Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 03.11.2005, Az.: 1 A 274/02
Buddhist; Christ; Exilpolitische Aktivität; Folgeverfahren; Nachfluchttatbestand; Prognose; Religionsgemeinschaft; Rückführungsabkommen; Umsetzungsfrist; Vietnam; Wiederaufgreifen des Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 03.11.2005
- Aktenzeichen
- 1 A 274/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50813
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 1 AufenthG
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- § 51 VwVfG
- EGRL 83/2004
- § 28 Abs 2 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. § 28 Abs. 2 AsylVfG ist restriktiv auszulegen und nur in Ausnahmefällen anwendbar.
2. Anhänger von Religionsgemeinschaften - u.a. Christen und Buddhisten der VBKV - werden in Vietnam z.Z. massiv verfolgt.
Tatbestand:
Dem Kläger geht es um die Feststellung eines Abschiebungsverbots bzw. von Abschiebungshindernissen gem. § 60 AufenthG.
Der 1968 geborene Kläger vietnamesischer Staatsangehörigkeit buddhistischen Glaubens kam im September 1990 - nach einem längerem Aufenthalt in der ehem. CSFR (1988-1990) - in das Bundesgebiet und stellte hier erstmals einen Asylantrag mit der Begründung, sein Vater sei als Offizier des „alten Regimes“ von den Kommunisten in das Umerziehungslager „Chau Binh“ verbracht und er selbst als „schlechter Bürger“ betrachtet worden, der nur durch Bestechungsgelder überhaupt eine Ausbildungsstelle habe erhalten können. Er habe mehrmals versucht, aus Vietnam zu fliehen, sei jedoch leider entdeckt und festgehalten worden. Durch Bestechung habe er einen Arbeitsplatz in der ehemaligen CSFR erhalten. Hier habe er beim Drucken exilpolitischer, jedoch verbotener Zeitungen geholfen. Sein Antrag wurde nach einer Anhörung durch Bescheid vom 30. September 1991 abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (rechtskräftiges Urt. des Verwaltungsgerichts Lüneburg v. 10.3.1994 - 1 A 513/92 -).
Am 19. September 2002 stellte der Kläger mit der Begründung einen Asylfolgeantrag, er sei seit 1995 Mitglied im „Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in Hamburg“, der regelmäßig Besprechungen und Sitzungen durchführe, in vielen Ländern der Welt systemkritisch aktiv sei, eine exilpolitische Zeitung herausgebe und in Vietnam verboten sei, so dass dessen Mitglieder in Vietnam bedroht, inhaftiert, gefoltert und verfolgt würden. Er könne seine exilpolitischen Aktivitäten mit Fotos und Unterlagen belegen (Bl. 10 ff. der VerwV). Mit Bescheid vom 25. September 2002 - per Einschreiben zugestellt (abgesandt am 27.9. 2002) - lehnte die Beklagte ohne Anhörung des Klägers die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen; zugleich wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet binnen 1 Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei ihm die Abschiebung nach Vietnam (oder einen anderen Staat) für den Fall angedroht wurde, dass er die Frist nicht einhalte.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 1. Oktober 2002 bei der erkennenden Kammer Klage erhoben und zugleich - erfolgreich - um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (1 B 75/02). Zur Begründung erweitert und vertieft der Kläger seinen Standpunkt, er sei im Falle einer Rückkehr nach Vietnam als exilpolitisch aktiver Dissident und sog. „Landesverräter“ bedroht. Dabei bezieht er sich u.a. auch auf verschiedene Aktivitäten, für die er zahlreiche Belege beibringt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. September 2002 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als es dem Kläger gemäß seinem Antrag (nur) noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG geht.
Im Übrigen - wegen der ursprünglich begehrten Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16 a Abs. 1 GG - ist die Klage nach der Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung kostenpflichtig einzustellen (§§ 92 Abs. 3, 155 Abs. 2 VwGO).
1. Das Folge- und Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 VwVfG ist gestuft: In der 1. Stufe ist lediglich ein glaubhafter und substantiierter Vortrag erforderlich, aus dem sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergeben können muss (HambOVG, NVwZ 1985, 512 [OVG Hamburg 17.05.1984 - OVG Bs VII 246/84]: „gute Möglichkeit einer Asylanerkennung“; h.M. der Verwaltungsrechtsprechung; vgl. auch Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 2, § 71 Rdn. 85 m.w.N.; BVerfG, InfAuslR 1993, 3o4; BVerwGE 39, 234 [BVerwG 06.01.1972 - BVerwG III C 83.70]; 44, 338 [BVerwG 30.01.1974 - BVerwG VIII C 20.72]; 77, 325 [BVerwG 23.06.1987 - BVerwG 9 C 251.86]; VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217 [VG Lüneburg 06.10.2003 - 1 B 45/03]). Nur dann, wenn ein Vorbringen nach jeder erdenklichen Betrachtungsweise völlig ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zu einem Abschiebungsverbot zu verhelfen, kann ein Folgeantrag als unbeachtlich bewertet werden (BVerfG, DVBl. 1994, 38 [BVerfG 11.05.1993 - 2 BvR 2245/92]; BVerfG, InfAuslR 1993, 229/233). Ein derartiger Einzel- und Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
2. Soweit im Bescheid die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG angesprochen worden sind, ist es so, dass eine Änderung der Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) im Hinblick auf das ab dem 1.1.2005 geltende Zuwanderungsgesetz mit § 60 Abs. 1 AufenthG iVm der Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951 (BGBl. 1953 II, S. 559), aber auch hinsichtlich der Richtlinie 2004/83/ EG des Jahres 2004 gegeben ist. Daneben rechtfertigen die Belege für eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Lage in Vietnam (Sachlage iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), die Unterdrückung der Religions- und Meinungsfreiheit einschließlich der dabei gehandhabten „Willkür“ und der unsystematischen Verhaftungen eine Befassung mit dem Folgeantrag.
3. Sind die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gem. den §§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG erfüllt, kommt in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwGE 106, 171 = DVBl. 1998, 725 = NVwZ 1998, 861 m.w.N.) eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt nicht mehr in Betracht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht selbst in der Sache durchzuentscheiden (§§ 113 Abs. 5 u. 86 Abs. 1 VwGO).
