Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.07.1999, Az.: 7 K 629/96 Ki

Kindergeldberechtigung bei freiwilligem sozialem Jahr in Israel; Förderungswürdigkeit von sozialen Diensten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
20.07.1999
Aktenzeichen
7 K 629/96 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 18003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0720.7K629.96KI.0A

Fundstellen

  • FR 2000, 280-281
  • KFR 2000, 245
  • KÖSDI 2000, 12331 (Kurzinformation)
  • NWB 2000, 636
  • NWB DokSt 2000, 769

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten wegen der Nichtgewährung von Kindergeld für zwei Töchter des Kl, die soziale Dienste in Israel leisteten. Es geht vorrangig um die Frage, ob das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres auch soziale Dienste in Israel begünstigt.

2

Der Kl bezog bis einschließlich Juni 1996 Kindergeld in Höhe von insgesamt 400,00 DM monatlich für seine Töchter P, geboren am 19. Februar 1977, und B, geboren am 13. Februar 1978. Beide Töchter beendeten ihre Schulausbildung im Juli 1996. Mit einem an die beklagte Behörde gerichteten Schreiben vom 28. Juni 1996 teilte der Kl mit, dass seine Töchter im August 1996 ein freiwilliges soziales Jahr in Israel antreten würden. Während ihrers Auslandsaufenthalts bekämen sie im Kern lediglich freie Kost, freies Quartier sowie ein bescheidenes Taschengeld gestellt. Der Kl beantragte deshalb die Fortzahlung des Kindergeldes für beide Töchter ab August 1996. Von August 1996 bis Mai bzw. März 1997 wurden die Töchter des Klägers vom evangelisch-freikirchlichen Sozialwerk H für soziale Dienste in Israel eingesetzt. Mit Bescheid vom 25. Juli 1996 teilte die Kindergeldkasse mit, dass das Kindergeld nicht weitergezahlt werden würde; § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d EStG sei hier nicht erfüllt, da die sozialen Dienste in Israel keine Dienste seien im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) in Deutschland oder im europäischen Ausland.

3

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhebt der Kl Klage und trägt im Wesentlichen vor: Die geographische Beschränkung sei verfassungswidrig, weil sie gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße; klägerseits wird die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG angeregt.

4

Der Kl beantragt,

die Gewährung von Kindergeld für die Tochter P für die Zeit von August 1996 bis einschließlich Mai 1997 und für die Tochter B für die Zeit von August 1996 bis einschließlich März 1997, und zwar jeweils für die Monate in 1996 je Kind in Höhe von 200,00 DM und für die Monate in 1997 je Kind in Höhe von 220,00 DM.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Die beklagte Behörde verbleibt bei ihrer Ansicht, dass hier die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d EStG, wonach ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres zu leisten ist, nicht erfüllt werden. Insbesondere sei Israel als geographischer Teil Asiens (so Diercke Weltatlas, vgl. Blatt 94 der Kindergeldakte) nicht dem "europäischen Ausland" im Sinne des § 1 Abs. 2 FSJG zuzuordnen.

7

Dem Gericht hat die Kindergeldakte, die beim Beklagten geführt wird, vorgelegen. Das Gericht hat vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Stellungnahme zu der Frage erbeten, welche sachlichen Gründe dafür maßgeblich waren, nach § 1 Abs. 2 FSJG Einsätze im "europäischen Ausland" fördern zu wollen. Wegen des Antwortschreibens des Ministeriums vom 19. September 1997 wird auf die Blätter 46 bis 48 der Finanzgerichtsakte verwiesen; hervorzuheben ist, dass das Ministerium mit Hinweis auf die Bundestags-Drucksache 12/4716, S. 12 ausführt, dass u.a. die gesamteuropäische Entwicklungen den Gesetzgeber bewogen haben, die Möglichkeit zu schaffen, ein soziales Jahr im europäischen Ausland zu leisten; ob in diesem Sinne Israel zum europäischen Ausland gehört oder nicht, hat das Ministerium nicht festgestellt. Auf Anfrage des Gerichts hat der Träger der sozialen Dienste in Israel, das evangelisch-freikirchliche Sozialwerk in H, eine Bescheinigung über das Vorliegen der verschiedenen Voraussetzungen nach dem FSJG erteilt; das Sozialwerk spricht sich dafür aus, die sozialen Dienste in Israel von der Förderung nicht auszuschließen, da diese Dienste von Deutschen in Israel in besonderem Maße "der Versöhnung und des Brückenbauens zwischen Deutschland und Israel" förderlich seien (verwiesen wird auf die Blätter 52 bis 53 der Finanzgerichtsakte).

Gründe

8

Die Klage hat Erfolg. Der Kl ist kindergeldberechtigt, weil seine Töchter mit ihren sozialen Diensten in Israel sämtliche gesetzlichen Förderbestimmungen erfüllen.

