Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.11.2005, Az.: 2 A 269/05
Abrundung; Anwendungserlass; Aussetzungszinsen; Bindung; Grundsteuer; Kleinbetrag; Steuerart; Steuerforderung; Verwaltungsanweisung; Zinsberechnung; Zusammenrechnung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 29.11.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 269/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 15.11.2006 - AZ: 13 LB 156/06
Rechtsgrundlagen
- § 237 AO
- § 238 Abs 2 AO
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen für Kleinbeträge sowie gegen einen Kostenbescheid.
Der Kläger ist zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer des Grundstücks „Zum C. D.“ in E..
Auf einen Einspruch des Klägers setzte das Finanzamt E. mit Bescheid vom 1. September 1994 einen Grundsteuermessbetrag in Höhe von 15,86 DM aus. Mit Bescheid vom 21. August 2000 wies das Finanzamt E. den Einspruch als unbegründet zurück. Mit getrenntem Schreiben vom 21. August 2000 hob das Finanzamt E. auch die Aussetzung der Vollziehung auf und verfügte, dass ab dem 1. Januar 1994 die Grundsteuer nunmehr nach einem Messbetrag von 70,72 DM von der Stadt S. erhoben werden sollte.
Mit Bescheid vom 10. November 2000 setzte die Stadt S. die Nachzahlung für die Jahre 1994 bis 2000 auf insgesamt 313,49 DM fest.
Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 11. November 2000 mit, dass er gegen den Einspruchsbescheid des Finanzamtes E. Klage erhoben habe. Damit bleibe die Vollziehung ausgesetzt.
Am 1. August 2002 wurde Herr F. G. neuer Eigentümer des Grundstücks „Zum C. D.“.
Mit Urteil vom 15. Mai 2003 wies das Niedersächsische Finanzgericht die Klage des Klägers gegen das Finanzamt E. wegen der Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1994 ab.
Mit Bescheid vom 12. Februar 2004 setzte die Beklagte daraufhin die nachzuzahlende Grundsteuer für die Jahre 1994 bis 2002 auf 196,61 EUR fest. Ferner kündigte sie einen getrennten Bescheid über Aussetzungszinsen an.
Am 16. März 2004 zahlte der Kläger den Gesamtbetrag.
Mit Zinsbescheid vom 18. März 2004 setzte die Beklagte Aussetzungszinsen in Höhe von 62,26 EUR fest.
Für das Jahr 1994 errechnete sie auf die Rückstände von 24,34 EUR Zinsen in Höhe von 13,08 EUR, für die Grundsteuer für 1995 auf einen Rückstand von 25,98 EUR Zinsen in Höhe von 11,64 EUR, für die Grundsteuer für das Jahr 1996 einen Rückstand von 25,95 EUR und Zinsen in Höhe von 10,20 EUR, für das Jahr 1997 einen Grundsteuerrückstand in Höhe von 26,74 EUR und Zinsen in Höhe von 9,49 EUR, für das Jahr 1998 rückständige Grundsteuer in Höhe von 20,80 EUR und Zinsen in Höhe von 6,10 EUR, für das Jahr 1999 zu zahlende Grundsteuer in Höhe von 20,80 EUR und Zinsen in Höhe von 4,90 EUR, für das Jahr 2000 rückständige Grundsteuer in Höhe von 20,80 EUR und Zinsen in Höhe von 3,70 EUR, für das Jahr 2001 einen Rückstand von 20,80 EUR und Zinsen in Höhe von 2,50 EUR sowie für das Jahr 2002 einen Rückstand von 10,40 EUR und Zinsen in Höhe von 0,65 EUR.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit einer nicht signierten E-Mail am 22. März 2004 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei zulässig, jedoch nicht begründet. § 238 Abs. 2 AO komme dann nicht zur Anwendung, wenn der zu verzinsende Betrag 50 EUR unterschreite. Eine Abrundung auf Null finde nicht statt. § 238 Abs. 2 AO bedeute nicht, dass bei „Kleinbeträgen“ unter 50 EUR im Falle der Aussetzung vollständig auf die Erhebung von Aussetzungszinsen verzichtet werden soll. § 238 Abs. 2 AO solle der Steuerverwaltung die Berechnung der Aussetzungszinsen erleichtern, indem die Möglichkeit geschaffen werde, die Steuerforderung, die zu verzinsen sei, abzurunden. Ein genereller Verzicht der Aussetzungszinsen sei jedoch mit der Erleichterungsvorschrift des § 238 Abs. 2 AO nicht verbunden. Die Anwendung dieser Vorschrift dürfe nicht dazu führen, dass Zinsforderungen von mehr als 20 DM bzw. 10 EUR nicht erhoben werden könnten.
Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 20. Juni 2005 zog die Beklagte den Kläger zu einer gebühr in Höhe von 56 EUR für das erfolglose Widerspruchsverfahren heran.
