Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.04.2008, Az.: 74 IK 130/00
Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung i.S.d. § 725 Zivilprozessordnung (ZPO) in der Wohlverhaltensphase des Schuldners; Prüfungsrecht und Prüfungspflicht des Ursprungs und des Umfangs einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung durch den Urkundsbeamten in der Wohlverhaltensperiode; Anhörungspflicht des Schuldners vor der Erteilung der Klausel während seiner Wohlverhaltensphase; Erinnerung als statthafte Rechtsschutzform gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 10.04.2008
- Aktenzeichen
- 74 IK 130/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 19211
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2008:0410.74IK130.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 289 Abs. 2 S. 2 InsO
- § 725 ZPO
Fundstellen
- NZI 2008, 756-758 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI (Beilage) 2009, 32 (red. Leitsatz)
- Rpfleger 2008, 441 (red. Leitsatz)
- ZVI 2008, 224-225 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ist eine zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung nicht bestritten, so hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf Antrag eines Gläubigers nach Aufhebung des Verfahrens (§ 289 Abs. 2 Satz 2 InsO) in der sog. Wohlverhaltensperiode eine vollstreckbare Ausfertigung gem. § 725 ZPO zu erteilen.
- 2.
Ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht, ob und im welchen Umfang die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt, steht dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der sog. Wohlverhaltensperiode nicht zu.
- 3.
Eine vorherige Anhörung des Schuldners/-Vertreters ist nicht erforderlich (§ 4 InsO i.V.m. § 730 ZPO).
- 4.
Gegen die Entscheidung findet die Erinnerung gem. § 732 Abs. 1 ZPO statt.
Tenor:
Die Erinnerung des Schuldners vom 18./20.03.2008 gegen den am 11.03.2008 vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über einen Teilbetrag in Höhe von 9.516,59 EUR erteilten vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle für die Gläubigerin G. (0/lfd. Nr. 2) wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Auf Antrag des Schuldners ist am 15.12.2000 unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und mit Beschluss vom 15.02.2002 dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt worden. Die siebenjährige Wohlverhaltensperiode endet am 17.10.2009.
Für die Gläubigerin lfd. Nr. 2 sind in der Insolvenztabelle Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 20.576,44 DM festgestellt. Mit Schreiben vom 18.02.2008 hat die Gläubigerin die Erteilung eines vollstreckbaren Auszuges aus der Tabelle über den Betrag von 9.516,59 EUR beantragt. Zur Begründung hat die Gläubigerin ausgeführt, es handele sich um nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gem. § 266 a StGB, die in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB eine Forderung aus unerlaubter Handlung darstelle, die gem. § 302 Nr. 1 InsO nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werde. Weiter hat die Gläubigerin darauf hingewiesen, dass aufgrund der zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung geltenden Gesetzeslage eine Anmeldung der Forderung aus unerlaubter Handlung zur Tabelle nicht möglich war.
Am 11.03.2008 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle eine vollstreckbare Ausfertigung hinsichtlich des Teilbeitrages antragsgemäß erteilt und Schuldner sowie Schuldnervertreter davon informiert.
Der Schuldnervertreter hat mit bei Gericht am 20.03.2008 eingegangenen Schriftsatz vom 18.03.2008 die Auffassung vertreten, eine vollstreckbare Ausfertigung habe nicht erteilt werden dürfen. Zur Begründung weist er darauf hin, dass der an den Sozialversicherungsträger abzuführende Arbeitsnehmeranteil sich auf 50% belaufe, so dass allenfalls in Höhe von 5.260,28 EUR ein vollstreckbarer Auszug habe erteilt werden dürfen. Weiter sei die Gläubigerin verpflichtet gewesen, die Arbeitnehmeranteile nach Monaten aufzuschlüsseln, so dass überprüft werden könne, ob die Angaben zutreffend seien. Zudem hätte der Anspruch auf rechtliches Gehör erfordert, den Schuldner vor Erteilung des Tabellenauszuges anzuhören.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat den Schriftsatz vom 18.03.2008 als Erinnerung angesehen und nach Nichtabhilfe dem Abteilungsrichter vorgelegt.
II.
Der zulässige Rechtsbehelf ist unbegründet.
1)
Gem. § 201 InsO hat der Gläubiger einen Anspruch auf einen mit einer Vollstreckungsklausel versehenen Auszug aus der Tabelle, die gem. § 4 InsO i.V.m. § 724 ZPO vom Urkundsbeamten des Insolvenzgerichtes zu erteilen ist (FK-InsO/Kießner § 201 Rz. 10). Bei Erteilung einer Klausel kann der Schuldner Einwendungen sowohl mit der Erinnerung gem. § 732 ZPO als auch mit der Klage gem. § 768 ZPO geltend machen (Zöller/Stöber ZPO, § 724 Rz. 13). Der besondere Rechtsbehelf des § 732 PZO geht der sofortigen Erinnerung gem. § 573 ZPO vor (Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO § 732 Rz. 1). Zuständig zur Entscheidung ist der Richter.
