Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.07.1999, Az.: IX 330/96

Abzügsfähigkeit von Aufwendungen für Baukosten und Anschaffungskosten wie Sonderausgaben; Kriterien zur Bestimmung des Zeitraumes "bis zur Eigennutzung von Wohnraum"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.07.1999
Aktenzeichen
IX 330/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19493
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0702.IX330.96.0A

Verfahrensgegenstand

Vorkostenabzug bei überlanger Umbauphase.

Einkommensteuer 1990

In dem Rechtsstreit
hat der IX. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 2. Juli 1999
im Einverständnis der Beteiligten
durch
den Richter am Finanzgericht Dr. als Berichterstatter
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 1990 vom. Dezember 1995 wird geändert und die Einkommensteuer auf 16.110 DM festgesetzt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor entsprechend Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Betrag von 10.027 DM als sog. Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung wie Sonderausgaben abziehen kann.

2

Der Kläger erwarb 1987 ein ehemals landwirtschaftlich genutztes Grundstück. Das Grundstück war mit einem typischen niedersächsischen Hofgebäude (Wohngebäude mit integrierten Stallungen) bebaut. Das Gebäude war ursprünglich von der unteren Denkmalsbehörde als Denkmal erfasst, wegen des fortschreitenden Verfalls jedoch als sog. sterbendes Denkmal aus dem Denkmalkatasterherausgenommen. Der Kaufpreis für das Grundstück betrug 80.000 DM, den der Kläger durch die Aufnahme eines Darlehens über 140.000 DM finanzierte. In den Folgejahren beantragte der Kläger die Steuervergünstigung nach § 10 e Abs. 6 EStG (sog. Aufwendungen vor Bezug), da er nach dem Um- und Ausbau des Gebäudes beabsichtigte, die dabei entstehende Wohnung selbst zu nutzen.

3

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte die Vorkosten zunächst antragsgemäß. Im Streitjahr 1990 lehnte es den Abzug der als Vorkosten geltend gemachten Beträge von insgesamt 10.027 DM (Zinsaufwendungen 9.728 DM, Gebühren 12,50 DM, sonstige Kosten 286 DM) ab und vertrat die Auffassung, nunmehr ständen die Aufwendungen nicht mehr in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der geplanten Selbstnutzung.

4

Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

5

Mit der Klage begehrt der Kläger weiter, die geltend gemachten Aufwendungen vor dem beabsichtigten Bezug wie Sonderausgabensteuermindernd zu berücksichtigen.

6

Er trägt dazu vor, er habe nach dem Kauf 1987 Probleme mit dem Voreigentümer gehabt. Diesen habe er aus dem Objekt herausklagen müssen. Da es sich bei dem Gebäude um ein altes Fachwerkhaus gehandelt habe, habe er für den Umbau zunächst besondere Bautechniken erlernen müssen. Erst danach habe er sich intensivan die Umbauarbeiten herangehen können, die er überwiegend selbst vorgenommen habe. Das Objekt sei jetzt weitgehend fertig gestellt. Er beabsichtige, Ende des Jahres 1999 mit seiner Familie (Ehefrau und ein minderjähriges Kind) in das Objekt einzuziehen. Es fehlten lediglich noch die Sanitäreinrichtungen, die Kücheneinrichtung und Endinstallation der Heizung und des Wasseranschlusses. Für die Gasversorgung sei ein besonderer Tank vorgesehen, der im Herbst 1999 installiert werden solle. Im Gebäude selbst seien die Heizkörper (Fußbodenheizung) bereits vorhanden. Das Haus sei zunächst als sog. sterbendes Denkmaleingeordnet gewesen. Nachdem er mit den Umbauarbeiten begonnen habe, habe es die untere Denkmalschutzbehörde 1990 wieder unter Denkmalschutz gestellt. Die beabsichtigte Selbstnutzung stehe seiner Auffassung nach außer Frage, da er mit seiner Familie zur Zeit eine ca. 45 qm große Wohnung im Hause seiner Eltern bewohne.

7

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1990 vom. Dezember 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom. August 1996 zu ändern und die Steuer unter Berücksichtigung eines Betrags von 10.027 DM als Steuervergünstigung nach § 10 e Abs. 6 EStG (wie Sonderausgaben) niedriger festzusetzen.

8

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Es bleibt bei seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung, die im Jahr 1990 geltend gemachten Aufwendungen ständen nicht mehr in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu der für die Steuervergünstigung notwendigen Selbstnutzung des Gebäudes. Es stehe bis zum heutigen Tage (nach einer Zeit von 8 1/2 Jahren) nicht fest, dass der Kläger die Wohnung tatsächlich zu eigenen Wohnzwecken nutzen werde. Der zeitliche Zusammenhang sei deshalb nicht mehr gegeben.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist begründet.

11

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1990 ist rechtswidrig. Der Kläger wird durch ihn in seinen Rechten verletzt, da das FA die geltend gemachten Vorkosten nicht berücksichtigt hat.

