Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 25.04.2008, Az.: 74 IN 32/08
Abtretung; Aufhebung; Aufhebungsgrund; Auskunftspflicht; Bagatellverstoß; Beteiligung; Einsichtsmöglichkeit; Einstellung; Erstverfahren; Eröffnung; Forderung; Geschäftsführerstellung; Gläubigerantrag; GmbH; grobe Fahrlässigkeit; Insolvenzantrag; Insolvenzgläubiger; Insolvenzverfahren; Insolvenzverwalter; Masse; Masseunzulänglichkeit; Missbrauchsmöglichkeit; Nichtangabe; Nichterreichbarkeit; Pflichtverletzung; Prioritätsgrundsatz; Restschuldbefreiungsverfahren; Schuldner; Stundung; Treuhänder; unrichtige Angabe; Verfahren; Verfahrensablauf; Verfahrenseinstellung; Verfahrenskosten; Verfahrenskostenstundung; Verfügungsbefugnis; Versagungsgrund; Verschweigen; Verwaltungsbefugnis; Werthaltigkeit; Wohlverhaltensperiode; Zweitverfahren
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 25.04.2008
- Aktenzeichen
- 74 IN 32/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55127
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4c Nr 1 Halbs 1 InsO
- § 4c Nr 5 InsO
- § 211 InsO
- § 290 Abs 1 Nr 3 InsO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Gibt der Schuldner nicht an, dass er sich in einem anderen Insolvenzverfahren in der Wohlverhaltensperiode befindet, macht er hat unrichtige Angaben zu Umständen, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgeblich sind (§ 4 c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO).
2. Grob fahrlässig handelt ein Schuldner, der nach einer schriftlichen Mitteilung des Insolvenzgerichtes über die Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 211 InsO) keinen Kontakt zum Treuhänder hält, sich auch ansonsten nicht über den Verfahrensablauf informiert und in einem Zweitverfahren das Erstverfahren nicht angibt.
3. Weiter liegt in einem solchem Fall der Aufhebungsgrund des § 4 c Nr. 5 InsO vor, weil der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch erfüllt ist, wenn ein Schuldner während eines laufenden Insolvenz-/Restschuldbefreiungsverfahrens einen erneuten Insolvenzantrag stellt (AG Göttingen, Beschluss vom 06.03.2008 - 74 IN 34/08).
Tenor:
Die im Beschluss vom 26.02.2008 bewilligte Stundung wird aufgehoben.
Gründe
I. Aufgrund Eigenantrages ist über das Vermögen des Schuldners am 26.02.2008 das Insolvenzverfahren unter Bewilligung von Stundung eröffnet worden. Das Verfahren ist verbunden mit dem Verfahren 74 IN 33/08, in dem rückständige Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum September bis Dezember 2007 geltend gemacht wurden. Das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis weist sechs Gläubiger mit einer Gesamtforderungssumme in Höhe von ca. 15.000 € auf.
Mit Schriftsatz vom 26.03.2008, ergänzt durch Schriftsatz vom 04. 04. 2008, hat der Insolvenzverwalter die Aufhebung der Stundung der Verfahrenskosten gem. § 4 c Nr. 1 InsO angeregt mit folgender Begründung:
1. Über das Vermögen des Schuldners ist beim Amtsgericht Charlottenburg (108 IN 2101/03) ein Insolvenzverfahren anhängig, in dem mit Beschluss vom 13.12.2004 die Restschuldbefreiung angekündigt und ein Treuhänder bestellt worden ist. Aus dem (letzten) Bericht des Treuhänders vom 19.02.2008 ergibt sich, dass die (dortigen) Verfahrenskosten dem Schuldner gestundet sind. Nach den weiteren Angaben des Treuhänders ist der Schuldner unbekannt verzogen und telefonisch nicht erreichbar, so dass er keinerlei Erkenntnisse über die aktuelle Einkommenssituation des Schuldners hat. Abschließend führt der Treuhänder aus, dass eine Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 298 Abs. 1 InsO nicht in Betracht komme und dass er in Anbetracht des unbekannten Aufenthaltes des Schuldners gegenüber der Landeskasse abrechnen werde.
2. Es existiert ein weiterer Gläubiger (M- GmbH), der eine Hauptforderung in Höhe von 1.117,36 € gegen den Schuldner geltend macht.
3. Der Schuldner ist eingetragener Geschäftsführer einer GmbH.
Der Schuldner weist demgegenüber auf folgendes hin:
1. Das AG Charlottenburg stellte mit Beschluss vom 03.02.2005 nach rechtskräftiger Ankündigung der Restschuldbefreiung und Abhaltung des Schlusstermins wegen Masseunzulänglichkeit das Verfahren gem. § 211 InsO ein. Wegen der Einstellung des Verfahrens habe er es dem Insolvenzverwalter im vorliegenden Verfahren gegenüber nicht erwähnt.
