Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.04.2003, Az.: 2 B 4649/02

Antrag auf Verwaltungsakt; Beitritt; Zwangsversteigerung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
08.04.2003
Aktenzeichen
2 B 4649/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48055
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein beim Vollstreckungsgericht von der Vollstreckungsbehörde gestellter Antrag auf Zwangsversteigerung ist kein Verwaltungsakt.

2. Zum fehlenden Anordnungsgrund für einen gegen den Antrag auf Zwangsversteigerung gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

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1. Soweit die Beteiligten wegen der Rücknahme des Antrages auf Zwangsversteigerung für die am 15. November 2002 fällig gewesenen Abgaben (u.a. Grundsteuer B, s. Schreiben der Antragsgegnerin vom 21. März 2003) das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingestellt. Dabei ist auch das Vorbringen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 1. April 2003 jedenfalls bei großzügiger Auslegung noch als Erledigungserklärung zu verstehen, wenn man berücksichtigt, dass sie auf die entsprechende gerichtliche Verfügung vom 25. März 2003 antwortete und nicht anwaltlich vertreten ist. Sie erklärte, die Antragsgegnerin habe die Vollstreckung „wegen der reinen Grundsteuer zum Fälligkeitstermin 15.11.2002 gegenüber dem Amtsgericht Wittmund zurückgezogen“ und sie begehre die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens „wegen der Grundsteuer B wegen aller bisher angemeldeten Beträge, auch zu denen aus den übrigen Fälligkeitsterminen“. Sie stelle deshalb den Antrag, die Antragsgegnerin zu verurteilen, die Einstellung wegen der gesamten Grundsteuer B „aus beklagtem Zeitraum zu bewilligen und zu beantragen“.

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Im Übrigen ist das Begehren der Antragstellerin gemäß den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO zu ihren Gunsten dahingehend auszulegen, dass sie beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Zwangsversteigerung vom 23. Oktober 2002 auch hinsichtlich der übrigen in diesem Antrag genannten Grundsteuern und darüber hinaus hinsichtlich der im Antrag aufgeführten Säumniszuschläge, Mahn- und Vollstreckungskosten zurückzunehmen. Die Antragstellerin führte nämlich mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2002 aus, sie erweitere ihren Antrag auf Ausweitung des Vollstreckungsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf die Säumniszuschläge, Mahn- und Vollstreckungsgebühren, und mit Schriftsatz vom 15. Januar 2003 erklärte sie, ihren Antrag auf Ausweitung des Vollstreckungsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO halte sie aufrecht. Insoweit hat die Kammer das Vorbringen im Schriftsatz der Antragstellerin vom 1. April 2003 nicht als konkludente Teilrücknahme verstanden, zumal sie ausdrücklich erklärte, wegen der ihr in Rechnung gestellten Schmutzwasser- und Müllabfuhrgebühren „ziehe ich, sofern beantragt, die Klage zurück“.

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Der so verstandene Antrag der Antragstellerin ist zulässig.

