Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.03.2003, Az.: 6 B 48/03
Rechtmäßigkeit einer Ordnungsmaßnahme wegen häufiger Verspätung zum schulischen Unterricht; Ordnungsmaßnahme als Strafmaßnahme oder Erziehungsmaßnahme für vorausgegangenes Fehlverhalten des Schülers für unpünktliches Erscheinen zum Unterricht; Grobe Verletzung der Pflichten eines Schülers durch unpünktliches Erscheinen zum Unterricht; Erhebliche Beeinträchtigung der zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule erforderlichen Unterrichtsarbeit und Erziehungsarbeit; Androhung der Verweisung des Schülers auf eine andere Schule
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 21.03.2003
- Aktenzeichen
- 6 B 48/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 34299
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2003:0321.6B48.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 61 Abs. 1 NSchG
- § 61 Abs. 2 NSchG
- § 61 Abs. 3 Nr. 2 NSchG
- § 61 Abs. 6 S. 1 NSchG
- Art. 20 Abs. 3 GG
- Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG
- Art. 1 Abs. 2 Nds. Verfassung
Fundstellen
- SchuR 2004, 108-110 (Volltext mit amtl. LS)
- SchuR 2005, 43 (Volltext)
Verfahrensgegenstand
Ordnungsmaßnahmen -
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
am 21. März 2003
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine von der Antragsgegnerin nach dem Nds. Schulgesetz (NSchG) angeordnete Ordnungsmaßnahme.
Der volljährige Antragsteller besuchte seit dem Schuljahr 2001/2002 das Fachgymnasium für Informationstechnik der Antragsgegnerin.
Am 9. September 2002 fand eine Klassenkonferenz statt, weil der Antragsteller schon zu Beginn des Schuljahres häufig unpünktlich zum Unterricht erschienen war, dieses Verhalten im 2. Schulhalbjahr 2001/2002 fortgesetzt und trotz Gesprächen der Klassenlehrerin mit dem Antragsteller und seinem Vater daneben begonnen hatte, einzelnen Unterrichtsblöcken unentschuldigt fernzubleiben; außerdem war der Antragsteller im Mai 2002 je eine Woche vor und nach einer Klassenfahrt unentschuldigt nicht zum Unterricht erschienen. Die Klassenkonferenz beschloss im Wesentlichen, dass der Antragsteller ein persönliches Anwesenheitsbuch führen müsse. Weiter heißt es in dem Beschluss, "bei unentschuldigtem Fehlen und Verspätungen" werde er von der Schule verwiesen. Am Ende der Sitzung wurde dem Antragsteller der Beschluss mitgeteilt und "angedroht", dass "bei Nicht-Veränderung seines Verhaltens eine Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform in einer dann einzuberufenden Konferenz" erfolge. Wegen der weiteren Einzelheiten des Konferenzbeschlusses und der diesem zu Grunde liegenden Sachverhaltsfeststellungen wird auf das Konferenzprotokoll vom 9. September 2002 verwiesen (Beiakte A).
In dem sich anschließenden Zeitraum bis zum 17. Dezember 2002 erschien der Antragsteller an 61 Unterrichtstagen 22-mal zu spät zum Unterricht, zum Teil 30 Minuten und mehr.
Am 17. Dezember 2002 fand eine weitere Klassenkonferenz statt. In dem zu Beginn der Konferenz erstatteten Sachverhaltsbericht heißt es unter anderem, der Antragsteller sei seit dem 9. September nicht nur häufig zu spät zum Unterricht erschienen, sondern habe auch an sechs Tagen jeweils einen Unterrichtsblock unentschuldigt gefehlt. In einem Gespräch mit der Klassenlehrerin am 22. November 2002 habe er keinerlei Einsicht gezeigt. Wegen der Einzelheiten der Sachverhaltsermittlung und der Äußerung des Antragstellers wird auf das Protokoll verwiesen (Bl. 56 ff. der Gerichtsakte). Die Klassenkonferenz beschloss, gegen den Antragsteller die Ordnungsmaßnahme der Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform sowie die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme anzuordnen.
