Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 06.06.2008, Az.: 74 IN 314/01
Folgen der Fristsetzung für die Anhörung über die Erteilung der Restschuldbefreiung; Zeitnahe Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 06.06.2008
- Aktenzeichen
- 74 IN 314/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 36002
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2008:0606.74IN314.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 290 InsO
- § 300 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- NZI 2008, VIII Heft 9 (amtl. Leitsatz)
- ZVI 2008, 499-501 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Setzt der Rechtspfleger zur Anhörung über die Erteilung der Restschuldbefreiung den Insolvenzgläubigern gem.§ 300 Abs. 1 InsO eine Frist, so sind auch nach Fristablauf eingehende Versagungsanträge zu beachten bis zu dem Zeitpunkt, in dem über die Erteilung der Restschuldbefreiung entschieden wird.
- 2.
Nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung ist zeitnah über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden. Ist die Verteilung noch nicht vollzogen, ist das Verfahren unabhängig davon weiter fortzusetzen und zu beenden.
Tenor:
Dem Schuldner wird in dem am 17.01.2002 eröffneten Verfahren gem. § 300 InsO die Restschuldbefreiung erteilt. Mit der Rechtskraft dieser Entscheidung endet die Beschränkung der Rechte der Insolvenzgläubiger. Die Laufzeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders sind bereits beendet.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe
I.
Aufgrund Eigenantrages des Schuldners ist am 17.01.2002 über sein Vermögen unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet und nach Rechtskraft des Beschlusses über die Ankündigung der Restschuldbefreiung am 09.09.2003 aufgehoben worden. Mit Schreiben vom 14.01.2008, im Internet am 15.01.2008 veröffentlicht, hat die Rechtspflegerin unter Hinweis auf das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) am 17.01.2008 auf die beabsichtigte Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 300 Abs. 1 InsO hingewiesen und Gläubigern Gelegenheit gegen, bis zum 07.02.2008 Einwendungen zu erheben. Mit Schreiben vom 10.03.2008 hat der Treuhänder mitgeteilt, dass die Verteilung noch nicht habe stattfinden können, da dem Schuldner für den Zeitraum vom 09.09.2007 bis 17.01.2008 ein Betrag in Höhe von 94,33 EUR als Motivationsprämie in Höhe von 10% gem. § 292 InsO zusteht, der ihm mangels Kenntnis der Bankverbindung noch nicht überwiesen werden konnte. Anfang April ist die Anfrage eines Gläubigers eingegangen, ob dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wurde.
Mit bei Gericht am 11. 04. 2008 eingegangenen Schreiben vom 09.04.2008 hat die Antragstellerin Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Sie beruft sich darauf, dass der Schuldner im August 2007 bei ihr einen Ratenkredit in Höhe 60.500 EUR für medizinische Behandlung seiner Ehefrau sowie Ablösung von Krediten bei der Antragstellerin und der Ford Bank beantragt habe. Der Schuldner habe das Insolvenzverfahren nicht erwähnt, auch eine Schufa-Auskunft habe keine Kenntnis erbracht. Aufgrund eines Systemfehlers sei das Geld an den Schuldner ausgezahlt worden. Der Schuldner habe sich zur Rückzahlung in kleinen Raten bereit erklärt, anderenfalls ein erneutes Insolvenzverfahren angekündigt.
II.
Die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung liegen nicht vor, da der Antrag im Ergebnis sowohl unzulässig (1.) als auch unbegründet (2.) ist. Dem Schuldner ist gem. § 300 Abs. 1 InsO Restschuldbefreiung zu erteilen, obgleich die Verteilung noch nicht abgeschlossen ist (3.)
1.
Der Antrag ist unzulässig.
a)
Der Antrag ist allerdings nicht deshalb unzulässig, weil er erst nach Ablauf der von der Rechtspflegerin gesetzten und im Internet bekannt gemachten Frist bis zum 07.02.2008 bei Gericht eingegangen ist. Gesetzlich geregelt ist, dass ein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gem.§ 290 InsO nur im Schlusstermin gestellt werden kann bzw. - bei Anordnung des schriftlichen Verfahrens gem. § 5 Abs. 2 InsO - bis zu dem vom Insolvenzgericht festgesetzten Termin zur Stellung von Versagungsanträgen. Danach eingehende Anträge sind unzulässig. Das geplante Gesetz zur Entschuldung mittelloser Personen will in diesem Zusammenhang in einem neu einzufügenden § 297 a InsO die nachträgliche Geltendmachung von Versagungsgründen nach§ 290 Abs. 1 InsO innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten nach nachträglicher Kenntnisnahme zulassen.
