Landgericht Göttingen
Beschl. v. 22.09.2005, Az.: 10 T 89/05

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
22.09.2005
Aktenzeichen
10 T 89/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2005:0922.10T89.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - AZ: 74 IN 215/03

Fundstellen

  • NZI 2005, 689 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 2005, 1113-1114 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI 2005, 554-555
  • ZVI 2006, 80

In dem Insolvenzverfahren

über das Vermögen A.,

Schuldner,

am Verfahren beteiligt:

B.,

Gläubigerin und Beschwerdeführerin,

hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen durch C. als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 7.7.2005 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 6.6.2005 - 74 IN 215/03 -

am 22. September 2005 beschlossen:

Tenor:

  1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

    Das Amtsgericht wird angewiesen, der Gläubigerin eine vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle zu erteilen.

Gründe

1

Mit Beschluss vom 25.7.2003 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Für die o. g. Gläubigerin ist eine Forderung in Höhe von 723,53 EUR zur Insolvenztabelle festgestellt worden. Eine Teilforderung in Höhe von 326,71 EUR beruht auf unerlaubter Handlung des Schuldners. Die Insolvenztabelle enthält eine entsprechende Eintragung.

2

Mit Beschluss vom 4.8.2004, rechtskräftig seit dem 25.8.2004, ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aufgehoben worden, nachdem der Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung rechtskräftig geworden ist.

3

Die o. g. Gläubigerin hat mit Schreiben vom 30.3.2005 die Erteilung eines vollstreckbaren Tabellenauszugs beantragt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung abgelehnt. Mit Beschluss vom 6.6.2005 hat der Abteilungsrichter des Amtsgerichts auf die Erinnerung der Gläubigerin den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass ein vollstreckbarer Tabellenauszug in der Wohlverhaltensperiode nicht erteilt werden könne. Dies gelte auch hinsichtlich einer möglichen Vollstreckung in insolvenzfreies Vermögen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung. Der Gläubigerin fehle das Rechtsschutzinteresse. Gemäß § 294 Abs. 1 InsO sei die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht zulässig. Da nach den bisherigen Erfahrungen fast alle Schuldner die Restschuldbefreiung erhalten würden, sei es einem Gläubiger zumutbar nach der Versagung der Restschuldbefreiung bzw. einem Widerruf der Restschuldbefreiung zeitnah einen Antrag zu stellen, der vom Insolvenzgericht kurzfristig bearbeitet werden könne. Auch Gläubigern, deren Forderung (teilweise) nicht von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 InsO berührt werde, sei es zumutbar, den Antrag auf vollstreckbare Ausfertigung erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu stellen. Es sei nämlich denkbar, dass die Forderung durch die vom Schuldner an den Treuhänder abzuführenden Beträge getilgt werde oder der Schuldner im Hinblick auf die Regelung des § 302 Nr. 1 InsO aus seinem unpfändbaren Vermögen eine Sonderzahlung leiste oder nahestehende Dritte eine derartige Zahlung erbrächten. Auch hinsichtlich des aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung herrührenden Teilbetrags in Höhe von 326,71 EUR komme die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht in Betracht. Insoweit werde den Interessen der Gläubiger durch die Privilegierung nach § 302 InsO ausreichend Rechnung getragen.

4

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie meint, ihrem Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung sei nach § 201 Abs. 2 S. 3 InsO zu entsprechen, da das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich aufgehoben worden sei. Insoweit bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Gläubigerin, denn es bestehe die Möglichkeit, dass die Restschuldbefreiung aufgrund der Bestimmungen der §§ 296, 297 oder 298 InsO versagt werde. Für diesen Fall könnten die einzelnen Gläubiger wieder ungehindert in das Restvermögen des Schuldners vollstrecken. Um auf eine evtl. Versagung oder einen späteren Widerruf der Restschuldbefreiung reagieren zu können, benötige die Gläubigerin die vollstreckbare Ausfertigung der Insolvenztabelle. Andernfalls geriete sie gegenüber solchen Gläubigern, die sofort vollstrecken könnten, ins Hintertreffen. Das Amtsgericht könne nicht darauf abstellen, ob letztendlich Beitreibungsmöglichkeiten für den Gläubiger gegeben seien.

5

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

6

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist gemäß § 4 InsO, § 573 Abs. 2 ZPO zulässig, sie ist auch begründet.

