Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.03.2003, Az.: 4 A 259/02

Darlehen; Einkommen; Unterhaltsleistung; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
27.03.2003
Aktenzeichen
4 A 259/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48543
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Berücksichtigung von als Darlehen deklarierter Unterhaltsleistungen als Einkommen im Sinne des § 10 WoGG

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit es den Leistungszeitraum von Juni 2002 bis Oktober 2002 betrifft.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt die Gewährung höherer Wohngeldleistungen ursprünglich für den Zeitraum von November 2001 bis Oktober 2002.

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Der am 17. Mai 1942 geborene Kläger bewohnt allein die o.a. Wohnung in D.. Hierfür erhält er seit Jahren mit zeitlichen Unterbrechungen einen Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz. In den jeweiligen Berechnungen wurden jeweils Leistungen des Arbeitsamtes als Einkommen berücksichtigt. Am 13. November 2001 beantragte er im Rahmen eines Wiederholungsantrages wegen Ablaufs des Bewilligungszeitraumes erneut Wohngeld. Dabei gab er an, dass er zur Zeit über keine Einnahmen verfüge. Arbeitslosenhilfe habe er zwar beantragt, er erhalte vom Arbeitsamt jedoch keine Leistungen, da diesbezüglich ein Verfahren bei dem Sozialgericht anhängig sei. Eine Nachfrage beim Arbeitsamt ergab, dass er von dort keine Leistungen erhalte, weil er über zu hohe finanzielle Rücklagen verfüge. Das Finanzamt teilte auf weitere Nachfrage mit, dass das Einkommen/Vermögen des Klägers geschätzt würde, da in der Vergangenheit erhebliche Mittel vorhanden gewesen seien, die jetzt verbraucht sein sollen, über deren Verbleib der Kläger jedoch keine Auskunft gebe. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin auf, Nachweise vorzulegen über das Einkommen, aus dem er seinen Lebensunterhalt bestreite, sowie über Erträge aus Vermögenswerten. Durch Schreiben vom 23. November 2001 gab der Kläger an, dass er Zinsen, Dividenden usw. nicht bekommen habe. Weiter legte er einen "Darlehensvertrag" vom 1. November 2000 zwischen ihm und seiner Mutter vor, wonach er von dieser vom 1. November 2000 bis zum 31. Oktober 2002 zinslos monatliche Unterhaltsleistungen in Höhe von 950,-- DM erhalte. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Vereinbarung wird auf Blatt 52 des VV verwiesen. Im Laufe des Verfahrens setzte das Finanzamt durch Bescheid vom 10. Dezember 2001 die für das Jahr 2000 zu zahlende Einkommensteuer auf 0,-- DM fest und verzichtete auf eine Schätzung. Aufgrund der von der Beklagten im Schreiben vom 28. November 2001 vorgenommenen Plausibilitätsprüfung erklärte der Kläger durch Schreiben vom 19. Dezember 2001, dass die Ernährung, Reinigung der Wäsche und Körperpflege im Haushalt seiner Mutter erfolge. Den Wert dieser Sachbezüge bewertete die Beklagte mit monatlich 370,40 DM (vgl. Bl. 65 VV). Durch den Wohngeldbescheid Nr. 14 vom 14. Januar 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2001 bis 31. Dezember 2001 Wohngeld in Höhe von monatlich 56,00 € und durch Wohngeldbescheid Nr. 15 vom 14. Januar 2002 in der gleichen Höhe auch für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. April 2002. In beiden Bescheiden legte sie in ihrer Berechnung neben Sachbezügen in Höhe von 370,40 DM bzw. 189,38 € auch Unterhaltsleistungen in Höhe von 950,00 DM bzw. 485,73 € als Einkommen zugrunde. Hiergegen legte der Kläger am 8. Februar 2002 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Darlehensleistung nicht als sein Einkommen gewertet werden könne, weil seine Mutter, die Darlehensgeberin, eine uneingeschränkt steuerpflichtige Pension beziehe, aus der sie das Unterhaltsgeld als freiwillige Leistung zahle. Zudem decke er durch die Zahlung überwiegend die monatlichen Mietkosten. Durch den Wohngeldbescheid Nr. 16 vom 16. April 2002 wurde für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis zum 31. Oktober 2002 Wohngeld in Höhe von monatlich weiterhin 56,-- € bewilligt, wobei sich die Berechnungsgrundlage nicht veränderte. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 30 April 2002 Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2002 wies die Bezirksregierung Braunschweig beide Widersprüche zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anrechnung des monatlichen Unterhaltsbeitrages rechtmäßig sei, weil keine verbindliche Zurückzahlung im Vertrag vom 1. November 2000 vereinbart worden sei.

