Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 U 141/02
Anwendbarkeit von Wohnraummietrecht oder gewerblichem Mietrecht auf ein Mietverhältnis; Anwendbarkeit von Wohnraummietrecht bei fehlender gewerblicher Weitervermietungsabsicht; Geltung von gewerblichem Mietrecht bei Abschluss eines Mietvertrages durch eine Gemeinde zur Deckung des Wohnraumbedarfs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.12.2002
- Aktenzeichen
- 2 U 141/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 20161
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2002:1218.2U141.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 12.08.2002 - AZ: 4 O 158/02
Rechtsgrundlagen
- § 535 BGB
- § 23 Abs. 2 a GVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für die Beantwortung der Frage, ob auf ein Mietverhältnis Wohnraummietrecht oder gewerbliches Mietrecht Anwendung finden muss, ist nicht maßgeblich, was für ein Vertragsformular die Parteien benutzt haben; vielmehr richtet sich diese Frage, allein danach, ob die Vermietung erfolgt ist, damit der Mieter selbst die Räume zum Wohnen benutzt, oder ob mit dem Mietvertrag die Weitervermietung an Dritte beabsichtigt ist.
- 2.
Gewerbliches Mietrecht ist auch anzuwenden, wenn der Mieter eine Gemeinde ist, die mit dem Abschluss des Mietvertrages den Zweck verfolgt, den Mietgegenstand zur Deckung des Wohnraumbedarfs bestimmter Personen zu verwenden.
Tenor:
Das am 12. August 2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden wird auf die Berufung des Klägers aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Verden zurückverwiesen.
Gerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens werden wegen unrichtiger Sachbehandlung durch das Landgericht nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung der Sache, den der Kläger mit Schriftsatz vom 13. November 2002 (Bl. 263 d. A.) gestellt hat und dem sich die Beklagte für den Fall, dass der Senat die Zulässigkeit der Klage anders als das Landgericht beurteilt, angeschlossen hat (Berufungserwiderung S. 2, Bl. 265), ist begründet, weil das Landgericht zu Unrecht seine Zuständigkeit verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Das erstinstanzliche Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 513 Abs. 1 ZPO.
I.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts handelt es sich bei dem Streit der Parteien nicht um einen Rechtsstreit über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum, der gemäß § 23 Abs. 2 a GVG ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes dem Amtsgericht zugewiesen ist. Die vom Landgericht zitierte Vorschrift des § 29 a ZPO ist unter diesem Gesichtspunkt hier offensichtlich nicht anwendbar, weil sie die örtliche Zuständigkeit betrifft (so zutreffend die Berufungsbegründung, S. 2, Bl. 253). Vielmehr geht es um einen Streit über Ansprüche aus einem gewerblichen Mietvertrag, der im Hinblick auf die Höhe des Streitwertes dem Landgericht zugewiesen ist.
Für die Beantwortung der Frage, ob auf das Mietverhältnis der Parteien Wohnraummietrecht oder gewerbliches Mietrecht Anwendung finden muss, ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht maßgeblich, was für ein Vertragsformular die Parteien benutzt haben. Vielmehr richtet sich diese Frage entsprechend der ganz herrschenden Auffassung, die auch der Senat teilt, allein danach, ob die Vermietung erfolgt ist, damit der Mieter selbst die Räume zum Wohnen benutzt, oder ob mit dem Mietvertrag die Weitervermietung an Dritte beabsichtigt wird, wie dies hier unstreitig der Fall war. Ebenso ist die Frage, zu welchem Endzweck der Abschluss des Mietverhältnisses dient, ob die gemieteten Räume als Wohnraum weiter vermietet werden sollen, oder welcher Zweck sonst damit verfolgt wird, nicht maßgebend. Vielmehr kommt es im Verhältnis zwischen Vermieter und Hauptmieter darauf an, ob der Hautmieter selbst die Räume zu Wohnzwecken nutzen will, oder ob er sie an Dritte weiter geben will (vgl. dazu Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 7. Aufl., vor §§ 535, 536 BGB Rz. 54 ff.; Kraemer, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., Kap. III Rz. 132; Senat, NJW-RR 1996, 1097 [OLG Celle 14.02.1996 - 2 U 1/95]).
