Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.01.2001, Az.: 4 K 161/98
Bekanntgabe des Änderungsbescheids während des Klageverfahrens bei Personenidentität von Kläger und Prozessbevollmächtigtem
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.01.2001
- Aktenzeichen
- 4 K 161/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14672
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0131.4K161.98.0A
Fundstelle
- EFG 2001, 770-771 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
Tatbestand
Der ledige Kläger ist Rechtsanwalt in H. Das beklagte Finanzamt (FA) hat ihn für die Jahre 1994 bis 1996 (Streitjahre) zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einsprüche, die in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 - 2 BvL 37/91 - damit begründete wurden, dass die Steuerfestsetzungen auf einer verfassungswidrigen Steuerquote von über 50% beruhten, wies das FA zurück.
Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 20.04.1998 Klage erhoben. Der Briefkopf der Klageschrift war mit folgenden Stempelaufdruck versehen:
" Dr. X...X bis 1988
X... X...
Rechtsanwalt und Notar
(Adresse) ..."
Seiner eigenen namentlichen Bezeichnung als Kläger hat der Kläger die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" vorangestellt. Diese Berufsbezeichnung hat er auch seiner Unterschrift unter das Schreiben beigefügt.
Während des Klageverfahrens hat das FA die angefochtenen Bescheide durch Bescheide vom 24.06.1998, die am selben Tage mit einfachem Brief zur Post gegeben wurden, geändert. Die Schreiben und dieÄnderungsbescheide waren an den Kläger ohne Angabe einer Berufsbezeichnung adressiert. Die Postanschrift war identisch mit der des Anwaltsbüros. Die Bescheide enthielten keinen Hinweis, dass die Bekanntgabe an den Kläger als Prozessbevollmächtigten erfolgten. Auf die Möglichkeit, an Stelle eines Einspruchs nach § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu beantragen, den Änderungsbescheid innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, wurde im jeweiligen Änderungsbescheid in einem besonderen Abschnitt mit der Überschrift "Ergänzung zur Rechtsmittelbelehrung" hingewiesen.
Einspruch gegen die Änderungsbescheide hat der Kläger nicht erhoben.
Mit Schreiben vom 31.07.1998, das bei Gericht am 03.08.1998 einging, hat der Kläger gemäß § 68 FGO beantragt, die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Die Antragsfrist des § 68 FGO sei nicht versäumt worden. Die Antragsfrist sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil die Bescheide an ihn in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben worden seien. Außerdem habe das FA dem Gericht nach § 77 FGO eine Abschrift der Änderungsbescheide übersenden müssen, damit das Gericht zur Kenntnis nehmen könne, dass eine Ausschlussfrist läuft und es seiner Prozessführungspflicht nach § 76 FGO nachkommen könne. Die Steuerbelastung sei bereits vom Ansatz her verfassungswidrig, weil sie auf einem Steuertarif beruhe, der so ausgerichtet sei, dass die Spitzenquote bei 53 % liege.
Der Kläger beantragt,
...
Das FA beantragt,
...
Das FA entgegnet:
Die Klage sei unzulässig, weil die Monatsfrist des§ 68 FGO versäumt worden sei. Die Klage sei auch unbegründet, weil die Steuerlastquote des Klägers in den drei Streitjahren zwischen 31,2 % bis 36,4% liege und damit weniger als 50% betrage. ...
Gründe
Die Klage ist unzulässig.
Gegenstand des Klageverfahrens sind die ursprünglichen angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1994 bis 1996 ... Diese im Laufe des Klageverfahrens durch Bescheide vom 24.06.1998 geänderten Bescheide entfalten keine Wirkung mehr, solange die Änderungsbescheide Bestand haben (vgl. BFH BStBl II 1973, 231; 1984, 791). Der Kläger hat gegen dieÄnderungsbescheide keinen Einspruch eingelegt. Außerdem hat er es versäumt, innerhalb der Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO zu beantragen, die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen. Da eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO nicht in Betracht kam, sind dieÄnderungsbescheide bestandskräftig geworden. Dies hat zur Folge, dass dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die ursprünglich angefochtenen Bescheide fehlt (BFH/NV 1995, 245).
1.
Die Änderungsbescheide vom 24.06.1998 sind dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden.
Die Bescheide waren an ihn adressiert und für ihn bestimmt; der Kläger hat die Bescheide auch unstreitig erhalten. Der wirksamen Bekanntgabe der Bescheide steht nicht entgegen, dass sie nicht gemäß § 122 Abs.5 Abgabenordnung (AO) nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) förmlich zugestellt worden sind.§ 68 Satz 2 FGO in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) geht nach seinem Wortlaut davon aus, dass die Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts die Monatsfrist in Lauf setzt. Eine förmliche Bekanntgabe nach dem VwZG ist nicht vorgeschrieben. Unter Bekanntgabe ist daher auch die vom FA gewählte formlose Bekanntgabe der Änderungsbescheide mit zur Post gegebenem einfachen Brief zu verstehen (§ 155 Abs. 1 Satz 2, § 122 Abs. 1 AO).
...
Ein Steuerbescheid, der den angefochtenen Bescheid während des Klageverfahrens ändert, ist zwar nur dann wirksam, wenn er dem ordnungsgemäß bestellten Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben wird (vgl. BFH/NV 1996, 444). Das gilt für die förmliche Zustellung und formlose Bekanntgabe von Bescheiden, die während des Klageverfahrens den angefochtenen Bescheid ändern, gleichermaßen. ...
... Nach Auffassung des erkennenden Senats finden die vorgenannten Grundsätze über die wirksame Bekanntgabe vonÄnderungsbescheiden während des Klageverfahrens an einen ordnungsgemäß bestellten Prozessvertreter keine Anwendung, wenn - wie im Streitfall - Personenidentität zwischen dem Kläger und dem Prozessvertreter besteht. ... In einem solchen Fall für eine wirksame Bekanntgabe die Berufsbezeichnung des Klägers oder einen Hinweis auf das Prozessvertretungsverhältnis zu verlangen, wäre Formalismus, der als solcher nicht schutzwürdig ist.
2.
Mit der wirksamen Bekanntgabe der Änderungsbescheide an den Kläger wurde die Frist für den Antrag nach § 68 Satz 2 FGO wirksam in Lauf gesetzt.
Die in § 68 Satz 3 FGO vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt. Der erkennende Senat hält die getrennte Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Möglichkeit der Anfechtung im Verwaltungsverfahren mittels Einspruchs einerseits und der Möglichkeit der Antragstellung nach § 68 FGO andererseits für unschädlich. ...