Mit entsprechendem Bescheid vom 14. Januar 2003 ordnete die Antragsgegnerin mit Zustimmung der Bezirksregierung Braunschweig die Überweisung des Antragstellers an die Berufsbildenden Schulden II in D. - Fachgymnasium mit Schwerpunkt Informationstechnik - an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, angesichts des festgestellten Verhaltens des Antragstellers und der darin zum Ausdruck gekommenen Einstellung sei die Ordnungsmaßnahme zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Schulbetriebs und zur sachgerechten und problemlosen Erfüllung des Bildungsauftrages der Schule erforderlich.
Seit dem 23. Januar 2003 besucht der Antragsteller das Fachgymnasium an den Berufsbildenden Schulen II in E..
Mit Schreiben vom 7. Februar 2003 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin Widerspruch.
Außerdem hat er bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebeten. Zur Begründung macht er im Wesentlichen Folgendes geltend: Die Antragsgegnerin habe die Anordnung sofortiger Vollziehung nicht hinreichend konkret begründet. Außerdem habe sie ihn nicht ausreichend angehört; in der Abhilfekonferenz vom 25. Februar 2003 sei ihm verweigert worden, Fragen zu stellen. Dadurch, dass er in unterschiedlicher Weise zu spät zum Unterricht erschienen sei, sei weder der Unterricht noch der Schulbetrieb nachhaltig gestört worden. Seit der Klassenkonferenz im September 2002 nehme er wieder regelmäßig am Unterricht teil; seither sei er dem Unterricht nicht mehr unentschuldigt ferngeblieben. Die Antragsgegnerin habe nicht belegt, dass der Unterricht durch sein Zuspätkommen gestört worden sei; im Regelfall seien die Lehrer über sein Verhalten hinweggegangen. Ordnungsmaßnahmen seien nicht zulässig als Strafmaßnahme für vorausgegangenes Fehlverhalten; seit September 2002 habe sich sein Fehlverhalten aber reduziert. Die Ordnungsmaßnahme sei darüber hinaus unverhältnismäßig. Der Besuch des Fachgymnasiums in E. sei für ihn mit erheblichen Fahrtkosten sowie erheblichem Zeitaufwand für Anreise und Rückfahrt verbunden. Er müsse befürchten, in Wolfsburg nicht die für das Abitur erforderliche Anzahl von Kursen - insbesondere in den Fächern Geschichte und Politik - besuchen zu können. Im Übrigen bestünden an der Schule in Wolfsburg erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Schwerpunktsetzung, die Themenstellungen und die zugelassenen Hilfsmittel. Die Antragsgegnerin habe auch nicht belegt, dass sich die Klassengemeinschaft durch sein Verhalten in Mitleidenschaft gezogen fühle.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2003 verfügte Ordnungsmaßnahme wiederherzustellen.
Hilfsweise beantragt er,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie tritt den Ausführungen des Antragstellers entgegen.
II.
Die Anträge haben keinen Erfolg.
Der Hauptantrag des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung ihres Bescheides formell ordnungsgemäß angeordnet. Insbesondere hat sie in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug der Ordnungsmaßnahme als gegeben erachtet wird (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Sie hat im angegriffenen Bescheid in dem erforderlichen Umfang deutlich gemacht, dass die Ordnungsmaßnahme aus ihrer Sicht wegen der besonderen Umstände des konkreten Falles (der Schwere der Verfehlungen und der daraus resultierenden negativen Folgen für den Unterrichtsbetrieb) sofort durchgesetzt werden muss.
Auch aus anderen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen. Der dahingehende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat nur dann Erfolg, wenn die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Ordnungsmaßnahme das von der Antragsgegnerin geltend gemachte öffentliche Interesse am alsbaldigen Vollzug des Bescheides überwiegt. Dies ist nicht der Fall, wenn die Ordnungsmaßnahme voraussichtlich rechtmäßig ist. So ist es hier.
