Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 22.11.2005, Az.: 1 B 52/05
Aufschiebende Wirkung; Billigkeitserlass; Exmatrikulation; Interessenabwägung; Mahnung; Nachfrist; Rückmeldefrist; Rückmeldung; Studiengebühr; Studienguthaben; Verwaltungskostenbeitrag; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 22.11.2005
- Aktenzeichen
- 1 B 52/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50873
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO
- § 80 Abs 3 VwGO
- § 19 Abs 3 S 2 Nr 3 HSchulG ND
- § 12 HSchulG ND
- § 13 Abs 1 HSchulG ND
- § 14 Abs 1 S 1 HSchulG ND
- § 14 Abs 2 S 2 Nr 3 HSchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Exmatrikulation kann dann erfolgen, wenn eine Rückmeldung (Nachweis über zahlbare Gebühren und Beiträge) nach Mahnung mit Nachfrist und der Androhung der Exmatrikulation nicht erfolgt, § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 NHG iVm der Immatrikulationsordnung der Hochschule.
2. Eine derartige Exmatrikulation ist mit Art. 12 GG vereinbar.
Gründe
I. Die Antragstellerin studierte zunächst von 1986 bis 1998 an der Universität Bonn und anschließend vom Wintersemester 1998/99 bis zum Wintersemester 2004/05 im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Antragsgegnerin den Universitätsstudiengang Betriebswirtschaftslehre. Mit Bescheid vom 10. Juli 2002 teilte der Vorsitzende der Prüfungsausschüsse des Fachbereichs der Antragstellerin mit, sie habe die Diplomvorprüfung im Studiengang BWL endgültig nicht bestanden. Die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfe hatten keinen Erfolg. Mit Verfügung vom 19. Januar 2005 - zugestellt am 21. Januar 2005 - exmatrikulierte die Antragsgegnerin daraufhin die Antragstellerin unter Hinweis auf § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 b NHG und ordnete zugleich gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung an. Ein diesbezüglich gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die gegen die Exmatrikulationsverfügung gerichtete, am 21. Februar 2005 erhobene Klage blieben ebenfalls ohne Erfolg (VG Lüneburg, Beschl. vom 15.3.2005 - 1 B 10/05 und Urt. v. 6.6.2005 - 1 A 52/05). Über die am 14. Juli 2005 beantragte Zulassung der Berufung gegen das Urteil hat das Nds. OVG noch nicht entschieden (Az. 2 LA 385/05).
Die Antragstellerin wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24. Januar 2005 für das 1. Semester 2005 und am 14. Februar 2005 für das 14. Fachsemester zum Sommersemester 2005 im Studiengang Betriebswirtschaftslehre (Abschluss Diplom - FH) zugelassen. Am 25. Februar 2005 hat sich die Antragstellerin in diesen Studiengang eingeschrieben. Mit Bescheid vom 11. März 2005 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das Studienguthaben für den Studiengang Betriebswirtschaft verbraucht und die Antragstellerin beginnend ab dem Sommersemester 2005 zur Zahlung der Studiengebühr verpflichtet sei. Mit bei der Antragsgegnerin am 15. April 2005 eingegangenem Schreiben beantragte die Antragstellerin den Erlass der Studiengebühren, da sie in diesem Semester fertig werde und eine wirtschaftliche Notlage bestehe. Mit Bescheid vom 18. Juli 2005, zugestellt am 19. Juli 2005, lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag sowohl für das Sommersemester 2005 als auch für das Wintersemester 2005/06 ab und forderte die Antragstellerin unter Verlängerung der Rückmeldefrist bis zum 31. Juli 2005 auf, sich rechtzeitig zurückzumelden und die fälligen Beiträge sowie die Studiengebühr zu zahlen. Gleichzeitig drohte die Antragsgegnerin die Exmatrikulation an, sollte bis zum Ende dieser Frist eine Zahlung der Beiträge und der Studiengebühr nicht erfolgt sein.
Mit Verfügung vom 10. August 2005 exmatrikulierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin wegen fehlender Rückmeldung und ordnete mit Bescheid vom 28. September 2005 die sofortige Vollziehung der Exmatrikulation an.
Die Antragstellerin hat am 22. August 2005 gegen die Exmatrikulationsverfügung vom 10. August 2005 Klage erhoben (1 A 258/05) und am 21. Oktober 2005 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.
II. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 258/05 gegen die Exmatrikulationsverfügung der Antragsgegnerin vom 10. August 2005 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage wiederherstellen. Hierbei sind regelmäßig die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen, d. h. einerseits das Interesse des vom Verwaltungsakt Betroffenen daran, von dessen Wirkungen bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit verschont zu bleiben, andererseits das von der Behörde vertretene öffentliche Interesse daran, den Verwaltungsakt schon vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit durchzusetzen. Bei dieser Interessenabwägung ist der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache zu berücksichtigen. Das öffentliche Interesse ist um so schwerer zu werten, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Auf der anderen Seite besteht kein öffentliches Interesse daran, einen Verwaltungsakt durchzusetzen, der offensichtlich nicht rechtmäßig ist.