12

Nach § 10 e Abs. 6 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind Aufwendungen als Vorkosten abziehbar, "die bis zum Beginn der erstmaligen Selbstnutzung einer Wohnung i.S.d. Abs. 1 zu eigenen Wohnzwecken entstehen" und die - neben weiteren einschränkenden Voraussetzungen - im Fall der Vermietung oder Verpachtung als Werbungskosten abgezogen werden könnten. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass in dem Bau- und Anschaffungszeitraum anfallenden Kosten, die vor Einführung der Vorschrift bei eigengenutzten Wohnungen als Werbungskostenabziehbar waren, auch künftig steuermindernd berücksichtigt werden können. Der Hinweis auf die eigengenutzte Wohnung in § 10 e Abs. 6 EStG deutet darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Eigennutzung bestehen soll. Nach den Motiven des Gesetzgebers werden vom Förderungszweck des § 10 e Abs. 6 EStG grundsätzlich nur Aufwendungen erfasst, die in den Bau- oder Anschaffungszeitraum fallen. Aus diesem Grunde können Aufwendungen nur dann wie Sonderausgaben abgezogen werden, wenn sie z.B. infolge eines vorübergehenden Leerstehens der Wohnung nach der Anschaffung anfallen (Bundestags-Drucksache 10/3633 S. 16, FG des Saarlandes, Urteile vom 28. Mai 1991, EFG 1991, 611; Urteil des Hessischen FG vom 18. Juli 1994, EFG 1994, 1094). Ebenso wenig wie sich der vom Gesetzeszweck getragene Zeitraum eines "vorübergehenden Leerstehens einer Wohnung" grundsätzlich absolut nicht bestimmen lässt (FG Saarland, Urteil vom 28. Mai 1991, EFG 1991, 611), so lässtsich der Zeitraum "bis zum Beginn" der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken ebenfalls absolut nicht definieren. Die in der Rechtsprechung und Literatur verwendete Formulierung, der Steuerpflichtige müsse sich nach der Anschaffung oder Herstellung ohne schuldhaftes Zögern um die Eigennutzung der Wohnung bemühen, mithin innerhalb eines Zeitraums um die Selbstnutzung bemühen, innerhalb dessen ein Bezug billigerweise erwartet werden kann (FG Saarland, Urteil vom 28. Mai 1991, a.a.O.; Blümich/Erhard, EStG, § 10 Anm. 615) ist eine Leerformel, die für Bestimmung des Zeitraums im Einzelfall nicht weiterhilft. Der Zeitraum ist vielmehr unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu bestimmen.

13

Der Kläger hat die Aufwendungen für Zinsen, Gebühren u.ä. unmittelbar im Zusammenhang mit der Herstellung der Wohnung gemacht. Nach seinem unwidersprochenen Vortrag handelt es sichin der Hauptsache um Kreditkosten des zur Anschaffung aufgenommenen Darlehens. Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung oder des Grund und Bodens liegen demnach nicht vor. Da der Kläger die Wohnung bis Ende des Streitjahres 1990 nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat, liegen insgesamt die Voraussetzungen des § 10 e Abs. 6 EStG vor. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seine Absicht der Selbstnutzung erst gegen Ende 1999 verwirklichen kann. Die bislang vom FA nicht in Abrede gestellte Absicht des Klägers, die Wohnung in jedem Fall selbst zu nutzen, ist bis Ende des Streitjahres nicht erschüttert. Vielmehr sprechen die aus den Akten ersichtlichen Umstände und die Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Selbstnutzung nach wie vor ernsthaft gewollt ist.

14

Der Kläger wohnt mit seiner dreiköpfigen Familie in einer relativ kleinen Wohnung im Hause der Eltern. Er hat das zunächst als geschütztes Denkmal erfasste und später verfallene niedersächsische Fachwerkhaus vom Anbeginn an in der Absicht erworben, es mit seiner Familie selbst zu nutzen. Davon ist auch das beklagte Finanzamt ausgegangen, indem es in den ersten Jahren nach der Anschaffung den Abzug der Vorkosten zugelassen hat. Die vom Kläger vorgelegten Fotos vom ursprünglichen Zustand des Gebäudes und dem nahezu fertig restaurierten Zustand zeigen, dass das Gebäude unter erheblichen Schwierigkeiten restauriert und mit modernem Komfort ausgestattet wurde. Der Kläger hat in Eigenarbeit nicht nur ein altes Gebäude umgebaut, sondern unter Beibehaltung der ursprünglichen Fachwerkeigenschaften ein neues Wohngebäude hergestellt. Überwiegend hat er die dafürnotwendigen Arbeiten selbst vorgenommen und dabei den Fachwerkhauscharakter erhalten. Weiterhin ist bei der Beurteilung des Zeitraums bis zur erstmaligen Selbstnutzung zu beachten, dass der Kläger nicht unmittelbar nach der Anschaffung des Grundstücks mit den Arbeiten beginnen konnte. Die Arbeiten haben sichaufgrund der Probleme mit dem Voreigentümer nach den glaubhaften Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung verzögert. Bei einer Gesamtschau des Streitfalles, der geprägt ist durch die Art des angeschafften Gebäudes, durch seinen fortgeschrittenen Zerfall, den Wiederaufbau unter Beibehaltung des typischen Fachwerkchrakters und Anpassung an modernen Wohnkomfort, die Wiederaufnahme des Gebäudes in das Denkmalkataster und den persönlichen Einsatz des Klägers, ist ihm die Absicht der Selbstnutzung der Wohnung nicht abzusprechen. Deshalb muss für das Streitjahr 1990 die Absicht der Selbstnutzung bejaht werden. Die geltend gemachten Aufwendungen sind daher dem Grunde nach als Vorkosten im Sinne des § 10 e Abs. 6 EStG wie Sonderausgaben abzuziehen. Da das FA gegen die Höhe der Aufwendungen keine Einwendungen erhoben hat und solche auch aus den Akten nicht ersichtlich sind, ist der Betrag von 10.027 DM wie Sonderausgaben steuermindern zu berücksichtigen. Das bisherige zuversteuernde Einkommen ist um diesen Betrag zu mindern. Die Einkommensteuer 1990 ist deshalb nach der Grundtabelle auf 16.110 DM festzusetzen gewesen.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

16

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.