Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.04.2003, Az.: 2 B 1518/03

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
25.04.2003
Aktenzeichen
2 B 1518/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 40751
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0425.2B1518.03.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrages gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist u.a. die Erhebung eines Widerspruches.

  2. 2.

    Zur unaufschiebbaren Maßnahme im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO.

  3. 3.

    Zur Interessenabwägung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Zusammenhang mit einer Platzverweisung.

Tenor:

  1. ...

Tatbestand:

1

...

Gründe

2

Der Antrag des Antragstellers, der dahingehend auszulegen ist, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines - soweit ersichtlich - noch nicht erhobenen Widerspruches gegen die Platzverweisung der Polizeiinspektion Cloppenburg vom 24. April 2003 begehrt, hat keinen Erfolg.

3

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende Antrag ist bereits unzulässig, weil der Antragsteller jedenfalls zum Zeitpunkt des am heutigen Tage gestellten Antrages nach eigenem Vorbringen keinen Widerspruch erhoben hatte und auch ansonsten nicht ersichtlich ist, dass dies inzwischen geschehen ist (die Frage, ob die vorherige Erhebung des Widerspruchs erforderlich ist, ist streitig, vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, § 80 Rdnr. 139 m.w.N.). Der Antragsteller hat nach Auffassung des Gerichts auch nicht dadurch fristgerecht Widerspruch erhoben, dass er heute einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellte und dieser Antrag der Antragsgegnerin rechtzeitig zugegangen ist. Denn diesem Antrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Antragsteller damit gleichzeitig eine Überprüfung des angegriffenen Verwaltungsaktes durch die (Widerspruchs-) Behörde begehrte. Dagegen spricht entscheidend, dass er vorgetragen hat, er werde schnellstmöglich Widerspruch einlegen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 28. Juli 1995 - Bf III 14/94 - NVwZ-RR 1996, 397398 f.; VG Oldenburg, Beschlüsse vom 26. August 1996 - 7 B 3292/96 -, V.n.b., und vom 7. Juni 2002 - 2 B 2457/02 -, V.n.b.).

4

Selbst wenn man aber anderer Auffassung wäre und annähme, der Eilantrag sei trotz fehlender Widerspruchserhebung zulässig, weil der Antragsteller noch Gelegenheit hat, Widerspruch zu erheben, auch wenn dies nur bis zum 30. April 2003, 0.00 Uhr, möglich wäre, weil die Verfügung bis zu diesem Zeitpunkt befristet ist, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Der Antrag wäre dann unbegründet.

5

Ein Widerspruch hätte schon deshalb keine aufschiebende Wirkung, weil die Platzverweisung eine unaufschiebbare Maßnahme i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO darstellt. Die Verfügung wurde durch einen Polizeivollzugsbeamten, nämlich einen Polizeikommissar (PK) (s. § 2 der Verordnung über die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes des Landes Niedersachsen- PolNLVO - i.d.F. vom 8. Mai 1996 ( GVBl. S. 237)) ausgesprochen (zur Zuständigkeit s. § 1 Abs. 2 Satz 1 NGefAG) und nach dem der Polizeibehörde bekannten Sachverhalt ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Maßnahme unaufschiebbar war. Rechtlich unerheblich ist es, dass sie schriftlich erging. Zwar wird die Auffassung vertreten, die schriftlich erlassene Polizeiverfügung begründe die Vermutung, dass die Zeit ausgereicht hätte, sie formgerecht für sofort vollziehbar zu erklären, so dass § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO nicht anwendbar sei (Finkelnburg/Jank, Vorl. Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 697, VG Frankfurt, Beschluss vom 5. Oktober 1989 - V/2 H 1826/89 -, NVwZ 1990, 11001101). Hier ist indes zu berücksichtigen, dass die Verfügung nach Bekanntwerden des Sachverhalts umgehend erlassen und außerdem ein Formular verwendet wurde. Eine ausdrückliche Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß "§ 80 Abs.2 Nr.2 VwGO" (s. Nr. 5 des Bescheides) war allerdings überflüssig.