2)
Der zulässige Rechtsbehelf ist jedoch unbegründet. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, dem eine Abhilferecht zusteht (Zöller/Stöber, ZPO, § 732 Rz. 14), hat zu Recht die vollstreckbare Ausfertigung erteilt. Im Rahmen des § 732 ZPO können nur formelle Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel geltend gemacht werden (Zöller/Stöber ZPO, § 732 Rz. 5 ff.).
a)
Der Schuldner befindet sich nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der sogenannten Wohlverhaltensperiode. In Abweichung von § 201 Abs. 1 InsO können Insolvenzgläubiger gem. § 294 Abs. 1 InsO zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen den Schuldner nicht vollstrecken. Insolvenzgläubigern steht jedoch ein Anspruch zu auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung. Die vormalige gegenteilige Auffassung des erkennenden Gerichtes (AG Göttingen ZInsO 2005, 668[AG Göttingen 06.06.2005 - 74 IN 215/03]) ist überholt durch die Rechtsprechung des Landgerichtes Göttingen (ZInsO 2005, 1113 = NZI 2005, 689 = ZVI 2005, 554). Danach hat jeder Insolvenzgläubiger das Recht, unmittelbar nach Wegfall des Vollstreckungsverbotes des § 294 Abs. 1 InsO Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Das gilt zunächst für auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beruhende Forderungen, die gem. § 302 Nr. 1 InsO nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werden. Auch bei sonstigen Insolvenzforderungen besteht ein Rechtschutzinteresse im Hinblick auf die Möglichkeit einer Versagung der Restschuldbefreiung gem. §§ 296 -298 InsO bzw. den Widerruf gem. § 303 InsO.
b)
Die Entscheidung des Urkundsbeamten ist verfahrensrechtlich korrekt. Eine vorherige Anhörung des Schuldners war nicht erforderlich, wie sich aus § 730 ZPO ergibt (Zöller/Stöber ZPO, § 724 Rz. 10).
c)
Weiter ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle - jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstadium - weder berechtigt noch verpflichtet, eine inhaltliche Überprüfung vorzunehmen. Seine Aufgabe ist lediglich zu prüfen, ob Antrag und Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausfertigung vorliegen (Zöller/Stöber, ZPO, § 724 Rz. 10). Die Voraussetzungen beschränken sich auf Gläubiger- und Schuldnerstellung der bezeichneten Beteiligten sowie wirksamen Bestand, Vollstreckbarkeit und vollstreckungsfähigen Inhalt des Titels (Zöller/Stöber ZPO, § 724 Rz. 3 - 7, § 732 Rz. 6 - 11). Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen gewahrt.
3)
Entgegen der Auffassung des Schuldners durfte ein vollstreckbarer Auszug nicht allenfalls in Höhe des hälftigen Betrages von 5.260,28 EUR erfolgen. Weiter war die Gläubigerin nicht verpflichtet, die Arbeitnehmeranteile nach Monaten aufzuschlüsseln.
a)
Es ist - jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstadium - nicht Aufgabe des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, nachzuprüfen, ob und im welchen Umfang die Forderung des Gläubigers von der Restschuldbefreiung erfasst wird oder eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung bildet, die gem. § 302 Nr. 1 InsO auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung weiter geltend gemacht werden kann. Diese Frage muss notfalls im Prozesswege zwischen den Parteien geklärt werden. Die daraus resultierende Problematik hat der Gesetzgeber auch erkannt und durch das InsO-Änderungsgesetz vom 26.10.2001 den § 174 Abs. 2 InsO dahin ergänzt, dass der Gläubiger bei Anmeldung der Forderung auch die Tatsachen anzugeben hat, aus denen sich eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners ergibt. Der Schuldner ist gem. § 175 Abs. 2 InsO über sein Recht zum Widerspruch zu belehren. Unterlässt er den Widerspruch oder erstreitet der Gläubiger bei Widerspruch des Schuldners ein Feststellungsurteil, kann der Gläubiger nach Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 302 Nr. 1 InsO die Forderung weiter vollstrecken.
