Landgericht Göttingen
Urt. v. 16.06.2005, Az.: 2 O 1063/04

Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Hinblick auf eine zu treffende Anlageentscheidung; Nichterteilung von Auskünften hinsichtlich einer auf Grund einer bevorstehenden Gesetzesnovellierung eintretenden Rechtsunsicherheit

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
16.06.2005
Aktenzeichen
2 O 1063/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 34088
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2005:0616.2O1063.04.0A

Fundstellen

  • BKR 2005, 461 (red. Leitsatz)
  • VuR 2005, 294-296 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZBB 2006, 53 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz

In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 ZPO
mit einer Erklärungsfrist bis zum 03.06.2005
am 16.06.2005
durch
F. als Einzelrichter
für Rechterkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.499,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2005 zu zahlen.

  2. 2.)

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3.) Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin beteiligte sich gemäß Zeichnungsschein vom 23./30. April 1998 unter der Vertragsnummer G. mit einer Einmaleinlage in Höhe von 50.000,00 DM zuzüglich 5% Agio als atypisch stille Gesellschafterin an der Beklagten.

2

Die Einmaleinlage wurde gezahlt, die Klägerin hat aus ihrer Einlage insgesamt 6.087,28 EUR entnommen. Entsprechend § 22 Abs. 1 der der Beteiligung zu Grunde liegenden Vertragsbedingungen war eine monatliche Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens über einen Zeitraum von 20 Jahren vereinbart.

3

Am 22. Oktober 1998 erließ das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen auf der Grundlage der am 01.01.1998 in Kraft getretenen 6. Novelle des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) eine Verbotsverfügung, durch die die ratierliche Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben untersagt wurde. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben aus April 2000 erstmals u.a. Folgendes mit: "Auf Grund einer zwischenzeitlichen Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen ist es nicht mehr möglich, das Auseinandersetzungsguthaben aus dieser Beteiligung ratierlich auszuzahlen...Wenn Sie Ihren Beteiligungsvertrag kündigen, erhalten Sie Ihr Auseinandersetzungsguthaben aus der gekündigten Beteiligung in einer Summe ausgezahlt."

4

Mit der Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung der geleisteten Einlagen. Sie behauptet dazu, der Vermittler habe sie über die mit der Beteiligung verbundenen Risiken, insbesondere über das Totalverlustrisiko, nicht aufgeklärt und habe sie auch nicht -insoweit unstreitig - darüber informiert, dass es nicht gesichert sei, dass ihr das ihr bei Beendigung der stillen Gesellschaft zustehende Auseinandersetzungsguthaben in einer Summe ausbezahlt würde.

5

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 20.499,90 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie behauptet, der Vermittler habe die Klägerin umfassend über die mit der Beteiligung verbundenen Chancen und Risiken aufgeklärt. Darüber hinaus verweist sie insoweit auf die Hinweise im Zeichnungsschein und bezieht sich auf die ausführlichen Risikobelehrungen im Emissionsprospekt. Endlich ist sie der Ansicht, der fehlende Hinweis auf die Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der 6. KWG-Novelle sei für die Anlageentscheidung der Klägerin nicht ursächlich geworden, was sich daraus ergebe, dass sie auf das Schreiben der Beklagten aus April 2000 nicht zeitnah reagiert habe.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Die Beklagte haftet der Klägerin auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten, weil der Vermittler und/oder sie selbst es unterlassen hatten, die Klägerin über die im Zusammenhang mit der 6. KWG-Novelle aufgetretene Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die zukünftige Möglichkeit zu informieren, das Auseinandersetzungsguthaben ratierlich auszuzahlen. Nach der Neufassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG durch die 6. KWG-Novelle bestand die nahe liegende Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörde die vereinbarte Auszahlungsform als ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansehen und gegen die Beklagte eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen würde. Ob dies der neuen Gesetzeslage tatsächlich entsprach, kann offen bleiben; denn jedenfalls war die Rechtslage mit In-Kraft-Treten der 6. KWG-Novelle unsicher geworden. Die Beklagte war also verpflichtet, die Anlageinteressenten darauf hinzuweisen, dass auf Grund der Gesetzesänderung rechtliche Bedenken gegen die ratierliche Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben bestehen könnten. Für die Interessenten war es nämlich wichtig zu wissen, ob das Anlagemodell rechtlich abgesichert war oder ob mit bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen und damit verbundenen Prozessrisiken zu rechnen war. Indem die Beklagte diesen Hinweis unterließ, sind die Anlageninteressenten in den falschen Glauben versetzt worden, die versprochene Rentenzahlung nach dem Ende der jeweiligen Gesellschaftsverträge sei rechtlich unproblematisch, ihr Gelingen hänge allein von dem wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft ab (vgl. BGH, Urteil vom 21.03.2005 - II ZR 149/03-, S. 10 f.). Die Beklagte trifft auch ein verschulden i.S. der §§ 276, 278 BGB. Selbst wenn sich die für sie handelnden Personen über die Bedeutung der Gesetzesergänzung durch die 6. KWG-Novelle keine Gedanken gemacht haben sollten, ist ihnen doch jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Auf Grund ihrer professionellen Tätigkeit auf dem Kapitalmarkt mussten sie sich über die gesetzliche Entwicklung und die daraus resultierenden Risiken informieren, was ihnen auch möglich war (vgl. BGH, a.a.O., S. 11). Umstände, die ein Verschulden ausnahmsweise ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht auf einen Rechtsirrtum ihrer Verantwortlichen berufen; denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind an einen das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH in BGHZ 89, 296 {302}; BGH in NJW 1972, 1045; BGH in NJW 1974, 1903 {1904}; BGH in ZIP 1992, 1561 {1562}), die hier nicht erfüllt sind. Die frühere gegenteilige Ansicht der Kammer wird aufgegeben.