6

Für den Erfolg eines zulässigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist entscheidend, ob im Einzelfall dem Interesse des Antragstellers am Schutz vor Schaffung ihn belastender vollendeter Tatsachen auf Grund eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsakts oder dem Interesse Dritter oder der Behörde an einer Durchführung der mit dem Verwaltungsakt angeordneten oder nur zugelassenen Maßnahmen auch vor einer abschließenden gerichtlichen Prüfung seiner Rechtmäßigkeit das größere Gewicht beizumessen ist. Im Rahmen der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Ist dessen Ausgang offen, ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO zu beachten, dass der Gesetzgeber den Sofortvollzug im Regelfall für geboten hält.

7

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag war nach dem Inhalt der vorliegenden Unterlagen nach der in diesem Verfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offen, ob ein noch zu erhebender Widerspruch gegen die Platzverweisung Erfolg haben würde bzw. gehabt hätte. Gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NGefAG kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehendes Betreten eines Ortes verbieten, wobei diese Maßnahme gegen den erkennbaren oder mutmaßlichen Willen der berechtigten Person nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig ist, wenn diese Maßnahme eine Wohnung betrifft. Nach dem Eilantrag des Antragstellers einerseits und den dem Gericht von der Antragsgegnerin vorgelegten Dokumenten andererseits lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, ob die Platzverweisung zum maßgeblichen Zeitpunkt - also dem der Entscheidung des Gerichts - noch gerechtfertigt gewesen ist. Ebenso wenig lässt sich jedoch die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen.

8

Es ist nicht in ausreichendem Maße ersichtlich, dass die angegriffene Verfügung in formeller Hinsicht rechtswidrig ist. In materieller Hinsicht ist in Bezug auf die Platzverweisung zu beachten, dass es auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers zu einem Streit und zu Handgreiflichkeiten kam. Streitig sind allerdings die weiteren Umstände. So hat der Antragsteller u.a. behauptet, seine Frau habe ihn angegriffen, und zwar mit einer Fahrradluftpumpe. Er habe sich lediglich gegen ihre Attacken gewehrt, indem er sie am Arm festgehalten habe. Mehr sei wirklich nicht geschehen. Wehren werde man sich schließlich noch dürfen. Er sei körperlich stark eingeschränkt und könne sich kaum auf den Beinen halten, da sein Hüftgelenk kaputt sei. Insofern sei er gar nicht in der Lage, Gewalt gegenüber einem anderen Menschen auszuüben. Seine Frau habe auch keinerlei äußerliche Gewaltmerkmale an ihrem Körper. Dem Ermittlungsbericht zur Strafanzeige der Polizeiinspektion Cloppenburg vom 24. April 2003 lässt sich indes entnehmen, dass ein Mitbewohner des Hauses am selben Tag gegen 13.02 Uhr über Notruf die Polizei verständigt habe. Er habe angegeben, dass er von der Ehefrau des Antragstellers angesprochen worden sei. Sie habe ihm mitgeteilt, dass es zu Streitigkeiten zwischen ihr und dem Antragsteller gekommen sei. Im Laufe der Streitigkeiten sei sie dann von ihrem Ehemann geschlagen worden. Sie habe darum gebeten, dass die Polizei vor Ort erscheine. Gegen 13.20 Uhr sei die Funkstreifenbesatzung eingetroffen. Vor Ort seien sie von der Ehefrau des Antragstellers erwartet worden. Sie habe im Parterre im Hausflur gestanden. Bei sich habe sie das ca. 6 Monate alte gemeinsame Kind gehabt. Das Kind sei vollständig bekleidet gewesen und habe im Kinderwagen gelegen. Im Weiteren habe die Ehefrau Kleidungsstücke für das Kind und sich selbst eingepackt gehabt. Auf Nachfrage habe sie angegeben, dass sie das Haus habe verlassen wollen. Wohin sie gehen wolle, könne sie nicht sagen. Die Ehefrau habe gegenüber den eingesetzten Beamten angegeben, dass es zwischen ihr und ihrem Ehemann zu Streitigkeiten in der gemeinsamen Wohnung gekommen sei. Den Grund habe sie nicht nennen können oder wollen. Im Laufe der Streitigkeiten sei ihr Mann dann handgreiflich geworden. Sie habe angegeben, dass er sie mit der Hand geschlagen habe. Sie habe Rötungen am linken Arm gezeigt. Nach dem Gespräch mit der Ehefrau des Antragstellers sei die eheliche Wohnung aufgesucht worden. Auf dem Sofa sei ihr Ehemann liegend angetroffen worden. Neben dem Sofa hätten zwei leere Kornflaschen gestanden. Die Eheleute hätten getrennte Schlafzimmer. Das Schlafzimmer des Antragstellers sei sehr unaufgeräumt gewesen. Ein vom Antragsteller freiwillig durchgeführter Test am stationären Alcomaten ergab eine AAK von 1,29 Promille. In einem weiteren Bericht (Überschrift "Häusliche Gewalt") werden als "Verletzungen, Schmerzen" neben den Rötungen auch Prellungen am linken Arm genannt. Hinzu kommt, dass sich aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin ergibt, dass bereits im letzten Monat ein Polizeieinsatz wegen eines Familienstreites notwendig geworden sei (s. Schriftsatz und Vermerk vom 25. April 2003). Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es in einem anderen Zusammenhang in einem Vermerk der Polizeistation Molbergen nach Wiedergabe einer vertraulichen Mitteilung vom 12. August 2002 heißt "Vorsicht!! ...Der Antragsteller, Anm. durch das Gericht könnte bei der Festnahme Widerstand leisten".

