Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 12.03.2003, Az.: 2 A 557/01
Bebauungsplan; Befreiung; Grundzüge der Planung; Planung; Rautheim; überbaubare Grundstücksfläche
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 12.03.2003
- Aktenzeichen
- 2 A 557/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48352
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs 2 BBauG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen negativen Bauvorbescheid der Beklagten.
Er ist Eigentümer zweier Grundstücke - Flurstücke G. und H., Flur I., Gemarkung J. - an der Straße K. Es handelt sich um Hinterliegergrundstücke, deren Erschließung durch eine Baulast auf dem benachbarten unbebauten Grundstück Flurstück L. gesichert ist. Mit Bauvoranfrage vom 31.01.2000 bat der Kläger um die Klärung der Frage, ob auf den beiden Grundstücken, die noch einmal geteilt werden sollen, vier Einfamilienhäuser in eingeschossiger Bauweise mit Satteldächern bis zu 45° entstehen dürften. Die späteren vier Grundstücke wären 414, 589, 618 und 684 m² groß.
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans M. der damals selbständigen Gemeinde N. vom 09.03.1966. Der Bebauungsplan setzt für die betroffenen Grundstücke nicht überbaubare Grundstücksfläche fest. Nach Art von Baufenstern sind ferner um die jeweiligen Wohngebäude und Garagen Baugrenzen gezogen. Die übrige Fläche des Plangebietes ist nicht überbaubar. Der Bebauungsplan setzt im Übrigen mit Ausnahme eines Grundstückes im Westen ein reines Wohngebiet (WR), eine eingeschossige Bauweise und im WR-Gebiet eine Mindestgrundstücksgröße von 2.200 m² fest.
Mit Bescheid vom 16.11.2000 lehnte die Beklagte die Bauvoranfrage ab. Sie stellte fest, dass das Bauvorhaben unzulässig sei und eine Baugenehmigung nicht in Aussicht gestellt werden könne. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die Festsetzungen des Bebauungsplans M.. Eine Befreiung könne nicht erteilt werden, da die Grundzüge der Planung berührt würden.
Der Kläger legte Widerspruch ein, mit dem er vortrug, ob die Grundzüge der Planung berührt würden, hänge von der jeweiligen Planungssituation ab. Der Bauherr müsse nach Inkrafttreten des BauROG 1998 eine atypische Grundstückssituation nicht mehr geltend machen. Das sei nur anders, wenn wertvolle Aussichten geschützt, Frischluftschneisen eröffnet oder besondere Erholungsfunktionen gewährleistet werden sollten. Von solchen qualifizierten Voraussetzungen sei hier nicht auszugehen. Das gesamte Areal einschließlich der Vorderliegergrundstücke sei in den 60er Jahren als Bauland veräußert worden. Der Kläger berief sich auf ein Schreiben der Voreigentümerin, der Stadt O., vom 20.03.1962. Seinerzeit habe man nur deshalb lediglich im vorderen Bereich ein Doppelhaus mit zwei Garagen bauen können, weil die Kläranlage des Dorfes zu diesem Zeitpunkt zu klein gewesen sei, um weitere Kapazitäten aufzunehmen. Nach dem Bau einer neuen Pumpstation in N. sei die Abwasserentsorgung nun gesichert. Der ehemalige Gemeindedirektor P. habe in einem Schreiben vom 14.06.2000 bestätigt, dass das Grundstück von der Verwaltung und der Politik seinerzeit als Bauland angesehen worden sei. Wegen der Kapazität der Kläranlage und auch der Nähe zur Kläranlage habe eine Baugenehmigung nicht erteilt werden können. Auch ein Schreiben der Stadt Braunschweig vom 01.06.1962 spreche die Ausweisung der Fläche im Flächennutzungsplan als Bauland an. Den planerischen Vorstellungen und der Planungssituation würde es deshalb entsprechen, die begehrte Befreiung zu erteilen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2001 wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies die Bezirksregierung ebenfalls darauf, der planerische Wille und die Ausgestaltung der städtebaulichen Ordnung ließen sich sehr genau an dem Bebauungsplan und dem vorangegangenen Teilortsbauplan ablesen. Ein grundlegendes Ziel der Planung habe darin bestanden, die großen Grundstücke überwiegend von Bebauung frei zu halten. Da der Bebauungsplan andere Festsetzungen nicht enthalte, sei die Lage der Baufenster der einzige und entscheidende Grundzug der Planung. Eine Bebauung in zweiter oder gar dritter Bautiefe sei nicht erwünscht gewesen. Die Bezeichnung eines Grundstückes als Bauland bedeute nicht, dass dieses vollständig bebaut werden dürfe.