4. Die Anerkennung als Flüchtling (Art. 33 Abs. 1 der Genfer Konvention, § 60 Abs. 1 AufenthG) setzt voraus, dass dem Kläger bei einer Rückführung nach Vietnam bei prognostischer Einschätzung für den Zeitpunkt November 2005 eine asylerhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung droht. Das ist hier der Fall. Hierbei ist zu beachten, dass § 60 Abs. 1 AufenthG das Verhältnis zur Asylanerkennung (Art. 16 a GG) tiefgreifend verändert hat. Vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, 1. Teil Kap. 5 III 3, § 60 AufenthG, Rdn. 12:
„Das Verhältnis zwischen Asyl- u. Flüchtlingsanerkennung ist durch die neuen Definitionen in Abs 1 S. 3 u. 4 grundlegend verändert.“
Mit § 60 Abs. 1 AufenthG hat sich zudem unter dem Eindruck der Richtlinie 2004/ 83/EG v. 30.9.2004 - L 304/12 - ein Perspektivwechsel weg von der Täter- hin zu einer Opferbetrachtung vollzogen (vgl. dazu VG Stuttgart, Urteil v. 17.1.2005 - A 10 K 10587/04 - m.w.N.; Urteil der Kammer v. 7.9.2005 - 1 A 240/02 -). Vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, 1. Teil Kap. 5 III 3, § 60 AufenthG Rdn. 13:
„Unter das Abschiebungsverbot des Abs. 1 fällt nach alledem jeder politisch Verfolgte (vgl auch § 3 AsylVfG), u. zwar ohne Rücksicht darauf, ob er den Verfolgungstatbestand erst nach Verlassen des Heimatstaats geschaffen hat u. deshalb uU nicht als politisch Verfolgter iSd Art. 16 a I GG angesehen werden kann (dazu Art 16 a GG Rn 49 ff).“
Da im Übrigen inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in Kraft getreten ist, sind deren Standards schon im Wege der Auslegung richterlich beachtlich (vgl. auch EuGH, Urt. v. 9.3.2004 - C 397/01 - Pfeiffer, Rn. 101 ff), obwohl die Frist zur Umsetzung in das nationale Recht noch nicht abgelaufen ist (vgl. Hoffmann, Asylmagazin 4/2005; vgl. VGH Baden-Württ., Beschl. v. 12.5.2005 - A 3 S 358/05 - , InfAuslR 2005, S. 296 = Asylmagazin 2005, S. 28 m.w.N). Mit dem VGH Baden-Württ. aaO., dem VG Braunschweig (Urt. v. 8.2.2005 - 6 A 541/04 -), dem VG Stuttgart (aaO.), dem VG Karlsruhe (Urt. v. 14.3.2005 - A 2 K 10264/03 -) und dem VG Köln (Urt. v. 10.6.2005 - 18 K 4074/04.A - ) ist daher davon auszugehen, dass die Richtlinie bereits heranziehbar ist, ohne dass dazu schon eine Rechtspflicht besteht (BGH, NJW 1998, 2208 [BGH 05.02.1998 - I ZR 211/95]; VGH Baden-Württ., aaO.) Vgl. insoweit auch Meyer/Schallenberger, NVwZ 2005, 776:
„Vor rund drei Jahren legte die Kommission ihren Vorschlag für die Qualifikationsrichtlinie vor. Damit vervollständigte die Kommission ihre Arbeit an den einzelnen Bausteinen, die zusammen den 1. Schritt des vom Europäischen Rat von Tampere geforderten „gemeinsamen europäischen Asylsystems“ darstellen. Nach langen Verhandlungen des Entwurfs in den verschiedenen Vorbereitungsgremien, insbesondere auch der Ratsarbeitsgruppe Asyl, hat der Rat der Justiz- und Innenminister (damals noch der 15 "alten" Mitgliedstaaten) die Richtlinie am 29. 4. 2004 in Luxemburg formell verabschiedet.
Damit haben sich die EU-Mitgliedstaaten erstmals auf eine gemeinsame Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention geeinigt. Soweit § 60 I AufenthG (vgl. § 51 I AuslG) die Genfer Flüchtlingskonvention in Bezug nimmt, wird bei seiner Auslegung unmittelbar auf die im Folgenden zu besprechende Richtlinie zurückzugreifen sein. Dies gilt, auch schon vor der Umsetzung der Richtlinie, soweit die Richtlinie den Begriff des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention definiert.“
Diese Beachtlichkeit der gen. Richtlinie gilt in besonderem Maße auch deshalb, weil die Bundesregierung in den Ratsgremien bereits auf der Grundlage des Entwurfs eines Zuwanderungsgesetzes verhandelt hat, also eine Interdependenz zwischen Richtlinie und Zuwanderungsgesetz selbst hergestellt hat (vgl. V 3.4.2 des Berichtes der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August 2005, S. 512 m.w.N.). Nur deshalb besteht ein geringer Änderungsbedarf:
„Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der Richtlinie und dem Zuwanderungsgesetz ist der Änderungsbedarf im deutschen Asyl- und Flüchtlingsrecht grundsätzlich nicht so umfassend. Im Hinblick auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft enthält die Richtlinie. ... sehr detaillierte Regelungen.“ - Bericht, a.a.O., S. 513 -
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bedrohung ist somit aufgrund einer individuellen Prüfung (Art. 4 Abs. 3 Richtlinie) dann zu bejahen, wenn bei zusammenfassender Wertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgungsfurcht (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie) sprechenden Umstände nach Lage der Dinge ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen nach richterlicher Wertung qualitativ überwiegen (vgl. dazu BVerfGE 54, 341/354; BVerwG, DÖV 1993, 389 [BVerwG 03.11.1992 - BVerwG 9 C 21/92]; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.8.1993 - 11 L 5666/92 ).
Ein solches Überwiegen der für eine Verfolgungsfurcht sprechenden Umstände ist hier gegeben.
4.1 Ausgangspunkt dabei ist, dass es einen objektiven Nachfluchttatbestand darstellt, wenn sich die politische Einstellung des Heimatstaates gegenüber regimekritischen Betätigungen verändert (BVerwG, EZAR 206 Nr. 4) und somit im Heimatstaat veränderte Verhältnisse herrschen. Denn hierauf hat der Asylbewerber keinen Einfluss. Das gilt angesichts der gen. Richtlinie 2004/83/EG mit ihrer grundsätzlichen Anerkennung von Nachfluchtgründen (Art. 5 Abs. 1 und 2) in besonderem Maße, so dass geänderte Einstellungen und Verschärfungen im Herkunftsland stets im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG als objektiver Nachfluchttatbestand beachtlich und iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bedrohungsrelevant sind.