9

Unterstellte man das Vorbringen der Ehefrau des Antragstellers als wahr und berücksichtigte man den übrigen Inhalt der dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Polizeieinsatz im vergangenen Monat und die weiteren Gesichtspunkte, dass der Antragsteller und seine Ehefrau getrennte Schlafzimmer haben, er bereits zur Mittagszeit am 24. April 2003 (Donnerstag) eine AAK von 1,29 Promille hatte, ihm nach dem Vermerk der Polizeistation Molbergen scheinbar jedenfalls auch in einem anderen Fall mit Vorsicht zu begegnen war und seine Ehefrau zusammen mit dem gemeinsamen Kind die Wohnung am 24. April 2003 angesichts der eingepackten Kleidungsstücke jedenfalls offenbar nicht lediglich für eine nur sehr kurze Zeit verlassen wollte, ohne sagen zu können, wohin sie gehen wolle, wäre nach summarischer Prüfung eine gegenwärtige erhebliche Gefahr im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 NGefAG wohl anzunehmen. Es wäre nach einer Rückkehr des Antragstellers in die Wohnung wahrscheinlich davon auszugehen, dass unmittelbar oder in nächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder Streitigkeiten entstünden und es auf Grund dessen zu schwerwiegenden Übergriffen seitens des Antragstellers auf seine Ehefrau käme. Anders könnte sich die Sachlage indes darstellen, wenn man auf das Vorbringen des Antragstellers abstellte und annähme, er habe sich nur verteidigt und seine Ehefrau nicht geschlagen.

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Hiervon ausgehend wären die Interessen des Antragstellers, vom Vollzug vorläufig verschont zu bleiben, mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen bzw. denen seiner Ehefrau gegeneinander abzuwägen gewesen. Dabei überwiegt jedenfalls das Interesse seiner Ehefrau bzw. das öffentliche Interesse am Schutz vor schwerwiegenden Übergriffen möglicherweise gewalttätiger Personen. Das Interesse des Antragstellers, die gemeinsame eheliche Wohnung auch nicht für wenige Tage verlassen zu müssen, ist dem gegenüber auch unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes der Wohnung gemäß Art. 13 Grundgesetz (GG) als geringer einzustufen. Der Antragsteller hat zwar auf seine körperlichen Beschwerden hingewiesen. Aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse geht das Gericht nach summarischer Prüfung aber davon aus, dass der Antragsteller seiner Ehefrau körperlich überlegen ist mit der Folge, dass sie einen größeren Schutz als er verdient. Im Übrigen hat er nicht glaubhaft gemacht, dass es ihm nicht möglich ist, kurzfristig bei Freunden oder Bekannten zu übernachten. Im Gegenteil, die Antragsgegnerin hat vorgetragen, er habe gegenüber der Polizei vor der Wegweisung aus der Wohnung angegeben, mehrere Bekannte und Verwandte im Bereich Cloppenburg/Vechta zu haben. Auch habe er in Hemmelte ein Gebäude angemietet, da er plane, sich selbständig zu machen.