Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.03.2003, Az.: 8 B 153/03

Aufenthaltsgenehmigung; Ausweisung; Erschleichung; falsche Angaben

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.03.2003
Aktenzeichen
8 B 153/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 47956
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Hinweis auf die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben im Sinne des § 46 Nr.1 AuslG ist nicht ordnungsgemäß erteilt, wenn allein auf die Möglichkeit des Entzugs der Aufenthaltsgenehmigung aufmerksam gemacht wurde.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2003 wird bis zur Zustellung der Endentscheidung in dem Widerspruchsverfahren wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Eilantrag hat nur teilweise Erfolg, weil die Wiederherstellung und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs durch das beschließende Gericht im Verhältnis zu der gesetzlich geregelten Höchstdauer (§ 80b Abs. 1 VwGO) erheblich kürzer befristet (§ 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO) werden.

2

Der Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig. Insbesondere fehlt ihm nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung mitgeteilt hat, bis zur Beendigung des Vorverfahrens von weiteren Maßnahmen absehen zu wollen. Denn dies lässt die die Antragstellerin beschwerende rechtliche Verpflichtung zur Ausreise (§ 42 Absatz 3 Satz 1 AuslG) unberührt.

3

Die befristete Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung ist geboten, weil Überwiegendes dafür spricht, dass die Verfügung in ihrer gegenwärtigen Fassung, auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in erster Linie abzuheben ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 RN 147 und Jörg Schmidt, in: Eyermann VwGO, 11. Aufl. 2000, § 80 RN 83 f.) rechtswidrig ist und daher keinen unveränderten Bestand haben kann. Letzteres beruht darauf, dass sich der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid (Bl. 189 ff. BA „A“) für die Ausweisung nur auf eine selbständig tragende Begründung stützt, die an § 45 AuslG i. V. m. § 46 Nr. 1 AuslG anknüpft und  d i e s e  Begründung rechtlichen Bedenken begegnet.

4

Zwar hat auch die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin in einem Verfahren nach dem Ausländergesetz falsche Angaben zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung gemacht hat.

5

Die Antragstellerin hatte nämlich bereits auf dem am 03. Juli 2002 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Visumantrag (Bl. 51 BA „A“), dessen Formulartext zweisprachig, auf Deutsch und Polnisch, abgefasst ist, unter Nr. 14 der Wahrheit zuwider (vgl. Bl. 3 f., 17 ff., 32 ff. und 40 ff. BA „A“) angegeben, dass sie früher einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung nicht gestellt habe. Sie verneinte zudem in ihrem am 30. September 2002 auf einem wiederum auch polnischsprachigen Formblatt gestellten Antrag zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (Bl. 71 Beiakte „A“) wahrheitswidrig die unter Nr. 14 gestellte Frage nach einem früheren Aufenthalt in Deutschland. Angesichts des Bildungsgrades der Antragstellerin wird die Geltendmachung eines auf den Formulartext bezogenen Missverständnisses von dem Antragsgegner zu Recht als Schutzbehauptung gewertet. Erhebliche Zweifel hat die Kammer aber daran, ob das weitere Tatbestandmerkmal des § 46 Nr. 1 AuslG erfüllt ist, nämlich dass der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher oder unrichtiger Angaben hingewiesen wurde.

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Sowohl der Wortlaut der Vorschrift, hier: die Verwendung des Plurals „Rechtsfolgen“, als auch ihr systematische Standort und ihre Warnfunktion sprechen dafür, dass der Hinweis im jeweiligen Verwaltungsverfahren gegeben worden sein muss (vgl. Kloesel/Christ/ Häußer, Dt. AuslR, Stand: Mai 2002, § 46 AuslG RN 3) und mindestens eine Belehrung über die Möglichkeit einer Ausweisung und einer Bestrafung enthält. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin jedoch weder in dem Verwaltungsverfahren über ihren letzen Visumantrag noch in demjenigen über ihren letzten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung einen den aufzustellenden Anforderungen genügenden Hinweis erhalten. Das Formblatt, das sie am 30. September 2002 unterzeichnete, enthielt insoweit lediglich den Passus: „Falsche oder unzutreffende Angaben haben den Entzug der Aufenthaltsgenehmigung zur Folge.“ Damit aber sind die einschneidenden ausländerrechtlichen Konsequenzen einer Ausweisung (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1 und 8 Abs. 2 AuslG) nur unvollständig, diejenigen der schuldhaften Verwirklichung des strafrechtlichen Tatbestandes des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG überhaupt nicht angesprochen. Für eine weiter gehende mündliche Belehrung der Antragstellerin ist nichts ersichtlich. Deshalb dürfte sich die Ausweisung auf § 46 Nr. 1 AuslG nicht stützen lassen.