4.1.1 Im Übrigen liegt es hier so, dass der Kläger als Sohn eines republikanischen Offiziers, der nach der Eroberung Südvietnams durch die Kommunisten in ein Umerziehungslager („Chau Binh“) verbracht wurde (Bl. 13 Beiakten B), zunächst einmal - wegen der „Vergangenheit“ seines Vaters - keine Ausbildungsstelle bekam, diese vielmehr nur durch Bestechungsgelder seiner Eltern erlangen konnte (S. 2 der Anhörung v. 16.8.1991, Bl. 18 Beiakten B). Der Kläger hat dann mehrfach versucht, aus Vietnam zu fliehen, u.zw. bereits mit 10 Jahren (S. 3 der Anhörung, aaO.). Er gehörte einer Familie an, der in Vietnam nachgestellt und der stets Schwierigkeiten bereitet wurde: Sie wurde „tagtäglich“ ungerecht und ungleich behandelt (S. 2 des Protokolls v. 3.11.2005), sie wurde ausgegrenzt und so „verfolgt“. Später hat er dann in der ehem. CSFR beim Drucken antikommunistischer Zeitschriften („ Thoi Moi“) geholfen, die in vielen Städten der ehem. CSFR erschienen ist.
Damit handelt es sich bei der exilpolitischen Betätigung des Klägers in Deutschland, die angesichts seiner Familienverhältnisse offenbar einer schon in Vietnam und sodann in der ehem. CSFR gewachsenen Überzeugung entspricht, nicht um einen (neu) geschaffenen Nachfluchttatbestand iSv § 28 Abs. 1 AsylVfG, sondern vielmehr um eine Betätigung, welche sich auf eine „Überzeugung“ (§ 28 Abs. 1 AsylVfG) bzw. „Ausrichtung“ (Art. 5 Abs. 2 Richtlinie) gründet, die bereits im Erstverfahren ihre Wurzeln hat („Ausdruck und Fortsetzung“ einer entsprd. „Ausrichtung“, Art. 5 Abs. 2). Somit kann hier gar keine Rede davon sein, dass der Kläger sein Folgevorbringen auf „Umstände“ iSv § 28 Abs. 1 Asyl-VfG stützt, die überhaupt erst nach Ablehnung seines früheren Antrages (neu) entstanden sind (§ 28 Abs. 2 AsylVfG) und die sich als solche darstellen, die er „aus eigenem Entschluss“ sich selbst neu geschaffen hat (§ 28 Abs. 1 AsylVfG).
4.1.2 Im Übrigen ist der neu eingefügte § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht nur im Hinblick auf die Richtlinie 2004/83/EG v. 29.4.2004 (Amtsblatt der EU L 304/12) äußerst einschränkend auszulegen (vgl. dazu die Rechtsprechung der Kammer, z.B. Urteile v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -, v. 29.6.2005 - 1 A 212/02 - und v. 6.7.2005 - 1 A 4/02 - sowie v. 17.8.2005 - 1 A 233/02 -), sondern auch deshalb, weil er andernfalls mit dem Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) und mit dem - dieses Verbot sowie jenes aus Art. 3 EMRK ausdrücklich umsetzenden - Sinngehalt des § 60 Abs. 1 AufenthG erheblich kollidierte:
„Sollte also § 28 II AsylVfG bewirken, dass § 60 I AufenthG einer Abschiebung nicht entgegensteht, obwohl Art. 33 I GFK entgegensteht, widerspräche sich das Zuwanderungsgesetz selbst, da es § 60 I AufenthG und § 28 II AsylVfG gleichzeitig in Kraft gesetzt hat. Dieser Widerspruch lässt sich dadurch ausräumen, dass bei einem Verstoß gegen Art. 33 I GFK eine Ausnahme von der Regel des § 28 II AsylVfG gemacht wird. Dadurch wird zwar die Ausnahme zur Regel, denn der Anwendungsbereich des § 28 II AsylVfG bleibt auf etwaige Fälle beschränkt, in denen der Abschiebungsschutz des § 60 I AufenthG über Art. 33 I GFK hinausgeht. Das dürfte aber nicht schwer wiegen, denn § 28 II AsylVfG könnte ohnehin kaum die Erwartung des Gesetzgebers erfüllen, dass der „bislang bestehende Anreiz“ entfällt, durch Folgeverfahren mit neu geschaffenen Nachfluchtgründen zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (BTDrucks.15/538 a.a.O.). Auch bei Gefahren i.S. des § 60 II, 3, 5 oder 7 AufenthG, die nicht unter Art. 33 I GFK fallen, soll nämlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, die schließlich zur Niederlassungserlaubnis führen kann (§§ 25 III S. 1, 26 IV AufenthG).“ - so VG Stuttgart, Urt. v. 18.4.2005 - A 11 K 12040/03 - , InfAuslR 2005, S. 345 - Auch das VG Göttingen (Urt. v. 2.3.2005 - 4 A 38/03 - ; ähnlich VG Magdeburg, Urt. v. 11.7.2005 - 9 A 272/04 MD -) wendet die Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG deshalb dann nicht an, wenn sie nach ihrem Sinn und Zweck nicht in Betracht kommen kann.
