Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.02.2001, Az.: 5 V 398/00
Aussetzung der Vollziehung bei Versagung des vollen Vorsteuerabzugs trotz Berechtigung zur Begrenzung des Vorsteuerabzugs; Vorliegen von ernstlichen Zweifeln
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 05.02.2001
- Aktenzeichen
- 5 V 398/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 14565
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0205.5V398.00.0A
Tatbestand
Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Im Oktober 1999 bestellte er einen PKW Volvo zum Preis von ... DM. In der Rechnung für den PKW ist die Umsatzsteuer in Höhe von ... DM gesondert ausgewiesen. Die Lieferung des PKW erfolgte im Dezember 1999. Der Antragsteller ordnete den PKW seinem Unternehmen zu und nutzt ihn seitdem zu 80 % für unternehmerische und zu 20 % für private Zwecke.
Der Antragsteller machte die Vorsteuern aus dem PKW-Kauf in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 1999 geltend. Abweichend hiervon erkannte der Antragsgegner unter Hinweis auf § 15 Abs. 1b UStG 99 nur 50 % der geltend gemachten Vorsteuern an und setzte die Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 1999 zuletzt mit Bescheid vom 17. März 2000 auf ... DM fest. Über den dagegen am 10. April 2000 eingelegten Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Hinweis auf die Rechtmäßigkeit des § 15 Abs. 1b UStG 99 durch die der Bundesrepublik vom Rat der Europäischen Union gemäß Art. 27 der 6. EG-Richtlinie am 28. Februar 2000 erteilte Ermächtigung ab.
Mit seinem bei Gericht gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung macht der Antragsteller geltend, ihm stehe der volle Vorsteuerabzug aus dem Kauf des PKW nach Art. 17 der 6. EG-Richtlinie zu, da § 15 Abs. 1b UStG 99 nicht gemeinschaftskonform sei und das Gemeinschaftsrecht insofern vorgehe.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides für Dezember 1999 in Höhe von weiteren ... DM von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sich der Antragsgegner auf die Gründe seines Einspruchsbescheides.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Finanzgerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Steuerakten verwiesen.
Gründe
Der Antrag ist in Höhe von ... begründet, imübrigen ist er unzulässig.
Das Antragsbegehren des Antragstellers ist einerseits auf Aussetzung der Vollziehung der im angefochtenen Vorauszahlungsbescheid für Dezember 1999 festgesetzten Steuer in Höhe von ... DM und darüber hinaus auf Gewährung eines Vorsteuerüberhangs in Höhe des Differenzbetrags zu der nicht anerkannten Vorsteuer in Höhe von ... DM gerichtet.
Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung über die im angefochtenen Vorauszahlungsbescheid für Dezember 1999 festgesetzte Steuer hinaus verlangt. Denn der Regelungsbereich des Vollziehungsaussetzungsverfahrens nach § 69 FGO erfaßt nur die Fälle, in denen vollziehbare Verwaltungsakte einer Finanzbehörde angefochten sind und die Herbeiführung des Suspensiveffekts angestrebt wird; werden andere Ziele verfolgt, ist vorläufiger Rechtsschutz subsidiär nur im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO zulässig (vgl. Gräber / Koch, a.a.O., Rn. 3 und 4). USt-Bescheide sind nur soweit vollziehbar und aussetzungsfähig im Sinne des § 69 FGO, als die durch die USt-Festsetzung auferlegte Leistungspflicht vorläufig außer Kraft gesetzt und damit die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs herbeigeführt werden soll (Gräber / Koch, a.a.O., Rn. 29). Die vorläufige Berücksichtigung einer negativen Steuerschuld mit dem Ziel, die entsprechende Auszahlung zu erwirken, ist im Wege der Aussetzung der Vollziehung nicht erreichbar, weil das Begehren insoweit über die Herstellung der aufschiebenden Wirkung hinausgeht. In diesen Fällen kann vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung gewährt werden (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1986 V B 