Landgericht Göttingen
Beschl. v. 20.06.2005, Az.: 11 T 9/05
Anordnung einer Sicherungshaft anstatt der beantragten Vorbereitungshaft; Vollziehbare Ausreisepflicht auf Grund einer unerlaubten Einreise als Haftgrund; Gesetzliche Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft wegen illegaler Einreise
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 20.06.2005
- Aktenzeichen
- 11 T 9/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 34082
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2005:0620.11T9.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 FreihEntzG
- Art. 104 Abs. 2 GG
- § 14 Abs. 1 AufenthG
- § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG
- § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 u. 5, S. 2 AufenthG
- § 14 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AsylVfG
- § 55 Abs. 1 AsylVfG
Fundstelle
- InfAuslR 2005, 425-427 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Ist ein illegal eingereister Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig, so darf er grundsätzlich in Sicherungshaft genommen werden.
In der Abschiebungshaftsache
hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts ...
auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen
gegen den Abschiebungshaftbeschluss des Amtsgerichts ... vom 11. Mai 2005
- nach mündlicher Anhörung des Betroffenen durch den Berichterstatter als beauftragten Richter und Mitteilung des Ergebnisses der Anhörung an die übrigen Kammermitglieder -
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... und
die Richter am Landgericht ... und ...
am 20. Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seine insoweit entstandenen Auslagen hat der Betroffene zu tragen.
- 3.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: EUR 3.000,00
Gründe
I.
Der nach eigenen Angaben erstmals im Juni 2004 ohne Reisepass und ohne Visum oder Aufenthaltserlaubnis aus ... in das Bundesgebiet eingereiste Betroffene, der erst kurz vor seiner Festnahme erneut aus ...nach ... ohne Dokumente eingereist sein will, ist eigenen Angaben zufolge ... Staatsangehöriger.
Mit Antragsschrift vom 11. Mai 2005 hat die ... beim Amtsgericht ... im Hinblick auf eine beabsichtigte Ausweisung die Anordnung einer sechswöchigen Vorbereitungshaft (§ 62 Abs. 1 AufenthG) gegen den bei einem Ladendiebstahl in ... aufgegriffenen Betroffenen beantragt und in der Antragsbegründung ausgeführt, dass neben der begehrten Vorbereitungshaft auch Sicherungshaft (§ 62 Abs. 2 AufenthG) "in Betracht käme".
Mit dem im Original undatierten, offenkundig ebenfalls am 11. Mai 2005 erlassenen angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht ... gegen den Betroffenen im Anschluss an seine Anhörung Sicherungshaft für die Dauer von 6 Wochen, "beginnend mit seiner Entlassung aus der Untersuchungs- oder Strafhaft" angeordnet und dem Betroffenen die Entscheidung verkündet. Ausführungen dazu, warum trotz des entsprechenden Antrags der ... keine Vorbereitungshaft angeordnet worden ist, sind dem unter Verwendung eines Formulars gefassten Beschluss nicht zu entnehmen.
Das vom Amtsrichter verwendete Formular, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, enthält insgesamt 17 Ankreuzkästchen mit Textbausteinen, die zum Teil in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, in den Beschlussgründen jedoch auch zum Teil kumulativ verwendet werden. Über die bloßen Personalien hinausgehende einzelfallbezogene Angaben zur Person des Betroffenen, beispielsweise zur Darlegung eines Haftgrunds, sind dem Beschluss nicht zu entnehmen und - über eine pauschale Bezugnahme auf die Antragsschrift hinaus - im Formular auch nicht vorgesehen.
Ausweislich des Vollstreckungsblatts der Justizvollzugsanstalt ... (Abteilung ...) vom 11. Mai 2005 wird gegen den Betroffenen lediglich die Abschiebungshaft vollstreckt.
Am Folgetag (12. Mai 2005) beantragte der Betroffene von der Haftanstalt aus seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. Mai 2005, am selben Tage beim Amtsgericht per Telefax eingegangen, hat der Betroffene sofortige Beschwerde gegen die Haftanordnung eingelegt.
Durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Juni 2005 wurde sein Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Am 8. Juni 2005 wurde dem Betroffenen die Ausweisungsverfügung der beteiligten ... zugestellt.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16. Juni 2005 hat der Betroffene die Beschwerde damit begründet, dass er sich einer Abschiebung nicht widersetzen werde. Bei der mündlichen Anhörung hat der Betroffene dies nicht wiederholt, sondern ausweichend erklärt, er hoffe, doch noch als Asyl berechtigter anerkannt zu werden.
