Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 02.05.2008, Az.: 74 IN 400/07

Ablehnung; Auskunftspflicht; Befreiung; Betrug; Delikt; Deliktseigenschaft; Eröffnung; Eröffnungsverfahren; Forderung; Gläubiger; Gläubigerliste; grobe Fahrlässigkeit; Insolvenzverfahren; Mitwirkungspflicht; Nichtangabe; Nichtkennzeichnung; Restschuldbefreiung; Strafurteil; Stundung; Stundungsantrag; unerlaubte Handlung; unrichtige Angabe; Verbindlichkeit; Verbraucherinsolvenzverfahren; Verfahrenskosten; Versagungsgrund; Verurteilung; Wesentlichkeit

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
02.05.2008
Aktenzeichen
74 IN 400/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55059
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Stammen die Verbindlichkeiten des Schuldners im Wesentlichen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen, kann die Stundung gem. § 4a InsO abgelehnt werden wegen der im Hinblick auf § 302 Nr. 1 InsO nur in geringen Umfang eintretenden Befreiung der Verbindlichkeiten.

2. Macht der Schuldner auf Aufforderung des Gerichtes unzutreffende Angaben zur Deliktseigenschaft der gegen ihn gerichteten Forderungen, macht er unrichtige Angaben zu Umständen, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgeblich sind (§ 4 c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO).

3. Grob fahrlässig handelt ein Schuldner, der trotz Aufforderung des Gerichtes und strafrechtlicher Verurteilung wegen Betrugen gem. § 263 StGB Deliktsforderungen nicht als solche kennzeichnet.

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Stundung wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung der Stundung gem. § 4a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO liegen vor.

I.

2

Der Schuldner hat mit dem Eröffnungsantrag eine 13 Gläubiger umfassende Aufstellung eingereicht. Der Sachverständige hat in seinem Zwischenbericht vom 28.01.2008 ausgeführt, dass von der Gesamtforderungssumme von 374.592,62 € ein Betrag von 332.539,66 € deliktischen Ursprunges sei. Das Insolvenzgericht hat daraufhin den anwaltlich vertretenen Schuldner auf die Möglichkeit einer Ablehnung des Stundungsantrages (vgl. MK-InsO/Ganter § 4a Rz. 18) hingewiesen. Dem ist der Schuldner aus Rechtsgründen entgegengetreten und hat im Schriftsatz vom 10.03.2008 ausführen lassen, dass ein Großteil der Forderungen verjährt und ein Anerkenntnisurteil über 255.000 € nicht gegen ihn gerichtet sei, so dass als deliktische Forderungen nur Ansprüche von Sozialversicherungsträgern verblieben. Mit Verfügung vom 01.04.2008 hat das Insolvenzgericht daraufhin den Schuldner auf die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO wegen der Differenzen der von ihm und vom Sachverständigen ermittelten Gläubiger hingewiesen und ihm aufgegeben, eine Gläubigerliste vorzulegen unter Angabe, ob Forderungen unter § 302 Nr. 1 InsO fallen. Die mit Schriftsatz vom 22.04.2008 vorgelegte Gläubigerliste weist 19 Gläubiger mit einer Gesamtforderungssumme von 383.601,19 € aus.

3

II. Die beantragte Stundung ist abzulehnen.

4

1) Der Schuldner hat vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben zu Umständen gemacht, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgebend sind (§ 4c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO).

5

a) Darunter fallen auch Angaben, ob deliktische Forderungen bestehen. Es ist allgemein anerkannt, dass eine Stundung ausscheidet, wenn die Restschuldbefreiung offensichtlich nicht erreicht werden kann, etwa weil die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gemäß § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind (MK-InsO/Ganter § 4a Rz. 18; Graf-Schlicker/Kexel § 4a Rz. 18; Hambk-Nies § 4a Rz. 16; Kübler/Prütting/Wenzel § 4a Rz. 38a; a. A. Jaeger/Eckardt § 4a Rz. 36). Die Rechtsprechung lehnt in diesen Fällen die Bewilligung der Stundung ab (AG Marburg ZVI 2002, 275; AG Siegen ZinsO 2003, 478; AG München ZVI 2003, 369; LG Düsseldorf NZI 2008, 253; AG Düsseldorf ZInsO 2008, 334). Zur Frage, wann Wesentlichkeit vorliegt, hat die Rechtsprechung bei Quoten von 95% (AG Siegen ZInsO 2003, 478) oder über 76,83 % (LG Düsseldorf NZI 2008, 253) die Stundung abgelehnt. Teilweise wird auch auf die Höhe der Forderung im Verhältnis zur persönlichen und wirtschaftlichen Lage des Schuldners abgestellt (AG Düsseldorf ZInsO 2008, 334). Welcher Maßstab anzulegen ist, muss nicht entschieden werden.

