Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.03.2003, Az.: 3 B 195/03

Bedarfsgemeinschaft; Einsatzgemeinschaft; Kindergeld; Stiefkind; Unterkunftskosten; Verpflichtungserklärung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.03.2003
Aktenzeichen
3 B 195/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 47910
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Von einem nicht hilfsbedürftigen Stiefvater, der aus seinem Einkommen den Eigenbedarf decken kann, kann nach § 16 BSHG erwartet werden, dass er sein Stiefkind abgesehen von tatsächlichen erhöhten Nebenkosten unentgeltlich bei sich wohnen lässt, wenn Größe und Ausstattung der Wohnung nicht durch das Stiefkind bestimmt sind und sich die Grundmiete wegen dessen Aufenthalt nicht erhöht.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 2) laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab März 2003 in Höhe von monatlich 69,05 EUR zu bewilligen.

Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Gründe

1

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).

3

Die Antragsteller zu 1) und 3) haben nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen gemäß §§ 2, 11 BSHG ein Anspruch auf laufende ergänzende Hilfe nach dem BSHG zusteht. Zwar ist die Antragsgegnerin in ihrem ablehnenden Bescheid vom 27.01.2003 fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Antragsteller insgesamt eine Einsatzgemeinschaft im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG bilden, da der Antragsteller zu 2) das Stiefkind des Antragstellers zu 3) ist und mit diesem keine Einsatzgemeinschaft bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.11.1998 – 5 C 37/97; FEVS 49, 307 ff.). Der Antragsteller zu 3) und die Antragstellerin zu 1) haben aber als eigenständige Einsatzgemeinschaft keinen sozialhilferechtlichen Bedarf glaubhaft gemacht. Insoweit ist für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf die Verdienstabrechnung des Antragstellers zu 3) für Januar 2003 abzustellen, welche er wir üblich am 10. des Folgemonats erhalten hat. Danach steht der Einsatzgemeinschaft ein Erwerbseinkommen von 1.293,13 EUR zur Verfügung. Damit kann der Bedarf der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 3), bestehend aus den Regelsätzen und den gesamten Unterkunfts- und Heizungskosten in Höhe von insgesamt 874,46 EUR, auch nach Bereinigung gemäß § 76 Abs. 2 a BSHG, gedeckt werden (293,00 + 234,00 + 321,50 + 26,00 EUR).

4

Demgegenüber hat der Antragsteller zu 2) glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 69,05 EUR entsprechend der Berechnung der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz an das Gericht vom 03.03.2003 zusteht. Bei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglicher und zulässiger Prüfung steht dem Antrag insbesondere nicht entgegen, dass der Antragsteller zu 3) für die übrigen Antragsteller vor deren Einreise nach Deutschland eine Verpflichtungserklärung gemäß § 84 AuslG unterschrieben hat. Denn eine solche Erklärung begründet keine Ansprüche des begünstigten Ausländers gegenüber dem Verpflichteten; dementsprechend kann der Träger der Sozialhilfe dem Ausländer Hilfe zum Lebensunterhalt nicht mit der Begründung verweigern, dieser müsse wegen des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe Ansprüche gegen den aus der Erklärung Verpflichteten durchsetzen (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 19.11.1993 – 6 S 2371/93 -, FEVS 45, 32 ff.). Im Übrigen ist fraglich, ob eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG ihre Wirksamkeit nicht dann verliert, wenn der Ausländer später hinsichtlich seiner Aufenthaltsgenehmigung in eine unbedingte Anspruchsposition, wie es bei der Antragstellerin zu 1) und deren Sohn nach der Eheschließung mit dem Antragsteller zu 3) der Fall sein dürfte, hineinwächst (vgl. VG Hannover, Urt. v. 20.11.2001 – 3 A 3320/01 -, NVwZ-RR 2002, 443 ff. [OVG Nordrhein-Westfalen 14.09.2001 - 12 A 4923/99]).