9

Nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat einen Anspruch auf Kindergeld, wer, wie hier der Kl, im Inland einen Wohnsitz hat und mit dem Kind im ersten Grad verwandt ist. Unter den Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 4 EStG können Kinder, wie die 1977 bzw. 1978 geborenen Töchter des Klägers, über die Vollendung des 18. Lebensjahrs hinaus kindergeldberechtigt berücksichtigt werden. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leistet. Nach § 1 Abs. 1 FSJG (BGBl. I 1993, 2118, 2119, 2120) wird das freiwillige soziale Jahr "gefördert, wenn die in den Nummern 1 bis 5 genannten Bedingungen erfüllt sind" (stichwortartig sind dies: hauswirtschaftliche Hilfstätigkeit, pädagogische Begleitung, Art der sozialen Einrichtung, Mindesverpflichtung des Helfers für die Dauer von sechs Monaten zwischen dem 16. und 27. Lebensjahr, karge Entlohnung). Gemäß § 1 Abs. 2 FSJG kann das freiwillige soziale Jahr "auch im europäischen Ausland geleistet werden, wenn der Träger seinen Hauptsitz im Inland hat". § 1 Abs. 3 FSJG zählt auf nach welchen Vorschriften, etwa nach welchen einkommensteuerlichen Bestimmungen, sich die Förderung des freiwilligen sozialen Jahres im Einzelnen richtet.

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Nach diesen Vorschriften ist der Kl im beantragten Umfang kindergeldberechtigt. Denn die Töchter des Kl erfüllen nicht nur - wie der Träger der sozialen Dienste in Israel, das evangelisch-freikirchliche Sozialwerk in H, hinreichend bescheinigt hat - die einzelnen Förderbedingungen des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FSJG, sondern sie haben ihre Dienste auch an einem Ort, der förderungswürdig ist, geleistet.

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Gemäß § 1 Abs. 1 FSJG sind soziale Dienste weltweit, damit auch in Israel, förderungswürdig. Denn § 1 Abs. 1 FSJG enthält keine Förderbeschränkung auf soziale Dienste in Deutschland oder in Europa oder in einem anderen Erdteil (anders insofern § 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres, BGBl. I 1993, 2118). Die Formulierung in § 1 Abs. 2 FSJG "kann auch im europäischen Ausland geleistet werden" ist keine zwingende Einschränkung des § 1 Abs. 1 FSJG, vielmehr läuft sie vom Gesetzeswortlaut her ins Leere.

12

Auch für den Fall, dass angenommen werden sollte, § 1 Abs. 2 FSJG schränke vom Gesetzeszweck her den § 1 Abs. 1 FSJG ein, folglich soziale Dienste allein in Deutschland und im europäischen Ausland förderungswürdig seien, ist der Kl im genannten Sinne kindergeldberechtigt. Denn Israel gehört zum europäischen Ausland im Sinne des § 1 Abs. 2 FSJG (vgl. dagegen die weitaus engere Begrifflichkeit des hier nicht anwendbaren § 32 Abs. 5 Satz 2 EStG: "Mitgliedstaat der Europäischen Union"). Zwar mag es geographisch umstritten sein, welchem Erdteil Israel zuzuordnen ist: So wird Israel mal Asien (Diercke Weltatlas aus dem Verlag Westermann), mal Europa (Grosser Weltatlas aus dem Verlag Naumann & Göbel), mal Eurasien - als aus Europa und Asien bestehenden Erdteil - (Das Bertelsmann Lexikon in 24 Bänden, 1994 ff., 2839) zugewiesen. Der Senat hat sich jedoch nicht so sehr an der Frage geographischer, sondern vielmehr an der Frage politischer und kultureller Zugehörigkeit Israels zum europäischen Ausland orientiert. Hierbei ist gerichtsbekannt, dass Israel etwa Assoziations- und Kooperationsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union unterhält (vgl. Das Bertelsmann Lexikon in 24 Bänden, 1994 ff., 2855, 4742), dass die Bevölkerung Israels aus sehr vielen europäischen Juden besteht sowie, dass Israel an regelmäßig stattfindenden europäischen Großveranstaltungen verschiedener europäischer Vereinigungen als Mitglied aktiv teilnimmt, etwa am europäischen Schlagerwettbewerb und an der Europameisterschaft im Fußball.

13

Im übrigen kann aufgrund der besonderen Vergangenheit Deutschlands allgemein erkennbar nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe soziale Dienste von Deutschen in Israel von der Förderung ausnehmen wollen.

14

Der Senat muß einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß nach Art. 100 Abs. 1 GG - wie klägerseits angeregt - nicht fassen. Denn der Senat hat - wie ausgeführt - dem Klagebegehren bereits einfachgesetzlich entsprochen.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.