Das VG Mainz (Urt. v. 27.4.2005 - 7 K 755/04.MZ -), welches sich eingehend zur Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG auch auf Altfälle äußert, lässt dessen Ausschlusswirkung in dem von ihm entschiedenen Fall ebenfalls offen und zieht - die Regelung einschränkend - Fallgestaltungen in Betracht, in denen subjektive Nachfluchtgründe gerade nicht durch die genannte Vorschrift präkludiert sein können:
„...so kann eine Ausnahme vom Regelfall fehlender Beachtlichkeit subjektiver Nachfluchtgründe im Folgeantragsverfahren z. B. in den Fällen in Betracht kommen, in denen subjektive Nachfluchtgründe in untergeordneter Funktion zeitlich nachgeordnet zu anderen, der Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht unterliegenden Gründen treten und erst das Zusammenspiel aller Umstände eine beachtliche Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG begründet.“
Auch Renner (Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, 4. Teil § 28 IV Rdn. 22) will § 28 Abs. 2 AsylVfG durch eine verfassungskonforme Auslegung auf echte Missbrauchsfälle beschränken:
„Durch Abs. 2 wird der Fall erfasst, dass der Ausl im Folgeverfahren subjektive Nachfluchtgründe vorträgt, die zwar nach Abs 1 nicht zur Asylanerkennung, wohl aber zur Flüchtlingsanerkennung führen können. Indem Abs 2 nunmehr auch das Refoulementverbot ausschließt, muss es als zweifelhaft erscheinen, ob dies auch nach Maßgabe der Rspr von BVerfG u. BVerwG noch mit dem Asylgrundrecht vereinbar ist (so auch Duchrow, ZAR 2004, 339). Das BVerfG hat im Nachfluchtgrundbeschluss ausdrücklich auf den aufgrund anderer Normen außerhalb der Asylanerkennung bestehen bleibenden Schutz hingewiesen (dazu Rn 4-8 u. BVerfGE 74, 51), die Schutzmöglichkeit nach § 60 VII 1 AufenthG kann aber kaum einen ausreichenden Ersatz bieten (so aber Begr des GesEntw, BT-Drs 420 S. 110). Hinsichtlich der GK geht der Hinweis auf den danach nur vorübergehend gewährleisteten Schutz (aaO S. 110) fehl, weil durch Abs 2 jeglicher Schutz versagt wird. Eine verfassungskonforme Auslegung lässt sich danach nur dadurch gewährleisten, dass der Regelfall restriktiv ausgelegt u. auf den Fall reduziert wird, dass ein offensichtlicher Missbrauch vorliegt.“
Renner grenzt daher den mit Abs. 2 bezweckten Ausschluss ein (aaO. Rdn. 21):
„Der Ausschluss nach Abs 1 greift dann ausnahmsweise nicht ein, wenn die Aktivitäten auf einer bereits früher geäußerten Einstellung beruhen u. z B wegen des jugendlichen Alters oder anderen objektiven Gründen nicht bereits früher unternommen wurden.“
Somit ist § 28 Abs. 2 AsylVfG im Gesamtzusammenhang des geltenden Normengefüges (Art. 16 a Abs. 1 GG, Art. 3 EMRK, Art. 33 GFK, Richtlinie 2004/83/EG mit Art. 15 b, Sinn und Zweck des § 60 AufenthG) rechtsmethodisch nur - wenn überhaupt (vgl. VG Stuttgart, aaO. und VG Mainz, aaO.) - sehr zurückhaltend und als äußerst eng zu interpretierende Ausnahme anwendbar (std. Rechtsprechung der Kammer). Anderenfalls gingen auf dem Hintergrund der Richtlinie 2004/83/EG die vom Gesetzgeber selbst gesteckten Gesetzesziele und -zwecke des § 60 Abs. 1 AufenthG iVm Art. 3 EMRK bzw. der GFK (hier Art. 33) verloren. Das hat der Gesetzgeber nicht gewollt.
4.2 Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - November 2005 - stellt sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem Zeitpunkt der bundesamtlichen Verwaltungsentscheidung des Jahres 2002 so dar, dass sich die Verhältnisse in Vietnam sehr deutlich verschärft haben (s.u.). Weiterhin ist inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG und das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. Teil I 2004, S. 1950) beachtlich.
Bei der individuellen Prüfung aller Angaben des Klägers sowie seiner allgemeinen und persönlichen Umstände ergibt sich, dass der Kläger sich um einen kohärenten und im Kern sehr plausiblen Vortrag hinsichtlich seiner Erlebnisse noch in der ehem. CSFR sowie seines exilpolitischen Einsatzes für Demokratie und Religionsfreiheit in Deutschland bemüht hat, so dass insgesamt die Glaubwürdigkeit des Klägers festgestellt werden kann (Art. 4 Abs. 5 Richtlinie). Damit bedürfen die Angaben und Aussagen des Klägers, der in der mündlichen Verhandlungen einen überzeugenden Eindruck hinterließ, keines weiteren Nachweises (Art. 4 Abs. 5 der gen. Richtlinie; vgl. BVerwGE 55, 82).
4.2.1 Für die Frage, ob staatliche Maßnahmen auf die „politische Einstellung des Betroffenen“ abzielen und sich als Bedrohung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG darstellen, kommt es auf die „Gesamtverhältnisse im Herkunftsland“ an sowie auf dortige Veränderungen. Somit ist eine Bedrohungslage - unter Berücksichtigung der EMRK und der gen. Richtlinie 2004/83/EG - im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG schon bei einer Gesamtschau (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung Bd. 2 / Std. Sept. 2000, § 71 Rdn. 88) gegeben (Art. 4 Abs. 3 a der gen. Richtlinie 2004/83/EG; VG Gießen, NVwZ 1997, Beilage Nr. 9, S. 69 f [BVerwG 06.09.1995 - BVerwG 1 VR 2.95]). Diesbezüglich kann auf die bisherige Rechtsprechung der Kammer Bezug genommen werden (vgl. u.a. Urteile v. 7.9.2005 - 1 A 240/02 - und v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -), wobei folgendes betont sei:
4.2.1.1 Für eine Gesamtschau reicht es methodisch nicht aus, lediglich die Lageberichte des Auswärtigen Amtes in den Blick zu nehmen. Denn „Vietnam gehört zu den Schwerpunktländern der deutschen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (EZ)“, „Deutschland ist einer der größten bilateralen Geber Vietnams“ (so die ständig aktualisierte Darstellung des Auswärt. Amtes zu den deutsch-vietnamesischen Beziehungen / Stand: Juli 2005). Hiervon abgesehen berücksichtigt z.B. der jüngste Lagebericht des AA vom 28.8.2005 nach eigener Darstellung weder den ai-Jahresbericht 2005 (Vietnam, S. 356) noch denjenigen des US-Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 2004 - Vietnam - v. 28. Febr. 2005. Vielmehr werden vom Auswärtigen Amt anstelle der aktuellen Berichte nur die jeweils älteren Berichte des Vorjahres einbezogen. Der Menschenrechtsreport 38 der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ - GfbV - v. 28. April 2005 und der IGFM-Jahres-bericht 2004 werden weder erwähnt noch verwertet. Es ist fraglich, ob sonstige Presseberichte berücksichtigt sind. Damit ist die Aussagekraft der Lageberichte des AA stark eingeschränkt, da die neuere Entwicklung in Vietnam, wie sie von anderen Seiten berichtet wird, nur sehr unzureichend wahrgenommen und dargestellt ist.
Somit müssen gerade mit Blick auf die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam und die unzureichende Aussagekraft der Lageberichte des AA auch andere Erkenntnisse - nach Möglichkeit solche aus einer breit gestreuten Vielfalt von Quellen - in eine richterlich ausgewogene Bewertung einbezogen und ausgewertet werden.