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Insbesondere ist er statthaft. Gemäß § 123 Abs. 5 VwGO gelten die Vorschriften der Abs. 1 - 3 zwar nicht für die Fälle der §§ 80 und 80 a VwGO. Der der Antragstellerin von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. Oktober 2002 genannte Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bezüglich des Antrages auf Zwangsversteigerung wäre aber mangels Statthaftigkeit unzulässig. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist nur dann zulässig, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft wäre. Gegen den beim Amtsgericht Wittmund von der Antragsgegnerin gestellten Antrag auf Zwangsversteigerung wäre aber eine Anfechtungsklage unstatthaft, weil es sich bei dem Antrag auf Zwangsversteigerung nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne der §§ 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), 118 Satz 1 Abgabenordnung (AO) handelt. Insofern gibt die Kammer ihre bisherige Ansicht, bei diesem Antrag handele es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. z.B. Gerichtsbescheid vom 29. November 2000 - 2 A 1132/99 -, V.n.b.; vgl. auch BFH, Beschluss vom 15. Dezember 1992 - VII B 132/92 -, juris - danach veröffentlicht in BFH/NV 1993, 711 -, jedenfalls für den Fall, dass ein entsprechender Antrag die nach § 322 Abs. 3 Satz 2 AO (identisch mit § 58 Abs. 3 Satz 2 NVwVG) erforderliche Bestätigung enthalte; ebenso Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 7. Auflage 2000, § 118 Rn. 23 und § 322 Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Auflage 2003, Anh. § 42 Rdnr. 33, zum Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek), ausdrücklich auf und schließt sich der Auffassung an, dass ein derartiger Antrag, der an das (zuständige) Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) gerichtet wird, nicht mit unmittelbarer Wirkung gegenüber dem Vollstreckungsschuldner - hier der Antragstellerin - ergeht. Der an das Amtsgericht Wittmund gerichtete Antrag auf Zwangsversteigerung, der seine Rechtsgrundlage in § 58 Abs. 3 Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) hat, war auf den Erlass einer Vollstreckungsmaßnahme, nämlich die Anordnung der Zwangsversteigerung und - gewissermaßen mittelbar - auf das Ersuchen des Amtsgerichts an das Grundbuchamt gerichtet, diese Anordnung in das Grundbuch einzutragen (s. § 19 Abs. 1 Zwangsversteigerungsgesetz - ZVG -). Erst der stattgebende Beschluss des Amtsgerichts auf Anordnung der Zwangsversteigerung bzw. - wie hier (s. Beschluss des Amtsgerichts Wittmund vom 29. Oktober 2002) - über die Zulassung des Beitritts zu einer bereits angeordneten Zwangsversteigerung berührt die Rechtstellung der Betroffenen unmittelbar. Der Antrag auf Zwangsversteigerung ist dagegen seinem Charakter nach ebenso wie ein Vollstreckungsersuchen, eine Sicherungshypothek eintragen zu lassen, eine „zwischenbehördliche“ Maßnahme. Sie braucht daher dem Vollstreckungsschuldner nicht bekannt gegeben zu werden, um wirksam zu sein. Dieser Antrag ist auch nicht deshalb ein Verwaltungsakt, weil die Vollstreckungsbehörde gemäß § 58 Abs. 3 Satz 2 NVwVG bei Antragstellung zu bestätigen hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen. So bescheinigte auch die Antragsgegnerin in dem Antrag auf Zwangsversteigerung die Vollstreckbarkeit der Forderung in Höhe von insgesamt 3.097,00 € (3.078,94 EUR nach Rangordn . 3 und 18,06 EUR nach Rangordn . 5). Denn auch diese Bestätigung ist nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Deshalb ist es rechtlich unerheblich, dass die Fragen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, nicht der Beurteilung des Vollstreckungsgerichts oder - wie beim Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek - des Grundbuchamts unterliegen (s. § 58 Abs. 3 Satz 3 NVwVG). Vielmehr gehört die Bestätigung zum Antrag auf Zwangsversteigerung und entspricht der nach § 16 ZVG notwendigen Bezeichnung des vollstreckbaren Titels und der Vorlage der für den Beginn der Zwangsvollstreckung erforderlichen Urkunden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Kommentar, § 322 Rn. 32 ff., m.w.N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 7. Auflage 2000, § 35 Rdnr. 67; BVerwG, Urteil vom 18. November 1960 - VII C 184.57 -, DVBl. 1961, 134 <135>, zu dem an das Amtsgericht gerichteten Ersuchen auf Abnahme des Offenbarungseides; OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Dezember 1986 - 13 OVG A 47/85 -, V.n.b., zum Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek, m.w.N.; Henneke in Knack, VwVfG, Kommentar, 6. Auflage 1998, § 35 Rn. 4.5.4). Die Kammer teilt auch nicht die Meinung (Engelhardt/App, VwVG, Kommentar, 4. Auflage 1996, Anh. 1 AO § 322 Anm. 5), dass die Wege, die das Verwaltungsvollstreckungsrecht samt den in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO und des ZVG für das Wirksamwerden von Vollstreckungsverwaltungsakten vorschreiben, als "leges specialis" die allgemeinen Regelungen in den §§ 122, 124 AO und §§ 41, 43 VwVfG verdrängten und dass der Gesetzgeber davon auch im Bereich der Immobiliarvollstreckung habe abweichen wollen, indem er in § 322 Abs. 1 Satz 2 AO (ebenso wie in § 58 Abs. 1 Satz 2 NVwVG) auf § 867 Abs. 1 ZPO verwiesen habe.

