Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 15.04.2003, Az.: 13 A 2242/01
Asylbewerber; Kostenerstattung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.04.2003
- Aktenzeichen
- 13 A 2242/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48054
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 83b SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nach Sinn und Zweck des § 89 b SGB VIII sind bei der Erstattung von Kosten, die für Maßnahmen nach §§ 42, 43 SGB für Asylsuchende angefallen sind, die Bestimmungen des § 86 Abs. 1 - 5 SGB VIII anzuwenden (wie Bay. VGH Beschluss vom 08.02.2001 - Az. 12 B 99.2202 -).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Erstattung von Kosten, die der Klägerin für die Inobhutnahme des am 24. Mai 1980 geborenen ... entstanden sind.
Am 14. Juni 1997 wurde ... am Afrikaterminal des Hamburger Hafens festgenommen. Zum Zeitpunkt der Festnahme war er im Besitz eines gefälschten niederländischen Reisepasses mit dem Aliaspersonalnamen ... .
Nachdem gegen ... zunächst ein Abschiebungshaftbefehl des Amtsgerichts Hamburg ergangen war, gab er an, in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung zu suchen, wurde am 19. Juni 1997 aus der Abschiebungshaft entlassen und der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerberinnen und Asylbewerber Oldenburg zugewiesen, wo er am 25. Juni 1997 den Asylantrag stellte.
Mit Bescheid vom 27. August 1997 wies das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlagen und auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben waren. Mit Bescheid vom 5. September 1997 wurde ... aufgegeben, sich spätestens bis zum 11. September 1997 zur Gemeinde Schortens zur weiteren Abwicklung des Asylverfahrens zu begeben.
Unter dem 23. September 1997 wurde ihm eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt, wobei sein Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises Friesland und der Stadt Wilhelmshaven beschränkt wurde.
Mit am 10. Oktober 1997 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob ... Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter (7 A 4352/97). Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte die 7. Kammer des Gerichts durch Beschluss vom 22. Oktober 1997 (Az.:7 B 4353/97) ab. Auch ein Antrag auf Abänderung dieses Beschlusses (Az. 7 B 4835/97) blieb ohne Erfolg.
Am 24. Februar 1998 wurde ... in Hamburg von der Polizei aufgegriffen und anschließend vom Kinder- und Jugendnotdienst der Klägerin in Obhut genommen. Noch bevor seine Rückkehr nach Schortens geklärt werden konnte, verließ ... am 25. Februar 1998 die Einrichtung, kehrte dorthin aber am 27. Februar 1998 zurück, worauf ihm ein Fahrgutschein ausgestellt wurde, mit dem er dann nach Schortens zurückfuhr.
Mit Schreiben vom 18. März 1998 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, ... sei "vom 24. Februar 1998 bis 25. Februar 1998" von ihrem Kinder- und Jugendnotdienst in Obhut genommen worden und forderte den Beklagten auf, ein Kostenanerkenntnis für die Inobhutnahme und die entstandenen Nebenkosten (Rückfahrt mit der Bahn) zu übersenden. Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit, der Aufenthalt von ... in Hamburg sei nicht rechtmäßig gewesen. Daher komme auch eine Kostenübernahme nach § 42 SGB VIII nicht in Betracht.
Am 26. August 1998 wurde ... nach Ghana abgeschoben.
Unter dem 11. September 1998 erinnerte die Klägerin an die Abgabe des Kostenanerkenntnisses. Unter dem gleichen Tag teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Unterbringung von ... in Hamburg sei der Sache nach eine Maßnahme nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewesen, für die die Klägerin nach § 11 Abs. 2 AsylbLG originär zuständig gewesen sei.
Mit Beschluss vom 26.Juli 1999 stellte die 7. Kammer des Gerichts das von ... betriebene (Asyl-)Verfahren (13 A 4352/97) ein, nachdem zuvor die Klage zurückgenommen worden war.
In der Folgezeit führte auch die Einholung einer Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge nicht zu einer Einigung über den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch.