In dem vorliegenden, vor dem 1.12.2001 eröffneten Altverfahren gilt diese Gesetzeslage nicht mit der Folge, dass ein Streit der Parteien im Prozesswege auszutragen ist. Der Schuldner kann gegen eine Vollstreckung nach Erteilung der Restschuldbefreiung Rechtsbehelfe erheben. Dafür steht i.d.R. die Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO zur Verfügung (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, § 732 Rz. 13). Eine Klage gem. § 768 ZPO scheidet aus, da die Vorschrift des § 725 ZPO dort nicht aufgeführt ist (vgl. Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO § 732 Rz. 8).
Ob eine Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO gegen eine mögliche Vollstreckung nach Erteilung der Restschuldbefreiung bereits im gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist, kann dahinstehen. Unter Berücksichtigung der Argumentation des LG Göttingen (s. o. 2a), dem Gläubiger unmittelbar nach Wegfall des Vollstreckungshindernisses des § 294 Abs. 1 InsO die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen, ist zu überlegen, dem Schuldner auch aus Gründen der Waffengleichheit und des effektiven Rechtsschutzes diese Befugnis einzuräumen.
Die damit verbundene zusätzliche Belastung des Zivilgerichte (und der Landeshaushalte im Hinblick auf dem Schuldner häufig zu gewährende Prozesskostenhilfe) durch die Einlegung von Rechtsbehelfen liegt auf der Hand. Es handelt sich auch nicht um ein sich durch Zeitablauf erledigendes Problem, da die vor dem 1.12.2001 eröffneten Verfahren auch unter Berücksichtigung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO a.F. (Beginn der Laufzeit der Abtretungserklärung erst mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens) voraussichtlich ab dem Jahr 2010 im Wesentlichen "abgearbeitet" sein werden. Der Entwurf eines Entschuldungsgesetzes (das 2009 in Kraft treten soll), sieht keine Vorkehrungen vor, bei dem geplanten Verzicht der Eröffnung bei masselosen Verfahren und dem damit verbundenen Wegfall der Forderungsanmeldung eine frühzeitige Feststellung zu treffen, ob eine Forderung (teilweise) aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt und von der Restschuldbefreiung nicht erfasst wird (krit. dazu Stephan NZI 2006, 671, 675; Schmerbach NZI 2007, 198, 201; Frind ZInsO 2007, 1097, 1101 f.; Vallender NZI 2007, 617, 620; Schmerbach NZI 2007, 710, 711). Die Folge wird sein, dass nach erneuter Änderung der InsO der alte, unbefriedigende Rechtszustand wieder auflebt mit den oben aufgezeigten Konsequenzen.
b)
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Schuldner sich noch in der sogenannten Wohlverhaltensperiode befindet und eine Restschuldbefreiung noch nicht erteilt worden ist. Es ist möglich, dass eine Restschuldbefreiung gem. §§ 295 ff. InsO versagt wird. Grundsätzlich hat ein Gläubiger sogar einen Anspruch darauf, dass eine vollstreckbare Ausfertigung über den gesamten, zur Tabelle angemeldeten und nicht bestrittenen Betrag erteilt wird, wie sich aus der Begründung der oben 2 a) erwähnten Entscheidung des Landgerichtes Göttingen (ZInsO 2005, 1113 = NZI 2005, 689 = ZVI 2005, 554) ergibt. Dies gilt im Übrigen auch für die nach dem 01.12.2001 eröffneten Verfahren.
4)
Zusammenfassend gilt:
a)
Nach Aufhebung des Verfahrens (§ 289 Abs. 2 Satz 2 InsO) in der sog. Wohlverhaltensperiode hat der Gläubiger bei unbestrittenen Forderungen Anspruch auf Erteilung eines vollstreckbaren Tabellenauszuges in voller Höhe.
b)
Nach Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 InsO) ist zu differenzieren.
In den nach dem 1.12.2001 eröffneten Verfahren kann darauf abgestellt werden, ob die Forderung in der Tabelle als aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammend festgestellt ist.
In den Altverfahren (vor dem 1.12.2001 eröffneten Verfahren) ist eine Überprüfung anhand der Tabelle ist ausgeschlossen, da entsprechende Eintragungen aufgrund der damaligen Gesetzeslage nicht erfolgten. Ob in diesen Fällen der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel zu erteilen und der Schuldner ggf. den Klageweg gem. § 767 ZPO zu beschreiten hat (MK-InsO/Stephan § 301 Rz. 21) oder dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ein wie auch immer geartetes Recht zu einer Überprüfung zusteht, kann im vorliegenden Fall dahinstehen und bleibt der Entscheidung in einem anderen Verfahren vorbehalten, in dem sich diese Problematik stellt.
5)
Im Hinblick auf die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 ZPO wird der Beschluss dem Schuldnervertreter förmlich zugestellt.