Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.07.1999, Az.: V 245/97

Anfall von Umsatzsteuer für die Gutachtertätigkeit eines gelernten Krankenpflegers; Beruf des Krankenpflegers als "ähnliche heilberufliche Tätigkeit"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.07.1999
Aktenzeichen
V 245/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19610
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0708.V245.97.0A

Fundstelle

  • SteuerBriefe 2000, 259

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1995

Amtlicher Leitsatz

Die Gutachtertätigkeit eines Krankenpflegers für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist keine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG.

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 8. Juli 1999,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin ... des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist gelernter Krankenpfleger und längere Zeit als Krankenpfleger in der Sozialstation tätig gewesen. Da er diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte, bewarb er sich als selbständiger Pflegegutachter bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Für diesen führte er im Streitjahr Begutachtungen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit aus.

2

Der Ablauf der Begutachtung war dabei folgender: Zunächst bekam der Kläger vom Medizinischen Dienst eine Akte ausgehändigt. In dieser Akte befand sich der Antrag desjenigen, der Leistungen aus der Pflegeversicherung begehrte. Gelegentlich befanden sich auch ärztliche Gutachten und Krankenhausberichte in der Akte, die der Kläger im Hinblick auf pflegerische Leistungen auszuwerten hatte. Der Kläger hatte keine eigene Diagnose zu stellen, sondern anhand der Diagnosen, die andere gestellt hatten, zu beurteilen, welche pflegerischen Maßnahmen notwendig sind. Dabei hatte er einen vom Medizinischen Dienst entwickelten Fragebogenauszufüllen, in welchem insbesondere abgefragt wurde, welche pflegerischen Leistungen erforderlich sind und wie lange diese dauern.

3

Als Entgelt erhielt der Kläger 65 DM pro Gutachten. Umsatzsteuer ist nicht ausgewiesen und auch nicht bezahlt worden.

4

Der Kläger hat die Umsätze in der Steuererklärung zunächst dem Regelsteuersatz unterworfen und ist vom Beklagten entsprechend unter Vorbehalt veranlagt worden. Später beantragte er im Wege der Änderung nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), die Umsätze nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) als umsatzsteuerbefreit anzuerkennen. Dem widersprach der Beklagte. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

5

Der Kläger trägt vor, die Tätigkeit des Krankenpflegers sei eine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG. Der Beruf des Pflegegutachters sei durch die Einführung der Pflegeversicherung und die damit in Zusammenhang stehenden Pflegekassen neu entstanden. Voraussetzung für den Beruf des Pflegegutachters sei die berufliche Qualifikation des Krankenpflegers. Weil der Kläger diese besitze, seien die Umsätze aus der Gutachtertätigkeit schon aus diesem Grunde steuerfrei.

6

Sofern sich der Beklagte auf das entgegenstehende Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. November 1971 (V R 99/68, BStBl II 1971, 301) berufe, wonach die Gutachtenerstellung eines Arztes für Versicherungsträger nicht steuerfrei sei, sei anzumerken,dass dieses Urteil sich auf das alte Umsatzsteuerrecht bezogen habe. Zudem stehe dieses Urteil im Widerspruch zur herrschenden Lehre. Selbst die Verwaltung behandele die Gutachtertätigkeit des Arztes als umsatzsteuerbefreit, Abschn. 88 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Umsatzsteuerrecht (UStR).

7

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuer auf 0 DM festzusetzen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er trägt vor, dass dem Krankenpfleger nach dem Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz - KrPflG -, vom 5. Juni 1985, BGBl I 1985, 893) vor allem die Planung, Organisation und Ausführung der Krankenpflege der Patienten übertragen sei. Ein Krankenpfleger, der ausschließlich gutachterlich tätig sei, übe keine Umsätze aus dieser Tätigkeit aus. Denn seine Tätigkeit komme nicht den Patienten, sondern dem medizinischen Dienst der Krankenversicherung zugute.

10

Ein Vergleich mit der gutachterlichen Tätigkeit des Arztes komme nicht in Betracht, da die diesem obliegende Ausübung der Heilkunde - anders als die Tätigkeit des Krankenpflegers - weiter gefasst sei und nur deshalb die Erstellung von Gutachten umfasse.

11

Die Befreiung nach § 4 Nr. 16 UStG sei nicht einschlägig, da ein allein gutachterlich tätiger Alten- bzw. Krankenpfleger nicht als Einrichtung i.S.d. § 4 Nr. 16 UStG anzusehen sei. Auch sei die Tätigkeit eines Alten- und Krankenpflegers, wenn er im übrigen Umsätze i.S.d. § 4 Nr. 16 e UStG erziele, nicht steuerfrei, da insoweit kein mit dem Betrieb dieser Einrichtungeng verbundener Umsatz vorliege.

