Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.06.2003, Az.: 6 B 229/03
Ausschluss des Schülers vom Unterricht für sechs Wochen wegen Morddrohungen gegen die Lehrer als Ordnungsmaßnahme; Mitwirkungsverbot der Mitglieder von Konferenzen bei der Beratung und Beschlussfassung über die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme in schulischen Angelegenheiten; Gefahren für die Sicherheit von Schülern und Lehrkräften; Anwesenheit der bedrohten Lehrer bei der Beratung und Beschlussfassung hinsichtlich einer zu verhängenden Ordnungsmaßnahme gegen die Schüler; Grobe Pflichtverletzung durch den Schüler durch Morddrohungen gegen seine Lehrer; Grobe Pflichtverletzung des Schülers durch Gewalttätigkeiten gegenüber seinen Mitschülern; Sinn der Ordnungsmaßnahme als Erziehung des Schülers zu gewaltfreier Austragung von Konflikten; Voraussetzungen für den Ausschluss des Schülers vom Unterricht
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 17.06.2003
- Aktenzeichen
- 6 B 229/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 34304
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2003:0617.6B229.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 3 NSchG
- § 41 Abs. 1 NSchG
- § 43 Abs. 2 Nr. 2 NSchG
- § 61 Abs. 2 NSchG
- § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG
- § 61 Abs. 4 NSchG
- Art. 20 Abs. 3 GG
- Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG
- Art. 1 Abs. 2 Nds. Verfassung
Fundstellen
- NdsVBl 2004, 49-52
- SchuR 2005, 54-55 (Urteilsbesprechung von Dr. T. Böhm)
- SchuR 2005, 189 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Ordnungsmaßnahmen
- hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
am 17. Juni 2003
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller besucht die 7. Klasse der Antragsgegnerin. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine von ihr nach dem Nds. Schulgesetz (NSchG) angeordnete Ordnungsmaßnahme.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2003 lud die Antragsgegnerin den Antragsteller und seine Eltern zur Klassenkonferenz. Das Schreiben enthielt eine Aufstellung von 21 Vorfällen im Zeitraum vom 17. September 2002 bis 16. Mai 2003. Danach wurde dem Antragsteller u.a. vorgeworfen, mehrfach gegenüber anderen Schülern gewalttätig geworden zu sein und diese bedroht zu haben; in einigen Fällen habe er gegen die Schulordnung verstoßen und sich Anordnungen der Lehrkräfte widersetzt. Wegen der Einzelheiten der Vorwürfe wird auf die Anlage zum Schreiben vom 19. Mai 2003 verwiesen (Bl. 5 f. Gerichtsakte).
Nachdem der Antragsteller erfahren hatte, dass es zu einer Klassenkonferenz kommen wird, ereignete sich ein weiterer Vorfall: Der Antragsteller spielte mit einem Banknachbarn im Unterricht ein mit Aktfotos versehenes Kartenspiel. Die Klassenlehrerin forderte die Schüler wiederholt und erfolglos auf, das Kartenspielen zu unterlassen, und zog das Kartenspiel schließlich ein. Danach sprach der Antragsteller mit seinem Nachbarn noch im Unterricht darüber, wie man Lehrer am besten umbringen könne. Dabei fielen auch die Namen der Klassenlehrerin und der Schulleiterin. Im Gespräch wurde insbesondere auch erörtert, welche Waffen man dazu benutzen solle. Die Klassenlehrerin konnte dem Gespräch zuhören. Zu Beginn der folgenden Unterrichtsstunde wurden die beiden Schüler von der inzwischen unterrichteten Schulleiterin zur Rede gestellt. Dabei stellte sich heraus, dass der Antragsteller inzwischen außerdem einen Zettel gefertigt hatte, der die Namen der beiden Lehrerinnen sowie das in Großbuchstaben geschriebene und mit drei Ausrufungszeichen versehene Wort "ermorden" enthält. Diesen Zettel hatten der Antragsteller und auf seine Veranlassung zwei weitere Schüler der Klasse unterschrieben.