7

Das Amtsgericht muss der Gläubigerin die vollstreckbare Ausfertigung aus der Insolvenztabelle erteilen. Nach § 201 Abs. 2 S. 3 InsO kann der Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gestellt werden. Diese Voraussetzung liegt hier vor, denn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners ist mit Beschluss vom 4. August 2004 rechtskräftig aufgehoben worden. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts steht der Umstand, dass sich der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode befindet der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung nicht entgegen. Zwar ist nach § 294 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung einzelner Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht zulässig. Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung während der Wohlverhaltensperiode bedeutet jedoch nicht, dass der Gläubiger gehindert ist, vorbereitende Maßnahmen einzuleiten, um die Zwangsvollstreckung durchzuführen, wenn dem Schuldner die Restschuldbefreiung nach den §§ 296 bis 298 InsO versagt bzw. gemäß § 303 InsO widerrufen wird (Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 294 Rn. 10; Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Kießner, 3. Aufl., § 201, Rn. 17; Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Ahrens, 3. Aufl., § 294, Rn. 10; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Ehricke, § 294, Rn. 15; Fischer, ZInsO 2005, 69, 70). Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ergibt sich aus § 201 Abs. 3 InsO nichts Gegenteiliges. Nach dieser Regelung bleiben die Vorschriften über die Restschuldbefreiung unberührt. Damit wird klar gestellt, dass die Vollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Insolvenztabelle während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht zulässig ist, eine Einschränkung dahingehend, dass jedoch dem Gläubiger auch keine vollstreckbare Ausfertigung erteilt werden darf, folgt daraus nicht.

8

Der Gläubigerin fehlt für die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Zwar ist ihr die Zwangsvollstreckung für die Zeit der Wohlverhaltensperiode nach § 294 Abs. 1 InsO untersagt. Gleichwohl muss die Gläubigerin in die Lage versetzt werden, unmittelbar nach Wegfall des Vollstreckungsverbots Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Hierfür benötigt die Gläubigerin die beantragte vollstreckbare Ausfertigung der Tabelle. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Teils der Forderung, der nicht auf einer unerlaubten Handlung des Schuldners beruht, erst recht muss ihr die vollstreckbare Ausfertigung aus der Tabelle jedoch während der Wohlverhaltensperiode erteilt werden in Bezug auf die Teilforderung, die aus einer unerlaubten Handlung des Schuldners herrührt. Die Prognose des Amtsgerichts, dass fast alle Schuldner die Restschuldbefreiung erhalten werden, ist zum einen nicht gesichert, zum anderen lässt sich dies für den vorliegenden Fall ebenfalls nicht voraussagen. Dass die Gläubigerin die Teilforderung, die nicht aus einer unerlaubten Handlung herrührt, nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode nicht vollstrecken kann, weil sie von der Restschuldbefreiung erfasst wird, steht zur Zeit nicht fest. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass es zu einer Versagung der Restschuldbefreiung gemäß §§ 296 bis 298 InsO kommt. Für diesen Fall muss die Gläubigerin die gleichen Chancen haben wie andere Gläubiger, die bereits im Besitz eines vollstreckbaren Titels sind. Andernfalls könnten diese Gläubiger schneller vollstrecken und bessere Chancen auf eine Befriedigung ihrer Forderungen haben. Einem solchen Nachteil muss sich die Gläubigerin nicht aussetzen (vgl. Landgericht Arnsberg, NZI 2004, 515, 516; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Ehricke, § 294, Rn. 15).

9

Erst recht hat die Gläubigerin einen Anspruch auf Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle in Bezug auf die Teilforderung, die aus einer unerlaubten Handlung herrührt. Nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode unterliegt dieser Teil der Forderung nicht der Restschuldbefreiung, so dass die Gläubigerin nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode ohnehin in das Vermögen des Schuldners vollstrecken kann. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist es der Gläubigerin auch nicht zumutbar, den Antrag auf vollstreckbare Ausfertigung erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu stellen. Dass - wie das Amtsgericht insoweit ausführt - dieser Antrag vom Gericht kurzfristig bearbeitet werden kann, ist nicht gesichert. Verzögerungen in der Bearbeitung sind nicht auszuschließen. Die Gläubigerin liefe also wiederum Gefahr, Nachteile bei der Vollstreckung zu erleiden, weil andere Gläubiger, die bereits über einen vollstreckbaren Titel verfügen, schneller Zugriff auf das pfändbare Vermögen des Schuldners nehmen könnten.

10

Letztlich fehlt der Gläubigerin auch nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle, weil es denkbar ist, dass die Forderung durch die vom Schuldner an den Treuhänder abzuführenden Beträge getilgt wird, der Schuldner im Hinblick auf die Regelung des § 302 Nr. 1 InsO aus seinem unpfändbaren Vermögen eines Sonderzahlung leistet oder nahestehende Dritte eine derartige Zahlung erbringen. Diese Form der Erfüllung ist bei jeder titulierten Forderung denkbar. Folgte man insoweit der Argumentation des Amtsgerichts bestünden stets Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung, so lange nicht gesichert wäre, dass der Schuldner oder ein sonstiger Dritter in der Zwischenzeit keine Erfüllungshandlung vornimmt.