Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.2001, Az.: 11 K 270/99

Fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens; Vorrangige Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers bei einvernehmlicher Schwarzlohnzahlung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.01.2001
Aktenzeichen
11 K 270/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0118.11K270.99.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 04.10.2004 - AZ: VI R 26/02
BFH - 12.02.2009 - AZ: VI R 40/07

Fundstellen

  • DStRE 2003, 213-214
  • EFG 2003, 371-372

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger Schwarzlöhne gezahlt hat.

2

Der Kläger ist Zahnarzt. Er betätigt sich auch auf dem Immobiliensektor, indem er sanierungsbedürftige Geschäftsbauten erwirbt und nach Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten verkauft oder verpachtet. Wegen des besonderen Konzepts des Objekts "Markthalle X" war der Kläger gezwungen, dort selbst als Inhaber von mehreren Verkaufsständen aufzutreten, als er für sie keine Mieter oder Pächter fand. Die Stände, u.a. auch ein Pizza- und Nudelstand, wurden ausschließlich mit Fremdpersonal betrieben.

3

Als im Rahmen einer allgemeinen Außenprüfung der Prüfer Unterlagen bezüglich des Pizza- und Nudelstands anforderte, händigte der Kläger dem Prüfer zwei Aktenordner aus. In einem befanden sich handschriftliche Unterlagen, aus denen sich Tageserlöse und Kosten ergeben, die nicht mit den erklärten Besteuerungsgrundlagenübereinstimmen. Die Aufzeichnungen weisen für die Monate Oktober 1991 bis Januar 1992 neben der Rubrik "Gehälter" auch die Rubriken "Gehälter schwarz" bzw. "Gehälter schw" mit Beträgen aus, hinter denen jeweils ein Arbeitnehmer namentlich aufgeführt bzw."Aushilfen" oder "RE schwarz" vermerkt ist (Einzelheiten Bl. 48 ff Lohnsteuer-Arbeitgeberakte - LStA).

4

Der Beklagte sah in den Aufzeichnungen die zutreffenden Uraufzeichnungen des Pizza- und Nudelstands auch bezüglich der Gehaltszahlungen an Arbeitnehmer und Aushilfen sowohl der Höhe wie auch dem Empfänger nach, wobei auch die unter "RE schwarz" aufgeführten Beträge als Zahlungen an Aushilfen gewertet wurden. In dem angefochtenen Lohnsteuer-Haftungs- und -Nachforderungsbescheid (Bl. 12 Gerichtsakte - GA) wurde daher die Lohnsteuer des Haftungsbescheids nach den Steuermerkmalen der jeweiligen Arbeitnehmer ermittelt. In dem Bescheid heißt es, der Kläger werde als Haftender in Anspruch genommen, weil die Beträge vom Arbeitnehmer nicht nachgefordert werden könnten. Der Nachforderungsbescheid beruht auf dem Ansatz einer pauschalen Lohnsteuer von 15 v.H. auf die als Schwarzlohnzahlungen an Aushilfen angesehenen Beträge. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren (Einspruchsbescheid vom 12.03.1999 - Bl. 15 GA) die Klage.

5

Der Kläger bestreitet die Richtigkeit der Aufzeichnungen wie auch, dass Schwarzlohnzahlungen überhaupt erfolgt seien. Quittungen gebe es nicht. Woher die Aufzeichnungen stammten, sei unklar. Sie seien aber jedenfalls nicht von ihm oder in seinem Auftrag angefertigt worden. Wenn er von den Aufzeichnungen gewusst hätte, hätte er die Ordner nicht an den Prüfer herausgegeben. Möglicherweise lägen auch Unterschlagungen des Geschäftsführers vor. Zumindest hätte der Beklagte die Arbeitnehmer zunächst selbst in Anspruch nehmen können.

6

Der Kläger beantragt,

den Lohnsteuer-Haftungs- und -Nachforderungsbescheid vom 24.08.1998 und den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 12.03.1999 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

8

Der Beklagte meint, die Aufzeichnungen seien der Besteuerung zugrunde zu legen. Der Ordner mit den Aufzeichnungen stamme aus der Sphäre des Klägers. Kein Arbeitnehmer zeichne Unterschlagungen akribisch auf undüberlasse diese Beweise dann seinem Arbeitgeber. Der Kläger müsse schon erklären, wie die Aufzeichnungen in seine Unterlagen gelangt seien. Zudem habe er die Hinzuschätzungen bei der Umsatzsteuer akzeptiert, mithin die Richtigkeit der Aufzeichnungen nicht grundsätzlich bestritten und damit auch anerkannt, dass er die Einnahmen nicht vollständig erklärt habe. Die Inanspruchnahme des Klägers sei ermessensfehlerfrei, weil er vorsätzlich keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt habe.