Im vorliegenden Fall ist die von der Antragsgegnerin verfügte Exmatrikulation der Antragstellerin offensichtlich rechtmäßig. Ihre Rechtsgrundlage findet sie in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NHG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 der Immatrikulationsordnung der Antragsgegnerin vom 12. Januar 2005. Hiernach hat die Exmatrikulation zu erfolgen, wenn die oder der Studierende sich nach Mahnung unter Fristsetzung und Androhung der Exmatrikulation nicht rückmeldet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Exmatrikulation ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier der Exmatrikulation vom 10. August 2005. In diesem maßgeblichen Zeitpunkt lagen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NHG vor. Denn die Antragstellerin hat sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht ordnungsgemäß rückgemeldet. Die Rückmeldung erfolgt nach § 7 Abs. 3 der Immatrikulationsordnung durch den Nachweis über die Entrichtung der fälligen Studentenschafts- und Studentenwerksbeiträge, des gemäß § 12 NHG zu erhebenden Verwaltungskostenbeitrages, der gemäß § 13 Abs. 1 NHG gegebenenfalls zu zahlenden Studiengebühr sowie der eventuell zu zahlenden Gebühren gemäß der Gebührendordnung der Antragsgegnerin. Diesen Nachweis hat der oder die Studierende innerhalb der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Immatrikulationsordnung genannten Frist, also innerhalb der letzten zwei Wochen der Vorlesungszeit des laufenden Semesters, zu erbringen. Vorliegend hat die Antragstellerin auch den Nachweis über die Entrichtung von Studiengebühren für das Wintersemester 2005/06 zu erbringen, da sie nach den Feststellungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. März 2005 ihr Studienguthaben verbraucht hat und damit nach § 13 Abs. 1 Satz 1 NHG i. V. m. § 11 NHG zur Entrichtung einer Studiengebühr in Höhe von 500 ,-- Euro verpflichtet ist, die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 mit Ablauf der von der Antragsgegnerin festgelegten Rückmeldefrist fällig wird. Die Antragstellerin hat den Nachweis über die Entrichtung der Studiengebühr für das Wintersemester 2005/06 weder innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Satz 1 Immatrikulationsordnung noch innerhalb der mit Bescheid vom 18. Juli 2005 gesetzten Nachfrist unter Androhung der Exmatrikulation erbracht und sich damit nicht ordnungsgemäß rückgemeldet. Somit ist die Antragsgegnerin nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NHG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Immatrikulationsordnung verpflichtet, die Antragstellerin zu exmatrikulieren.
Die Einwände der Antragstellerin hiergegen greifen nicht durch. Soweit sie die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zur Studiengebühr betreffen, ist zunächst zu bemerken, dass der Bescheid vom 11. März 2005 bestandskräftig geworden ist und die Antragstellerin Einwendungen gegen die Berechnung ihres Studienguthabens auch nicht erhoben hat. Die Frage, ob der Antragstellerin die Studiengebühren im Rahmen des Billigkeitserlasses gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG wegen einer wirtschaftlichen Notlage in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung die Studiengebühren zu erlassen sind, ist in einem gesonderten Verfahren zu prüfen (vgl. auch VG Göttingen, Beschl. v. 29.3.2004 - 4 B 21/04). Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Erlass der Studiengebühren im Bescheid vom 18. Juli 2005, insoweit zwischenzeitlich bestandskräftig, abgelehnt. Darin hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die Klägerin sowohl für das Sommersemester 2005 als auch für das Wintersemester 2005/2006 zur Entrichtung der Studiengebühren verpflichtet sei, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG nicht gegeben seien. Die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren auch nicht vorgetragen, dass die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass vorliegen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs (Bl. 44 der Beiakte A zum Verfahren 1 A 259/05 betreffend die Rückzahlung von Semesterbeiträgen) besteht noch nicht die für den Erlass erforderliche Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung, da die Klägerin noch mindestens zwei, eher drei Semester bis zum Abschluss des Studiums benötigt.
Die Exmatrikulation ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Effektivität der Erhebung der Studiengebühren rechtfertigt es, die Rückmeldung von dem Nachweis der Entrichtung der Gebühren abhängig zu machen (vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 21.10.2002 - 10 L 517/00 - zur Entrichtung des Verwaltungskostenbeitrages als Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit der Rückmeldung) und damit das Absehen von der Exmatrikulation an den rechtzeitigen Nachweis der Entrichtung der Studiengebühr zu knüpfen. Darüber hinaus ist die Antragstellerin in der Lage gewesen, zunächst innerhalb der gesetzten Frist die geforderten Studiengebühren zu entrichten, da die Antragsgegnerin ihr am 19. Juli 2005 Gebühren nebst Zinsen in Höhe von insgesamt 529 ,-- Euro zurückerstattet hat.
Zudem greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht durch, die Exmatrikulation sei nicht mit Art. 12 GG vereinbar, da weder gegen die Erhebung der Langzeitstudiengebühren (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 13-42005 - 2 LA 166/05 -) noch gegen die Exmatrikulation als zwingende Folge einer nicht ordnungsgemäßen Rückmeldung im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NHG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Immatrikulationsordnung verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Im Übrigen genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO normierten Begründungserfordernis. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Exmatrikulation damit begründet, dass ansonsten der Klage gegen die Exmatrikulation aufschiebende Wirkung zukäme mit der Folge, dass die Erhebung von Langzeitstudiengebühren nicht durchgesetzt werden könne. Dies liege aber im besonderen öffentlichen Interesse, um zu verhindern, dass sich Studenten für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Exmatrikulation entziehen und ohne Entrichtung der Gebühren weiter studieren könnten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i. V. m. § 28 Abs. VwVfG (direkt oder analog) hätte angehört werden müssen, da jedenfalls im vorliegenden gerichtlichen Verfahren die Antragstellerin Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt hat und damit ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt ist.
Soweit die Antragstellerin die Frage aufwirft, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts, der sowohl belastende als auch begünstigende Wirkung hat, sich nur auf den belastende Teil beschränken könne, verkennt sie, dass die Antragsgegnerin nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 18. Juli 2005, sondern des Bescheides vom 10. August 2005 betreffend die Exmatrikulation angeordnet hat, sich also die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf einen für die Klägerin ausschließlich belastenden Verwaltungsakt bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.