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Hiergegen hat der Kläger am 21. August 2002 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und verfolgt sein Begehren weiter. Ergänzend führt er aus, dass im ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss die besondere weitere Lebenserwartung von bereits 90-jährigen Frauen und außerdem nicht berücksichtigt worden sei, dass er durch den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 8. April 2002 ab dem 1. Juni 2002 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 935,36 € erhält.

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Deshalb beantragt der Kläger nunmehr nur noch,

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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihrer Bescheide vom 14. Januar 2002 und 16. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. Juli 2002 zu verpflichtet, für die Zeit vom 1. November 2001 bis zum 31. Mai 2002 höheres Wohngeld ohne Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen seiner Mutter als sein Einkommen zu bewilligen,

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Die Beklagte beantragt insbesondere unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Das Verfahren wird gemäß § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt, soweit es den Leistungszeitraum von Juni 2002 bis Oktober 2002 betrifft, weil der Kläger seine Klage in diesem Umfang im Rahmen der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.

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Im Übrigen ist die Klage zulässig, jedoch nicht begründet.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Wohngeldleistungen ohne Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen von Seiten seiner Mutter als Einkommen.

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Gemäß § 2 Abs. 1 WoGG wird Wohngeld unter Berücksichtigung des monatlichen Einkommens gewährt. Gemäß § 9 Abs. 1 WoGG ist das maßgebliche Gesamteinkommen im Sinne dieses Gesetzes die Summe der Jahreseinkommen der zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder. Da der Kläger alleinstehend ist, kommt es somit auf sein Jahreseinkommen an. Der Begriff des Jahreseinkommens ergibt sich aus § 10 WoGG. Unstreitig werden insoweit die monatlichen Sachbezüge, die der Kläger von seiner Mutter erhielt, mit 370,40 DM bzw. 189,38 € bewertet als Einkommen berücksichtigt. Darüber hinaus ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auch die Unterhaltsleistungen in Höhe von monatlich 950,00 DM bzw. 485,73 €, die der Kläger von seiner Mutter erhielt, als Einkommen des Klägers berücksichtigte. Es handelt sich bei den Unterhaltsleistungen zwar nicht um ein Jahreseinkommen i.S.d. § 10 Abs. 1 WoGG, weil diese freiwilligen Leistungen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 WoGG i.V.m. §§ 2 Abs. 1, 22 Nr. 1 Satz 2 EStG als sonstige Einkünfte nicht dem Empfänger, d.h. dem Kläger, sondern der unbeschränkt steuerpflichtigen Geberin, d.h. seiner Mutter, zuzurechnen sind. Allerdings gehören gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 15 WoGG (bezogen auf den Zeitraum November 2001 und Dezember 2001, vgl. BGBl. I 2001, S. 2, 7) bzw. dem wortgleichen § 10 Abs. 2 Nr. 5.1 WoGG (ab 1. Januar 2002 aufgrund von Art. 17 des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaugesetzes vom 13. September 2001 - BGBl. I. S. 2376, 2399 ff., 2403) zum Jahreseinkommen i.S.d. WoGG auch die nach § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG dem Empfänger nicht zuzurechnenden Bezüge, die ihm von nicht zum Familienhaushalt rechnenden Personen gezahlt werden.

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Der Berücksichtigung als Einkommen des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die im Streit befindlichen Unterhaltsleistungen aufgrund eines "Darlehensvertrages" (vgl. Bl. 52 VV) gewährt wurden. Grundsätzlich können darlehensweise gewährte Leistungen nicht als Einkommen im Sinne des Wohngeldrechts qualifiziert werden, weil diese zurückzuzahlen sind und deshalb nur vorübergehend zur Verfügung gestellt werden. Dieses gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um ein verzinsliches oder unverzinsliches Darlehen handelt (vgl. z.B. zum Ausbildungsförderungsdarlehen BVerwG, Urteil vom 25. Mai 1984 - 8 C 96.82 - BVerwGE 69, 247, 251; so auch: Buchsbaum/Driehaus/Groß-mann/Heise, WoGG, § 10 Rnr. 7; Stadler/Gutekunst/Forster/Wolf, WoGG, § 10 Rnr. 154 ff.). Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um ein Darlehen in diesem Sinne. So hat bereits das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Darlehen, die für den Lebensunterhalt verwendet werden, jedenfalls dann wie Einnahmen behandelt werden müssen, wenn mit der Rückzahlung entweder überhaupt nicht oder doch nur bei Eintritt eines ungewissen Ereignisses gerechnet werden kann (BVerwG, Urteil vom 30. November 1972 - VIII C 81.71 - BVerwGE 41, 220, 226). Eine solchen Fall hat das Nds. Oberverwaltungsgericht wie auch das erstinstanzliche Verwaltungsgericht Hannover beim "Darlehen" einer Schwiegermutter angenommen, bei dem die Rückzahlung der Zuwendung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund des Alters der Schwiegermutter des dortigen Klägers und des vorgesehenen Beginns der Rückzahlung ausgeschlossen werden konnte (Nds. OVG, Urteil vom 28. Februar 1997 - 4 L 8019/94; VG Hannover, Urteil vom 7. November 1994 - 10 A 11/94).