4.2.1.2 Selbst nach den letzten Lageberichten des AA (v. 28.8.2005 und v. 12.2.2005) ist es jedoch so, dass regierungskritische Aktivitäten in Vietnam nicht nur mit „größter Aufmerksamkeit“, sondern ggf. sogar eben auch mit polizeilich-justiziellen Maßnahmen „verfolgt“, öffentliche Kritik an Partei und Regierung und die Wahrnehmung von Grundrechten nicht toleriert werden und Dissidenten Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt sind. Aktive Gegner des Sozialismus können nach den weit gefassten und (willkürlich) weit verstandenen Vorschriften jederzeit inhaftiert und bestraft werden. Amnestien des Jahres 2005 (vgl. dazu die Pressemitteilung des AA v. 8.9.2005) verweisen insoweit „nicht auf einen grundsätzlichen Wandel“ der Lage in Vietnam (ebenso Lagebericht AA v. 28.8. 2005).
4.2.1.3 Für die erforderliche Gesamtschau und -bewertung ist die Einschätzung von Sachkennern, Gutachtern und Beobachtern der vietnamesischen Verhältnisse zu berücksichtigen, die in den jüngeren Urteilen der Kammer dargestellt ist (vgl. z.B. Urteile v. 7.9.2005 - 1 A 240/02 - und v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -). Darauf kann hier Bezug genommen werden.
Das Engagement eines Einzelnen ist in Vietnam offenkundig nur ein Anknüpfungspunkt für staatliche (Gegen-) Aktionen, Reaktionen und Repressionen. Politische Opposition wird nämlich in Vietnam in gar keiner Weise toleriert: „Dissidenten sind Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt“ (so Lagebericht AA v. 28.8.05 und v. 12.2.05, S. 5). Insoweit ist heute - 2005 - zu berücksichtigen, dass sich Vietnam inzwischen „als eines der repressivsten Regime in Asien“ erwiesen hat (so D. Klein in „Aus Politik und Zeitgeschehen“, hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, B 21-22/2004, S. 5):
„Vietnam erwies sich auch 2003 als eines der repressivsten Regime in Asien...; offene Gewalt auf der Straße, Telefonterror und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Vietnam gehört zweifellos zu den schlimmsten Feinden der Menschenrechte und Unterdrückern der Pressefreiheit in Südostasien“ (Klein, aaO., S. 5)
Inhaftiert oder bestraft werden in Vietnam nicht nur aktive Gegner des Sozialismus und des „Alleinherrschaftsanspruchs der KPV“, sondern auch solche, die (möglicherweise fälschlich) nur dafür gehalten werden - woran „auch das neue StGB nichts ändert“ (Lageberichte v. 12.2.05 und v. 28.8.05).
„Trotz der wirtschaftlichen Öffnung hat sich die Lage der Menschenrechte nicht gebessert und ist das Land heute von Freiheit und Demokratie weiter denn je entfernt. Noch immer ist Vietnam ein Ein-Parteien-Staat, in dem die Kommunistische Partei einen absoluten Machtanspruch vertritt. Vor allem die Glaubens-, Presse- und Meinungsäußerungs- sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden von den vietnamesischen Behörden systematisch verletzt. Auch in den Vereinten Nationen zeigt Hanoi keine Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog über die Defizite bei der Durchsetzung der Menschenrechte im eigenen Land. Ganz im Gegenteil... „ - Pogrom/bedrohte Völker, Heft 3/2005, S. 34 -.
Deshalb werden „alle elektronischen und Printmedien des Landes durch die Regierung überwacht, das Internet eingeschlossen“ (so Lagebericht v. 12.2.05):
„Dessen Kontrolle wurde durch einen neuen Erlass - gemeinsam unterzeichnet von den Ministerien für Öffentliche Sicherheit, Kultur, Planung und Telekommunikation! - am 14.07.2005 weiter verschärft. Danach müssen die Betreiber von Internet-Cafés (wo die überwältigende Mehrheit der Vietnamesen Zugang zum Internet hat) die Personalien der Nutzer und die von ihnen aufgesuchten Webpages registrieren.“ (so Lagebericht des AA v. 28.8.05).
Viele Journalisten üben daher „Selbstzensur“, so dass sachkundige Berichte über die Verhältnisse in Vietnam nur noch vereinzelt auftauchen.
„Journalisten in Vietnam stehen laut Pressegesetz unter der Staatskontrolle: "Journalisten haben die Aufgabe, die offizielle Linie der Kommunistischen Partei und der Regierung zu propagieren. Alle Informationen müssen dem Interesse des Landes und des Volkes dienen. Journalisten werden mit Geldstrafen belegt, wenn ihre Berichte die legitimen Wirtschaftsinteressen von Organisationen und Einzelpersonen verletzen, selbst wenn die Berichte der Wahrheit entsprechen". Wie oft hat die Regierung Druck auf Journalisten ausgeübt, damit diese wissen, daß nur die Wirtschaft, aber nicht die Politik liberalisiert wird.“ - so menschenrechte Nr. 2 / 2005, hrg. v. IGFM, S. 25 -
Versuche, mit Flugblättern oder Zeitungen über Sachverhalte zu informieren und eine Resonanz in der Bevölkerung zu erzeugen, „werden strikt unterbunden“ (Lagebericht v. 12.2.05,. S. 6) - nach zwei Aufständen: Den vom Februar 2001, in dessen Folge zahlreiche Menschen nach Kambodscha und von dort in die USA flohen, und jenen vom April 2004, bei dem es zu 3 Todesopfern kam (Lagebericht AA v. 28.8.2005).