2. Er sei davon ausgegangen, auch die Forderungen der nicht aufgeführten Gläubigerin eingereicht zu haben.
3. Er habe seine Geschäftsführertätigkeit gekündigt und der Mitgeschäftsführerin seine Gesellschafteranteile angeboten. Die Gesellschaft sei nie tätig gewesen, Einnahmen aus ihr erziele er nicht.
II. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Stundung gem. § 4 c InsO liegen aus mehreren Gründen vor.
1) Die Stundung ist gem. § 4c Nr. 1 InsO aufzuheben.
a) Der Schuldner hat zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben zu Umständen gemacht, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgeblich sind (§ 4 c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO). Über das Vermögen des Schuldners ist bereits ein Insolvenzverfahren anhängig, das sich inzwischen in der sogenannten Wohlverhaltensperiode befindet. Ein Zweitinsolvenzverfahren kann in diesem Stadium aufgrund eines Gläubigerantrages zwar durchgeführt werden (AG Göttingen ZInsO 2007, 1164 = ZVI 2007, 534 = NZI 2008, 56 = Rpfleger 2008, 157). Im vorliegenden Fall ist aber keine Masse vorhanden, so dass der Gläubigerantrag wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 26 InsO abgewiesen worden wäre, da die Antragstellerin nicht zur Leistung eines Kostenvorschusses bereits war.
b) Die Verfahrenseröffnung erfolgte nur aufgrund der dem Schuldner bewilligten Stundung. Die auf den Insolvenzverwalter übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) des Zweitinsolvenzverfahrens würde mit der Abtretung gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO im Erstinsolvenzverfahren kollidieren. Sofern das Zweitinsolvenzverfahren ebenfalls in die Wohlverhaltensperiode gelangt, würden die beiden Abtretungserklärungen gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO kollidieren. Ob hinsichtlich des letztgenannten Punktes ein Prioritätsgrundsatz für die Abtretung im Erstinsolvenzverfahren (Beschluss AG Göttingen 26.02.2008 - 74 IN 302/07 unter Hinweis auf Zipperer ZVI 2007, 541, 543 f., der den Abführungsbeträgen für die Erstinsolvenz einen Absonderungsstatus gemäß § 51 Nr. 1 InsO zuerkennen will) besteht, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass der Schuldner dem Insolvenzgericht für die Entscheidung über die Eröffnung und damit für die Stundung maßgebende Informationen vorenthalten hat.
c) Der Schuldner hat zumindestens grob fahrlässig gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Er muss einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und das nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BGH ZInsO 2006, 370, 371). Der objektive Verstoß indiziert grobe Fahrlässigkeit. Abzustellen ist auf die Einsichtsmöglichkeiten des Schuldners im konkreten Einzelfall (Hambk-InsO/Streck § 290 Rz. 19). Zwar hat das Amtsgericht Charlottenburg mit Beschluss vom 02.03.2005 unter Bezugnahme auf die Rechtskraft der Ankündigung der Restschuldbefreiung das Verfahren wegen Masseunzulänglichkeit gem. § 211 InsO eingestellt. Nicht einmal zwei Monate zuvor war dem Schuldner aber mit Beschluss vom 13.12.2004 die Restschuldbefreiung angekündigt und ein Treuhänder bestellt worden. Regelmäßig schreiben Gericht und Treuhänder Schuldner an und belehren sie über ihre Pflichten. Ob dies auch im vorliegenden Fall sich so verhält und der Treuhänder überhaupt Kontakt zum Schuldner hatte, kann letztlich dahinstehen. Der Schuldner hat sich nicht einmal ansatzweise mit dem Ablauf eines Insolvenzverfahrens vertraut gemacht, in dem er Restschuldbefreiung beantragt hat. Durch eine Nachfrage beim Treuhänder hätte er sich Klarheit verschaffen können.
2) Darüber hinaus ist die Stundung gem. § 4 c Nr. 5 InsO aufzuheben.
a) Dem Schuldner ist die Restschuldbefreiung zwar nicht versagt worden. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt eine Aufhebung der Stundung in Betracht, wenn bei einem der Schuldner einer der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 und Nr. 3 InsO vorliegt. Diese Aufzählung ist allerdings nicht abschließend. Bei der Ablehnung einer beantragten Stundung kann über den Wortlaut des § 4a Abs. 1 Satz 3 InsO hinaus jeder Versagungsgrund des § 290 berücksichtigt werden (BGH NZI 2005, 232 = ZVI 2005, 124 = ZInsO 2005, 207). Dies gilt auch dann, wenn über die Aufhebung einer bewilligten Stundung zu entscheiden ist (LG Göttingen ZInsO 2005, 1340).