Die Frage, ob der Zwischenmieter einen gewerblichen Zweck verfolgt, oder ob er die Räume mietet, um sie an Bedürftige weiterzugeben, wie dies hier der Fall war, spielt für die Einstufung des Mietverhältnisses Vermieter und Hauptmieter keine Rolle. Auch wenn keine gewerbliche Weitervermietungsabsicht besteht, ist gleichwohl kein Wohnraummietrecht anzuwenden, wenn der Mieter die Räume nicht selbst zum Wohnen benutzen will.
Gewerbliches Mietrecht gilt deshalb auch dann, wenn der Mieter eine Gemeinde ist, die mit dem Abschluss des Mietvertrages den Zweck verfolgt, den Mietgegenstand zur Deckung des Wohnraumbedarfs bestimmter Personen zu erlangen (s. BGHZ 94, 11). Würde man diese Fragen anders beurteilen, wie es das Landgericht unter Bezugnahme auf eine offensichtlich nicht haltbare und vereinzelt gebliebene Entscheidung des LG Aachen (NJW-RR 1988, 814) getan hat, wären etwa die Regelungen der gesamten gewerblichen Zwischenvermietung überflüssig, weil stets Wohnraummietverhältnisse vorliegen würden. Dies ist jedoch nach allgemeiner Auffassung nicht der Fall. Die Entscheidung des Landgerichts, die im Gegensatz zu sämtlichen vom Kläger im Rechtsstreit bereits zitierten Entscheidungen steht, ist unvertretbar.
Dabei kann das Landgericht nicht einmal für sich in Anspruch nehmen, seine Entscheidung auf das von den Parteien ebenfalls zitierte Urteil OLG Naumburg, WuM 1995, 142 [OLG Naumburg 22.07.1993 - 2 RE Miet 1/92], stützen zu können, weil in diesem Urteil die Frage, ob generell Wohnraummietrecht oder gewerbliches Mietrecht anzuwenden ist, gar nicht entschieden worden ist. Gegenstand dieser Entscheidung ist vielmehr die Frage, ob die Parteien gewerblicher Mietverträge in einzelnen Bereichen die Anwendung von Vorschriften des Wohnraummietrechts vereinbaren können. Diese Frage stellt sich hier nicht, weil es um die generelle Frage geht, ob gewerbliches oder ob Wohnraummietrecht anzuwenden ist. Dafür, dass die Parteien vorliegend ausdrücklich vereinbaren wollten, dass zwischen ihnen in bestimmten Einzelfragen nur Wohnraummietrecht anwendbar sein sollte, ist nichts ersichtlich.
Zwar mögen Überschrift und Inhalt eines Mietvertrages so gewählt sein, dass sie Regelungen des Wohnraummietrechts enthalten. Dies ändert aber nichts an der Anwendbarkeit des gewerblichen Mietrechts, wenn ein eigenes Wohnen des Mieters gar nicht beabsichtigt ist. Dies ist etwa auch nach der von den Parteien zu den Akten gereichten Entscheidung des OLG Hamburg (NJW-RR 1998, 1382 [OLG Hamburg 29.10.1997 - 4 U 61/97]) gefestigte Rechtsprechung. Weshalb das Landgericht die in dem Schriftsatz des Klägers vom 29. April 2002 zitierten zahlreichen Entscheidungen, die der Rechtsprechung des Senats und wohl auch aller Oberlandesgerichte entspricht, nicht zum Anlass genommen hat, hier von der Zulässigkeit der Klage auszugehen, ist nicht nachvollziehbar. Die Auffassung, für die Frage, ob Wohnraummietrecht oder gewerbliches Mietrecht anzuwenden sei, wenn Räume dem Mieter zur Weitergabe an einen Dritten überlassen werden würden, komme es auf das Vertragsformular an, das die Parteien verwendet hätten, ist im Hinblick auf die dargestellte einhellige Auffassung, dass es auf die Frage des tatsächlichen Wohnens des Endmieters ankommt, nicht haltbar. Zwar können die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen, die hier allerdings nicht erfüllt sind, in Teilbereichen eine entsprechende Anwendung des sozialen Mieterschutzes vereinbaren. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich insgesamt weiter um ein gewerbliches Mietverhältnis handelt, weil der Vertrag eben nicht dazu dient, dem Mieter Wohnraum zu verschaffen.
