Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.12.2002, Az.: 2 W 91/02
Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Wiedereinräumung des Besitzes vormals gemieteter Räume; Verbotene Eigenmacht bei Vorliegen eines fristlos gekündigten Mietvertrages; Inbesitznahme des Schuldnervermögens durch einen Insolvenzverwalter
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.12.2002
- Aktenzeichen
- 2 W 91/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 30467
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2002:1211.2W91.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 31.10.2002 - AZ: 4 O 428/02
Rechtsgrundlagen
- § 858 Abs. 1 BGB
- § 22 Abs. 1 InsO
- § 22 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- DZWIR 2003, 167-170 (Volltext mit amtl. LS)
- InVo 2003, 61-63
- InVo 2003, 97-99 (Volltext mit amtl. LS)
- JWO-FamR 2004, 108
- KGReport Berlin 2003, 23-24
- NZI 2003, 97-98
- NZM 2003, 554-555 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGR Düsseldorf 2003, 23-24
- OLGR Frankfurt 2003, 23-24
- OLGR Hamm 2003, 23-24
- OLGR Köln 2003, 23-24
- OLGReport Gerichtsort 2003, 23-24
- OLGReport Gerichtsort 2003, 50-52
- OLGReport Gerichtsort 2003, 23-24
- Rpfleger 2003, 316-317 (Volltext mit red. LS)
- ZIP 2003, 87-89
- ZInsO 2002, 1208
- ZInsO 2003, 31-33 (Volltext mit amtl. LS)
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ....... und
die Richter am Oberlandesgericht ....... und .......
am 11. Dezember 2002
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 31. Oktober 2002 wird auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten vom 14. November 2002 dahingehend geändert, dass der Verfügungskläger die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Der Verfügungskläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verfügungskläger ist Insolvenzverwalter in dem am 1. September 2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der ....... GmbH, die für ihren Geschäftsbetrieb Gewerberäume von der Verfügungsbeklagten gemietet hatte. Mit Beschluss vom 26. Juni 2002 war der Verfügungskläger zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der ....... GmbH bestellt worden, wobei das Insolvenzgericht angeordnet hatte, dass Verfügungen der Schuldnerin und Antragstellerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein sollten. Nachdem der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin im Eröffnungsverfahren zunächst fortgeführt worden war, beschlossen der Verfügungskläger und der Geschäftsführer der Schuldnerin während des Eröffnungsverfahrens, den Geschäftsbetrieb am 31. August 2002 einzustellen und die Arbeitnehmer der Schuldnerin von diesem Zeitpunkt an freizustellen. Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens der Schuldnerin sollten zunächst in den gemieteten Räumen bleiben, um diese einer späteren Verwertung zuzuführen. Nachdem die Schuldnerin auch während des Eröffnungsverfahrens einschließlich der Zeit der vorläufigen Verwaltung keinen Mietzins mehr an die Verfügungsbeklagte gezahlt hatte, übergab deren Komplementär am 29. oder 30. August 2002 dem Geschäftsführer die fristlose Kündigung und forderte diesen zur Herausgabe der Mieträume auf. Dieser Aufforderung kam der Geschäftsführer der Schuldnerin, der allerdings den Zutritt zu den gemieteten Räumen behalten sollte, sogleich durch Übergabe seines Generalschlüssels an den Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten nach.
Als ein Mitarbeiter des Verfügungsklägers am 4. September die Geschäftsräume betrat, fand er dort die früheren Arbeitnehmer der Schuldnerin vor, die erklärten, nunmehr von der Verfügungsbeklagten beschäftigt zu werden und für diese zu arbeiten. Da die Aufforderung des Mitarbeiters des Verfügungsklägers, diese Tätigkeit in den gemieteten Räumen unverzüglich zu beenden, nicht befolgt wurde, stellte der Verfügungskläger am 6. September 2002 den Antrag, die Mieträume an ihn herauszugeben. Eine entsprechende Verfügung erließ das Landgericht am 9. September 2002 im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung.
Im Verfahren über den Widerspruch der Verfügungsbeklagten gegen diese einstweilige Verfügung haben die Parteien u.a. über die Frage gestritten, ob der Geschäftsführer der Schuldnerin während des Eröffnungsverfahrens berechtigt war, die Kündigung der Verfügungsbeklagten entgegen zu nehmen und die Räume an diese herauszugeben. In der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2002 haben die Parteien sodann die Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Verfügungsbeklagte zuvor erklärt hatte, die Räume nicht mehr zu nutzen und bereit zu sein, die Schlüssel zu dem Mietobjekt wieder an den Verfügungskläger herauszugeben.