10

Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die mangelhafte Aufklärung der Klägerin ursächlich war für ihre Anlageentscheidung (vgl. BGH in BGHZ 79, 337 H.; BGH in BGHZ 84, 141 [BGH 24.05.1982 - VIII ZR 181/81] {148}; BGH in ZIP 1992, 1561 {1562}; BGH in ZIP 2000, 1296 {1298}). Ebenfalls unter Aufgabe der bisherigen anders lautenden Rechtsprechung der Kammer handelt es sich bei der vereinbarten Rentenzahlung um einen wesentlichen Vertragsbestandteil und nicht nur um eine Auszahlungsmodalität, die für den Anleger von untergeordneter Bedeutung ist. Die Rentenzahlung war von der Beklagten als eine Besonderheit des Anlagemodells herausgestellt worden, wie sich bereits aus der Präambel zu den Vertragsbedingungen ergibt. Danach sollten die Anleger die Möglichkeit haben, aus den Erträgen ihrer Beteiligung eine Altersrente zu beziehen. Bei Abschluss des Vertrags stand zwar noch nicht fest, wie hoch das Auseinandersetzungsguthaben am Ende der vereinbarten Laufzeit sein würde, in Höhe dieses Guthabens sollte dann aber keine Verlustbeteiligung mehr erfolgen, das Guthaben vielmehr in festen Monatsraten ausgezahlt werden, wobei bereits bei Vertragsabschluss eine jährliche Verzinsung in Höhe von 7% festgelegt war. Auch dies war ein für die Anleger wesentlicher Punkt, weil sie nicht erwarten können, bei einer Neuanlage mit gleichzeitig beginnender ratierlicher Rückzahlung eine auch nur annähernd gleichwertige Verzinsung zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 21.03.2005 - II ZR 149/03 -, S. 12 f.).

11

Endlich ist die vorstehend geschilderte Vermutung für ein aufklärungsgerechtes Verhalten der Klägerin auch nicht einzig dadurch erschüttert worden, dass sie nicht sofort auf das Schreiben der Beklagten aus April 2000 reagiert hat. In diesem Schreiben stellt die Beklagte die veränderte Rechtslage lapidar als einen gesetzgeberischen Akt dar, der für beide Vertragsteile eben hinzunehmen sei, ohne die Anleger über die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung ihrer Verträge zu informieren. Dazu wäre sie indes aus dem Gesichtspunkt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet gewesen, weil die veränderte Rechtslage dem propagierten Anlagemodell ("I.") in einem - wie vorstehend ausgeführt - wesentlichen Teil den Boden entzogen hatte.

12

Die Schadenshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 286, 288 BGB.

13

Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf die §§ 91, 709 Satz 1 und 2 ZPO.