Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.11.2005, Az.: 9 ME 345/05
eheliche Lebensgemeinschaft; Scheinehe; Wohnsitz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.11.2005
- Aktenzeichen
- 9 ME 345/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50809
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 20.09.2005 - AZ: 11 B 4573/05
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 S 2 AufenthG
- § 84 Abs 2 S 1 AufenthG
- § 46 Nr 2 AuslG
- § 92 Abs 2 Nr 2 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Ausweisung ohne Sofortvollzug steht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch dann entgegen, wenn der Ausländer noch nicht ausgereist ist.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2003 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller, der die vietnamesische Staatsangehörigkeit besitzt und seit August 1998 wegen der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen B. über befristete Aufenthaltserlaubnisse verfügte, aus und lehnte seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Zugleich forderte sie den Antragsteller zur Ausreise auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Vietnam an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen an, die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG habe deutlich gezeigt, dass von einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach der Eheschließung nicht ausgegangen werden könne. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Antragsteller dagegen Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht, den das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 20. September 2005 ablehnte.
Die daraufhin vom Antragsteller erhobene Beschwerde, die sich dagegen richtet, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat, ist unbegründet.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Beschluss ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, zeigt nicht auf, dass die Antragsgegnerin die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Unrecht versagt hat.
Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht bereits § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG entgegen. Danach wird einem Ausländer, der ausgewiesen ist, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt. Für diese Wirkung der Ausweisung ist nicht erforderlich, dass der Ausländer die Bundesrepublik Deutschland bereits verlassen hat, sondern bereits die Ausweisungsverfügung in dem Bescheid vom 23. Januar 2003 führt zu dem Verbot, einen Aufenthaltstitel zu erteilen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 31.8.2005 - 11 ME 193/05 - ; Renner, Kommentar zum Ausländerrecht, 8. Aufl., 2005 § 11 RN 4). Dies folgt aus der Regelungswirkung des § 84 Abs. 2 S. 1 AufenthG, wonach die Wirksamkeit der Ausweisung unbeschadet der aufschiebenden Wirkung der dagegen gerichteten Klage unberührt bleibt.
Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht in der Auffassung, dass die Ausweisung sich zu Recht auf § 45 Abs. 1 AuslG i.V.m. §§ 46 Nr. 2 , 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG stützt. Dabei entspricht es ständiger Rechtspraxis, Ausweisungsverfügungen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu beurteilen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 13.04.2005 - 4 ME 73/05 - NVwZ 2005, 968). Nach § 45 Abs. 1 AuslG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Insbesondere kann ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat (§ 46 Nr. 2 AuslG). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Der Antragsteller ist mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 8. Juni 2001 wegen Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (Scheinehe) zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Die Regelung in § 46 Nr. 2 AuslG ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9.94 - BVerwGE 102, 63). Eine - wie hier vom Antragsteller - vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne von 46 Nr. 2 AuslG. Die Geringfügigkeit lässt sich insbesondere nicht anhand einer bestimmten Strafmaßgrenze bestimmen (OVG Münster, Beschluss vom 07.01.2005 - 19 B 2439/04 - zitiert nach juris). Nur unter engen Voraussetzungen kann eine vorsätzlich begangene Straftat ausnahmsweise als geringfügig zu bewerten sein, etwa wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9.94 -, BVerwGE 102, 63 (66 f.), was hier nicht der Fall ist. Der Antragsteller hat durch sein Beschwerdevorbringen nicht ansatzweise aufzeigen können, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG nicht vorliegen.
Hat der Antragsteller damit den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 AuslG verwirklicht, lag seine Ausweisung im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin. Dieser hat hiervon in zweckgerechter Weise und unter Beachtung der Grenzen ihres Ermessens Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
Das Beschwerdevorbringen ergibt ferner nicht, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben könnte. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen bei dem inzwischen geschiedenen Antragsteller nicht vor, denn eine eheliche Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit der deutschen Staatsangehörigen B. hat nicht - wie gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlich - mindestens zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden. Auch eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar. Das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 8. Juni 2001 legt im einzelnen und ausführlich dar, dass zwischen dem Antragsteller und Frau B. nach ihrer Heirat eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht bestanden hat. Auch für die Zeit danach sieht der Senat keinen Anlass, diese Bewertung in Zweifel zu ziehen. Den Angaben der Frau B. in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 26. September 2005, sie habe auch im Zeitraum vom 1. Mai 2003 bis zur Trennung im Januar 2004 eine eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller geführt, kommt angesichts der ganz überwiegenden Indizien, die gegen eine solche Lebensgemeinschaft sprechen - wie etwa getrennte Wohnsitze und Lebensmittelpunkte vor dem 1. Mai 2003 -, keine Aussagekraft zu. Vermutlich unter dem Druck der angefochtenen Verfügung vom 23. Januar 2003 haben der Antragsteller und Frau B. ab dem 1. Mai 2003 lediglich über eine gemeinsame Meldeadresse verfügt, nachdem sich der Antragsteller zum 1. Mai 2003 nach C., D. umgemeldet hatte. Eine ausländerrechtlich schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft besteht aber nur, wenn die Eheleute einen intensiven persönlichen Kontakt pflegen und ihre tatsächliche Verbundenheit in konkreter Weise nach außen in Erscheinung tritt. In der Regel wird die eheliche Lebensgemeinschaft durch eine gemeinsame Lebensführung in der Form einer die tatsächliche Verbundenheit der Eheleute zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft gekennzeichnet sein, die sich nicht nur durch objektiv messbare und bestimmbare Mindestkriterien für die Annahme einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Beziehung bestimmen lässt, sondern darüber hinaus durch eine geistige und emotionale Verbundenheit geprägt wird (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1.8.2002 - 18 B 1063/00 -, NWVBl. 2003, 33 = AuAS 2003, 46 [OVG Brandenburg 04.11.2002 - 4 E 139/02]). Kennzeichnend dafür ist regelmäßig ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt, der im Allgemeinen durch eine gemeinsame Wohnung zum Ausdruck kommen wird. Allerdings ist - wie § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB verdeutlicht - allein die Benutzung einer gemeinsamen Wohnung nicht ausreichend (OVG Münster, Beschluss vom 08.03.2004 - 18 B 1662/03 - zitiert nach juris). Eine konkrete Darstellung einer von Frau B. behaupteten über die (lediglich) 8 Monate andauernde Nutzung einer gemeinsamen Wohnung hinausgehende gemeinsame Lebensführung des Antragstellers mit Frau B. lässt sich dem Beschwerdevorbringen jedoch für keinen Zeitraum entnehmen.
Darüber hinaus steht auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen, da - wie dargelegt - beim Antragsteller der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (früher § 46 Nr. 2 AuslG) vorliegt.