Dabei schreckt die vietnamesische Polizei und Justiz auch vor Folterungen (vgl. Art. 3 EMRK / Verbot der Folter) keineswegs zurück, wie die Meldung der IGFM (kath.net) v. 17.12. 2004 zeigt:
„Mindestens fünf der sechs inhaftierten mennonitischen Christen in Vietnam sind im Gefängnis fortgesetzt misshandelt worden. Zwei vor kurzem freigelassene Mennoniten berichteten der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), dass auch die infolge von Misshandlung psychisch krank gewordene Le Thi Hong Lien vor Schlägen nicht verschont blieb. Die IGFM wirft der vietnamesische Polizei vor, dass sie in allen ihren Gefängnissen die Gewalt bewusst eingesetzt hat, um falsche Geständnisse zu erzwingen.“
Die Verschärfung der Lage in Vietnam zeigt sich auch daran, dass sämtliche Dokumente, die im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren gegen Personen stehen, denen Verstöße gegen die sog. „nationale Sicherheit Vietnams“ zur Last gelegt werden, seit kurzem per Erlass als „Staatsgeheimnisse“ eingestuft werden. Im letzten Jahr wurden offiziell über 80 Todesurteile verhängt, davon 64 vollstreckt. Informationen hierüber sind inzwischen ebenfalls zum „Staatsgeheimnis“ erklärt worden (ai-Jahresbericht 2005, S. 359), so dass auch darüber nicht mehr offiziell berichtet werden darf.
4.2.1.4 Gegen diese äußerst negative Gesamteinschätzung spricht nicht, dass einige der aus politischen Gründen inhaftierten Dissidenten aus der Haft entlassen wurden. Denn die allgemeine Menschenrechtslage, wie sie von sachkundigen Beobachtern der Lage in Vietnam beurteilt wird, hat sich dadurch nicht grundlegend verändert. Diese Einschätzung wird auch im Lagebericht des AA v. 28.8.05 geteilt.
Das Schicksal der Freigelassenen belegt vielmehr die vietnamesische Verfolgungspraxis gegen Oppositionelle bzw. gegen solche Menschen, die dafür vom Staat gehalten werden - einschließlich menschenrechtswidriger Folterungen (vgl. Art. 3 EMRK).
Der vietnamesische Staat unternimmt bei seinen Verfolgungsmaßnahmen offenbar den Versuch, in den Augen der (Welt-)Öffentlichkeit weiterhin geachtet zu werden:
„In mehr als einhundert Fällen konnte nachgewiesen werden, daß die Polizei die Demonstranten bei Tage ungestört demonstrieren ließ und sie dann im Laufe der Nacht aufgriff. Mindestens 14 Personen wurden wegen "Landstreicherei" zwischen vier und fünfzehn Tagen eingesperrt.“
- so menschenrechte Nr. 2 / 2005, S. 22 -
4.2.2 Soweit die Beklagte daran festhält, dass erst ab einer erhöhten Tätigkeitsschwelle mit einer Bedrohung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bei einer Rückkehr nach Vietnam zu rechnen sei, entspricht das zum einen nicht mehr den neueren Tatsachen, wie sie aus Vietnam von Sachverständigen berichtet werden (s.o.), und steht das zum andern im Widerspruch zu Art. 10 Abs. 1 e) der Richtlinie 2004/83/EG, derzufolge es „unerheblich“ sein soll,
„ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.“
Soweit in diesem Zusammenhang ergänzend darauf verwiesen wird, eine Einreiseverweigerung sei wahrscheinlicher als eine Verfolgung in Vietnam, ist zu betonen, dass auch eine Verweigerung der Einreise als politische Verfolgung zu werten wäre. Vgl. insoweit das VG Magdeburg, Urt. v. 30.1.2002 - 9 A 155/02 - :
„Die Verweigerung der Wiedereinreise stellt für den Kläger politische Verfolgung dar. In der Rechtsprechung des BverwG ist geklärt, dass die Verweigerung der Wiedereinreise, soweit sie an asylerhebliche Merkmale anknüpft, politische Verfolgung darstellen kann, denn der Staat entzieht seinem Staatsbürger hiermit wesentliche staatsbürgerliche Rechte und grenzt ihn so aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit aus.“
Im Übrigen kommt es auf eine solche Verweigerungshaltung des vietnamesischen Staates nicht an. vgl. insoweit VG München, Urt. v. 13.8.2003 - M 17 K 03.50661 - Asylmagazin 2003, S. 30:
Die Auffassung des Auswärtigen Amtes, vor einer Bestrafung sei mit der Verweigerung der Einreise zu rechnen, spielt keine Rolle. Das Gericht hat die Verfolgungswahrscheinlichkeit für den Fall einer tatsächlichen Rückkehr zu beurteilen.“
Gegenüber den Verhältnissen zu Beginn der 90-er Jahre, als das Urteil der Kammer vom 10.3.1994 - 1 A 513/92 - erging, haben sich somit die Entscheidungskomponenten gerade in den letzten Jahren tiefgreifend und erheblich verändert.
Unmaßgeblich für die vorliegende Entscheidung ist, ob die exilpolitischen Betätigungen von Auslandsvietnamesen und deren Kritik am vietnamesischen Regime in Vietnam wahrgenommen werden und dort ggf. eine mehr oder weniger „breite Öffentlichkeitswirkung“ entfalten bzw. einen „nennenswerten Einfluss auf die Öffentlichkeit“ haben: Entscheidend sind allein die Ängste und Befürchtungen des vietnamesischen Regimes im Falle der Rückkehr von Exilvietnamesen nach Vietnam. Das Regime bekämpft in Vietnam selbst ganz offenkundig schon die abweichende Gesinnung und politische Einstellung Einzelner (vgl. die dafür geschaffenen „Umerziehungslager“, die jenen in Nordkorea ähneln - ai-journal 10/05 S. 32), ohne hierbei darauf abzustellen, in welchem Maße deren Engagement oder abweichende Gedanken bereits von Deutschland aus eine Breitenwirkung erzielt haben. Es geht nicht mehr nur um einen „Gesichtsverlust“ des vietnamesischen Regimes (S. 4 des angef. Bescheides m.w.N. aus dem Jahr 2000), sondern nach zwei Aufständen (Februar-Aufstand 2001 und April-Aufstand 2004) ganz offensichtlich um die Abwehr freiheitlicher Meinungen und Bestrebungen, die in Vietnam schon von der „Wurzel an“ bekämpft werden. Aktive und überzeugte Gegner des Sozialismus und des Alleinherrschaftsanspruchs der KP müssen mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen und sind daher stets gefährdet (Lagebericht AA v. 28.8. 2005). Deshalb ist freiheitliches Denken bereits „verboten“, deshalb sind die Parallelen zu Nordkorea unübersehbar. Gläubige, die den bloßen Verdacht erweckt haben, im Zusammenhang mit ihrer Religionsausübung oppositionelle Bestrebungen (nur) „zu unterstützen“, werden „inhaftiert bzw. müssen mit ihrer Inhaftierung und Strafverfolgung rechnen“ (so Urteil des VG Schwerin v. 27.2.2004 - 1 A 1580/01 As -). Das Regime befürchtet, Exilvietnamesen könnten in Vietnam - sind sie erst einmal in ihr Heimatland zurückgekehrt - Gedanken über Demokratie, Freiheit und Pluralismus großflächig in der vietnamesischen Bevölkerung verbreiten. Deshalb kommt es auf eine Öffentlichkeits- und Breitenwirkung von Deutschland aus gar nicht an.