Eine ganz andere Frage ist es, welches Mietrecht im Verhältnis zwischen Hauptmieter und Untermieter anzuwenden ist. Hier kommt es auf Fragen des sozialen Mietrechts an, sofern die Untervermietung zu reinen Wohnzwecken des Untermieters erfolgt.
Das Landgericht ist damit zu Unrecht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen, es hätte in der Sache entscheiden müssen, statt ein Prozessurteil zu erlassen.
II.
Im Hinblick auf den umfangreichen und mit zahlreichen Beweisantritten versehenen Vortrag der Beklagten zur Sache selbst, wird sich das Landgericht mit dem Verfahren erneut auseinander zu setzen haben. Der gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO n. F. erforderliche Antrag auf Zurückverweisung der Sache, der auch im Fall des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO gegeben sein muss, liegt vor.
Eine eigene Sachentscheidung des Senats, die dann ergehen könnte, wenn keine weitere Verhandlung der Sache erforderlich wäre (§ 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO n. F.), kommt nicht in Betracht, weil über die Sache umfassend zu verhandeln sein wird.
Zwar verteidigt sich die Beklagte in erster Instanz auch mit der Einrede der Verjährung, die - sollte sie durchgreifen - eine Sachentscheidung ohne weitere Verhandlungen möglich machen könnte. Tatsächlich geht die Einrede der Verjährung aber ins Leere, weil offensichtlich die Klage rechtzeitig erhoben worden ist. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Klage noch in unverjährter Frist Ende März 2002 anhängig geworden ist. Zwar ist die Zustellung der Klage erst am 26. April 2002 erfolgt; dies ändert aber nichts an der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung und dem Eintritt der Wirkungen des § 270 Abs. 3 ZPO. Die Verzögerung der Zustellung beruht ausschließlich auf gerichtsinternen Vorgängen, für die eine Partei nach allgemeiner Auffassung nicht einzustehen hat. Die Klägerin hat unmittelbar nach Eingang der am 28. März 2002 per Telefax dem Landgericht zugeleiteten Klage mit dem am 2. April 2002 eingereichten Originalschriftsatz einen Verrechnungsscheck über 795,00 EUR eingereicht, der ausreichte, um die entstehenden Gerichtskosten zu decken. An den Kläger gerichtete Zwischenverfügungen, die er durch sein Verhalten veranlasst haben könnte, hat es nach Aktenlage nicht gegeben. Vielmehr hat das Landgericht bis zum 24. April 2002 gewartet, bevor die Zustellung der Klage verfügt worden ist. Dies kann nicht zum Nachteil des Klägers gehen. Mit Eingang der Klage beim Landgericht war deshalb die Verjährungsfrist unterbrochen, eine Zurückweisung der Klage wegen Verjährung kommt nicht in Betracht.
In der Sache wird das Landgericht umfangreiche Beweiserhebungen zu den wechselseitigen Behauptungen der Parteien zum Zustand der Mieträume bei Beginn des Mietverhältnisses sowie bei Rückgabe durchzuführen haben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats auf dem Hintergrund der verfehlten Abweisung der Klage als unzulässig kommt bei dieser Ausgangslage nicht in Betracht.
Gerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens werden gemäß § 8 GKG nicht erhoben. Die Sache ist derart eindeutig als gewerbliche Mietrechtssache zu charakterisieren, dass der Erlass einen Prozessurteils fern lag.
Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht; die Entscheidung des Senats entspricht der einhelligen Rechtsauffassung aller Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 16.804,46 EUR festgesetzt.