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In Betracht zu ziehen ist allerdings, eine Ausweisung der Antragstellerin auf der Grundlage der §§ 45 und 46 Nr. 2 AuslG. Auch das ist allerdings nicht gänzlich unproblematisch. Zwar war vor dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 46 Nr. 1 AuslG davon auszugehen, dass jedenfalls (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: August 2002, § 46 AuslG RN 11) die Verurteilung wegen einer vorsätzliche Straftat gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu mehr als 30 Tagessätzen nicht geringfügig im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG ist und regelmäßig eine Ausweisung unter Anordnung des Sofortvollzuges rechtfertigt (vgl. AuslG-VwV vom 7. 6. 2000, 46.2.3.1 und 46.2.9). Im Hinblick auf die Unrichtigkeit der Angaben der Antragstellerin in dem Antrag vom 30. September 2002 wären diese Voraussetzungen auch erfüllt. Gegen die Antragstellerin wurde nämlich mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 28. Januar 2003 – 10 Cs 302 Js 1595/03 – (Bl. 199 BA „A“) wegen eines Vergehens nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 5,-- EUR festgesetzt. Auch der Strafrichter ging offensichtlich (vgl. § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO) davon aus, dass sie – vorsätzlich (vgl. Art. 1 Abs. 1 EGStGB, § 15 StGB) – unrichtige Angaben gemacht hatte, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Der Strafbefehl ist nunmehr seit dem 18. Februar 2003 rechtskräftig (Bl. 208 BA „A“). Es begegnet aber wegen der Spezialität des neuen § 46 Nr. 1 AuslG (vgl. dazu: BT-Drucks. 14/7386 [56] zu Nr. 1 – zitiert nach GK-AuslR) Bedenken, über § 46 Nr. 2 AuslG das Hinweiserfordernis in § 46 Nr. 1 AuslG gleichsam zu unterlaufen. Deshalb spricht Überwiegendes dafür, einen Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 AuslG bei unzureichender Belehrung nach § 46 Nr. 1 AuslG regelmäßig nur als geringfügig im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG anzusehen.

8

Ungeachtet dieser Problematik lässt sich im vorliegenden Falle der Tatbestand des § 46 Nr. 2 AuslG allerdings mit einer anderen Argumentation als erfüllt ansehen. Die Antragstellerin hat nämlich mehrfach – also nicht nur vereinzelt –  gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Insoweit kann zum einen darauf abgestellt werden, dass sie sowohl in dem Visumsantrag als auch in dem Antrag vom 30. September 2002 falsche Angaben machte. Zum anderen hat sie selbst noch im gerichtlichen Eilverfahren der Wahrheit zuwider vortragen lassen, sie habe „diese Frage“ im Formblatt nur „falsch verstanden“ und sich „niemals einer Straftat schuldig gemacht.“ Es mag dahinstehen, ob – angesichts der Erklärung der Antragstellerin vom 17. März 2003 (Bl. 16 GA) – hier nicht sogar die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt (§ 156 StGB) vorliegt. Zumindest ist nämlich ein erheblicher Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht §§ 173 VwGO, 138 Abs. 1 ZPO zu verzeichnen. Dabei kann sich die Antragstellerin – auch unabhängig von einer Belehrung nach § 53 Abs. 2 BZRG – für ihre Unwahrheit nicht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG berufen. Diese Vorschrift gewährt nämlich kein „unbeschränktes Recht zur Lüge“ (Götz/ Tölzmann, BZRG, 4. Aufl. 2000, § 53 RN 19). Vielmehr ist auch für den Laien evident, dass Sinn und Zweck der Norm nur darin bestehen, den bestraften Täter in Ansehung Dritter zu schützen, keinesfalls aber darin, gerade demjenigen die Rechtsverteidigung zu erschweren, dessen Rechtsgüter durch die geahndete Tat verletzt wurden (vgl. insoweit auch § 51 Abs. 2 BZRG).