31/86, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1987, 42 und Gräber / Koch, a.a.O.). Soweit der Antragsteller daher Aussetzung der Vollziehung des USt-Vorauszahlungsbescheides für den Monat Dezember 1999 in dem Umfang begehrt, wie in ihm Vorsteuer aus der Anschaffung des PKW nur zu 50 % anerkannt wurde, ist sein Begehren nur zulässig, als mit diesem eine positive USt in Höhe von ... DM vom Antragsgegner festgesetzt wurde. Soweit der vom Antragsteller begehrte volle Vorsteuerabzug zu einem Vorsteuerüberhang und damit zur Festsetzung einer negativen Steuerschuld führen würde, käme als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes zur Erlangung der Festsetzung einer negativen USt in Höhe der Differenz von ... DM nur ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO in Betracht. Nachdem der Antragsteller ausdrücklich lediglich einen "Antrag gem. § 69 Abs. 3 FGO" gestellt hat, den umstrittenen Bescheid von der Vollziehung auszusetzen, vermochte der Senat das Begehren des Antragstellers auch nicht als Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 114 FGO umzudeuten. Die Umdeutung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung in einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist nämlich ausgeschlossen, wenn - wie im Streitfall - das von einer sachkundigen Partei vorgebrachte Rechtschutzbegehren ausdrücklich als Aussetzung der Vollziehung bezeichnet ist (BFH-Beschluß vom 16. April 1993 I B 156/92, BFH/NV 1994, 180). Im übrigen liegen die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung auch nicht vor, weil der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund i. S. des § 114 Abs. 1 FGO ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Sie sind auch im übrigen nicht ersichtlich.
Der Antrag ist jedoch begründet, soweit der Antragsgegner mit dem Bescheid über die Festsetzung der USt-VA für den Monat Dezember 1999 eine positive USt in Höhe von ...... DM festgesetzt hat.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz Finanzgerichtsordnung - FGO - erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel i.S. dieser Vorschrift sind nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn beiüberschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken; bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, wobei es nicht erforderlich ist, daß die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466; Gräber / Koch, 4. Aufl., § 69 Rn. 77 m.w.N.).
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen in rechtlicher Hinsicht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides. Dem Antragsteller steht nach Artikel 17 der 6. EG-Richtlinie der volle Vorsteuerabzug aus dem Kauf des PKW Volvo zu (vgl. Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10. Februar 2000 Az.: 5 K 515/99 - UR 2000, 160ff - und 5 K 570/99 - EFG 2000, 458 ff -). Insofern geht das Gemeinschaftsrecht der nationalen Regelung in § 15 Abs. 1 Buchstabe b UStG 99 vor. Der Antragsgegner kann sich in Bezug auf die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1b UStG 99 entgegen dem BMF-Schreiben vom 29. Mai 2000 (- IV D 1 - S 7303 b - 1/00 -,UStR 2000, 298) auch nicht auf die der Bundesrepublik vom Rat der EU nach Art. 27 der 6. EG-Richtlinie am 28. Februar 2000 erteilte Ermächtigung berufen. Denn an der Wirksamkeit der erteilten Ermächtigung bestehen nicht nur formelle, sondern insbesondere auch materiell-rechtliche Zweifel. Die Zweifel ergeben sich u.a. aus der Entscheidung des EuGH vom 19. September 2000 (Rs. C-177/99 - Ampafrance -,IStR 2000, 655ff), in der er in einem vergleichbaren Fall die vom Rat der EU erteilte "Ermächtigung" für ungültig erklärt hat. Zur Klärung dieser Zweifel hat der Bundesfinanzhof daher das Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts (Az.: 5 K 515/99, a.a.O.) mit Beschluß vom 30. November 2000 V R 30/00 (DStR 2001, 126ff) ausgesetzt und dem EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluß des BFH verwiesen.