnern können; letztlich dürfte dies auch zutreffen, weil über nichts anders gesprochen worden ist.
Der Kläger hätte die Beklagte ausdrücklich auch mündlich über die Möglichkeit informieren müssen, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte befand sich, als sie den Kläger zum Zwecke der Mandatierung aufsuchte, persönlich und wirtschaftlich in einer Notsituation. Sie hatte sich soeben nach heftigen Auseinandersetzungen von ihrem Ehemann getrennt und verfügte über keinerlei Einkünfte. Stattdessen sah sie sich hohen Forderungen von Gläubigern ausgesetzt. Es lag in dieser Situation auf der Hand, dass für die Beklagte die Suche nach anwaltlicher Hilfestellung auf den Nägeln brannte, um ihre Lage rasch und nachdrücklich zu verbessern. Beide Parteien haben eingeräumt, dies habe im Mittelpunkt gestanden; die Frage der anwaltlichen Vergütung habe Nachrang gehabt. Andererseits war aus Sicht des Klägers klar, dass die Beklagte damals und in absehbarer Zeit nicht über die finanziellen Mittel verfügen werde, um seine gesetzliche Gebührenforderung zu begleichen. Er wusste andererseits auch, dass die Möglichkeit der Beratungshilfe - wenngleich für ihn mit erheblichen finanziellen Nachteilen verbunden - bestand. Er konnte angesichts der Ausnahmesituation der Beklagten und indem er die Frage einer möglichen Beratungshilfe mit ihr gar nicht weiter erörterte, nicht davon ausgehen, die Beklagte werde die ihr im Wesentlichen nur schriftlich erteilten und vor Unterschrift für den Kläger erkennbar inhaltlich nicht zur Kenntnis genommenen Informationen daheim noch in Ruhe durchgehen und auswerten. Denn eine rechtlich nicht bewanderte Partei wie die Beklagte wird anwaltlichem Rat zumindest auch insoweit in den meisten Fällen uneingeschränkt vertrauen, als dieser sich auf den wesentlichen Inhalt des Mandatsverhältnisses bezieht. Dazu gehört auch die Kostenfrage. Das hatte der Kläger in Rechnung zu stellen und die Beklagte deswegen ausdrücklich auch mündlich über die Möglichkeit der kostengünstigen Beratungshilfe zu belehren. Indem er dies nicht getan hat, hat er sich einem Schadensersatzanspruch der Beklagten auf Freistellung von seiner Gebührenforderung und Abrechnung nur nach Maßgabe des Beratungshilfegesetzes ausgesetzt.
Der Beklagten fällt auch kein maßgebliches Mitverschulden (§ 254 BGB) dadurch zur Last, dass sie die ihr übergebenen Formulare ohne inhaltliche Kenntnisnahme sogleich unterzeichnet und diese ganz offenkundig auch im Nachhinein nicht durchgesehen hat. Sie hat deswegen auch im weiteren Verlauf keine Beratungshilfe beantragt und den Kläger um eine entsprechende Vertragsänderung nachgesucht, auf welche sich der Kläger aufgrund seiner Aufklärungspflichtverletzung hätte einlassen müssen. Denn zum einen wiegt die Pflichtverletzung des Klägers schwer. Er kannte die Möglichkeit der Beratungshilfe; er hatte erlebt, dass die Beklagte seine Formulare nicht sogleich inhaltlich zur Kenntnis genommen hatte; er wusste um deren Notlage; ihm war somit klar, dass er das erhebliche Risiko heraufbeschworen hatte, die Beklagte werde von der Möglichkeit der Beratungshilfe keinen Gebrauch machen. Die Beklagte ihrerseits durfte angesichts des Wissensvorsprungs des Klägers und seiner beruflichen Stellung davon ausgehen, es werde alles seine Ordnung haben und sie müsse nichts weiter veranlassen. Ein mögliches Mitverschulden der Beklagten steht deswegen schon völlig hinter dem Verschulden des Klägers zurück.
Ein Weiteres kommt hinzu:
Nach den insoweit unstreitigen Ausführungen der Parteien im Termin hat die Beklagte den Kläger im Verlaufe des Mandatsverhältnisses angerufen und ihn gefragt, ob nicht umfassend die Möglichkeit von Prozesskostenhilfe bestehe. Der Kläger hat darauf erwidert, Prozesskostenhilfe werde eben nicht für alles und jedes sondern nur für Prozesse gewährt. Gerade angesichts seiner vorangegangenen Pflichtverletzung wäre der Kläger jedoch in dieser Situation gehalten gewesen, die Beklagte erneut darüber zu unterrichten, dass sie die Möglichkeit hatte, Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen. Offenkundig zielte die Frage der Beklagten ja gerade darauf, ob es keine Möglichkeit gebe, den hohen Gebührenforderungen des Klägers zu entgehen. Hätte der Kläger die Beklagte nunmehr pflichtgemäß aufgeklärt, so hätte er sich wiederum auf eine Abrechnung nach Maßgabe des Beratungshilfegesetzes einlassen müssen.
Ferner hat er nicht dargelegt, dass zu diesem Zeitpunkt die von ihm geltend gemachte Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO bereits entstanden war, welche die Beklagte ggfls. bei sofortiger Lektüre der ihr erteilten schriftlichen Informationen durch den Wunsch nach Abrechnung gemäß Beratungshilfegesetz hätte vermeiden können. Es steht somit nicht fest, dass das Entstehen dieser Gebühr auf einem möglichen Mitverschulden der Beklagten ursächlich beruht. Das geht zu Lasten des insoweit beweisbelasteten Klägers.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.