Auf diesen Vorfall wies die Schulleiterin die Eltern des Antragstellers mit Schreiben vom 21. Mai 2003 hin.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2003 räumte der Vater des Antragstellers ein, dass der größte Teil der Vorfälle - unter anderem auch der Vorfall vom 20. Mai 2003 - richtig dargestellt sei. Drei Vorfälle wurden bestritten; an weitere drei Vorfälle könne sich der Antragsteller nicht mehr erinnern. Wegen der Einzelheiten der Ausführungen wird auf das Schreiben verwiesen (Bl. 7 ff. Gerichtsakte).
Vor Beginn der Klassenkonferenz am 27. Mai 2003 übertrug die Schulleiterin wegen "eventueller Befangenheit" den Konferenzvorsitz auf ihre Vertreterin. In der Konferenz wurden zunächst die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe erörtert. Dabei erklärte der Vater des Antragstellers, es sollten auch die Vorfälle behandelt werden, zu denen es nach Bekanntgabe der Klassenkonferenz gekommen sei. Wegen der Einzelheiten der Erörterungen wird auf das Konferenzprotokoll verwiesen (Beiakte A). Nach der Erörterung verließen auch die Schulleiterin und die Klassenlehrerin den Konferenzraum. Die Klassenkonferenz beschloss, gegen den Antragsteller die Ordnungsmaßnahme des Ausschlusses vom Unterricht für sechs Wochen sowie die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme anzuordnen. Außerdem wurde als Erziehungsmittel beschlossen, dass der Antragsteller im neuen Schuljahr ein Referat über Gewalt sowie den Sinn von Ordnungsregeln und Gesetzen halten solle.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2003 teilte die Antragsgegnerin die Ordnungsmaßnahme und die Anordnung sofortiger Vollziehung mit. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe wiederholt seine Pflichten schwer verletzt und sei letztlich uneinsichtig gewesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen (Bl. 15 f. Gerichtsakte).
Mit auf den 28. Mai 2003 datiertem Schreiben erhob der Antragsteller Widerspruch. Er machte im Wesentlichen geltend: Die Anordnung sofortiger Vollziehung sei nicht hinreichend begründet worden. Außerdem enthalte der Bescheid insoweit keine "Rechtsmittelbelehrung". Obwohl die Schulleiterin sich für befangen erklärt habe, habe sie den Bescheid verfasst. Auch in der Begründung der Ordnungsmaßnahme fehlten notwendige Ausführungen. Die Ordnungsmaßnahme sei unverhältnismäßig. Bei wiederholtem Fehlverhalten eines Schülers müsse die Schule einen "Maßnahmekatalog" aufstellen, der hier nicht vorliege. Die Antragsgegnerin habe es unterlassen, frühzeitig die Eltern über das Verhalten des Antragstellers zu unterrichten und mit Erziehungsmitteln einzugreifen. Bei der Darstellung der Vorwürfe werde teilweise auf Wertungen abgestellt, während die dem zu Grunde liegenden Tatsachen nicht genannt würden. Im Hinblick auf die bestrittenen Vorfälle fehle es an einer Sachaufklärung und der Ladung von Zeugen. Aufzeichnungen, die nicht in das Klassenbuch aufgenommen worden seien, dürften nicht verwertet werden. Durch die völlig überzogene Maßnahme könne die Aggressivität des Antragstellers steigen.
Außerdem hat der Antragsteller bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebeten und zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsschreiben Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beschluss der Klassenkonferenz der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2003, schriftlich mitgeteilt durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Mai 2003, wiederherzustellen und die Vollziehung des Bescheides auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie tritt den Ausführungen des Antragstellers entgegen.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2003 hat die Klassenkonferenz es abgelehnt, dem Widerspruch des Antragstellers abzuhelfen. Wegen der Einzelheiten der Erörterungen wird auf das Konferenzprotokoll verwiesen (Bl. 42 ff. Gerichtsakte).
II.
Die Anträge haben keinen Erfolg.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung ihres Bescheides formell ordnungsgemäß angeordnet. Insbesondere hat sie in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum sie das besondere Interesse an dem Sofortvollzug der Ordnungsmaßnahme als gegeben erachtet (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Sie hat in dem erforderlichen Umfang deutlich gemacht, dass die Ordnungsmaßnahme aus ihrer Sicht wegen der besonderen Umstände des konkreten Falles (wegen der Schwere insbesondere der Verfehlungen vom 20. Mai 2003 und der sich hieraus ergebenden Gefährdungsprognose) sofort durchgesetzt werden muss. Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Bescheid eine Belehrung über den gegen die Anordnung sofortiger Vollziehung gegebenen Rechtsbehelf nicht enthält. Das Gesetz verlangt eine solche Belehrung nicht; wird auf eine Rechtsbehelfsbelehrung verzichtet, so führt dies allgemein nicht zur Rechtswidrigkeit der von der Behörde angeordneten Maßnahme (vgl. § 58 VwGO).