12

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte Bezug genommen. Dem Gericht haben die Steuerakten des Klägers zu Steuernummer ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist unbegründet.

14

Die Umsätze des Klägers aus seiner Gutachtertätigkeit sind nicht nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei. Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 e UStG scheidet ebenfalls aus.

15

1.

Nach § 4 Nr. 14 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei. Der Beruf des Krankenpflegers ist in § 4 Nr. 14 UStG nicht genannt. Der Beruf ist dann einem in dieser Vorschrift bezeichneten Katalogberufe ähnlich, wenn das typische Bild des Katalogberufs mit seinen wesentlichen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar ist. Dazu gehört die Vergleichbarkeit der jeweils ausgeübten Tätigkeit nach den sie charakterisierenden Merkmalen, die Vergleichbarkeit der Ausbildung und die Vergleichbarkeit der Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufs knüpft (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 29. Januar 1998 V R 3/96, BStBl II 1998, 453).

16

a)

Die in § 4 Nr. 14 genannten Berufe lassen sich in Heilberufe (Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker) und Heilhilfsberufe (Krankengymnast, Hebamme) unterscheiden. Heilhilfsberufe sind solche Heilberufe, die sich auf Teilbereiche der Heilkunde erstrecken und bei denen die Ausübenden unter der Aufsicht einer Arztes, Zahnarztes oder Heilpraktikers tätig werden.

17

Krankenschwestern und Krankenpfleger üben nach diesen Kriterien einen Heilhilfsberuf aus (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 25. Juni 1970 I C 53/66, BVerwGE 35, 308).Als Heilhilfsberuf ist der Beruf der Krankenschwester bzw. des Krankenpflegers mit den in § 4 Nr. 14 UStG genannten Heilhilfsberufen des Krankengymnasten und der Hebamme zu vergleichen.

18

b)

Bezüglich der ausgeübten krankenpflegerischen Tätigkeit nach den sie charakterisierenden Merkmalen ist bei einem Vergleich mit den Tätigkeiten eines Krankengymnasten oder einer Hebamme allerdings zu differenzieren zwischen der steuerfreien Behandlungspflege und der nicht steuerfreien Grundpflege einschließlich der hauswirtschaftlichen Versorgung.

19

Krankengymnasten führen im wesentlichen Maßnahmen der Bewegungstherapie, der pysikalischen Therapie und Massage zur Behandlung verschiedener Krankheitsbilder durch. Hebammen überwachen den Geburtsvorgang, leisten Hilfe bei der Geburt und überwachen den Wochenbettverlauf.

20

Krankenschwestern und Krankenpfleger pflegen eigenverantwortlich kranke Menschen in Krankenhäusern, Heimen oder in häuslicher Umgebung; sie führen nach ärztlicher Anweisung Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch. Ihre Ausbildung soll Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur verantwortlichen Mitwirkung beider Verhütung, Erkennung und Heilung von Krankheiten vermitteln und nach § 4 Abs. 1 Krankenpflegegesetz (KrPflG) insbesondere gerichtet sein auf

  • die sach- und fachkundige, umfassende, geplante Pflege des Patienten,
  • die gewissenhafte Vorbereitung, Assistenz und Nachbereitung bei Maßnahmen der Diagnostik und Therapie,
  • die Anregung und Anleitung zu gesundheitsförderndem Verhalten,
  • die Beobachtung des körperlichen und seelischen Zustandes des Patienten und der Umstände, die seine Gesundheit beeinflussen, sowie die Weitergabe dieser Beobachtungen an die an der Diagnostik, Therapie und Pflege Beteiligten,
  • die Einleitung lebensnotwendiger Sofortmaßnahmen bis zum Ein treffen der Ärztin oder des Arztes,
  • die Erledigung von Verwaltungsaufgaben, soweit sie in un mittelbarem Zusammenhang mit den Pflegemaßnahmen stehen.

21

Krankengymnasten und Hebammen ist gemeinsam, dass sie auf einem bestimmten Gebiet umfassend und eigenverantwortlich tätig werden, und zwar zur Behandlung von Krankheiten (Krankengymnasten) bzw. anstelle des Arztes (Hebamme) tätig werden (Urteil vom 29. Januar 1998 V R 3/96, BStBl II 1998, 453). Diesem Tätigkeitsprofil entsprechen auch Krankenschwestern und Krankenpfleger im Rahmen der verantwortlichen Mitwirkung bei der Verhütung, Erkennung und Heilung von Krankheiten.