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In Anwendung dieser Maßstäbe können die Unterhaltsleistungen, die aufgrund des "Darlehensvertrages" vom 01. November 2000 erbracht werden, nicht als Darlehen unberücksichtigt bleiben, sondern müssen i.S.d. § 10 Abs. 2 Nr. 15 WoGG bzw. § 10 Abs. 2 Nr. 5.1 WoGG als Einkommen des Klägers bei der Wohngeldberechnung berücksichtigt werden. Im "Darlehensvertrag" sind vorbehaltlich einer vorzeitigen Kündigung monatliche Leistungen in Höhe von 950,00 DM für die Zeit vom 1. November 2000 bis zum 31. Oktober 2002 vorgesehen. Die tilgungsfreie Zeit ist sodann festgelegt auf das Doppelte des Zeitraumes, für den Unterhaltsgeld gewährt wurde, höchstens 48 Monate. Somit beginnt die Tilgung regulär bei vollständiger Auszahlung erst am 1. November 2006. Das Geburtsdatum der die Zuwendung gebenden Mutter des Klägers ergibt sich zwar nicht aus der Akte, doch ist angesichts des Alters des Klägers (geb. am 17. Mai 1942) davon auszugehen, dass seine Mutter am 1. November 2006 ca. 85 Jahre alt sein würde, d.h. in einem Alter, das deutlich über der mittlere Lebenserwartung von Frauen im Bundesdurchschnitt von 80 Jahren liegt( vgl. z.B. Kurzinfo 1 (2001) des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg). Deshalb ist schon aufgrund des Alters der Mutter eine tatsächliche Rückzahlung des Darlehens unwahrscheinlich. Hinzu kommt selbständig tragend, dass die Leistung von Tilgungsraten während der Zeit entfallen soll, in der der Kläger arbeitslos ist und auch keine Leistungen vom Arbeitsamt erhält. In einer solchen Situation befand sich der Kläger bereits bei Abschluss des "Darlehensvertrages" vom 1. November 2000. Eine Änderung dieser Situation war nicht absehbar, zumal der Kläger aufgrund seines Alters von damals 58 Jahren kaum vermittelbar war und sich das Arbeitsamt aufgrund angenommener hoher finanzieller Rücklagen weigerte, weiterhin Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Der ergänzende Vortrag des Prozessbevollmächtigte in seinem Beschwerdeschriftsatz vom 24. März 2003 gegen die ablehnende Prozesskostenhilfe-Entscheidung der Kammer rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Vielmehr unterstützt er gerade die vorangegangene Wertung. Denn bei einem 58-jährigen und zusätzlich schwerbehinderten Menschen ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auf den Arbeitsmarkt zurückkehrt und damit die im Vertrag vorgesehene Tilgungsklausel erfüllt, noch geringer. Darüber hinaus stand die Tilgung unter dem weiteren Vorbehalt, dass bei der Festlegung der Tilgungsrate die Einkommensverhältnisse des Klägers angemessen berücksichtigt werden sollen. Konkrete Tilgungsmodalitäten für den Normalfall einer Rückzahlung wurden zudem auch nicht geregelt. Unter Würdigung all dieser Umstände war schon bei Abschluss des "Darlehensvertrages" völlig ungewiss, ob die zugewendeten Unterhaltsleistungen überhaupt zurückgezahlt werden. Damit hat die getroffene Vereinbarung rechtlich nicht den Charakter eines Darlehens.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1,155 Abs. 2 VwGO abzuweisen.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.