Auch aus anderen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen. Der dahin gehende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat nur dann Erfolg, wenn die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Ordnungsmaßnahme das von der Antragsgegnerin geltend gemachte öffentliche Interesse am alsbaldigen Vollzug des Bescheides überwiegt. Dies ist nicht der Fall, wenn die Ordnungsmaßnahme voraussichtlich rechtmäßig ist. So ist es hier.
Nach gegenwärtigem Sachstand ist die Ordnungsmaßnahme formell rechtmäßig. Ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot (§ 41 Abs. 1 NSchG) liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift dürfen Mitglieder von Konferenzen bei der Beratung und Beschlussfassung über diejenigen Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, nicht anwesend sein. Auf dieser Grundlage ist die Antragsgegnerin zu Recht davon ausgegangen, dass für die Schulleiterin und für die Klassenlehrerin des Antragstellers bei der Beratung und Entscheidung über die Ordnungsmaßnahme ein Mitwirkungsverbot bestand. Beide Lehrerinnen hatten wegen der mündlichen und schriftlichen Äußerungen des Antragstellers, in denen es um ihre Ermordung ging, Strafanzeige erstattet. Dies genügt für die Annahme, die Lehrerinnen seien von der Entscheidung über die Ordnungsmaßnahme, deren Gegenstand auch die angezeigten Vorfälle waren, persönlich betroffen.
Das Mitwirkungsverbot haben die Schulleiterin und die Klassenlehrerin beachtet, indem sie an der Beratung und Beschlussfassung der Klassenkonferenz nicht teilgenommen und den Konferenzraum zuvor verlassen haben. Unerheblich ist, dass beide Lehrerinnen bis zu diesem Zeitpunkt noch im Konferenzraum geblieben sind und sich an den Erörterungen beteiligt haben. Die Regelung in § 41 Abs. 1 NSchG verbietet nur die Anwesenheit bei der Beratung und Beschlussfassung. Die Anwesenheit bei der vorangehenden Erörterung der gegen den Schüler erhobenen Vorwürfe ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist und dieser Teil der Konferenz deutlich von der anschließenden Beratung und Beschlussfassung über die Ordnungsmaßnahme getrennt ist. Der vollständige Ausschluss von der Klassenkonferenz ist in diesen Fällen auch nach dem Zweck der Vorschrift nicht gerechtfertigt: Die Regelung in § 41 Abs. 1 NSchG soll die Entscheidung der Klassenkonferenz von möglichen sachfremden Einflüssen freihalten und schon den "bösen Schein", die Konferenz entscheide nicht unparteilich, ausschließen (vgl. auch: VG Göttingen, Beschl. vom 17.05.1995 - 4 B 4097/95 -). Dafür genügt es, wenn auch nach außen hin deutlich zwischen dem Erörterungsteil einerseits und der Beratung und Beschlussfassung getrennt wird und ein hinreichender Anlass für die Teilnahme der vom Mitwirkungsverbot betroffenen Lehrkräfte im Vorfeld der eigentlichen Beratung und Entscheidung der Konferenz besteht. So ist es hier.
Das Protokoll der Klassenkonferenz bringt durch die Gliederung und die verwendeten Überschriften hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass eine gesonderte Beratung und Beschlussfassung stattgefunden hat, an der die beiden Lehrerinnen nicht mehr teilgenommen haben. Ihre Beteiligung an der vorangehenden Anhörung und Sachverhaltsermittlung rechtfertigt sich dadurch, dass sie als Zeuginnen zur Aufklärung einer Reihe von Vorwürfen beitragen konnten.
