Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 06.03.2008, Az.: 74 IN 34/08
Antrag auf Restschuldbefreiung durch den Schuldner in einem Zweitinsolvenzverfahren vor Erteilung einer Restschuldbefreiung in dem laufenden Erstinsolvenzverfahren; Zurückweisung eines Stundungsantrags i.F.d. Antrags eines Schuldners auf Restschuldbefreiung in einem Zweitinsolvenzverfahren; Sinn und Zweck des § 290 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO)
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 06.03.2008
- Aktenzeichen
- 74 IN 34/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 19302
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2008:0306.74IN34.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4a Abs. 1 S. 3, 4 InsO
- § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO
- § 296 InsO
- § 297 InsO
- § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
Fundstellen
- NZI (Beilage) 2009, 31-32 (red. Leitsatz)
- ZInsO 2008, 1216 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist auch anwendbar, wenn vor Erteilung einer Restschuldbefreiung in einem laufenden Erstinsolvenzverfahren der Schuldner in einem Zweitinsolvenzverfahren einen (erneuten) Antrag auf Restschuldbefreiung stellt.
- 2.
In diesen Fällen ist ein Stundungsantrag zurückzuweisen gem. § 4 a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO.
Tenor:
Der Antrag des Schuldners vom 16.02.2008 auf Stundung der Verfahrenskosten wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Über das Vermögen des Schuldners ist aufgrund Eigenantrages, verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung, am 25.04.2003 unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Verfahren74 IN 113/03 AG Göttingen). Im Verlaufe des Verfahrens haben 27 Gläubiger Forderungen über ca. 190.000 EUR angemeldet, die im Wesentlichen aus einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners als Elektromeister im Zeitraum 1998 bis 2001 herrühren. Mit Beschluss vom 05.10.2004 ist dem Schuldner Restschuldbefreiung angekündigt und das Verfahren mit Beschluss vom 15.12.2004 aufgehoben worden. Da der Schuldner nach den Angaben des Treuhänders im Bericht vom 05.12.2006 Grundsicherung nach SGB II in Bedarfsgemeinschaft bezog, ist dem Schuldner mit Beschluss vom 12.12.2006 Stundung für das Restschuldbefreiungsverfahren einschließlich der Vergütung des Treuhänders bewilligt worden. Nach dem letzten Bericht des Treuhänders vom 20.11.2007 bezieht der Schuldner inzwischen ein Nettogehalt von 1.383,45 EUR. Da er zwei Personen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, ergeben sich keine pfändbaren Beträge.
Mit Schreiben vom 25.01.2008 hat der Schuldner erneut Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt mit der Begründung, dass er durch Urteil des Landgerichtes Göttingen zur Zahlung eines Betrages von ca. 23.000 EUR zzgl. Zinsen und Kosten verurteilt worden sei. Das von dem Schuldner auf Aufforderung des Gerichtes zurückgesandte Antragsformular weist keinerlei verwertbare Vermögensgegenstände auf. Aufgeführt sind neun Gläubiger mit einem Gesamtforderungsbetrag in Höhe von ca. 45.000 EUR. Weiter hat der Schuldner Antrag auf Stundung und Restschuldbefreiung gestellt.
II.
Der Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten ist zurückzuweisen gem. § 4 a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO, da der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorliegt.
1)
§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO lässt eine Versagung der Restschuldbefreiung zu, wenn in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 InsO oder § 297 InsO versagt worden ist. Im vorliegenden Fall ist dem Schuldner in den letzten 10 Jahren keine Restschuldbefreiung erteilt worden. Vielmehr befindet er sich in dem Verfahren 74 IN 113/03 nach Ankündigung der Restschuldbefreiung und Aufhebung des Verfahrens in der sogenannten Wohlverhaltensperiode, die am 25.04.2009 endet. Eine unmittelbare Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO scheidet aus.
Im Zusammenhang mit Gläubigeranträgen auf Eröffnung eines Zweitinsolvenzverfahrens hat das Insolvenzgericht die Frage aufgeworfen, ob im Falle der Verfahrenseröffnung bei einem etwaigen Schuldnerantrag auf Restschuldbefreiung der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO eingreift. Für einen in der Wohlverhaltensperiode befindlichen Schuldner konnte das Insolvenzgericht die Frage dahingestellt sein lassen, da sich das Verfahren erledigte (AG Göttingen Beschluss vom 05.10.2007, ZVI 2007, 534 = ZInsO 2007, 1164 = NZI 2008, 56 = Rpfl. 2008, 157). Weiter hat das Insolvenzgericht festgestellt, dass ein Neugläubiger noch während eines laufenden Insolvenzverfahrens Antrag auf Eröffnung eines erneutes Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners stellen kann (AG Göttingen Beschluss vom 12.10.2007, ZVI 2007, 571) und dass auch ein erneuten Insolvenzverfahren beispielsweise nach Freigabe eines Geschäftsbetriebes und Vorliegen von Anfechtungsansprüchen eröffnet werden kann (AG Göttingen Beschluss vom 26.02.2008 - 74 IN 304/07). Auch in dem letztgenannten Verfahren konnte die Frage dahingestellt bleiben, da das Verfahren aufgrund eines Gläubigerantrages eröffnet wurde und (bislang) noch kein Antrag der Schuldnerin auf Restschuldbefreiung vorliegt.