Nach gegenwärtigem Sachstand ist die Ordnungsmaßnahme formell rechtmäßig. Insbesondere ist der Antragsteller hinreichend angehört worden. Das Gesetz verlangt insoweit, dass dem Schüler Gelegenheit zu geben ist, sich in der über die Ordnungsmaßnahme entscheidenden Klassenkonferenz zu äußern (§ 61 Abs. 6 Satz 1 NSchG); dazu ist jedenfalls in aller Regel erforderlich, dass die Schule ihn zuvor darüber unterrichtet, welches Fehlverhalten ihm konkret vorgeworfen wird (VG Braunschweig, Beschl. vom 17.12.2002 - 6 B 830/02 -). Diese Voraussetzungen sind hier nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen - insbesondere dem Protokoll der Klassenkonferenz vom 17. November 2002 und dem Ladungsschreiben vom 28. November 2002 - erfüllt. Ob der Schüler in dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren ausreichend angehört worden ist, zu dem auch die seinen Widerspruch behandelnde Abhilfekonferenz gehört, ist für die Beurteilung der Ordnungsmaßnahme ohne Bedeutung. Unabhängig davon bestehen aber auch gegen das Verfahren vor der Abhilfekonferenz keine rechtlichen Bedenken, weil der Antragsteller jedenfalls die Gelegenheit zu erneuter Äußerung hatte; ob die gesetzlich nicht in jedem Fall erforderliche erneute Anhörung hier überhaupt durchgeführt werden musste, kann das Gericht daher offen lassen (vgl. dazu Littmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Loseblattausgabe, Stand: September 2002, § 61 Anm. 7.2 und § 71 VwGO).
Die Ordnungsmaßnahme ist auch inhaltlich rechtmäßig. Rechtsgrundlage dafür ist die Regelung in § 61 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 NSchG, wonach die zuständige Klassenkonferenz (§ 61 Abs. 5 NSchG) einen Schüler an eine andere Schule derselben Schulform überweisen darf, wenn dieser seine Pflichten grob verletzt, indem er insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstößt, den Unterricht nachhaltig stört oder dem Unterricht unentschuldigt fernbleibt. Diese Voraussetzung ist nach der in dem vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage erfüllt.
Der Antragsteller hat seine Pflichten als Schüler schon dadurch grob verletzt, dass er im Zeitraum vom 9. September bis zum 17. Dezember 2002 trotz vorangegangener Ermahnungen weiterhin in einer Vielzahl von Fällen unpünktlich zum Unterricht erschienen ist.
Eine grobe Pflichtverletzung i.S.v. § 61 Abs. 2 NSchG liegt vor, wenn der Schüler seine Pflichten derart weitreichend verletzt, dass die geordnete, zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule erforderliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit erheblich beeinträchtigt ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn eines der in der Vorschrift ausdrücklich genannten Regelbeispiele erfüllt ist. Da die Aufzählung nicht abschließend ist, kann sich eine grobe Pflichtverletzung insbesondere auch aus Verstößen des Schülers gegen die schulische Ordnung ergeben. So ist es hier.
Der Antragsteller ist an den 61 Unterrichtstagen vor der Klassenkonferenz vom 17. Dezember 2002 an 22 Tagen zu spät zum Unterricht erschienen. Erschwerend kommt hinzu, dass er bereits vor diesem Zeitraum vielfach zu spät gekommen sowie dem Unterricht unentschuldigt ferngeblieben war und deswegen in einer Reihe von Gesprächen mit Lehrern sowie in zwei Konferenzen ausdrücklich ermahnt worden war. Durch das gleichwohl fortgesetzte unpünktliche Erscheinen hat der Antragsteller in gravierender Weise gegen die schulische Ordnung verstoßen.
Er hat durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit ist, wichtige, für den ordnungsgemäßen Schulbetrieb bedeutsame Regeln zu beachten. Im Rahmen ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages hat die Schule dazu beizutragen, dass der Schüler ein Arbeits- und Sozialverhalten erlernt, das ihn in die Lage versetzt, den Anforderungen des Berufslebens zu entsprechen. Hierzu gehört, dass der Schüler jedenfalls regelmäßig pünktlich zum Unterricht erscheint. Kommt ein Schüler derart häufig und in dem Umfang zu spät, wie dies beim Antragsteller im Zeitraum vom 9. September bis zum 17. Dezember 2002 der Fall gewesen ist, so werden auch der Fortgang des Unterrichts und die Lernmöglichkeiten der Mitschüler beeinträchtigt. Bei einem solchen Verhalten ist nicht mehr gewährleistet, dass dem Schüler der behandelte Stoff und der Ablauf vorangegangener Unterrichtsstunden bekannt ist; erst diese Kenntnis befähigt ihn dazu, an jedem Unterrichtsgespräch sinnvoll teilzunehmen.
