Landgericht Göttingen
Beschl. v. 21.11.2005, Az.: 10 T 148/05

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines amtsgerichtlichen Beschlusses zur Ermächtigung eines Gerichtsvollziehers zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung eines Dritten zwecks Vollziehung eines Haftbefehls an einem Insolvenzschuldner; Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Zwangsmaßnahmen gegen Dritte i.R.e. Insolvenzverfahrens

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
21.11.2005
Aktenzeichen
10 T 148/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 38663
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2005:1121.10T148.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 12.10.2005 - AZ: 74 IN 270/04
nachfolgend
AG Göttingen - 21.11.2005 - AZ: 74 IN 270/04
LG Göttingen - 24.01.2006 - AZ: 10 T 148/05
BGH - 13.12.2007 - AZ: IX ZB 32/06

Fundstelle

  • ZInsO 2005, 1280-1282 (Volltext mit red. LS)

...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 27.10.2005
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 12.10.2005 - 74 IN 270/04 -
am 21.11.2005
beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Anordnung des Amtsgerichts, die Wohnung der ... zwecks Vollziehung des Haftbefehls an dem Schuldner zu betreten und zu durchsuchen rechtswidrig war.

Gründe

1

Am 19.07.2004 hat die Gläubigerin beantragt, über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Nachdem der Schuldner zu einem vom Gericht anberaumten Anhörungstermin nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht einen Haftbefehl gegen den Schuldner erlassen. Der mit der Vollstreckung des Haftbefehls beauftragte Gerichtsvollzieher hat dem Gericht mitgeteilt, dass der Schuldner trotz vielfacher Versuche unter der Anschrift ... nicht angetroffen worden sei. Die in der Wohnung lebende Beschwerdeführerin hat dem Gericht im Mai 2005 mitgeteilt, dass der Schuldner ... verzogen sei und unter der oben genannten Anschrift wohne.

2

In einem Schreiben vom 05.09.2005 hat der vorläufige Insolvenzverwalter dem Amtsgericht mitgeteilt, dass zu erwarten sei, dass der Schuldner an seinem Geburtstag, dem 13. Oktober seine Verlobte in deren Wohnung aufsuchen wird. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat deshalb angeregt, an diesem Tag einen weiteren Verhaftungsversuch des Schuldners in der Wohnung seiner Verlobten vorzunehmen.

3

Mit Beschluss vom 12.10.2005 hat das Amtsgericht den zuständigen Gerichtsvollzieher ermächtigt, die Wohnung der ... zwecks Vollziehung des Haftbefehls an dem Schuldner zu betreten und zu durchsuchen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Schuldner habe sich zwar zwischenzeitlich nach ... umgemeldet, es sei jedoch davon auszugehen, dass er sich zumindest zeitweise in der Wohnung der Beschwerdeführerin aufhalte.

4

Am 13.10.2005 hat der zuständige Gerichtsvollzieher in Begleitung von zwei Polizeibeamten die Wohnung der Beschwerdeführerin betreten und alle Räume durchsucht. Der Schuldner wurde dort nicht vorgefunden.

5

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Beschluss mit der sofortigen Beschwerde. Sie trägt vor, zum einen sei die Art und Weise, wie ihre Wohnung betreten und durchsucht worden sei, in jeder Hinsicht unakzeptabel und unangemessen gewesen. Da sie sich auf der Dachterrasse aufgehalten habe, habe sie das Klingeln an der Haustür nicht gehört. Der Gerichtsvollzieher und die Polizeibeamten hätten sich deshalb über ihre Terrasse Zugang zur Wohnung verschafft, und zwar in lautstarker Weise, so dass die gesamte Umgebung und Nachbarschaft hierdurch aufgeschreckt worden sei. Darüber hinaus sei die Durchsuchung der Wohnung unrechtmäßig gewesen. Die Wohnung stehe in ihrem alleinigen Eigentum. Der Schuldner sei dort nicht mehr wohnhaft und auch nicht mehr behördlich gemeldet. Dies sei dem Gericht bekannt, ebenso wie die aktuelle Anschrift des Schuldners in .... Die Beschwerdeführerin sei somit in jeder Hinsicht unbeteiligte Dritte. Sie müsse einen derartigen Eingriff nicht dulden.

6

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und ausgeführt, es sei anerkannt, dass im Insolvenzverfahren auch Zwangsmaßnahmen gegen Dritte in Betracht kämen.

7

Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig. Zwar sieht die Insolvenzordnung für den hier vorliegenden Fall, dass ein Dritter durch Zwangsmaßnahmen beeinträchtigt wird, Rechtsmittel nicht vor. Grundsätzlich ist deshalb die Entscheidung nicht beschwerdefähig, §6 Abs. 1 InsO. Diese Regel bedarf jedoch der Einschränkung, soweit die Anordnung des Insolvenzgerichts in das Grundrecht der Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) eingegriffen hat. In diesen Fällen erfordert das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 GG) die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Eingriffs (vergleiche BGH NZI 2004, 312 = ZInsO 2004, 550). Da die Insolvenzordnung dem Insolvenzrichter nicht die Möglichkeit eröffnet, einen Gerichtsvollzieher zu ermächtigen, die Wohnräume eines Dritten gegen dessen Willen zu betreten, um den Schuldner zu verhaften, handelt es sich bei dieser richterlichen Anordnung um eine objektiv willkürliche Maßnahme, für die es an jeder rechtlichen Grundlage fehlt. §6 Abs. 1 InsO schließt es in einem solchen Fall nicht aus, dass dem von einer solchen generell unzulässigen Maßnahme Betroffenen ein Rechtsmittel zusteht (BGH NZI 2004, 312 = ZInsO 2004, 550).