Am 14. Juli 2005 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung der Klage trägt er vor, nach § 238 Abs. 2 AO sei für die Berechnung der Zinsen der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag abzurunden. Der Anwendungserlass zur AO des Bundesministeriums der Finanzen schreibe für die Anwendung dieser Vorschrift vor, abzurunden sei der jeweils einzeln zu verzinsende Anspruch. Bei der Zinsberechnung seien die Ansprüche zu trennen, wenn Steuerart, Zeitraum oder Tag des Beginns des Zinslaufs voneinander abwichen. Dies sei nach seinen Kenntnissen die gültige Norm zur Berechnung und Festsetzung von Aussetzungszinsen. Die Stadt S. habe die Vorschriften jedoch nicht angewandt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2005 sowie den Kostenfestsetzungsbescheid vom 20. Juni 2005 ersatzlos aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf ihren Widerspruchsbescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit wird im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2004 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Damit ist auch der Kostenfestsetzungsbescheid aufzuheben.
Unstreitig ist die Beklagte grundsätzlich nach § 237 AO berechtigt, Aussetzungszinsen für die Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuer zu erheben, wie sie hier erfolgt ist.
Die Beklagte hat jedoch die Abrundungsvorschrift des § 238 Abs. 2 AO fehlerhaft angewandt. Nach dieser Vorschrift ist für die Berechnung der Zinsen der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag abzurunden.
Für die Anwendung dieser Vorschrift sieht der Anwendungserlass zur AO 1977 (AEAO, v. 19.6.1998 (BStBl. I S. 630)) zu § 238 AO unter 2. folgende Regelung vor: „Abzurunden ist jeweils der einzelne zu verzinsende Anspruch. Bei der Zinsberechnung sind die Ansprüche zu trennen, wenn Steuerart, Zeitraum (Teilzeitraum) oder der Tag des Beginns des Zinslaufs voneinander abweichen. ...“
Nach diesem auch die Beklagte bindenden Erlass sind für die Zinsberechnung die einzelnen Ansprüche nicht nur nach Steuerart zu trennen, sondern auch nach dem Zeitraum. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Abrundung vor Zusammenrechnung der jeweiligen Jahressteueransprüche vorzunehmen. Die Regelung des Erlasses ist für die Beklagte bindend, auch wenn in der Literatur zur Auslegung des Gesetzes teilweise eine andere Auffassung vertreten wird (für eine Abrundung erst nach Zusammenrechnung der Beträge einer Steuerart: Rüsken in Klein, Komm. zur AO, 8. Aufl., § 238 Rdnr. 4). Auch wenn insoweit zur Beseitigung von Zweifeln eine Anpassung des § 238 Abs. 2 AO an die jetzt geltende Verwaltungsanweisung zweckmäßig gewesen wäre (so: Höllig in Koch/Scholz, Komm. zur AO, 4. Aufl. 1993, § 238 Rdnr. 5), so bleibt die Beklagte an die Verwaltungsanweisung gebunden. Danach verzichtet die Finanzverwaltung zur Vermeidung der mit einer Abrundung des Gesamtbetrages verbundenen Schwierigkeiten auf eine Zusammenrechnung und wendet die Abrundungsregelung auf jede Einzelforderung an (Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 238 Rn. 12). Diese Regelung hat zur Folge, dass für Kleinbeträge unter 50 EUR keine Aussetzungszinsen erhoben werden können (so auch Höllig ,a.a.O, § 238 Rn. 5).
In ihrem Steuerbescheid vom 12. Februar 2004 errechnet die Beklagte für die einzelnen Steuerjahre nachzuzahlende Steuern von jährlich höchstens 26,74 EUR (für das Jahr 1997). Da nach dem Erlass zwischen den Zeiträumen zu trennen ist, ist hier auf die einzelne Steuerschuld aus jedem Jahr getrennt abzustellen. Der Betrag von 50 EUR wird in keinem Steuerjahr erreicht, so dass die zu verzinsenden Ansprüche insgesamt auf Null abzurunden sind.
Nicht einschlägig ist für diese Rechtsfrage die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Finanzgerichts des Landes Brandenburg vom 22. Januar 2001 (3 K 922/99 E), die sich damit befasst, ob das Abrundungsgebot bei einer geänderten Steuerfestsetzung, die zu einem etwas höheren Steuerguthaben führt, auf das Guthaben oder die Nachforderung insgesamt anzuwenden ist. Insoweit ist nach Auffassung des Finanzgerichts die Abrundungsregelung des § 238 Abs. 2 AO überhaupt nicht anwendbar; die Entscheidung befasst sich allerdings auch nur mit Ansprüchen des Bürgers gegen den Staat. Auf die Berechnung von Aussetzungszinsen sind diese Gesichtspunkte aber nicht übertragbar.
Damit sind auch die Voraussetzungen für die Erhebung von Gebühren für das Widerspruchsverfahrens entfallen, die nach der Satzung der Beklagten nur für erfolglose Widersprüche erhoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).