Der Antragsteller kann schon deswegen nicht erfolgreich geltend machen, die Lehrer hätten "in der Regel" über seine Verspätungen "hinweggesehen". Darüber hinaus entspricht diese Behauptung auch nicht den Tatsachen. Den vorliegenden Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Lehrkräfte die Verspätungen des Antragstellers vielfach zum Anlass genommen haben, ihn in Gesprächen auf sein Fehlverhalten hinzuweisen.
Unerheblich ist auch, ob der Antragsteller nunmehr - in der Schule, an die er mit dem angegriffenen Bescheid überwiesen worden ist - nicht mehr zu spät kommt. Für die Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme ist allein auf dasjenige Verhalten des Schülers abzustellen, das der Ordnungsmaßnahme zu Grunde lag. Wenn beim Besuch der anderen Schule Verhaltensänderungen eingetreten sind, deutet dies vielmehr darauf hin, dass die Ordnungsmaßnahme ihren Zweck erfüllt hat.
Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller auch im Zeitraum vom 9. September bis zum 17. Dezember 2002 wiederum an sechs Tagen jeweils einen Unterrichtsblock (eine Doppelstunde) unentschuldigt gefehlt hat. Gegen die Richtigkeit der dahingehenden und auf eigenen Ermittlungen beruhenden, im Konferenzprotokoll vom 17. Dezember 2002 mitgeteilten Feststellungen der beauftragten Lehrkraft bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Zwar hat der Antragsteller in der Klassenkonferenz behauptet, keinen Block unentschuldigt gefehlt zu haben. Diese Behauptung hat er jedoch nicht näher substanziiert, obwohl er in der Konferenz vom September 2002 zur Führung eines Anwesenheitsbuches verpflichtet worden war.
Die Klassenkonferenz hat auch das ihr bei der Anordnung und Auswahl der Ordnungsmaßnahme eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Für die Entscheidung, ob eine Ordnungsmaßnahme angeordnet und welche Maßnahme gewählt wird, räumt das Gesetz der Konferenz einen pädagogischen Bewertungsspielraum ein, den das Gericht nur eingeschränkt überprüfen darf: Rechtswidrig ist die Ermessensentscheidung der Konferenz nur dann, wenn die gesetzlichen Grenzen überschritten sind, weil insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wurde, oder wenn die Ermessensausübung dem Zweck des § 61 NSchG widerspricht (vgl. § 114 VwGO). Das ist hier nicht der Fall.
Die angeordnete Ordnungsmaßnahme genügt den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 1 Abs. 2 Nds. Verfassung) ergeben.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die geeignete Ordnungsmaßnahme erforderlich ist, um den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen; das ist nur dann der Fall, wenn keine den Schüler weniger belastende, aber gleich wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Außerdem muss sich die Ordnungsmaßnahme unter Berücksichtigung aller Interessen als eine angemessene Reaktion auf das festgestellte Fehlverhalten des Schülers qualifizieren lassen.
Dies bedeutet zwar nicht, dass bei der Anordnung der Ordnungsmaßnahme eine strenge Stufenfolge einzuhalten ist. Besonderheiten gelten jedoch für die Überweisung an eine andere Schule nach § 61 Abs. 3 Nr. 2 NSchG. Diese Maßnahme ist mit einem schwerwiegenden Eingriff in den Bildungsweg des Schülers verbunden und darf von der Schule daher im Regelfall erst dann angeordnet werden, wenn sie die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform zuvor angedroht hat (im Einzelnen dazu: VG Braunschweig, Beschl. vom 17.12.2002 - 6 B 830/02 -). Weil es sich bei dieser Androhung um eine Ordnungsmaßnahme und nicht um ein Erziehungsmittel i.S.d. § 61 Abs. 1 NSchG handelt, gelten auch für sie die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 61 Abs. 5 und Abs. 6 NSchG. Die Androhung ist in § 61 Abs. 3 NSchG zwar nicht ausdrücklich vorgesehen; als im Vergleich zur Überweisung an eine andere Schule weniger einschneidende Maßnahme ist sie unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes aber erst recht nach dieser Vorschrift zulässig. Gegen die Einordnung als Erziehungsmittel sprechen die über die bloße pädagogische Einwirkung hinausgehende Zielsetzung der Maßnahme, die Tragweite des Eingriffs in die Rechtsstellung des Schülers und die Systematik des § 61 NSchG, der auch die sonstigen Fälle der Androhung von Ordnungsmaßnahmen nicht als Erziehungsmittel, sondern als Ordnungsmaßnahmen qualifiziert (im Ergebnis ebenso wohl Littmann, a.a.O.., Anm. 2.2; Brune, Schulrecht 2003, 25; anderer Ansicht Blumenhagen/Galas/Habermalz, SVBl 1996, 126, 128).