Mit einem am 9. Juli 2001 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie macht geltend: Ihr stehe gegen den Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch aus § 89 b SGB VIII zu. Ihr seien Kosten für die Inobhutnahme von ... durch ihren Kinder- und Jugendnotdienst in Höhe von zwei Tagessätzen zu je 496,48 DM (am 24. und 25. Februar 1998) und Kosten für die Rückfahrt von ... von Hamburg nach Schortens (am 27. Februar 1998) in Höhe von 49,00 DM entstanden. Die Zuständigkeit des Beklagten für ... sei durch dessen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB VIII begründet worden. Daran ändere nichts, dass § 86 Abs. 7 SGB VIII für die örtliche Zuständigkeit auf eine Zuweisungsentscheidung abstelle. Nach Sinn und Zweck des § 89 b SGB VIII sei für eine Kostenerstattung bei Maßnahmen nach § 42 SGB VIII für Asylsuchende auf die allgemeinen Bestimmungen über die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 - 5 SGB VIII abzustellen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die ihr entstandenen Jugendhilfekosten in Höhe von insgesamt 1.041,96 DM zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin bestehe nicht gegen ihn, sondern allenfalls gegen den überörtlichen Träger, da bei der hier bestehenden Fallgestaltung § 89 b Abs. 2 SGB VIII eingreife. Seine Zuständigkeit für Leistungen an ... ergebe sich nicht aus dessen gewöhnlichen Aufenthalt, da sein Wohnsitz in Schortens allein durch die Zuweisungsentscheidung bestimmt gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Klägerin stellt der geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zu.
Nach § 89 b Abs. 1 SGB VIII in der im 1. Halbjahr 1998 geltenden Fassung (vom 15. März 1996 - BGBl. I S. 477) sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42 SGB VIII) oder die Herausnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen ohne Zustimmung des Personensorgeberechtigten (§ 43 SGB VIII) aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB VIII begründet wird. Dabei ist der Wortlaut der Vorschrift - § 89 b Abs. 1 SGB VIII - so auszulegen, dass eine „Zuständigkeit“ für die Inobhutnahme oder Herausnahme durch § 86 SGB VIII, der eine Zuständigkeitsbestimmung für Leistungen der Jugendlichen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII und nicht für „andere Aufgaben der Jugendhilfe“ nach § 2 Abs. 3 SGB VIII trifft, nicht begründet werden soll, sondern die Regelungen in § 86 Abs. 1 - 5 SGB VIII nur auf die Kostenerstattung entsprechend anzuwenden sind (Schellhorn, Kommentar, SGB VIII, 2. Aufl. § 89 b Rn. 5).
Entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung ist seine Zuständigkeit für ... im Frühjahr 1998 durch dessen gewöhnlichen Aufenthalt in Schortens begründet worden. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass ... gemäß § 50 Abs. 4 bis 6 Asylverfahrensgesetz der Gemeinde Schortens mit Bescheid vom 5. September 1997 zugewiesen worden ist und sein Aufenthalt in der Aufenthaltsgestattung vom 23. September 1997 gemäß § 56 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz auf das Gebiet des Landkreises Friesland und der Stadt Wilhelmshaven beschränkt worden ist. Zur Frage, wie im Rahmen der Auslegung des § 89 b SGB VIII die Vorschrift des § 86 Abs. 7 SGB VIII zu verstehen ist, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 8. Februar 2001 - Az. 12 B 99.2202 - S. 4 des Entscheidungsabdrucks) ausgeführt:
„§ 86 Abs. 7 SGB VIII regelt die örtliche Zuständigkeit für Leistungen an Kindern und Jugendliche, die, wie hier, um Asyl nachsuchen oder einen Asylantrag gestellt haben. Maßgeblich für die Zuständigkeit ist hier nicht der gewöhnliche Aufenthalt, sondern der tatsächliche Aufenthalt vor Beginn der Leistung oder eine Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde. Nach dem Wortlaut der Vorschrift könnte davon ausgegangen werden, dass bei einer Maßnahme nach § 42 oder § 43 SGB VIII für Asylbewerber keine Kostenerstattung nach § 89 b Abs. 1 SGB VIII, sondern allenfalls eine solche nach Abs. 2 dieser Vorschrift stattfindet, weil für Leistungen an diesem Personenkreis in § 86 Abs. 7 SGB VIII nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt wird. Dem widerspricht indes bereits der Wortlaut des ab 1. Juli 1998 der § 89 b SGB VIII neu eingefügten Absatzes 3. Zudem bedarf die ausschließlich für Leistungen für Asylsuchende/Asylantragsteller geschaffene spezielle Regelung in § 68 Abs. 7 SGB VIII im Bezugsrahmen des § 89 b SGB VIII der Auslegung mit der Folge, dass nach Sinn und Zweck der Kostenerstattungsvorschrift nach § 89 b SGB VIII bei Maßnahmen nach § 42 oder § 43 SGB VIII für Asylsuchende/Asylantragsteller die allgemeinen Bestimmungen des § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII anzuwenden sind (vgl. Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand: November 2000, Rn. 10, 14 zu § 89 b).“
Dieser Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, dessen Beschluss mit der Verwerfung der gegen diesen gerichteten Revision durch das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 19. Dezember 2001 - Az.: 5 C 57.1 -) rechtskräftig geworden ist, schließt sich die Kammer an.