2)
Im Anschluss an die überzeugenden Ausführungen von Ahrens (FK-InsO § 290 Rz. 29 b) wendet das Insolvenzgericht im vorliegenden Fall die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO an.
a)
Auszugehen ist allerdings davon, dass die Aufzählung der Versagungsgründe in § 290 Abs. 1 InsO abschließend ist. Nach - teilweise allerdings in der Literatur bestrittener - Auffassung begründen daher keine Sperre Versagungen gem. §§ 290, 298, 303 und 314 Abs. 3 Satz 2 InsO (vgl. die Nachweise bei FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 31). Für die Vorschrift des § 290 InsO hat der Gesetzgeber aus der als unbefriedigend empfundene Rechtslage die Konsequenzen gezogen und will erfolgte Versagungen gem. § 290 InsO (in gewissen Fällen) als weiteren Versagungsgrund in § 290 Abs. 1 InsO aufnehmen (Art. 1 Nr. 21 a, cc des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen vom 23.08.2007, NZI Beilage zu Heft 10, S. 3).
In der Rechtsprechung ist lediglich entschieden, dass die gerichtliche Annahme eines Schuldenbereinigungsplanes gem. § 308 Abs. 1 InsO nicht unter den Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO fällt (AG Göttingen ZVI 2005, 615 [AG Göttingen 01.01.2005 - 71 IN 79/05] = ZInsO 2005, 1226). Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass die Annahme eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanes die Wirkung eines gerichtlichen Vergleiches im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat und mit der Annahme u.a. der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 308 Abs. 2 InsO als zurückgenommen gilt.
b)
Durch die Regelung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO soll aber eine Sperre gegenüber missbräuchlich wiederholten Restschuldbefreiungsverfahren geschaffen werden. Für den Fall der Erteilung der Restschuldbefreiung hat der Gesetzgeber eine 10jährige Sperrfrist nach Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 300 Abs. 1 InsO vorgesehen. Die Restschuldbefreiung soll nach der Gesetzesbegründung nicht als Zuflucht dienen für Personen, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen (BT-Drucks. 12/2443 S. 190 zu § 239 RegE). Durch das vorherige Verfahren soll der Schuldner Erfahrungen ziehen und zu einem vorsichtigen Wirtschaften veranlasst werden (MünchKomm-InsO/Stephan § 290 Rz. 46).
Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn ein Schuldner nicht nach Erteilung einer Restschuldbefreiung, sondern bereits während eines laufenden Insolvenzverfahrens oder - wie im vorliegenden Fall - nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens während der Laufzeit der sogenannten Wohlverhaltensperiode erneut Restschuldbefreiung beantragt. Die Interessenlage ist vergleichbar, eine Sperre ist in diesem Fall ebenso angebracht wie in dem gesetzlich geregelten Fall nach Erteilung der Restschuldbefreiung. Daher ist eine teleologische Extension vorzunehmen (FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 29 b).
c)
Eine unzulässige Erstreckung eines Versagungsgrundes auf andere Normen im Hinblick auf die abschließende Aufzählung in § 290 Abs. 1 InsO liegt nicht vor. Es wird kein in § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht aufgeführter Versagungstatbestand geschaffen, sondern der in der ersten Alternative aufgeführte Versagungsgrund hinsichtlich seiner Grenzen bestimmt.
Zudem ist der vorliegende Sachverhalt vergleichbar einer vorzeitig erteilten Restschuldbefreiung gem. § 299 InsO. Ein Schuldner kann sich nicht darauf berufen, dass nur in den Fällen einer Erteilung der Restschuldbefreiung gem. §§ 300 Abs. 1, 301 Abs. 1 InsO eine Sperrwirkung eintritt. Auch in diesem Fall treten Wirkungen ein wie bei einer erteilten Restschuldbefreiung, nämlich gem. § 301 InsO (FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 29 a).
III.
Von einer (förmlichen) Zurückweisung des Antrages des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Amtsgericht abgesehen. Nach der Rechtsprechung des Landgerichtes Göttingen (Beschluss vom 06.02.2008 - 10 T 21/08) kommt bei Zurückweisung eines Stundungsantrages eine Zurückweisung des Eröffnungsantrages nur in Betracht, wenn sich dem Antrag entnehmen lässt, dass der Eröffnungsantrag unter der Bedingung der Kostenstundung gestellt worden ist. Für den Fall eines Antrages im Verbraucherinsolvenzverfahren hat das Landgericht Göttingen dies im vorerwähnten Beschluss nicht angenommen. Daher verbietet sich auch eine Annahme im vorliegenden Fall, in dem das Insolvenzgericht dem Schuldner ein dem Verbraucherinsolvenzantrag entsprechendes Antragsformular zugesandt hat.