4.2.3 Die dem Kläger als einem „Andersdenkenden“ bzw. Dissidenten bei einer Rückkehr nach Vietnam drohenden Maßnahmen der vietnamesischen Sicherheitskräfte dürften seine leibliche Unversehrtheit, seine physische Freiheit sowie seine Versammlungs- und Meinungsfreiheit und vor allem seine „politische Überzeugung“ zum Gegenstand haben (Art. 10 Abs. 1 e der Richtlinie). Er ist in Deutschland in vielfacher und mehrfacher Hinsicht exilpolitisch aktiv gewesen und noch aktiv (vgl. die im Verfahren vorgelegten Unterlagen und Fotos), was den vietnamesischen Sicherheitskräften nicht verborgen geblieben sein dürfte. Er ist Mitglied des „Vereins der vietnamesischen Flüchtlinge in Hamburg e.V.“ (Bl. 39 GA) und er hat sich intensiv für Menschen- und Freiheitsrechte, vor allem für eine Religionsfreiheit, engagiert (Bl. 40 ff, 64 ff GA). Er hat an vielen exilpolitischen Tätigkeiten teilgenommen und war bei zahlreichen Demonstrationen dabei. Auf diese Weise ist er den vietnamesischen Sicherheitskräften bekannt, ist er - zumal als Sohn eines republikanischen Offiziers - als „Abweichler“ und Dissident bereits datentechnisch erfasst und registriert.
Hierbei ist es unter Berücksichtigung der gen. Richtlinie „unerheblich“, ob der Kläger aufgrund seiner „Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung“ in irgendeiner Weise „tätig geworden ist“ (2.4.2). Auch die politische Überzeugung Andersdenkender ist gem. Art. 10 der Richtlinie 2004/ 83/EG schon als solche geschützt (vgl. dazu UNHCR-Richtlinie zum internationalen Schutz v. 7.5.2002 / HCR/GIP/ 02/01 Rdn. 32).
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung sehr glaubwürdig dargestellt, dass sein Engagement und seine Teilnahme an Demonstrationen (vgl. die diversen Bescheinigungen in den Akten und Beiakten) letztlich darauf abzielen, eine pluralistische Demokratie mit mehr Menschenrechten und mehr Freiheit - vor allem Religionsfreiheit (S. 3 des Protokolls v. 3.11.2005) - in Vietnam zu erreichen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass all diese Tätigkeiten des Klägers in Vietnam als eine den Staat „zersetzende Propaganda“ eingeschätzt werden dürfte.
Zu Recht ist der Kläger daher der Meinung, dass man ihm diese Aktivitäten bei einer Rückführung nach Vietnam vorhalten, mit den Tätigkeiten seines Vaters zusammenführen und daraus insgesamt dann Folgerungen ziehen werde: „Das wird für mich dann ganz schlimm werden“ (S. 3 d. Protokolls v. 3.11.2005). Er würde als ´Krimineller´ behandelt, ihn erwartete dann „ganz sicher“ wohl „eine Gefängnisstrafe“ (S. 3 d. Protokolls v. 3.11. 2005). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei Demonstrationen gefilmt worden ist, die Botschaft also weiß, wer er ist und was er denkt. Zudem dürfte bekannt sein, dass er langjähriges Mitglied der gen. Organisation ist. Als überzeugter Anhänger einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaftsform ist er daher in einem sehr hohen Maße gefährdet. Der Kläger wird im Hinblick auf sein Demonstrationsverhalten in Vergangenheit und Gegenwart wie im Übrigen auch durch seine Asylantragsstellung somit als aktiver Regimegegner, als Andersdenkender, als Abweichler und Dissident angesehen werden. Als solcher ist er iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bedroht.
4.2.4 Verfolgungsmaßnahmen könnten dem Kläger in hohem Maße vor allem deshalb drohen, weil er buddhistischen Glaubens ist (vgl. Protokoll v. 3.11.2005), hierbei Angehöriger der verbotenen VBK: Die lokalen Behörden in Vietnam empfinden die Tendenzen religiöser Orientierung in Nord-, Nordwest- und Mittelvietnam „als bedrohlich und reagieren darauf mit Medienkampagnen, Einschüchterung und teilweise sogar mit Verhaftungen“ (so schon Lagebericht des AA v. Mai 2001, S. 6). Mehr als 150.000 Angehörige des Hmong-Volkes z.B. sind zum christlichen Glauben übergetreten. „Die Unruhen im zentralen Hochland Vietnams im Februar 2001 müssen im Kontext dieses religiösen Konflikts gesehen werden...“ (AA, aaO.). Die Bedrohungslage ergibt sich dabei auch aus Strafvorschriften, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften stark beschränken (Art. 81 c vietn StGB - Verbreitung von Zwietracht - und Art. 199 vietn-StGB - Betreiben abergläubischer Praktiken -). Sämtliche kirchlichen Aktivitäten unterliegen einer Registrierungspflicht und bedürfen einer gesonderten Genehmigung (AA an VG Darmstadt v. 18.2.2002). Inzwischen ist zudem ein neuer „Religionserlass“ in Kraft getreten, der als „Festschreibung der staatlichen Kontrolle über alle Aspekte des religiösen Lebens“ verstanden und kritisiert wird (ai-Jahresbericht 2005, S. 358). Vgl. auch Dr. Will vom 16. Juni 1999:
„Die vietnamesische Regierung sah sich daher auch veranlaßt, am 19.4.1999 ein Dekret über die Zulässigkeit religiöser Aktivitäten zu erlassen, in dem gefordert wird, die entsprechenden Vorschriften rigoros anzuwenden, um jeden Mißbrauch der Religion im Kampf gegen die Volksmacht zu unterbinden.“
Nach einer Pressemitteilungen der IGFM sind im Laufe des Jahres 2001 alle bedeutenden Persönlichkeiten der buddhistischen, evangelischen und der katholischen Religionsgemeinschaften sowie der Hoa-Hao-Religion in Vietnam - ohne Gerichtsverfahren - inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden. Versammlungen von Religionsgemeinschaften seien von der Volkspolizei und der Armee „brutal aufgelöst“ worden. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung haben sich im Jahre 2001 zwei Buddhisten selbst verbrannt.
„Besonders rigide war das Vorgehen der Behörden gegen Gläubige der verbotenen Vereinigten Buddhistischen Kirche Vietnams (VBKV), deren führende Vertreter nach wie vor unter Hausarrest standen“ - so ai-Jahresbericht 2005, S. 358.
Nach neuesten Berichten und Pressemitteilungen werden Gläubige in Vietnam misshandelt, schikaniert und gefoltert (vgl. Radio Vatikan v. 21.9.2005: „Abschwören oder fliehen“; Kath.net v. 27.10.2005: „Christen nach geheimen Anweisungen der KP verfolgt“; Jesus.ch v. 7.10.2005: „Grenzschutzsoldaten misshandeln Christen“). In einer Meldung des „Radio Vatikan“, asianews, v. 21.9.2005 heißt es:
„Behörden in der Provinz Yuang Nai haben die Häuser von vier christlichen Familien zerstört, weil diese sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. Das meldet die Nachrichtenagentur asianews. Nach ihren Angaben ist in Vietnam weiter eine richtiggehende Christenverfolgung in Gang.“
Schüler eines Pfarrers sollen wegen ihres Engagements „bereits mehrmals verhaftet, zusammengeschlagen und gefoltert“ worden, „um falsche Geständnisse zu erpressen“. Politisches, soziales oder sonstiges Engagement ist den Religionsgemeinschaften daher inzwischen strikt untersagt und wird staatlich verfolgt. Vgl. insoweit auch das Schicksal des religiösen Truong Vinh Chau, der im August 2005 in die USA ausreisen konnte (Jesus.ch v. 25.8.2005). Vgl. dazu auch schon ai-Jahresbericht 2004 S. 417:
„Ungeachtet aller Bemühungen der Regierung, die Verbreitung unliebsamer Informationen zu verhindern, wurden immer wieder Vorwürfe über repressive Maßnahmen publik: So sollen vor allem im Zentralen Hochland Mitglieder verbotener protestantischer Kirchen bei Dorfversammlungen zur Abgabe von Erklärungen über den Verzicht auf ihren Glauben gezwungen worden sein.“
Hierbei verbietet sich eine Unterscheidung nach öffentlichem und privatem Bereich religiöser Betätigung, weil ein öffentlicher Bereich in der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr gesondert genannt wird (vgl. VGH Baden-Württ. InfAuslR 2005, S. 296/S. 298).
Der Kläger dürfte im Hinblick auf seinen Glauben und seine Asylantragsstellung somit als aktiver Regimegegner, als Andersdenkender, als Dissident angesehen werden (vgl. insoweit auch VG Meiningen, B. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -).
4.2.5 Weiterer Anknüpfungspunkt für Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger ist die Tatsache, dass es in Vietnam sog. „administrative Haftstrafen“ auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31-CP v. 14. April 1997 (Lagebericht d. Ausw. Amtes v. 26.2. 1999) gibt. Auch dieser Aspekt ist in den jüngeren Urteilen der Kammer dargestellt worden, so dass darauf verwiesen werden kann (vgl. z.B. Urt. v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -).
4.2.6 Aufgrund dieser vielschichtigen Situation Vietnams ist eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden bei der Anwendung des vietStGB und der Befugnis zur administrativen Haft nicht abzugeben - zumal ein politisch begründeter Entscheidungsspielraum einschließlich offener Willkür gegenüber unangepassten Andersdenkenden oder Oppositionellen bzw. solchen, die dafür nur gehalten werden, gerade bei Justizakten zum Staats- und Selbstverständnis Vietnams gehört. „An der Tatsache, dass die Justiz faktisch Partei und Staat unterstellt ist, hat die Reform jedoch nichts geändert“ (Lagebericht v. 28.8.2005).
4.2.7 Auf die Rückführungsabkommen aus den 90er-Jahren kommt es nicht mehr an: Der Sachverständige Dr. Will hält an seiner schon früher geäußerten Auffassung fest, dass Rückkehrer nach öffentlicher Kritik am vietnamesischen Regierungssystem in aller Regel auch mit Verfolgung rechnen müssen (vgl. Dr. Will im Gutachten v. 11.2.2003; vgl. auch Dr. Will v. 14.9.2000, S. 1). Auch der Sachverständige Dr. Weggel (Stellungn. v. 10.8. 2003 an VG Darmstadt) ist der Ansicht, dass das Rückübernahmeabkommen von 1995 (nebst Briefwechsel) sich „als Schlag ins Wasser erwiesen“ und die „vietnamesische Regierung der Rückführung jedes nur mögliche Hindernis in den Weg“ gelegt habe: „Beim Besuch der BMZ-Ministerin in Hanoi (Oktober 2000) wurde das Abkommen von 1995 nicht einmal noch der Erwähnung für wert befunden.“ Die „völkerrechtlichen Verpflichtungen“ sind damit, da sie in Vietnam missachtet werden, bedeutungslos. Vgl. dazu ai-Jahresbericht 2003 u. Lagebericht des AA v. 1.4.2003: „Aushöhlung“ des Dreierabkommens UNHCR-Viet-nam-Kambodscha durch den vietnamesischen Staat, Vereinbarung eines „Memorandum of Understanding“ (MOU) v. 25.1.2005 (Lagebericht AA v. 28.8.05).
Im Übrigen mag es sein, dass eine explizite Bestrafung speziell nur „wegen ungenehmigter Ausreise“ in Vietnam (noch) nicht stattfindet, so wie das den Abkommen der 90er-Jahre zugrunde liegt. Jedoch werden Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen bis hin zu Strafen wegen abweichender Gesinnung, Meinungsäußerungen, politischer Betätigung usw. usw. ergriffen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist es daher prognostisch beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Vietnam „bedroht“ ist (§ 60 Abs. 1 AufenthG). Er ist folglich als Flüchtling iSv § 3 AsylVfG anzuerkennen.
5. Eine Entscheidung zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann im Hinblick auf die zuvor dargestellte Entscheidung zu § 60 Abs. 1 AufenthG unterbleiben (§ 31 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AsylVfG analog). Die Abschiebungsandrohung ist insoweit rechtswidrig, als eine Abschiebung nach Vietnam angedroht worden ist (§ 59 Abs. 3 AufenthG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.