Es verstößt auch nicht gegen das Mitwirkungsverbot, dass die Schulleiterin den Bescheid über die Ordnungsmaßnahme unterschrieben hat. Die Beratung und Beschlussfassung, von der die Schulleiterin gemäß § 41 Abs. 1 NSchG ausgeschlossen war, war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Zutreffend weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Schulleiterin in dem Bescheid lediglich das Ergebnis und den sonstigen wesentlichen Inhalt der von der Klassenkonferenz getroffenen Entscheidung mitgeteilt hat. Diese Aufgabe obliegt ihr als Vertreterin der Schule (§ 43 Abs. 2 Nr. 2 NSchG).
Die Antragsgegnerin hat den angegriffenen Bescheid auch hinreichend begründet. Sie hat unter Bezugnahme auf den konkreten Fall die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt, die die Klassenkonferenz zu ihrer Entscheidung bewogen haben (vgl. § 39 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG). Die einzelnen Vorfälle mussten in dem Bescheid schon deswegen nicht mehr im Einzelnen bezeichnet werden, weil der größte Teil dieser Fälle vom Antragsteller nicht bestritten und im Übrigen schon mit der Ladung zur Klassenkonferenz eine mit Daten und Kurzdarstellungen versehene Liste der Vorfälle übersandt worden war.
Die Ordnungsmaßnahme ist auch inhaltlich rechtmäßig. Rechtsgrundlage dafür ist die Regelung in § 61 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 1 NSchG. Danach darf die Klassenkonferenz einen Schüler bis zu drei Monaten vom Unterricht ausschließen, wenn dieser seine Pflichten grob verletzt, indem er insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstößt oder den Unterricht nachhaltig stört; außerdem ist erforderlich, dass der Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat. Diese Voraussetzungen sind nach der in dem vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage erfüllt.
Der Antragsteller hat seine Pflichten als Schüler in einer Vielzahl von Vorfällen im Zeitraum von September 2002 bis zum 20. Mai 2003 grob verletzt.
Eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 61 Abs. 2 NSchG liegt vor, wenn der Schüler seine Pflichten derart weitreichend verletzt, dass die geordnete, zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule erforderliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit erheblich beeinträchtigt ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn eines der in der Vorschrift ausdrücklich genannten Regelbeispiele erfüllt ist. Da die Aufzählung nicht abschließend ist, kann sich eine grobe Pflichtverletzung auch aus Verstößen des Schülers gegen die schulische Ordnung ergeben. Nach diesen Maßstäben ist hier eine grobe Pflichtverletzung gegeben.
Der Antragsteller ist in drei Fällen gegenüber anderen Schülern gewalttätig geworden. Er hat im Januar 2003 einem Mitschüler mit einem verknoteten Schal ins Gesicht geschlagen, sodass der Mitschüler weinte; im Februar 2003 hat der Antragsteller eine Mitschülerin auf einer Treppe so heftig gestoßen, dass sie sich verletzte und in ärztliche Behandlung begeben musste; im März 2003 hat er eine Mitschülerin am Genick gepackt und gegen eine Wand gedrückt. In einem weiteren Fall im Februar 2003 hat der Antragsteller einem anderen Schüler einen Schneeball ins Gesicht geworfen und ihm Prügel angedroht, nachdem seine Klassenlehrerin ihn deswegen zur Rede gestellt hatte. Am 15. Mai 2003 haben sich Schüler darüber beschwert, dass der Antragsteller sie bedroht habe. Daneben hat der Antragsteller in jeweils einem Fall Gewalt gegen Sachen ausgeübt (indem er im November 2002 mit voller Wucht gegen die Seitenklappe der Tafel getreten hat) und außerdem eine Mitschülerin beschimpft. Im Januar 2003 hat er den seitlichen Teil der Tafel in Richtung Klassentür umgeschlagen, als Mitschüler den Klassenraum betraten; die Schüler haben dem gerade noch ausweichen können. Darüber hinaus hat der Antragsteller mehrfach gegen die Schulordnung und Anordnungen der Lehrkräfte verstoßen, indem er trotz Verbotes auf dem Schulgelände rauchte, im Unterricht aß, umherlief und während der Pause im Schulgebäude blieb.
Angesichts dieser Vorgeschichte, insbesondere der wiederholten Gewaltausübungen und Drohungen, wiegt es besonders schwer, dass der Antragsteller sich am 20. Mai 2003 - als ihm bereits bekannt war, dass es auf Grund seines bisherigen Fehlverhaltens zu einer Klassenkonferenz kommen würde - mit einem Mitschüler über die Ermordung der Schulleiterin und der Klassenlehrerin unterhalten und daraufhin einen Zettel gefertigt hat, der nach seinem Wortlaut zur Ermordung der beiden Lehrkräfte auffordert.