22

Der bezeichnete Aufgabenbereich der Krankenschwestern und Krankenpfleger betrifft indes - bei der gebotenen typisierenden Betrachtung - nur einen Teil der umfassender verstandenen häuslichen Krankenpflege, nämlich nur den Bereich der Behandlungspflege. Zur Behandlungspflege gehören medizinische Hilfeleistungen wie Injektionen, Wundpflege und -behandlung, Dekubitusbehandlungen u.a., die nur von besonders geschultem Personal,wie etwa Krankenschwestern oder Krankenpflegern durchgeführt werden können.

23

Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung sind demgegenüber keine "ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten" i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG. Diese Vorschrift umfasst nämlich nur die berufstypischen Tätigkeiten (BFH, Urteil vom 26. August 1993 V R 45/89, BStBl II1993, 887; Beschluss vom 16. Dezember 1993 V B 124/93, BFH/NV 1995, 652; siehe auch Lange, UR 1994, 145, der die einzelnen Leistungen bei der häuslichen Krankenpflege zusammengestellt und voneinander abgegrenzt hat).

24

c)

Die Gutachtertätigkeit des Klägers ist nicht umsatzsteuerbefreit nach § 4 Nr. 14 UStG, weil diese Tätigkeit keinen Bezug zur umsatzsteuerbefreiten Behandlungspflege aufweist.

25

Der Kläger hatte als Pflegegutachter darüber zu entscheiden, ob Pflegebedürftigkeit vorliegt und welcher Pflegestufe die pflegebedürftige Person zuzuordnen ist.

26

Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) XIPersonen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer der Hilfe bedürfen.

27

Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen i.S.d. Abs. 1 sind nach Abs. 4:

  • im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung,
  • im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
  • im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
  • im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

28

Die Stufen der Pflegebedürftigkeit richten sich gemäß § 15 SGB XI nach dem Grad der Einschränkungen bei den oben genannten Verrichtungen, wobei nach Abs. 3 an den zeitlichen Aufwand für die Grundpflege angeknüpft wird.

29

Entsprechend den genannten gesetzlichen Vorgaben hatte der Kläger durch Befragen der pflegebedürftigen Personen zu ermitteln, für welche der oben genannten täglichen Verrichtungen Hilfe benötigt wird und welchen zeitlichen Umfang diese Hilfe erfordert. Dabei hatte der Kläger keine eigene Diagnose zu stellen, sondernanhand des vorgefundenen Krankheitszustandes zu beurteilen, welche pflegerischen Leistungen erforderlich waren. Dabei bezog sich die Tätigkeit des Klägers ausschließlich darauf, Einschränkungen bei der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zu beurteilen; die Begutachtung eventuell notwendiger Behandlungspflege gehörte nicht zum Aufgabenbereich des Klägers.

30

Wenn die tatsächliche Durchführung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung keine für den Krankenpfleger berufstypische Tätigkeit ist, muss gleiches für die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende Begutachtung gelten. Insofern kann es dahinstehen, ob die Gutachtertätigkeit des Krankenpflegers mit der Gutachtertätigkeit des Arztes grundsätzlich vergleichbar ist. Denn für den hier vorliegenden Fall, dass ausschließlich die Hilfsbedürfigkeit bei der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung begutachtet wird, liegt jedenfalls keine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG vor.

31

2.

Die Gutachtertätigkeit des Klägers ist nicht nach § 16 e UStG steuerbefreit.

32

Nach § 16 e UStG sind die mit dem Betrieb der Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Menschen eng verbundenen Umsätze unter bestimmten weiteren Voraussetzungen steuerbefreit.

33

Der Begriff der Einrichtung umfasst jeden sachlich abgegrenzten Bereich innerhalb eines Unternehmens, also auch den Betrieb eines Einzelunternehmers. Unter Betreiben ist der rein tatsächliche Vorgang der Führung, Verwaltung und Wirtschaft, Beherbergung, Verpflegung, Betreuung und Pflege zu verstehen (Klenk, in Sölch/ Ringleb/List, § 4 Nr. 16 Rn. 11).

34

Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Kläger betreibt keine Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen oder zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Menschen. Vielmehr beschränkt er seine Tätigkeit auf die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit. Pflegerische Leistungen werden von ihm nicht erbracht; hierzu ist er aufgrund der eingetretenen Berufsunfähigkeit auch nicht in der Lage.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

36

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Frage, ob die Gutachtertätigkeit eines Krankenpflegers für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nach §§ 4 Nr. 14 oder Nr. 16 e UStG umsatzsteuerbefreit ist, ist höchstrichterlich - soweit ersichtlich -noch nicht geklärt.