Für die Geltendmachung von Versagungsgründen gem. §§ 295, 297 InsO enthält das Gesetz als einzige zeitliche Schranke das Erfordernis, dass der Antrag nur binnen eines Jahres nach Kenntnis des Gläubigers von der Obliegenheitsverletzung gestellt werden kann (§ 296 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) ist über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden, eine Versagung kommt im Wesentlichen wegen Verstoßes gegen Obliegenheiten gem.§§ 295, 297 InsO in Betracht. § 300 Abs. 1 InsO schreibt vor, dass über die Erteilung der Restschuldbefreiung u.a. nach Anhörung der Insolvenzgläubiger zu entscheiden ist. Dazu setzt die Praxis regelmäßig eine Frist von mindestens zwei Wochen, die auch mittels öffentlicher Bekanntmachung gem.§ 9 InsO den Gläubigern zur Kenntnis gebracht wird. Da die InsO für die Geltendmachung von Versagungsanträgen gem. §§ 295, 297 InsO neben der Frist von einem Jahr seit Kenntnisnahme der Gläubiger von der Obliegenheitsverletzung keine weiteren Fristen enthält, sind auch nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist eingegangene Versagungsanträge solange beachtlich, bis das Insolvenzgericht über die Erteilung der Restschuldbefreiung entschieden hat (a. A. Hambk-InsO/Streck § 300 Rz. 3; FK-InsO/Ahrens § 300 Rz. 6; MK-InsO/Stephan § 300 Rz. 15; Uhlenbruck/Vallender § 300 Rz. 2). Ergeht die Entscheidung des Insolvenzgerichtes in Unkenntnis eines erst wenige Tage zuvor oder am Tage der Entscheidung eingegangenen Antrages, bleibt dem Antragsteller dagegen die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gem. § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn das Insolvenzgericht eine mündliche Anhörung in einem Termin durchführt. Dann wäre die Rechtslage vergleichbar einem Schlusstermin gem. § 290 InsO.
b)
Der Antrag ist aber unzulässig, weil die Antragstellerin nicht Insolvenzgläubigerin im Sinne des § 38 InsO ist. Die Antragstellerin hatte nicht zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner, sondern hat ihn erst später erworben.
2.
Der Antrag ist im Übrigen auch unbegründet. Der von der Antragstellerin dargelegte Sachverhalt fällt nicht unter die in§§ 300 Abs. 2, 295, 297 InsO aufgeführten Versagungstatbestände.
3.
Die Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung ist auch zu treffen, obgleich die Verteilung noch nicht stattgefunden hat. Dabei kann dahinstehen, ob ein praktikabeler Weg die Zurückbehaltung des an den Schuldner auszukehrenden Betrages von 94,33 EUR gewesen wäre. Schwierigkeiten könnten sich ergeben, wenn eine Auskehr des Betrages nicht möglich ist.
§ 300 Abs. 1 InsO fordert nämlich eine Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen ist. Ein weiteres Zuwarten ist nicht gerechtfertigt. Die Laufzeit der Abtretungserklärung endete im vorliegenden Fall gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO mit Ablauf des 17.01.2008. Zugleich endete das Amt des Treuhänders gem.§ 291 Abs. 2 InsO (Uhlenbruck/Vallender § 292 Rz. 10).
Weiter ist zu bedenken, dass gem. § 294 Abs. 1 InsO Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht zulässig sind. Dieser Vollstreckungsschutz gilt nicht nur bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO), sondern bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Erteilung oder Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 300 InsO (HK-InsO/Streck § 294 Rz. 5; MK-InsO/Stephan § 300 Rz. 7) bzw. bis zur vorzeitigen Beendigung gem. § 299 InsO (FK-InsO/Ahrens § 294 Rz. 18; Schmerbach in: Präsenzkommentar Haarmeyer/Wutzke/Förster § 294 InsO Rz. 9). Der Schuldner soll aber einerseits keinen unberechtigten Vollstreckungsschutz gem.§ 294 Abs. 1 InsO erhalten gegenüber Insolvenzgläubigern, die gem. § 302 Nr. 1 InsO vollstrecken können und in Konkurrenz mit Neugläubigern stehen können. Andererseits soll die 10-Jahresfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht unangemessen verlängern werden.
Auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung kann das Insolvenzverfahren noch fortgesetzt werden. Die Obliegenheiten des§ 295 InsO gelten allerdings nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht fort (Schmerbach in: Präsenzkommentar Haarmeyer/Wuttke/Förster § 300 Rz. 9; FK-InsO/Ahrens § 300 Rz. 11, siehe auch Schmerbach in: Präsenzkommentar Haarmeyer/Wuttke/Förster § 300 Rz. 12). Auch wenn das Amt des Treuhänders mit dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung endet (Uhlenbruck/Vallender § 292 Rz. 10), bleibt die Verpflichtung zur Abwicklung des Verfahrens bestehen.
4.
Im Beschlusstenor hat das Insolvenzgericht konstitutiv ausgesprochen, dass
dem Schuldner in dem am 17.01.2002 eröffneten Verfahren gem. § 300 InsO Restschuldbefreiung erteilt wird
und mit der Rechtskraft dieser Entscheidung die Beschränkung der Rechte der Gläubiger (gem.§ 294 InsO) endet.
Zur Klarstellung ist weiter ausgesprochen, dass
und die Laufzeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders bereits beendet sind.
5.
Die öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses wird erst nach Rechtskraft erfolgen (AG Göttingen ZVI 2007, 87 = NZI 2007, 251; Schmerbach in: Präsenzkommentar Haarmeyer/Wuttke/Förster § 300 Rz. 13).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 InsO i.V.m. § 91 ZPO.
Soweit der Schuldner ein erneutes Insolvenzverfahren in Betracht zieht, ist die 10jährige Sperrfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten.