Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.11.2005, Az.: 3 B 79/05

Dauermahnwache; Demonstration; Errichtung; Mahnwache; Meinungsbildung; Meinungsfreiheit; Meinungsäußerung; Versammlung; Zelt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.11.2005
Aktenzeichen
3 B 79/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51030
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Hat ein Zelt keine "funktionale Bedeutung" für die Durchführung der Versammlung, umfasst das Recht zur kollektiven Meinungsäußerung nach Art. 8 GG nicht die Errichtung eines Zeltes. Ist das Zelt (lediglich) zum Schutz der Versammlungsteilnehmer vor schlechtem Wetter erforderlich, hat es keinen unmittelbar und untrennbar mit der Meinungskundgebung verknüpften Symbolgehalt. Wer sich nicht in geschlossenen Räumen, sondern unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der jeweils herrschenden Witterung aus. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gibt dem Einzelnen deshalb kein Recht auf optimale Bedingungen durch Aufstellung eines Zeltes als Regen-, Witterungs- und Wärmeschutz.

Gründe

1

I. Der Antragsteller meldete als Versammlungsleiter für den Veranstalter „Widersetzen“ aus Anlass des bevorstehenden Castortransportes eine Dauermahnwache an. Diese soll vom Sonntag, dem 20. November 2005, bis Donnerstag, dem 24 November, in Gorleben vor der Kirche abgehalten werden, wobei mit 200 bis 500 Teilnehmern gerechnet wird.

2

Die Polizeidirektion Lüneburg bestätigte die Versammlung mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 15. November 2005, und sie bestätigte auch die Aufstellung eines offenen Gartenpavillons für eine Teeküche, einen Wohnwagen, sechs Dixie-Toiletten, einen Bauwagen und ein kleines Sanitätszelt. Für das vom Antragsteller weiter gewünschte Zelt mit den Ausmaßen 10 x 20 Meter wurde eine Bestätigung nicht erteilt, weil dies dem Schutz des Versammlungsrechtes nicht unterliege.

3

Der Antragsteller hat am 17. November Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz begehrt mit dem Ziel, das 10 x 20 Meter große Zelt aufstellen zu können.

4

II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben.

5

Dabei mag offen bleiben, ob sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 VwGO oder nach § 123 VwGO richtet. Denn die Verfügung der Antragsgegnerin, soweit die Aufstellung des Zeltes von 10 x 20 Meter Größe während der Dauermahnwache versammlungsrechtlich nicht bestätigt worden ist, ist rechtmäßig. Der Antragsteller als Versammlungsleiter hat in diesem Verfahren keinen durchsetzbaren Anspruch auf Aufstellung des Zeltes aus versammlungsrechtlichen Gesichtspunkten.

6

Das Aufstellen von Zelten ist vom Schutzbereich des Versammlungsgrundrechtes nach Art. 8 Abs. 1 GG nur ausnahmsweise umfasst. Denn nicht alles, was Begleiterscheinung einer Versammlung ist, fällt in den Schutzbereich des Versammlungsrechtes. Das Versammlungsrecht nach Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen von Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung zu schützen. Demzufolge unterfallen Zelte dem Versammlungsrecht und der Erlaubnisfreiheit im Hinblick auf deren Aufstellung nur dann, wenn es sich dabei um „notwendige Bestandteile“ der Versammlung handelt, ohne die eine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist. Dies kann etwa angenommen werden, wenn ein Zeltlager durch Roma am Landtag errichtet wird, um gegen die Abschiebung zu demonstrieren. Hat ein Zelt hingegen keine „funktionale Bedeutung“ für die Durchführung der Versammlung, umfasst das Recht zur kollektiven Meinungsäußerung nach Art. 8 GG die Errichtung des Zeltes nicht (Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Kommentar, 14. Auflage 2005, Randnr. 60; Sächsisches OVG, Entsch. v. 9.11.2001 - 3 BS 257/01 -, Juris; Kniesel/Poscher, NJW 2004, 422, 429).

7

Eine solche funktionale elementare Bedeutung für die gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung bei Durchführung der Versammlung hat das von dem Antragsteller gewünschte Zelt in den Abmessungen von 10 x 20 Metern nicht. Das Zelt trägt nicht unmittelbar, funktional und versammlungsimmanent zur gemeinsamen Meinungsbildung oder Meinungsäußerung bei. Nach dem Protokoll der Antragsgegnerin über das Kooperationsgespräch am 10. November 2005 ist das Zelt als „Kulturzelt“ geplant. Dort sollen Tanzkurse der örtlichen Vereine stattfinden, die ihre Übungsstunde aus der jeweiligen Turnhalle in dieses Zelt verlegen; evtl. sollen dort spontan weitere Informationsveranstaltungen nach Bedarf stattfinden. Nach den Ausführungen in der Antragsschrift kann den Tanzgruppen und den übrigen Versammlungsteilnehmern nicht zugemutet werden, ein Verletzungsrisiko auf sich zu nehmen, welches ein nasser Boden und unterkühlte Muskeln und Gelenke mit sich bringen. Das Zelt ist - wie es in der Antragsschrift heißt - „daher zum Schutz der Versammlungsteilnehmer erforderlich“. Mit dieser Zweckbestimmung hat das Zelt keinen unmittelbar mit der Meinungskundgebung notwendigerweise verknüpften Symbolgehalt. Das Zelt ist nicht funktional oder elementar notwendig, um die angemeldete und im Übrigen bestätigte Dauermahnwache durchzuführen. Tanzübungsstunden örtlicher Vereine sind auch unter freiem Himmel möglich. Letztlich läuft das Begehren des Antragstellers darauf hinaus, möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung der Versammlung zu schaffen. Das Versammlungsrecht gibt dem Einzelnen aber keinen derartigen Anspruch. Wer sich nicht in geschlossenen Räumen, sondern unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der jeweils herrschenden Witterung aus. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gibt dem Einzelnen kein Recht zur Aufstellung eines Zeltes als Regen-, Witterungs- und Wärmeschutz (zur Infrastruktur und Aufstellung von Zelten bei Versammlungen vgl. auch Kanther, NVwZ 2001 Seite 1239; VG Berlin, Entsch. v. 23.12 2003 - 1 A 361.03 -, Juris; VG Karlsruhe, Entsch. v. 14.02.2001 - 4 K 3227/00 -, Juris; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 15.08.2002 - 4 Bs 291/02 -).

8

Ob der Antragsteller einer Baugenehmigung oder straßenrechtlichen Sondernutzungsgenehmigung zur Aufstellung des Zeltes bedarf und ggf. einen Anspruch darauf hat, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden, weil die Polizeidirektion als Antragsgegnerin für diese Fragen nicht zuständig ist.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.