Der Kläger hat am 19.10.2001 Klage erhoben. Er hat sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren bezogen und auch nach Einsicht in die Verwaltungsvorgänge nicht ergänzend vorgetragen.
Der Kläger beantragt,
den Bauvorbescheid und den Kostenbescheid der Beklagten vom 16.11.2000 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.09.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm einen positiven Bauvorbescheid gemäß seiner Bauvoranfrage zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid vom 14.09.2001.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Bezirksregierung Braunschweig, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung eines Bauvorbescheides entsprechend seiner Bauvoranfrage vom 31.01.2000 (§ 74 Abs. 1 Satz 1, 2 NBauO). Die Errichtung von vier Einfamilienhäusern auf den Flurstücken G. und H. (Flur 2, Gemarkung N.) ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Der negative Bauvorbescheid der Beklagten vom 16.11.2000, der Kostenbescheid der Beklagten vom 16.11.2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.09.2001 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Bebauungsplan Q. vom 09.03.1966 steht einer Bebauung auf den genannten Flurstücken entgegen, da er für diesen Teil des Plangebietes eine nicht überbaubare Grundstücksfläche festsetzt. Der Bebauungsplan ist wirksam. Er gehört nicht zu den übergeleiteten Bebauungsplänen auf der Grundlage der (nichtigen) Bauverordnung der Stadt Braunschweig vom 29.05.1957 (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 06.12.2000 - 1 L 3256/99 -, BRS 63 Nr. 44).
Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes kommt nicht in Betracht, da die Grundzüge der Planung durch die Errichtung der Einfamilienhäuser berührt werden (§ 31 Abs. 2 BauGB). Bereits dem ursprünglichen Teilortsbauplan Nord-Ost der Gemeinde N. vom 15.11.1955 lag die Erwägung zugrunde, die vorhandene einseitige Bebauung des Weges R. sei nicht befriedigend. Die neue Bebauung gegenüber der Wabeaue solle möglichst offen sein, weshalb die „Stellung“ der Häuser weit auseinander gezogen werden sollte (vgl. Erläuterung zum Teilortsbauplan Nord-Ost). Die Begründung zum Bebauungsplan S. von 1965/66 spricht davon, dass in einem reinen Wohngebiet auf relativ großen Grundstücken eine lockere, freistehende, eingeschossige Einfamilienhausbebauung vorgesehen sei. Mit den großen Gärten solle ein weicher Übergang von der Bebauung des alten Ortes N. in die freie Landschaft hergestellt werden. Diese Bebauung sei in erster Linie für größere Familien, insbesondere kinderreiche Familien und solche mit entsprechenden Wohnansprüchen gedacht. Es werde eine Mindestgrundstücksgröße von 2.000 m² festgelegt, um unerwünschte Grundstücksteilungen, die den Charakter des Gebietes verändern könnten, zu verhindern. Die Gemeinde sei an einer lockeren Bebauung auch interessiert, um weiteren unerwünschten Aufwendungen für Einrichtungen des Gemeinbedarfs (Schule, Kläranlage usw.) vorzubeugen, die durch eine dichtere Bebauung ausgelöst werden könnten. Die Baugrenzen dienten einem gesunden, ruhigen Wohnen und der Erhaltung des Wohnfriedens. Daran zeigt sich, dass die vom Kläger geplante Hinterliegerbebauung nicht nur die Grundzüge der Planung i.S. des § 31 Abs. 2 BauGB berührt, sondern eine Erweiterung der Bebauung in nördlicher Richtung mit der damaligen Planung unvereinbar ist. Die geplante Bebauung auf verhältnismäßig kleinen Grundstücken würde nicht nur den weichen Übergang in den Außenbereich zur Wabeaue, sondern auch eine lockere Bebauung auf großen Grundstücken verhindern.