Mit Beschluss vom 31. Oktober 2002 hat das Landgericht die Kosten des einstweiligen Verfahrens überwiegend der Verfügungsbeklagten auferlegt, weil diese
- mit Ausnahme eines vom Mietvertrag nicht mehr umfassten Reifenlagers, das für das Beschwerdeverfahren keine Rolle spielt - bei Entscheidung in der Hauptsache mutmaßlich unterlegen wäre. Im Hinblick auf die Bestellung des Verfügungsklägers als vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt sei es ohne jede rechtliche Wirkung gewesen, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin die Kündigung des Vertrages durch den Komplementär der Verfügungsbeklagten akzeptiert und die gemieteten Räume herausgegeben habe. Die Verfügungsbeklagte begründet ihre gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde u.a. mit der Auffassung, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin berechtigt gewesen sei, ohne den Verfügungskläger zu handeln. Verbotene Eigenmacht bei der Wiedererlangung des Besitzes der gemieteten Räume habe deshalb auch nicht vorgelegen.
Der Verfügungskläger vertritt demgegenüber die Auffassung, es habe ein Fall verbotener Eigenmacht vorgelegen; auf die Frage der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Verfügungsbeklagten komme es deshalb nicht an.
II.
Die gemäß § 91 a Abs. 2 Satz 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
Das Landgericht hätte die Kosten des Verfügungsverfahrens dem Verfügungskläger in vollem Umfang auferlegen müssen (§ 91 a Abs. 1 ZPO), weil von vornherein kein Anspruch des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bestand.
Die fristlose Kündigung des Mietvertrages gegenüber dem Geschäftsführer der Schuldnerin und dessen anschließend erklärtes Einverständnis mit der Inbesitznahme der gemieteten Räume durch die Verfügungsbeklagte unter Rückgabe seines Generalschlüssels sind entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht rechtlich irrelevant, sondern schließen vielmehr eine verbotene Eigenmacht der Verfügungsbeklagten bei der Besitzerlangung aus. Gemäß § 858 Abs. 1 BGB setzt die verbotene Eigenmacht voraus, dass dem Besitzer ohne dessen Willen der Besitz widerrechtlich entzogen wird. Diese widerrechtliche Besitzentziehung ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Wiedereinräumung des Besitzes, wie ihn der Verfügungskläger in der einstweiligen Verfügung beantragt hat. Vorliegend ist aber die Verfügungsbeklagte mit Willen des Geschäftsführers der Schuldnerin noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in den Besitz der gemieteten Räume gelangt. Mit der Rückgabe seines Generalschlüssels hat der Geschäftsführer der Schuldnerin dem Komplementär der Verfügungsbeklagten zumindest den Mitbesitz an den gemieteten Räumen verschafft
(s. Palandt/Bassenge, BGB, 61. Aufl., § 854 Rz. 5; zur hier nicht entscheidenden Frage, ob bei dem bisherigen Besitzer verbleibende Schlüssel diesem weiterhin Mitbesitz verschaffen BGH LM Nr. 8 zu § 854 BGB). Diese Besitzverschaffung schließt es aus, dass die Verfügungsbeklagte gegenüber dem Verfügungskläger verbotene Eigenmacht geübt hat.
Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt es für die Frage, wer Besitzer ist, entgegen der Auffassung des Landgerichts und des Verfügungsklägers nicht
auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, sondern vielmehr auf den Geschäftsführer der Schuldnerin an. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat nur dann das Vermögen des Schuldners in Besitz zu nehmen, wenn er als "starker vorläufiger Verwalter" mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bestellt wird (s. Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rz. 429). Eine solche Bestellung nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 22 Abs. 1 InsO ist hier aber unstreitig nicht erfolgt. Zwar hat das Insolvenzgericht in dem Beschluss vom 26. Juni 2002 angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein sollten. Es hat aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter kein Recht eingeräumt, die von der Schuldnerin gemieteten Räume in Besitz zu nehmen und den Besitz auszuüben. Damit ist bezüglich der Ausübung des Besitzrechts über diese Räume der Wille der Schuldnerin und ihres Geschäftsführers maßgeblich geblieben. Dieser hatte bis zur Verfahrenseröffnung eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob er die Räume weiter in Besitz hielt, oder ob er sie nach der fristlosen Kündigung an die Verfügungsbeklagte herausgab. Eigene Entscheidungen des vorläufigen Insolvenzverwalters, dem weder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse übertragen worden war, noch in einer besonderen Anordnung die Ausübung des Besitzrechtes über die gemieteten Räume durch das Insolvenzgericht übertragen worden war, hatte der vorläufige Insolvenzverwalter nicht zu treffen. Entsprechend seiner Stellung als "schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter", der im Gegensatz zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter ohne besondere gerichtliche Anordnung nicht das Vermögens des Schuldners oder einzelne Bestandteile dieses Vermögens in Besitz nimmt, konnte der Verfügungskläger allenfalls unverbindliche Empfehlungen bezüglich der Ausübung des Besitzes über die gemieteten Räume aussprechen. Die Annahme einer eigenen besitzrechtlichen Position des schwachen Verwalters bezüglich der gemieteten Räume kam auch im Hinblick auf die fehlende Ermächtigung des Verwalters, im Eröffnungsverfahren entstandene Mietzinsforderungen als Masseverbindlichkeiten zu befriedigen (dazu Pape, in: Kübler/Prütting, InsO, 15. Lfg. 12/02, § 22 Rz. 91 ff.) nicht in Betracht. Der vorläufige Verwalter konnte nicht einerseits keine Verantwortung für die Bezahlung des Mietzinses während des Eröffnungsverfahrens übernehmen, sich
aber andererseits die Befugnis anmaßen, die gemieteten Räume weiter für eigene Zwecke zu benutzen und sich wie ein Vermieter zu gerieren. All dies folgt aus der bereits dem Landgericht vorliegenden Entscheidung des BGH vom 18. Juli 2002 (ZInsO 2002, 819), die das Landgericht trotz ihrer Vorlage durch die Verfügungsbeklagte völlig unbeachtet gelassen hat. Aus dieser Entscheidung ergibt sich auch, dass die fristlose Kündigung der Verfügungsbeklagten gegenüber der Schuldnerin wirksam war, weil die Schuldnerin während des Eröffnungsverfahrens einen Zahlungsrückstand von zwei Monatsmieten hatte auflaufen lassen, so dass der Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 Nr. 3 a BGB gegeben war (so auch bereits Senat, Urt. v. 6.2.2002 - 2 U 201/01, ZInsO 2002, 326). Der Geschäftsführer der Schuldnerin war mithin auch gehalten, die Räume an die Verfügungsbeklagte zurückzugeben, die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters benötigte er nicht.
Die Geltendmachung possessorischer Besitzschutzansprüche durch den Verfügungskläger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens war ausgeschlossen, nachdem der Geschäftsführer der Schuldnerin schon vor Verfahrenseröffnung erklärt hatte, den Besitz über die gemieteten Räume aufgrund der fristlosen Kündigung nicht mehr ausüben zu wollen und der Beauftragte des Verfügungsklägers nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in den Räumen unstreitig Arbeitnehmer vorfand, die erklärten, nicht mehr für die Insolvenzmasse, sondern für die Verfügungsbeklagte tätig zu sein. Der Verfügungskläger hatte im Einvernehmen mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin die ehemaligen Arbeitnehmer der Schuldnerin unstreitig per 30. August 2002 freigestellt und seine Betriebsfortführung beendet. Aus der fortdauernden Tätigkeit der Arbeitnehmer in den vormals gemieteten Räumen der Schuldnerin für den Verfügungsbeklagten ergibt sich die Besitzübernahme der Verfügungsbeklagten nach Übergabe des Generalschlüssels am 28. oder 29. August 2002 durch den Geschäftsführer der Schuldnerin. Ein Anspruch des Verfügungsklägers, der zu keiner Zeit als vorläufiger Insolvenzverwalter Besitzer der Mieträume geworden ist, auf Wiedereinräumung des Besitzes bestand nicht. Besitzrechtlich konnte der Insolvenzverwalter nach der fristlosen Kündigung des Komplementärs und der Rückgabe durch den Geschäftsführer keine Rechte mehr geltend machen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 ZPO. Bei der Festsetzung des Beschwerdewertes hat sich der Senat an den in erster Instanz angefallenen Kosten orientiert.