Der Antragsteller hat durch sein Verhalten insgesamt zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit ist, wichtige, für den ordnungsgemäßen Schulbetrieb bedeutsame Regeln zu beachten, und damit die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Antragsgegnerin erheblich beeinträchtigt. Auch die Gewalttätigkeiten des Antragstellers gegenüber Mitschülern überschreiten deutlich das Maß der im Schulalltag üblichen Rangeleien. Die Gespräche des Antragstellers über die Ermordung der beiden Lehrerinnen und der dazu gefertigte Zettel schließlich sind objektiv geeignet, die betroffenen Lehrerinnen in Angst und Schrecken zu versetzen und an der Schule insgesamt ein von Angst und Furcht geprägtes Klima zu schaffen, das die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule erheblich beeinträchtigt. Die Schulen - insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer - stehen noch immer unter dem Eindruck der Geschehnisse in Erfurt, wo es am 26. April 2002 in einer Schule zum Amoklauf eines Schülers mit einer Vielzahl von Todesopfern gekommen war. Auch angesichts dieser Geschehnisse, an die durch die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Ereignisse gerade erst wieder eindrücklich erinnert worden ist, war die Antragsgegnerin im Interesse einer angst- und gewaltfreien Atmosphäre an der Schule gehalten, eine wirkungsvolle Ordnungsmaßnahme anzuordnen. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass der Antragsteller durch sein Verhalten bereits gezeigt hatte, dass er sich vielfach nicht unter Kontrolle hat und in Konfliktsituationen zu Gewalttätigkeiten neigt. Es ist daher auch unerheblich, ob die Äußerungen des Antragstellers den Straftatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB) erfüllen. Wer sich, wie der Antragsteller, in der fraglichen Form im laufenden Unterricht der betroffenen Klassenlehrerin äußert und seine Gedanken sogar schriftlich fixiert, der spielt zur Überzeugung der Kammer bewusst mit den allgemein vorhandenen Ängsten und beeinträchtigt dadurch besonders nachdrücklich die geordnete Unterrichts- und Erziehungsarbeit an der Schule.
Unerheblich ist auch, dass der Antragsteller nach eigenem Vortrag mit seinen Gewalttätigkeiten zum Teil nur auf Provokationen reagiert haben will. Sinn der Ordnungsmaßnahme ist auch die Erziehung zu gewaltfreier Austragung von Konflikten (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 3 NSchG).
Auch die in § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG geregelten besonderen Voraussetzungen für den Ausschluss vom Unterricht sind erfüllt. Der Antragsteller hat durch sein Verhalten aus den dargelegten Gründen jedenfalls die ordnungsgemäße Durchführung des Unterrichts über einen längeren Zeitraum erheblich erschwert und den Unterricht damit nachhaltig und schwer beeinträchtigt. Darüber hinaus hat er durch die wiederholten Gewalttätigkeiten und Drohungen aber auch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet.
Der Antragsteller kann nicht erfolgreich geltend machen, dass die Antragsgegnerin den Sachverhalt unzureichend ermittelt habe. Es trifft zwar zu, dass die der Ladung zur Klassenkonferenz beigefügte Liste bei der Darstellung einzelner Vorfälle nicht die Tatsachen nennt, sondern Wertungen enthält, und nicht zu allen Vorfällen in der Klassenkonferenz Zeugen angehört worden sind. Dies ist jedoch ohne entscheidende Bedeutung, weil die hier dargestellten Vorfälle vom Antragsteller nicht bestritten worden sind. Ob die weiteren Vorwürfe der Antragsgegnerin berechtigt sind, kann das Gericht daher offen lassen. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zu weiteren Vorfällen, die der Antragsteller nicht substanziiert bestritten hat, schriftliche Zeugenaussagen vorliegen; danach soll der Antragsteller unter anderem Mitschüler auch geschlagen haben.
Da die hier berücksichtigten Vorfälle unstreitig sind, ist auch unerheblich, inwieweit die Vorfälle im Klassenbuch dokumentiert worden sind. Darüber hinaus irrt der Antragsteller aber auch, wenn er geltend macht, Aufzeichnungen außerhalb des Klassenbuchs dürften nicht verwertet werden. Für ein dahin gehendes Verwertungsverbot gibt es weder im Schulrecht noch im Verwaltungsprozessrecht eine Rechtsgrundlage.