9

Angesichts dessen, dass der Antragsgegner sein Entschließungsermessen weder in Ansehung des § 46 Nr. 2 AuslG ausgeübt noch sich dabei mit der Problematik des unzureichenden Hinweises im Sinne des § 46 Nr.1 AuslG auseinandergesetzt hat, erachtet es die Kammer nicht für zulässig (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl. 2000, § 47 RN 30), die erfolgte Ausweisung im Wege einer Umdeutung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG i. V. m. 47 Abs. 1 VwVfG) auf § 46 Nr. 2 AuslG zu stützen. Vielmehr wird das Ermessen im Widerspruchsverfahren erneut auszuüben sein. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Auffassung der Antragstellerin private Belange, namentlich die Fortführung des Studiums nach Abschluss eines wesentlichen Abschnitts und der Besuch des Kindergartens durch die Tochter, schlössen bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Ausweisung schlechthin aus, fehlgeht. Schon aus generalpräventiven Gründen ist vielmehr im Falle der – hier vorliegenden – planmäßigen Erschleichung einer Aufenthaltsgenehmigung die Ausweisung regelmäßig angezeigt. Ohne Belang ist insoweit die bevorstehende Vollmitgliedschaft Polens in der Europäischen Union. Denn die damit verbundenen Rechtsänderungen lassen die Rechtsverstöße der Antragstellerin in keinem milderen Licht erscheinen und treten zudem erst in einiger Zeit in Kraft.  

10

Da die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederhergestellt wird, kommt eine Aufhebung der Vollziehungsanordnung nicht in Betracht. Im Übrigen ist die Begründung (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) des Sofortvollzuges zwar denkbar knapp, aber angesichts des evidenten öffentlichen Interesses an generalpräventiver Wirkung in Fällen der Erschleichung von Aufenthaltsgenehmigungen noch hinreichend.

11

Die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Abschiebungsandrohung wird ebenfalls befristet (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., § 80 RN 169) angeordnet (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 64 Abs. 4 Satz 2 NGefAG; 80 Abs. 5 VwGO).

12

Bedenken, die sich insoweit hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin ergeben könnten (vgl. Jörg Schmidt, a. a. O., § 80 RN 66), stellt die Kammer im Interesse der Rechtsklarheit zurück. Sowohl die Mitteilung des Antragsgegners, bis zur Beendigung des Vorverfahrens auf weiter gehende Maßnahmen verzichten zu wollen, als auch der Umstand, dass die Rückwirkung (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl. 2002, § 80 Rn 103) der gerichtlichen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung bereits zur Unterbrechung der Ausreisefrist nach § 50 Abs. 4 AuslG führt, bleiben nämlich in ihren – hier nicht im Einzelnen zu klärenden – Rechtswirkungen hinter der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs zurück.  

13

Diese Anordnung ergeht, weil bis auf weiteres kein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung besteht, nachdem gegenüber der Ausweisung, mit der sie verbundenen wurde (vgl. 50 Abs. 1 Satz 2 AuslG), der Antragstellerin vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist. Vielmehr teilt die Abschiebungsandrohung als Vollsteckungsmaßnahme das rechtliche Schicksal des Grundverwaltungsaktes (Funke-Kaiser, in: GK-AuslR, Stand: Juli 2002, § 50 AuslG RN 86) und könnte daher nach gegenwärtigem Sachstand ebenfalls keinen Bestand haben.

14

Im Hinblick auf die eintretende Unterbrechung (vgl. hierzu im Einzelnen: Funke-Kaiser, in: GK-AuslR, Stand: Juli 2002, § 50 AuslG RNrn 61 und 62) der Ausreisefrist bedarf es keiner näheren Auseinandersetzung mit der (unbegründeten) Rüge der Antragstellerin, die Ausreise sei ihr zu kurzfristig angesonnen worden. Die Vermutung ihres Bevollmächtigten, der Sachbearbeiter im Hause des Antragsgegners habe ein persönliches Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts, findet nach Auffassung der Kammer keine hinreichende Grundlage in objektiv feststellbaren Tatsachen. Sollte an der entsprechenden Behauptung weiter festgehalten werden, dürfte hierzu allerdings vor der Durchführung des Abhilfeverfahrens eine Entscheidung des Behördenleiters nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG, 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG herbeizuführen sein.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes fußt auf den §§ 20 Abs. 1, 13 Abs. 1 GKG.