Die angeordnete Haft ist auf sechs Wochen, mithin bis zum 21. Juni 2005 befristet. Das für eine Abschiebung erforderliche Passersatzpapier (Reisedokument) ist bei der ... Auslandsvertretung bereits beantragt, liegt jedoch gegenwärtig noch nicht vor. Die beteiligte ... geht davon aus, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann. Sie hat am 15. Juni 2005 beim Amtsgericht ... einen Antrag auf Anordnung der Haftfortdauer für weitere drei Monate gestellt; eine Entscheidung des Amtsgerichts ist bislang nicht ergangen.
Die Ausländerakten haben der Kammer vorgelegen.
II.
Die gem. § 7 Abs. 1 FreihEntzG statthafte sofortige Beschwerde ist, da form- und fristgerecht eingelegt, zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
1.
Der Beschluss des Amtsgerichts ist zwar bezogen auf die Darlegung der Erfüllung der Haftvoraussetzungen zu beanstanden; er ist jedoch wirksam und im Ergebnis zutreffend.
a)
Der angefochtene Beschluss leidet unter mehreren erheblichen Mängeln. So fehlt es an einer Darlegung, warum das Amtsgericht an Stelle der beantragten Vorbereitungshaft die Sicherungshaft angeordnet hat. Fehlerhaft ist ferner die Formulierung betreffend den Haftbeginn, da gegen den Betroffenen weder Untersuchungs- noch Strafhaft vollstreckt wird. Im Übrigen wäre die gewählte Formulierung ("oder") auch im Falle eines gegenwärtigen strafprozessualen Haftvollzuges zu unbestimmt und missverständlich; erforderlich wäre dann zudem - was das Formular des Amtsgerichts nicht vorsieht - eine genaue Bezeichnung der für den Beginn maßgeblichen anderweitigen Haftanordnung in der Beschlussformel oder zumindest in den Beschlussgründen (Kammer, Beschl. v. 18. Mai 2005, 11 T 7/05).
Ferner ist die inhaltliche Begründung der Haftanordnung unzureichend. Die sich aus Textbausteinen zusammensetzende Entscheidungsbegründung lässt neben konkreten Feststellungen zur Person und zum ausländerrechtlichen Status des Betroffenen insbesondere Ausführungen dazu vermissen, warum das Amtsgericht einen "begründeten Verdacht" sieht, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen.
In diesem Zusammenhang merkt die Kammer an, dass die Zuhilfenahme eines Formulars bei der Abfassung des Beschlusses also solche nicht zu beanstanden ist. Der Beschluss muss jedoch erkennen lassen, welche Feststellungen das Amtsgericht seiner Entscheidung zu Grunde legt und welche einzelfallbezogenen Umstände zur Bejahung der Anordnungsvoraussetzungen geführt haben. Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Das vom Amtsgericht verwendete Formular, das keinerlei Freiraum für einzelfallbezogene Ergänzungen enthält, lässt besorgen, dass eine eigenverantwortliche umfassende richterliche Prüfung zur Erfüllung der Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts gem. Art. 104 Abs. 2 GG nicht stattgefunden hat (vgl. BVerfG, StV 2003, 203, zu formularmäßig gefassten Durchsuchungsbeschlüssen).
Dies betrifft auch den Haftgrund der vollziehbaren Ausreisepflicht auf Grund einer unerlaubten Einreise. Soweit der Amtsrichter bei den Haftgründen den entsprechenden Textbaustein zu § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abgekreuzt hat, hat er damit zwar hinreichend deutlich angegeben, dass er von einer unerlaubten Einreise des Betroffenen in das Bundesgebiet ausgeht. Das mag für sich gesehen insbesondere dann, wenn der Betroffene die unerlaubte Einreise selbst einräumt, auch ausreichen. Die Beschlussgründe lassen jedoch nicht erkennen, ob der Haftrichter § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG beachtet hat. Zwar ist im Beschluss angegeben, es läge ein begründeter Verdacht i.S.v. § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor. Eine nähere Begründung fehlt jedoch; der Textbaustein ist insoweit inhaltsleer. Zudem fehlen im Hinblick auf § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG Ausführungen dazu, von welcher (Mindest-)Dauer bis zur Abschiebung das Amtsgericht im Falle uneingeschränkter Kooperation des Betroffenen ausgeht.