Die Klassenkonferenz hat auch das ihr bei der Anordnung und Auswahl der Ordnungsmaßnahme eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Für die Entscheidung, ob eine Ordnungsmaßnahme angeordnet und welche Maßnahme gewählt wird, räumt das Gesetz der Konferenz einen pädagogischen Bewertungsspielraum ein, den das Gericht nur eingeschränkt überprüfen darf: Rechtswidrig ist die Ermessensentscheidung der Konferenz nur dann, wenn die gesetzlichen Grenzen überschritten sind, weil insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wurde oder wenn die Ermessensausübung dem Zweck des § 61 NSchG widerspricht (vgl. § 114 VwGO). Das ist hier nicht der Fall.
Die angeordnete Ordnungsmaßnahme genügt den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 1 Abs. 2 Nds. Verfassung) ergeben.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die geeignete Ordnungsmaßnahme erforderlich ist, um den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Das ist nur dann der Fall, wenn keine den Schüler weniger belastende, aber gleich wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Außerdem muss sich die Ordnungsmaßnahme unter Berücksichtigung aller Interessen als eine angemessene Reaktion auf das festgestellte Fehlverhalten des Schülers qualifizieren lassen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei der Anordnung der Ordnungsmaßnahme eine strenge Stufenfolge einzuhalten ist. Allerdings ist beim Ausschluss vom Unterricht zu berücksichtigen, dass diese Maßnahme mit einem Eingriff in das Recht auf Bildung (Art. 4 Abs. 1 Nds. Verfassung) verbunden ist und weitreichende Folgen für den Schüler haben kann, weil er die ihm aus der Nichtteilnahme am Unterricht entstehenden Nachteile zu vertreten hat (vgl. dazu Littmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Loseblattausgabe, Stand: September 2002, § 61 Anm. 5). Daher wird dem Ausschluss vom Unterricht in der Regel die Androhung dieser Maßnahme nach § 61 Abs. 3 Nr. 3 NSchG vorauszugehen haben (so auch VG Göttingen, a.a.O..). Eine vorherige förmliche Androhung ist aber dann entbehrlich, wenn ein schwerwiegender Fall vorliegt, in dem die bloße Androhung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles keine wirksame Antwort auf das Fehlverhalten des Schülers ist. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Die Antragsgegnerin hat glaubhaft gemacht, dass Lehrkräfte auf das Fehlverhalten des Antragstellers, das dieser in einer Vielzahl von Fällen gezeigt hatte, bereits vor dem 20. Mai 2003 vielfach Erziehungsmittel (§ 61 Abs. 1 NSchG) angewendet hatten. Es sind nicht nur Gespräche mit dem Antragsteller geführt, sondern als Reaktion auf das Fehlverhalten auch Maßnahmen im Unterricht getroffen sowie Ermahnungen und Tadel ausgesprochen worden. Die dahin gehenden Äußerungen in der Abhilfekonferenz hat der Antragsteller nicht substanziiert bestritten. Obwohl wegen des fortgesetzten Fehlverhaltens eine Klassenkonferenz stattfinden sollte und dem Antragsteller dies bekannt war, hat er am 20. Mai 2003 über die Ermordung zweier Lehrerinnen gesprochen und einen objektiv zur Ermordung aufrufenden Zettel gefertigt, den er nicht nur selbst unterschrieben hat, sondern auch von zwei Mitschülern unterzeichnen ließ. Durch dieses fortgesetzte Fehlverhalten hat er nicht nur in besonders gravierender Weise die Unterrichtsarbeit an der Schule belastet. Er hat damit vielmehr auch zu erkennen gegeben, dass ihn die vorangegangenen Mahnungen und die geplante Klassenkonferenz nicht nachhaltig beeindruckt haben. Zu Recht hat die Antragsgegnerin angenommen, dass nach diesem Sachverhalt davon auszugehen ist, der Antragsteller werde sein Verhalten in der Zukunft nur bei Anordnung einer Ordnungsmaßnahme ändern, die unmittelbar spürbare Folgen für ihn hat und sich nicht in der in Inaussichtstellung solcher Folgen für den Fall fehlender Verhaltensänderung erschöpft. Hinzu kommt, dass der Antragsteller in der Vergangenheit auf Sanktionen wiederholt und unmittelbar mit erneutem Fehlverhalten bis hin zur Gewaltausübung reagiert hatte. Der Ausschluss vom Unterricht trägt auch den daraus resultierenden Gefahren für die Sicherheit von Schülern und Lehrkräften Rechnung.