5

Bei der Bedarfsberechnung für den Antragsteller zu 2) ist von einem Bedarf in Höhe von insgesamt 212,82 EUR, bestehend aus dem Regelsatz (190,00 EUR) sowie einem Drittel der Betriebskosten für die Wohnung und einem Drittel der Heizkosten (14,15 EUR bzw. 8,67 EUR), auszugehen. Die Kammer geht davon aus, dass die Aufnahme des Antragstellers zu 2) in den Haushalt des Antragstellers zu 3) in diesem Umfang zu einer höheren Belastung geführt hat. Demgegenüber sind Unterkunftskosten im Übrigen nicht als Bedarf anzuerkennen. Denn von einem – nicht hilfsbedürftigen – Stiefvater, der aus seinem Einkommen den Eigenbedarf (einschließlich des Bedarfs der mit ihm in der Gemeinschaft des § 11 Abs. 1 BSHG lebenden Personen) decken kann, kann nach § 16 BSHG erwartet werden, dass er sein Stiefkind unentgeltlich bei sich wohnen lässt, wenn Größe und Ausstattung der Wohnung nicht durch das Stiefkind bedingt sind und sich die Grundmiete wegen dessen Aufenthalt in der Wohnung nicht erhöht (vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.1989 – 4 A 13/88 -, FEVS 39, 192 ff.; OVG des Saarlandes, B. v. 13.07.2000 – 3 Q 273/99 -, recherchiert in Juris Web). So liegen die Dinge hier. Denn der Antragsteller zu 3) hat seine Frau und deren Sohn nach der Ankunft in Deutschland im Juni 2002 in seiner 45 m² großen 1 1/2-Zimmerwohnung, welche er bereits seit 15.08.2001 bewohnte, aufgenommen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass abgesehen von erhöhten Betriebs- und Heizkosten durch die Aufnahme des Antragstellers zu 2) Mehraufwendungen entstanden sind. Da der Bedarf der Antragsteller zu 1) und 3) durch das Einkommen des Antragstellers zu 3) voll gedeckt ist, ist das Kindergeld abzüglich des Freibetrages gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG in Höhe von 143,77 EUR dem festgestellten Bedarf des Antragstellers zu 2) bedarfsmindernd gegenüberzustellen. Dementsprechend besteht noch ein monatlicher Bedarf in Höhe von 69,05 EUR.

6

Der Antragsteller zu 3) hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Übernahme der Mietrückstände für die Monate Januar und Februar 2003 gegenüber der Antragsgegnerin zusteht. Gemäß § 15a Abs. 1 BSHG kann Hilfe zum Lebensunterhalt in der Form der Übernahme von Mietrückständen gewährt werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie soll gewährt werden, wenn sie gerechtfertigt und notwendig ist und ohne sie Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller zu 3) nicht glaubhaft gemacht, dass die Übernahme der Mietrückstände gerechtfertigt ist, d.h. nur durch eine Übernahme seitens der Antragsgegnerin eine Obdachlosigkeit verhindert werden kann. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist trotz fristloser Kündigung der Vermieterin zum 01.03.2003 eine Räumungsklage nicht erhoben worden. Darüber hinaus dürfte der Antragsteller zu 3) in Anbetracht seines Einkommensüberhanges in Höhe von rd. 300,00 EUR monatlich bei Deckung seines Bedarfes und seiner Ehefrau und eventuell vorhandener PKW‘s in der Lage sein, nach entsprechender Vereinbarung mit der vermietenden Wohnungsbaugesellschaft den Mietrückstand ratenweise abzuzahlen. In Bezug auf die Unterhaltspflichten gegenüber seinem eigenen, bei seiner geschiedenen Frau lebenden Sohn dürfte ggf. eine Anpassung entsprechend seiner aktuellen Einkünfte in Betracht kommen. Im Übrigen steht es dem Antragsteller zu 3) frei, bei veränderter Situation erneut einen Antrag auf Übernahme der Mietrückstände zu stellen.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.