b) Im vorliegenden Fall hat der Schuldner eine Gläubigerin verschwiegen. Deren Forderung liegt zugrunde die Anmietung eines Kraftfahrzeuges im Zeitraum vom 08.10. bis 16.10.2007. Mit Rechnung vom 17.10.2007 wurde ein Betrag von 1.707,36 € geltend gemacht, unter Berücksichtigung einer Anzahlung von 590 € verblieb eine Restforderung von 1.117,36 €. Diese Hauptforderung zzgl. Nebenforderung, insgesamt 1.279,25 €, ließ die Gläubigerin mit Anwaltschreiben vom 20.11.2007 unter Fristsetzung zum 30.11.2007 einfordern. Der Schuldner hat danach seine Auskunftspflichten zumindestens grob fahrlässig verletzt (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Der Schuldner kann sich nicht darauf berufen, er sei irrig davon ausgegangen, die Forderung der Gläubigerin angegeben zu haben. Im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis sind sechs Gläubiger aufgeführt. Nachvollziehbare Anhaltspunkt, weshalb der Schuldner eine wenige Wochen vor Unterzeichnung des Antrages am 29.01.2008 anwaltlich angemahnte Forderung, die zudem nur wenige Wochen zuvor begründet worden war, vergessen hat, sind nicht ersichtlich und vorgetragen.
c) Darüber hinaus hat der Schuldner seine Beteiligung und Geschäftsführerstellung an einer GmbH verschwiegen. Der Schuldner beruft sich darauf, dass die Gesellschaft nie tätig war, er habe seine Geschäftsführertätigkeit gekündigt, seine Gesellschaftsanteile der Mitgeschäftsführerin/-gesellschafterin angeboten und kein Einkommen erzielt. Zur vergleichbaren Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO hat der BGH (ZInsO 2004, 920 = ZVI 2004, 490 = NZI 2004, 633) entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Befriedigung der Gläubiger beeinträchtigt wird. Im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO lässt der BGH die Frage bisher offen (BGH ZinsO 2007, 96, 97). Beide Fälle dürften aber gleich zu behandeln sein. Die Werthaltigkeit nachzuprüfen ist Aufgabe des Sachverständigen/Insolvenzverwalters. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um einen unwesentlichen Verstoß handelt. Ein so genannter Bagatellverstoß (HambK-Streck § 290 Rn. 35, 38) kann nicht bejaht werden.
3) Schließlich liegt der Versagungsgrund des § 290 Abs.1 Nr. 3 InsO vor. Nach dem Beschluss des Amtsgerichtes Göttingen vom 06.03.2008 (74 IN 34/08) greift der Versagungsgrund auch ein, wenn ein Schuldner während eines laufenden Insolvenz-/Restschuldbefreiungsverfahrens einen erneuten Insolvenzantrag stellt.
4) Die Entscheidungsbefugnis hat der Richter gem. § 18 Abs. 2 Satz 3 RpflG an sich gezogen. Das Insolvenzgericht hat sein Ermessen dahin ausgeübt, die Stundung aufzuheben. Das Verhalten des Schuldners stellt sich als eine schwere Pflichtverletzung dar, die eine Aufhebung der Stundung rechtfertigt. Dies gilt auch hinsichtlich des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Auch wenn es sich - soweit ersichtlich - bei dem Beschluss des Amtsgerichtes Göttingen vom 06.03.2008 (74 IN 34/08) um die erste Entscheidung zu diesem Problemkreis handelt, bleibt die Feststellung, dass der Schuldner das Insolvenzgericht zumindest grob fahrlässig (s. o. 1c) nicht über das laufende Erstinsolvenzverfahren informiert hat. Bei Information wäre der Stundungsantrag zurückgewiesen worden, eine Eröffnung aufgrund des Gläubigerantrages wäre aufgrund der Masselosigkeit nicht erfolgt, der Schuldner hätte sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Stundungsantrages einlegen können.
III. Das Insolvenzgericht wird dem AG Charlottenburg eine Abschrift seiner Entscheidung übersenden, damit dort die für erforderlich erachteten Maßnahmen ergriffen werden können, falls nicht bereits die dort bewilligte Stundung im Hinblick auf die Nichterreichbarkeit des Schuldners aufgehoben worden ist (vgl. dazu Schmerbach Insbüro 2005, 402, 406).
IV. Abschließend ist zu bemerken, dass der Insolvenzverwalter des vorliegenden Verfahrens von einem Insolvenzgläubiger auf das Erstverfahren beim Amtsgericht Charlottenburg hingewiesen wurde. De lege ferenda könnte zu prüfen sein, ob wegen der offensichtlichen Missbrauchsmöglichkeiten nicht eine zentrale Erfassung der Schuldner angezeigt ist, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Restschuldbefreiung eröffnet ist, die sich in der Wohlverhaltensperiode befinden oder denen innerhalb der letzten 10 Jahre Restschuldbefreiung erteilt oder (gem. §§ 296, 297 InsO) versagt worden ist (vgl. Henning ZInsO 2003, 787).