Die Bemessung der Ausschlussfrist ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Antragstellers verlangte nach Art, Umfang und zeitlicher Abfolge sowie wegen der sich daraus insgesamt ergebenden erheblichen Beeinträchtigungen des Unterrichtsbetriebs eine spürbare Sanktion. Dem hat die Antragsgegnerin mit der Festsetzung des Unterrichtsausschlusses auf sechs Wochen Rechnung getragen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sieht das Schulrecht nicht vor, dass die Schule bei wiederholtem Fehlverhalten eines Schülers vor der Anordnung einer Ordnungsmaßnahme stets einen "Maßnahmekatalog" erstellt, dem Vorgaben für die im Einzelfall gebotenen erzieherischen Einwirkungen zu entnehmen sind. Liegt ein grobes Fehlverhalten vor, so hat sich die Schule bei ihrer Entscheidung, wie diesem Verhalten zu begegnen ist, maßgeblich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Dieser rechtfertigt jedenfalls in schweren Fällen - wie hier - die Anordnung einer Ordnungsmaßnahme auch ohne die vorherige Anwendung weniger einschneidender Maßnahmen. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin glaubhaft gemacht, dass sie auf das wiederholte Fehlverhalten des Antragstellers seit September 2002 bereits mit Erziehungsmitteln reagiert hatte.
Soweit ersichtlich, behauptet der Antragsteller selbst nicht, dass es anstelle der Ordnungsmaßnahme genügt hätte, seine Eltern zu informieren, damit diese pädagogisch auf ihn einwirken konnten. Dann kann der Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens aber auch nicht erfolgreich geltend machen, die Antragsgegnerin hätte seine Eltern in der Vergangenheit eingehender und frühzeitiger über sein Fehlverhalten unterrichten müssen. Im Übrigen bestreitet der Antragsteller nicht, dass seine Eltern nach Vorfällen mehrfach von der Schule informiert worden waren; insbesondere hat es nach der Verletzung einer Mitschülerin am 24. Februar 2003 ein entsprechendes Gespräch zwischen Eltern und Lehrkräften gegeben. Auch dies hat jedoch nicht verhindern können, dass der Antragsteller weiter gewalttätig gewesen ist und sich schließlich schriftlich und mündlich für die Ermordung von Lehrkräften ausgesprochen hat.
Es gibt gegenwärtig auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Ordnungsmaßnahme letztlich - wie die Eltern des Antragstellers meinen - die Aggressivität des Antragstellers noch steigern könnte. Durch den sechswöchigen Unterrichtsausschluss und die sich unmittelbar anschließenden Schulferien hat der Antragsteller ausreichend Gelegenheit, sich unter Hilfestellung seiner Eltern mit seinem bisherigen Fehlverhalten auseinander zu setzen und zu der Einsicht zu gelangen, dass es so nicht weitergehen kann. Gibt es nach Beginn des neuen Schuljahres Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller diese Einsicht nicht gewonnen hat oder sogar mit gesteigerter Aggressivität reagiert, so wird die Antragsgegnerin mit den geeigneten weitergehenden Ordnungsmaßnahmen (beispielsweise mit der Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform) die Sicherheit der Schüler und Lehrkräfte sowie den ordnungsgemäßen Schulbetrieb sicherstellen müssen.
Verstöße gegen andere Vorschriften oder den Zweck des § 61 Abs. 2 und Abs. 3 NSchG sind nicht erkennbar.
Auch der Antrag des Antragstellers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, hat keinen Erfolg. Die Aufhebung der Anordnung sofortiger Vollziehung kommt nur in Betracht, wenn diese Anordnung formell rechtswidrig ist (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 893; J. Schmidt in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn 93 sowie VG Braunschweig, Beschl. vom 21.03.2003 - 6 B 48/03 -). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt (siehe oben).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 GKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Baumgarten
Wagner