Eine solche förmliche Androhung ist nach den vorliegenden Unterlagen hier nicht ausgesprochen worden. Dem Protokoll der Klassenkonferenz vom 9. September 2002 lässt sich nicht entnehmen, dass die Konferenz selbst die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform angedroht hat. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Klassenkonferenz unter Vorsitz der Schulleitung entschieden hat, wie dies für die Anordnung einer Ordnungsmaßnahme gemäß § 61 Abs. 5 Satz 1 NSchG erforderlich gewesen wäre. Die Gesamtumstände deuten vielmehr darauf hin, dass mit der "Androhung" lediglich ein Erziehungsmittel i.S.d. § 61 Abs. 1 NSchG (eine Ermahnung oder Rüge) gegen den Antragsteller angewendet werden sollte (so auch der Sachverhaltsbericht der beauftragten Lehrkraft im Konferenzprotokoll vom 17. Dezember 2002).
Dass eine förmliche Androhung nicht ausgesprochen worden ist, spielt hier im Ergebnis aber keine Rolle. Die Überweisung an eine andere Schule nach § 61 Abs. 3 Nr. 2 NSchG ist nämlich ausnahmsweise auch ohne vorangegangene förmliche Androhung verhältnismäßig, wenn ein schwerwiegender Fall vorliegt, in dem die bloße Androhung keine wirksame Antwort auf das Fehlverhalten des Schülers ist (VG Braunschweig, Beschl. vom 17.12.2002 - 6 B 830/02 - m.w.N. und Beispielen). Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben.
Die Klassenkonferenz hatte bereits in der Sitzung vom 9. September 2002 gerügt, dass der Antragsteller dem Unterricht häufig unentschuldigt ferngeblieben und in einer Vielzahl von Fällen verspätet zum Unterricht erschienen war. Obwohl ihm am Ende der Konferenz ausdrücklich in Aussicht gestellt worden war, wenn er sein Verhalten nicht ändere, werde er von der Schule verwiesen, ist der Antragsteller in der Folgezeit weiterhin in einer Vielzahl von Fällen unpünktlich zum Unterricht erschienen; an einigen Unterrichtsstunden hat er gar nicht teilgenommen. Da der Antragsteller sein grobes Fehlverhalten fortgesetzt hatte, durfte die Klassenkonferenz davon ausgehen, dass er unbelehrbar ist und sich eine Verhaltensänderung auch durch eine förmliche Androhung der Schulüberweisung nicht erreichen lässt. Dies wird bestätigt durch die Äußerungen des Antragstellers im Rahmen der Klassenkonferenz vom 17. Dezember 2002: Seinerzeit hat er zu den häufigen Unpünktlichkeiten nur geäußert, er komme morgens "nicht aus dem Bett", und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm jede Einsicht in die Tragweite seines Verhaltens fehlt.
Auch in einem demokratischen Rechtsstaat, in dem die Schüler nicht bloßes Objekt der Schule, sondern als Träger von Grundrechten zu respektieren sind, ist sicherzustellen, dass den Lehrkräften nicht die Autorität genommen wird, die zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule unerlässlich ist. Dass sich der Antragsteller trotz einschlägiger Ermahnungen und häufiger Gespräche mit den Lehrkräften weiterhin grob fehlerhaft verhalten hat, war geeignet, die erforderliche Autorität der beteiligten Lehrkräfte zu untergraben.
Ohne entscheidende Bedeutung ist insoweit, dass der Antragsteller seit der Klassenkonferenz vom 9. September 2002 nicht mehr so häufig wie früher ganzen Unterrichtstagen oder -stunden ferngeblieben ist. Ungeachtet dessen hat er sich weiterhin in einem Umfang grob fehlerhaft verhalten, der unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Reaktionen der Schule die sofortige Überweisung an eine andere Schule rechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers müssen die Ereignisse bis zur Klassenkonferenz bis zum 9. September 2002 dabei nicht außer Betracht bleiben: Erst bei Berücksichtigung auch dieser Geschehnisse kann sachgerecht beurteilt werden, ob die konkrete Ordnungsmaßnahme erforderlich ist oder andere, weniger einschneidende Ordnungsmaßnahmen bzw. bloße Erziehungsmittel als Reaktionen auf das Fehlverhalten des Antragstellers ausreichen.
Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Klassenkonferenz den Antragsteller nicht zunächst gemäß § 61 Abs. 3 Nr. 1 NSchG in eine Parallelklasse überwiesen hat. Auf Grund der bis dahin erfolglos gebliebenen Versuche, den Antragsteller insbesondere zur pünktlichen Teilnahme am Unterricht anzuhalten, ist die Klassenkonferenz rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass sich das grobe Fehlverhalten des Antragstellers durch weitere innerschulische Maßnahmen nicht ändern lassen wird.
Die angeordnete Ordnungsmaßnahme ist auch angemessen. Die mit dem Schulwechsel verbundenen Erschwernisse eines längeren Schulwegs und höherer Fahrtkosten sind dem Antragsteller nicht unzumutbar. Der Antragsteller ist volljährig. Der zeitlich und finanzielle Aufwand, der bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für den Weg von Braunschweig nach E. entsteht, ist dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Tatsache zuzumuten, dass gleichaltrige Auszubildende ihre Ausbildungsstätte häufig nur unter entsprechenden Bedingungen erreichen können (siehe auch bereits VG Braunschweig, Beschl. vom 07.04.1999 - 6 B 69/99 -). Im Übrigen darf auch insoweit nicht unbeachtet bleiben, dass ein schwerwiegender Fall mit besonders grobem Fehlverhalten vorliegt.
Dass der Antragsteller in Wolfsburg nicht die für die Reifeprüfung erforderliche Anzahl von Kursen - insbesondere in den Fächern Geschichte und Politik - besuchen kann, ist nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat dazu in ihrem Schriftsatz vom 5. März 2003 (Bl. 30 der Gerichtsakte) zutreffend auf die Vorgaben im Runderlass des Nds. Kultusministeriums vom 20. Juli 2001 und die Stundentafeln verwiesen.
Verstöße gegen andere Rechtsvorschriften oder den Zweck des § 61 Abs. 2 und Abs. 3 NSchG sind nicht erkennbar. Insbesondere durfte die Antragsgegnerin ergänzend berücksichtigen, dass der Antragsteller seine Unterrichtsmaterialien in einer Plastiktüte mit zum Unterricht bringt. Der Antragsteller hat auch mit diesem Verhalten, dessen Bedeutung sich aus dem Zusammenhang mit dem sonstigen groben Fehlverhalten des Antragstellers ergibt, gezeigt, dass seine Arbeitseinstellung erhebliche Defizite aufweist. Es entspricht dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule und ist daher vom Zweck der Ordnungsmaßnahme gedeckt, wenn die Antragsgegnerin in der Begründung der Ordnungsmaßnahme ein derartiges Verhalten nicht unerwähnt lässt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Dabei kann offen bleiben, ob glaubhaft gemacht ist, dass die Klassengemeinschaft sich durch das Verhalten des Antragstellers in Mitleidenschaft gezogen fühlt. Von dieser (inneren) Tatsache ist die Antragsgegnerin in der Begründung ihres Bescheides ersichtlich nicht ausgegangen. Sie hat insoweit lediglich ausgeführt, das Verhalten des Antragstellers sei ein schlechtes Beispiel für die Klassengemeinschaft und verhindere die Weiterentwicklung der Mitschülerinnen und Mitschüler. Dabei handelt es sich um eine pädagogische Bewertung, die auf nachvollziehbaren, nicht sachfremden Überlegungen beruht und vom Gericht im Rahmen der ihm eingeräumten Entscheidungskompetenz daher nicht zu beanstanden ist. Die Schule darf bei der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen nach deren Sinn und Zweck insbesondere auch berücksichtigen, inwieweit das festgestellte Fehlverhalten sich nach den pädagogischen Erfahrungen auf die Persönlichkeitsentwicklung anderer Schüler auszuwirken droht.
Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Die mit diesem Antrag begehrte Aufhebung der Anordnung sofortiger Vollziehung kommt nur in Betracht, wenn die Vollziehungsanordnung formell rechtswidrig ist (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 893; J. Schmidt in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn 93 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt (siehe oben).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 GKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Wagner
Dr. Baumgarten
Bockemüller