Gründe

9

Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid ist wegen fehlerhafter Ermessensausübung, der Nachforderungsbescheid wegen fehlenden Antrags des Klägers auf Pauschalierung der Lohnsteuer aufzuheben.

10

1.

Der auf § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG gestützte Haftungsbescheid über die Lohnsteuer der Jahre 1991 und 1992 verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist deshalb aufzuheben. Die Beklagte hat bei Erlass des Haftungsbescheides das ihm durch § 191 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) eingeräumte Ermessen (§ 5 AO , § 102 Finanzgerichtsordnung - FGO) nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt. Es kann deshalb dahinstehen, ob die streitigen Lohnzahlungen tatsächlich erfolgt sind.

11

Gemäß § 42d Abs.3 Satz 1 EStG sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs.2 Satz 1 EStG) Gesamtschuldner. Der Beklagte hat das ihm gemäß § 42d Abs.3 Satz 2 EStG zustehende Auswahlermessen, welchen der Gesamtschuldner er in Anspruch nehmen will, nicht fehlerfrei ausgeübt. Dass der Kläger vorsätzlich keine Lohnsteuer einbehalten habe, wäre, selbst wenn dies zuträfe, kein Grund, ihn statt seiner Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Der Beklagte geht von Schwarzlohnzahlungen aus, also einem einvernehmlichen und vorsätzlichen Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem gemeinsamen Ziel, die Abführung von Lohnsteuer zu vermeiden. Handeln aber sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vorsätzlich, kann der Vorwurf vorsätzlichen Handelns die vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers nicht rechtfertigen. Die im Einspruchsbescheid zur Unterstützung der Rechtsansicht des Beklagten zitierten BFH-Urteile betreffen anders gelagerte Sachverhalte. Das BFH-Urteil vom 21.02.1992 (VI R 41/88, BStBl II 1992, 443) stützt sogar die hier vertretene Auffassung. In dem Urteil heißt es nämlich:

12

Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber zur Beitrags- und Steuerhinterziehung zusammengewirkt, so kann aus der Sicht des Arbeitnehmers mit der Auszahlung des Barlohnes die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten worden sein, so dass der Arbeitnehmer nicht im Zeitpunkt der Lohnzahlung von seiner Beitragslast und Steuerpflicht befreit wird und damit im Zeitpunkt der Lohnzahlung noch offen ist, ob ihn das Finanzamt bei Aufdeckung der Hinterziehung nicht doch noch vor dem Arbeitgeber in Anspruch nehmen wird.

13

Ob der Beklagte noch an der im Haftungsbescheid gegebenen Begründung für die Ermessensentscheidung, die Beträge könnten von den Arbeitnehmern nicht nachgefordert werden, festhält, ist zweifelhaft, aber nicht entscheidungserheblich. Die Begründung trägt die Ermessensentscheidung jedenfalls nicht. Diese Begründung ist unzutreffend, wenn sie sich auf rechtliche Hindernisse beziehen sollte (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG; BFH a.a.O.). Tatsächliche Schwierigkeiten, etwa bei der Aufenthaltsermittlung der namentlich bekannten Arbeitnehmer, sind in den Bescheiden nicht dargelegt und auch nicht den Akten zu entnehmen.

14

2.

Auch der Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid verletzt den Kläger in seinen Rechten. Jede Pauschalierung der Lohnsteuer ist nur"auf Antrag", also mit Zustimmung, des Arbeitgebers zulässig. Einen solchen Antrag - hier nach § 40a Abs. 2 EStG - hat der Kläger nicht gestellt. Der Arbeitgeber hat nach dem Gesetz zwar nur die Möglichkeit, sich entweder die Lohnsteuerkarte vom Arbeitnehmer vorlegen zu lassen oder aber unter Verzicht auf die Lohnsteuerkarte den Arbeitslohn zu pauschalieren; eine dritte gesetzlich zugelassene Möglichkeit besteht nicht. Daraus folgt jedoch kein Pauschalierungszwang im Falle des Verzichts auf die Vorlage der Lohnsteuerkarte. Vielmehr ist es allein dem Lohnsteuerhaftungsverfahren vorbehalten, die aus der Verletzung von Arbeitgeberpflichten erwachsenen steuerlichen Nachteile des Fiskus auszugleichen (BFH-Urteil vom 03.06.1982 VI R 48/79, BStBl II 1982, 710).

15

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf§ 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708, 710 Nr. 11 ZPO.