6

Aufgabe des Schuldners ist es, das Insolvenzgericht bei der Ermittlung der deliktischen Forderungen zu unterstützen. Dies ist ein Ausfluss der in §§ 20 Abs. 1, 22 Abs. 3, 97 InsO normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. Im vorliegenden Fall hat der anwaltlich vertretene Schuldner auf Aufforderung des Insolvenzgerichtes mit Schriftsatz vom 22.04.2008 eine (überarbeitete) Gläubigerliste vorlegen lassen. Von den 19 Forderungen sind zwei Forderungen als deliktisch gekennzeichnet (Forderungen von Sozialversicherungsträgern über ca. 8.200 €), die übrigen als „privatrechtlich“ oder „Firmenrechtlich“. Die neu aufgenommenen Forderungen Nr. 14 -18 über insgesamt 45.196 € werden als Firmenrechtlich bezeichnet. Aus dem beigezogenen Strafurteil des AG Kassel vom 07.12.2005 Seite 7 ff. ergibt sich aber, dass der Schuldner wegen gemeinschaftlichen Betruges zu Lasten der Gläubiger verurteilt wurde. Dass er als (faktischer) Geschäftsführer für eine GmbH handelte, ändert nichts an seiner persönlichen Haftung.

7

b) Der Schuldner hat zumindestens grob fahrlässig gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Er muss einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben und das nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BGH ZInsO 2006, 370, 371). Der objektive Verstoß indiziert grobe Fahrlässigkeit. Abzustellen ist auf die Einsichtsmöglichkeiten des Schuldners im konkreten Einzelfall (Hambk-InsO/Streck § 290 Rz. 19). Dass es sich um deliktische Forderungen handelt, ergibt sich eindeutig aus dem Strafurteil des AG Kassel vom 07.12.2005.

8

2) Weiter hat der Schuldner seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt. Dies stellt einen Versagungsgrund gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO dar, der bei der Stundungsentscheidung berücksichtigt werden kann und muss (BGH ZInsO 2005, 207 = NZI 2005, 232).

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a) Das mit dem Antrag eingereichte Gläubigerverzeichnis ist unvollständig. Der Schuldner führt in dem mit Schriftsatz vom 22.04.2008 überreichten Gläubigerverzeichnis insgesamt sechs neue Gläubiger mit einer Gesamtforderungssumme von ca. 51.000 € auf. Diese Gläubiger ergeben sich aus dem erwähnten Strafurteil des AG Kassel vom 07.12.2005 und dem Urteil des AG Hann-.Münden vom 27.02.2006, in dem der Schuldner unter Einbeziehung der Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt wurde.

10

b) Auch hier hat der Schuldner zumindest grob fahrlässig gehandelt. Aus den Strafurteilen ergeben sich die Geschädigten und damit die Gläubiger.

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c) Auch sonstige Gründe stehen einer Berücksichtigung nicht entgegen.

12

Unrichtige Angaben können im Eröffnungsverfahren zwar korrigiert werden. Anerkannt ist dies für Verbraucherinsolvenzverfahren gem. § 304 InsO und wird aus den Vorschriften der §§ 305 Abs. 3 Satz 1, 307 Abs. 1 Satz 1 InsO hergeleitet (BGH NZI 2005, 461 = ZVI 2005, 641; BayObLG ZInsO 2002, 489, 490). Die vorgenannten Vorschriften sind im Regelinsolvenzverfahren nicht einschlägig. Stattdessen kann unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten berücksichtigt werden, ob ein ganz geringer Verstoß vorliegt oder eine Korrektur erfolgt (BGH ZInsO 2003, 413, 414). Bei der Nichtangabe von sechs Gläubigern mit einer Gesamtforderungssumme von ca. 51.000 € ist dies nicht der Fall.

13

3) Ob weitere Gründe für eine Ablehnung der Stundung vorliegen, kann dahinstehen.