Auch haben dem Amtsgericht offenkundig nicht die Akten der Ausländerbehörde vorgelegen, was im Hinblick auf § 12 FGG für die Beschlussfassung geboten ist (siehe dazu Beichel-Benedetti/Gutmann, NJW 2004, 3015). Der Umstand, dass das Amtsgericht über den Haftantrag der jeweiligen Ausländerbehörde wegen Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG zumeist sehr schnell entscheiden muss, ändert nichts an dem Gebot umfassender richterlicher Sachverhaltsermittlung. Sollte die Ausländerbehörde die Akten nicht zeitgleich mit ihrem Antrag vorlegen können, steht dies einer Haftanordnung nicht notwendigerweise entgegen. In einer solchen Situation ist aber regelmäßig nur eine einstweilige Anordnung (§ 11 FreihEntzG) zu treffen und der Ausländerbehörde Gelegenheit geben, innerhalb eines festzusetzenden kurzen Zeitraums die Ausländerakten vorzulegen.
2.
Die Haftanordnung des Amtsgerichts ist im Ergebnis zu Recht erfolgt. Auf die Frage, ob das Amtsgericht statt Sicherungshaft die beantragte Vorbereitungshaft hätte anordnen müssen, kommt es jetzt nicht mehr an, da zwischenzeitlich eine Ausweisungsverfügung ergangen ist und jedenfalls jetzt eine Vorbereitungshaft nicht mehr in Betracht kommt.
a)
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft wegen illegaler Einreise liegen vor, da der Betroffene zwischenzeitlich kein Aufenthaltsrecht erworben hat und ihm auch keine noch nicht abgelaufene Ausreisefrist gesetzt worden ist. Beide Ausnahmetatbestände liegen den Ausländerakten zufolge nicht vor. Demnach ist der Betroffene gem. §§ 14 Abs. 1, 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig.
Das Fehlen der Bestandskraft der abschlägigen Entscheidung über den Asylantrag steht der Ausreisepflicht trotz § 55 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, da sich der Betroffene im Zeitpunkt der Antragstellung in Sicherungshaft gem. § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 AufenthG befand und der Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und Satz 3 AsylVfG). Auf die Monatsfrist des § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG kommt es deshalb vorliegend nicht an.
Die unerlaubte Einreise begründet zugleich den gesetzlich vermuteten Verdacht, der Betroffene werde sich der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise zu entziehen suchen, die nicht durch Anwendung einfachen Zwangs überwunden werden kann. Hinreichende Gründe für die Annahme, dass sich der Betroffene der Abschiebung in diesem Fall nicht entziehen wird, liegen nicht vor. Der Betroffene hat im Anhörungstermin nicht angegeben, er wolle sich der Abschiebung nicht widersetzen. Er hat vielmehr deutlich werden lassen, dass er Angst vor einer Abschiebung nach ... hat. Diese Angabe, wie auch das frühere Verhalten des Betroffenen im Zusammenhang mit einem Aslybegehren im Juni 2004 sowie die Missachtung der Rechtsordnung durch Begehung eines von ihm eingeräumten Ladendiebstahls, lassen vielmehr dringend befürchten, der Betroffene werde nach seiner Haftentlassung sofort untertauchen. Deshalb hat das Amtsgericht im Ergebnis - wenn auch ohne Begründung - den weiteren Haftgrund des § 62 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zu Recht bejaht.
b)
Die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung (§ 72 Abs. 4 AufenthG), deren Verweigerung der Abschiebungshaft grundsätzlich entgegenstehen würde (OLG Düsseldorf, InfAusIR 2001, 340 = FGPrax 2001, 130), liegt zwischenzeitlich vor.
c)
Es ist nicht zu erwarten, dass aus vom Betroffenen nicht zu vertretenden Gründen bis zur Abschiebung auf jeden Fall mehr als drei Monate vergehen werden. Es ist nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde in ... vielmehr zu erwarten, dass die Auslandsvertretung ... im Falle zutreffender Angaben des Betroffenen das Reisedokument innerhalb von ca. vier Wochen ausstellt. Im Anschluss daran kann die Abschiebung regelmäßig sehr zügig durchgeführt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 14 Abs. 3, 15 Abs. 1 FreihEntzG. Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 30 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 KostO.
IV.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist bereits deshalb abzulehnen, weil der Betroffene keine Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht und damit seine Bedürftigkeit dargelegt hat. Im Falle anwaltlicher Vertretung, wie hier, bedarf es keines Hinweises, dass eine (rückwirkende) Bewilligung nach Verfahrensabschluss grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt.
Im Übrigen ist der Prozesskostenhilfeantrag bei Berücksichtigung des Verteidigungsvorbringens wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen.
Streitwertbeschluss:
Wert des Beschwerdeverfahrens: EUR 3.000,00