... hatte auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Schortens. Dies folgt aus § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, wonach jemand dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Auch vom Beklagten wird nicht in Zweifel gestellt, dass sich ... in Schortens in der ihm dort zur Verfügung gestellten Unterkunft „bis auf Weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens aufhielt und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte (BVerwG, Urteil vom 19. März 1999 - Az.: 5 C 11.98 - NDV-RD 1999, 73 [BVerwG 18.03.1999 - BVerwG 5 C 11/98], 74/75). Daran ändern auch die Regelungen über die Zuweisung im Asylverfahrensgesetz nichts. Hält sich ein Asylbewerber aufgrund einer Zuweisung in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer anderen Unterkunft auf, begründet er an dem Ort, in dem sich diese Unterkunft befindet, in aller Regel seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Der Umstand, dass eine Gemeinschaftsunterkunft nicht zum dauernden Verbleib bestimmt ist und diesem Aufenthalt die Merkmale an der selbstbestimmten, auf Dauer eingerichteten Häuslichkeit fehlen, steht dabei der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibens „bis auf Weiteres“ ebensowenig entgegen, wie der Umstand, dass dem Betroffenen keine andere Wahl bleibt, als sich bis auf Weiteres an dem Ort, dem er zugewiesen worden ist, aufzuhalten (BVerwG, a.a.O.).
Der Klägerin steht nach alledem ein Kostenerstattungsanspruch wegen der Aufwendungen für die Inobhutnahme von ... am 24./25. Februar 1998 sowie ein Anspruch auf Erstattung der dabei entstandenen weiteren Kosten für die Fahrt mit der Deutschen Bahn von Hamburg nach Schortens zu. Die Aufwendungen für die Inobhutnahme hat die Klägerin nachvollziehbar mit zwei Tagessätzen zu je 496,48 DM dargelegt und die Kosten der Rückfahrt von ... mit 49,00 DM angegeben. Dem ist der Beklagte nicht entgegengetreten. Dem Anspruch auf Erstattung stehen auch Regelungen des Asylverfahrensgesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht entgegen. Regelungen dieser Gesetze schließen nämlich einen Anspruch auf Gewährung von Jugendhilfe an minderjährige Asylbegehrende nicht aus (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1999 - 5 C 24.98 -, BVerwGE 109, 155 = NDV-RD 2000, 4). Damit kommt es auch nicht darauf an, dass sich ... entgegen seiner Zuweisung und den Bestimmungen seiner Aufenthaltsgestattung am 24. bis 27. Februar 1998 in Hamburg aufgehalten hat, da die Notwendigkeit einer Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen nach § 42 SGB VIII gerade dann gegeben sein wird, wenn dieser sich entgegen rechtlichen, seinen Aufenthalt bestimmenden Vorschriften an Orten aufhält, an denen von einer dringenden Gefahr für den Jugendlichen im Sinn des § 42 Abs. 3 SGB VIII auszugehen ist.
Nach alledem war der Beklagte entsprechend dem Antrag der Klägerin zu verurteilen, an sie den geltend gemachten Betrag von 532,75 € (= 1.041,96 DM) zu erstatten.