Dem Vater des Klägers ist schon in einer Stellungnahme der Gemeinde zu seiner Einwendung im Aufstellungsverfahrens des Bebauungsplanes im Jahre 1965 mitgeteilt worden, auf dem damaligen Flurstück T. könne weiterhin ein Vorhaben genehmigt werden, das der bereits vorhandenen Bebauung entspreche. Ihm wachse ein nicht unwesentlicher Vorteil zu, da er nach dem neuen Plan weitere 1.000 m² des Grundstückes als Bauland nutzen könne. Sofern damals in dieser Stellungnahme vom 04.01.1966 sowie in den Schreiben der Voreigentümerin Stadt O. vom 20.03. 1962 und 01.06.1962 von Bauland die Rede ist, heißt dies selbstverständlich nicht, dass die gesamte Grundstücksfläche bebaubar war und ist. Die Verbesserung der Abwasserentsorgungskapazitäten, die auf ein Neubaugebiet zurückzuführen ist, ändert daran nichts (s. insofern das Schreiben des Gemeindedirektors U. v. 14.06.2000, der sich zu den bauplanerischen Festsetzungen nicht äußert). Wie aufgezeigt waren die Engpässe bei der Abwasserbeseitigung allerdings damals ein Motiv von mehreren für die eng gezogenen Baugrenzen. Eine schriftliche Zusage gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, eine Baugenehmigung zu erteilen, hat der Kläger mit den erwähnten Schreiben der Stadt Braunschweig aus dem Jahr 1962 nicht vorgelegt. Damals war N. im Übrigen noch eine selbständige Gemeinde.
Ob das Merkmal einer Atyptik im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht mehr zu prüfen ist, muss vorliegend nicht erörtert werden. Denn eine Bebauung auf den beiden Flurstücken vor dem Ortsende greift so weitgehend in die planerischen Vorgaben nach dem Bebauungsplan M. ein, dass die Grundzüge der Planung i.S. des § 31 Abs. 2 BauGB berührt werden, ohne dass noch danach gefragt werden muss, ob ein atypischer Ausnahmefall die Befreiung erfordert (vgl. Schrödter-Schmaltz, BauGB, 6. Aufl., § 31, Rn. 20). Dafür spricht auch, dass bei einem Hinwegdenken des Bebauungsplanes eine Errichtung der Einfamilienhäuser im Außenbereich nach § 35 BauGB unzulässig wäre.
Die Bebauung würde am Ortsausgang zudem wie ein Zacken in den Außenbereich hineinragen. Diese Betrachtung führt dazu, dass die Befreiung auch städtebaulich nicht vertretbar ist (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Auch heute noch wird die Bebauung an der Einfahrt zum Ortskern nur durch die Bebauung in einer Bautiefe und nicht durch Hinterliegerbebauung gekennzeichnet. Gründe des Wohls der Allgemeinheit erfordern geplante Bebauung ebenso wenig wie eine Durchführung des Bebauungsplanes zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 u. 3 BauGB).
Eine Bebaubarkeit der Grundstücke kann hier nur durch eine entsprechende Bauleitplanung der Beklagten erreicht werden.
Im Übrigen - insbesondere hinsichtlich der Gebührenanforderung mit dem Bescheid vom 16.11.2000 - sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.09.2001 (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.