8

Das Amtsgericht durfte die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin zwecks Verhaftung des Schuldners hier nicht anordnen. Diese Maßnahme ist durch das Gesetz nicht gedeckt.

9

Gemäß §21 Abs. 3 InsO kann das Gericht den Schuldner in Haft nehmen, wenn er die ihm obliegenden Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten nicht erfüllt und andere Maßnahmen nicht ausreichen. Für die Anordnung der Haft verweist §98 Abs. 3 InsO auf die §§904-910, 913 ZPO. Nach §909 Abs. 1 ZPO erfolgt die Verhaftung des Schuldners durch den Gerichtsvollzieher. Dieser wiederum ist an die Regelung in §187 GVGA gebunden. Danach darf der Gerichtsvollzieher zwecks Verhaftung des Schuldners dessen Wohnung betreten und durchsuchen, und zwar auch ohne eine gesonderte richterliche Anordnung gemäß §758 a ZPO. Insoweit gehen die Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass der Haftbefehl die Anordnung des Betretens und Durchsuchens der Wohnung mit umfasst (Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Auflage, §98 Rdnr. 17; Kübler/Prütting/Lüke, Kommentar zur Insolvenzordnung 17. Lfg. 9/03, §98 Rdnr. 9; LG Stuttgart DGVZ 1980, 111). Dabei ist jedoch mit Wohnung im Sinne des Gesetzes stets die Wohnung des Schuldners gemeint. Keinesfalls erfasst der Haftbefehl gegen den Schuldner das Recht des Gerichtsvollziehers zum Betreten der Wohnung eines Dritten. Diese Berechtigung kann auch nicht durch einen richterlichen Beschluss erteilt werden. Dass der Gerichtsvollzieher zwecks Verhaftung des Schuldners eine fremde Wohnung betreten und durchsuchen darf, ergibt sich aus den Vorschriften der§§903 ff. bzw. 758, 758 a ZPO nicht. Demzufolge kann eine so weitreichende Einschränkung der Grundrechte Dritter ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung auch nicht aus der Insolvenzordnung bzw. dem Zweck der Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren abgeleitet werden. Eine Durchsuchungsanordnung gegen Dritte in Bezug auf deren Wohn- oder Geschäftsräume ist nicht möglich. Der Gerichtsvollzieher kann dort nur mit der Zustimmung des Inhabers vorgehen (Münchener Kommentar zur ZPO/Eickmann, 2. Auflage, §909 Rdnr. 8; Stein-Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Auflage, §909 Rdnr. 14).

10

Hier ist auch nicht davon auszugehen, dass der Schuldner Mitgewahrsam an den Räumen der Beschwerdeführerin hat. Der Schuldner hat seinen Wohnsitz in ... aufgegeben und ist hier behördlich nicht mehr gemeldet. Er hat als neue Anschrift die oben genannte Adresse in ... angegeben. Aus dem Schreiben des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 05.09.2005 ergibt sich zudem, dass der Schuldner auch keine Fahrzeuge mehr hält, die in ... zugelassen sind. Gesicherte Anzeichen dafür, der Schuldner habe noch Gewahrsam bzw. Mitgewahrsam an der Wohnung der Beschwerdeführerin, liegen nicht vor.

11

Bei dieser Sachlage kann die Frage dahinstehen, ob und wann Sicherungsanordnungen im Insolvenzverfahren gegen Dritte zulässig sind. Soweit sich das Amtsgericht in dem Nichtabhilfebeschluss auf die Entscheidung des Amtsgerichts Korbach vom 13.09.2005 (ZInsO 2005, 1060) bezogen hat, ist diese jedenfalls auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar. Das Amtsgericht Korbach hat die Durchsuchung der Räumlichkeiten Dritter zwecks Auffinden von Geschäftsunterlagen des Schuldners angeordnet, weil erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Verdunklungshandlungen des Dritten im Zusammenwirken mit dem Schuldner vorlagen. Ungeachtet der Frage, ob diese Entscheidung das durch Artikel 13 GG geschützte Grundrecht des Dritten wahrt, gibt es im vorliegenden Fall keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner noch Mitgewahrsam an der Wohnung der Beschwerdeführerin hat oder aber dass diese im kollusiven Zusammenwirken mit dem Schuldner diesen dauerhaft in ihrer Wohnung versteckt. Vielmehr stützte sich die Durchsuchungsanordnung allein auf die bloße Vermutung des vorläufigen Insolvenzverwalters, der Schuldner werde an seinem Geburtstag, ... seine Verlobte in deren Wohnung besuchen.