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber unbegründet.

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Ein derartiger Antrag hat nur dann Erfolg, wenn sowohl Anordnungsgrund (Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Regelung) als auch Anordnungsanspruch (materiell-rechtlicher Anspruch) glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Die Antragstellerin hat jedoch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Antragstellerin hat nicht in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht, dass derartige Gründe vorliegen. Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, dass sich dem Beschluss des Amtsgerichts Wittmund vom 29. Oktober 2002 entnehmen lässt, dass die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes der Antragstellerin bereits angeordnet war und das Amtsgericht auf Antrag der Antragsgegnerin lediglich den Beitritt zu dieser Zwangsversteigerung zugelassen hat. Ein Erfolg in diesem Verfahren hätte somit nicht zur Folge, dass das Zwangsversteigerungsverfahren nicht weiter durchgeführt würde. Insofern ist es in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich, dass der Gläubiger, dessen Beitritt zugelassen ist, gemäß § 27 Abs. 2 ZVG dieselben Rechte hat, wie wenn auf seinen Antrag die Versteigerung angeordnet wäre, und der Beitritt zu einem bereits angeordneten Zwangsversteigerungsverfahren für den Vollstreckungsschuldner einen ebenso schweren Eingriff darstellt wie der ursprüngliche Antrag auf Zwangsversteigerung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Erfolg des Eilantrages andere kurzfristig eintretende Vorteile für die Antragstellerin hätte, insbesondere also beispielsweise der zuerst gestellte Antrag auf Zwangsversteigerung (teilweise) zurückgenommen werden soll. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der von ihr festgesetzten Grundsteuer ohnehin gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bevorrechtigt wäre. Außerdem wurde der Antragstellerin mit der zuletzt genannten gerichtlichen Verfügung Gelegenheit gegeben, die Eilbedürftigkeit ihres Eilantrages darzulegen. Entsprechende Anhaltspunkte lassen sich dem Schriftsatz vom 1. April 2003 indes nicht entnehmen.

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Hat der Antrag nach alledem keinen Erfolg, brauchte die Kammer nicht zu überprüfen, ob die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Insoweit ist die Antragsgegnerin allerdings darauf hinzuweisen, dass die Vollstreckungsbehörde Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung gemäß § 58 Abs. 4 NVwVG nur beantragen soll, wenn festgestellt ist, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann. Damit ist gemeint, dass bei sorgfältiger Prüfung mit größter Wahrscheinlichkeit die Erfolglosigkeit anzunehmen ist. Darum muss in der Regel die Pfändung sowohl von Sachen als auch von Forderungen und Rechten versucht worden sein. Solche Vollstreckungsversuche erübrigen sich nur, wenn von vornherein deren Fruchtlosigkeit feststeht. Ausnahmsweise können Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung trotz genügend vorhandenen beweglichen Vermögens nur beantragt werden, wenn das bewegliche Vermögen für den Vollstreckungsschuldner wertvoller als das unbewegliche Vermögen ist. Das verlangt bereits der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs. Wegen der Schwere des mit der Zwangsversteigerung verbundenen Eingriffs sind besonders sorgfältige Ermessenserwägungen geboten. Eine Verminderung der Anforderungen an die Darlegung der Ermessenserwägungen ergibt sich aus den oben genannten Gründen auch nicht aus dem Umstand, dass ein Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung vom Vollstreckungsgericht - wie hier - als Beitritt zu dem bereits beantragten Zwangsversteigerungsverfahren eines anderen Gläubigers behandelt wird (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Juli 1991 - 2 K 19/90 -, juris, danach veröffentlicht in EFG 1991, 715; Tipke/Kruse, a.a.O., Rdnr. 50 f.; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 10. Juni 1992 - 9 M 1073/92 -, KKZ 1992, 218, Leitsatz Nr. 1). Hiervon ausgehend könnte es fraglich sein, ob eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der Antragstellerin aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen unterbleiben durfte. Eine abschließende Entscheidung war indes aus dem genannten Grund entbehrlich.