Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.03.2003, Az.: 6 B 75/03

Asyl; Asylantrag; Asylantragsteller; Asylbewerber; offensichtliche Unbegründetheit; Unbegründetheit; Unsubstanziiertheit; Vorbringen

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.03.2003
Aktenzeichen
6 B 75/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48495
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Unsubstanziiertheit im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ist - wie bereits der Vergleich der verschiedenen Tatbestandselemente dieser Vorschrift zeigt - nicht durch jeden Zweifel an der Glaubhaftigkeit indiziert, der sich aus einem Mangel an Einzelheiten und Lebensnähe der Schilderung ergibt; es muss sich vielmehr um eine qualifizierte Unsubstanziiertheit handeln, die mit vergleichbarer Überzeugungskraft wie eine offensichtliche Tatsachenwidrigkeit oder eine erhebliche Widersprüchlichkeit den Schluss begründet, dass sich das Vorbringen des Asylbewerbers nicht auf eigene Erlebnisse stützen kann.

Tenor:

Die aufschiebenden Wirkung der Klage vom 03.03.2003 gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 20.02.2003 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin  trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Tatbestand:

1

I. Der im Jahre 1977 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und moslemischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 23.01.2003 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 27.01.2003 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

2

Bei der Anhörung am 03.02.2003 gab er gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Wesentlichen an:

3

Er sei Sympathisant für die Partei Yekiti gewesen, mit der er jedoch nicht lange Kontakt gehabt habe. Im September 2002 habe er zwei Mal in der Woche Umschläge verteilt, die er "von Parteifreunden" bzw. seinem Freund D., einem Kurden, erhalten habe, der der Partei angehöre. Die Umschläge seien ihm im Laden seines Vaters, in dem er gearbeitet habe, übergeben worden mit dem Auftrag, sie an die Leute weiterzugeben, die sich ihm mit der Parole vorstellen: "D. grüßt Dich". Vom Inhalt der Umschläge habe er keine Kenntnis erhalten und auch nicht nachgesehen, weil er seinem Freund D. vertraut habe. Dieser habe ihm zum Inhalt der Umschläge gesagt, es handele sich um Flugblätter der Yekiti, Berichte über die Versammlungen und was das kurdische Volk von den syrischen Behörden verlangen würde sowie zur Lage der Kurden. Auf die erneute Frage, wie viele Umschläge er, der Kläger, "insgesamt" verteilt habe, gab der Antragsteller an, "7 oder 8 Umschläge". Er habe nicht alle Empfänger gekannt. Über die Partei Yekiti wisse er von D., dass es eine kurdische Partei sei, die sich "für die Schmerzen des Volkes" und "für das Problem der Staatenlosen" einsetze.  Die Partei wisse, dass die Kurden in Syrien keine kulturellen und zivilen Rechte hätten, und wolle, dass das Volk die Freiheit bekomme; das kurdische Volk solle in Syrien anerkannt werden. An Parteitreffen habe er nicht teilgenommen und kenne neben D. als weiteres Parteimitglied nur noch den E., der ebenfalls ein Freund des D. sei. Er sei vom 05.10.2002 bis 05.12.2002 beim politischen Sicherheitsdienst inhaftiert gewesen. Er glaube, dass man ihn denunziert habe. Sie hätten ihm vorgehalten, sie hätten Leute beobachtet und dabei auch gesehen, dass er "Flugblätter und solche Dinge und auch Briefumschläge verbreitet" hätte. Er habe kein Geständnis abgelegt und sei erst freigelassen worden, nachdem er sich schriftlich zur Zusammenarbeit verpflichtet hatte. Sie hätten gedroht, ihn wieder zu inhaftieren, wenn er sich nicht an sein Versprechen halte. D. und auch E. seien seines Wissens nicht behelligt worden. D. habe ihm einen Schlepper für die Ausreise besorgt, nachdem er, der Antragsteller, ihm über die Haftzeit berichtet und auch seine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst erwähnt und angegeben habe, er würde die Namen verraten, wenn ihm nicht geholfen würde. Das Geld für den Schlepper habe er, der Antragsteller, aufgebracht.

4

Mit Bescheid vom 20.02.2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben seien. Außerdem forderte die Behörde den Antragsteller zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes auf und drohte für den Fall, dass dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung in das Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat an.

5

Gegen diesen am 25.02.2003 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller am 03.03.2003 Klage erhoben (6 A 74/03) sowie um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er macht insbesondere geltend:

6

Die getroffene Offensichtlichkeitsentscheidung sei unzulänglich begründet und treffe auch in der Sache nicht zu, zumal der Antragsteller nicht zur in der Haft erlittenen Folter  befragt worden sei.

7

Der Antragsteller beantragt,

8

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 20.02.2003 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Verfahrens 6 A 74/03 sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.

12

Der nach den §§ 75, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Nr. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag ist begründet. Die für einen Erfolg des Rechtsschutzantrages nach § 36 Abs. 4 AsylVfG vorausgesetzten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon deshalb, weil sich die Ablehnung des Antrags als "offensichtlich" unbegründet nicht halten lässt und dies gemäß § 37 Abs. 2 AsylVfG auch Folgen für die nach § 36 Abs. 1 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung hat.

13

Das Bundesamt hat einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn einer der Fälle des § 30 AsylVfG gegeben ist. Dazu zählt ein Asylantrag, bei dem die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für einen Abschiebungsschutz nach § 51 AsylVfG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylVfG). Das ist anzunehmen, wenn ein in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfreier Sachverhalt gegeben ist, bei dem sich nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylbegehrens geradezu aufdrängt. Ein unbegründeter Asylantrag ist nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. Letzteres hat das Bundesamt zu Unrecht angenommen.

14

Die dazu im Bescheid gegebene Begründung, die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG lägen vor, da das "Vorbringen des Antragstellers flach und unsubstanziiert und damit unglaubhaft ist" genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. Sie lässt nicht erkennen, dass es "offenkundig" den Tatsachen nicht entspricht, oder dass es "in wesentlichen Teilen" so unsubstanziiert ist, dass das Offensichtlichkeitsurteil im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung gerechtfertigt wäre. Eine Unsubstanziiertheit im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ist - wie bereits der Vergleich der verschiedenen Tatbestandselemente dieser Vorschrift zeigt - nicht durch jeden Zweifel an der Glaubhaftigkeit indiziert, der sich aus einem Mangel an Einzelheiten und Lebensnähe der Schilderung ergibt; es muss sich vielmehr um eine qualifizierte Unsubstanziiertheit handeln, die mit vergleichbarer Überzeugungskraft wie eine offensichtliche Tatsachenwidrigkeit oder eine erhebliche Widersprüchlichkeit den Schluss begründet, dass sich das Vorbringen des Asylbewerbers nicht auf eigene Erlebnisse stützen kann (vgl. dazu auch VG Braunschweig, Beschl. vom 02.10.1998 - 3 B 3283/98 - V. n. b.; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz , 4 Aufl., § 30 Rn. 60 - 62; jew. m. w .Nw.).

15

Dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stattzugeben.