Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2005, Az.: 7 ME 147/05
Anlage; Antrag ; Antragsänderung; Ausgangsbescheid; Bescheid; Beschwerde; Beschwerdeverfahren; Einbeziehung; Erledigung; Gegenstand; Genehmigungsbedürftigkeit; Immissionsschutz; vorläufiger Rechtsschutz; Änderung; Änderungsbescheid
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2005
- Aktenzeichen
- 7 ME 147/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 51036
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.08.2005 - AZ: 2 B 1351/05
Rechtsgrundlagen
- § 146 Abs 4 S 1 VwGO
- § 146 Abs 4 S 6 VwGO
- § 91 VwGO
- § 16 BImSchG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erledigt sich, wenn in seinem Verlaufe der für sofort vollziehbar erklärte Ausgangsbescheid hinsichtlich seines Gegenstands wesentlich geändert wird. Der neue Bescheid kann angesichts der Besonderheiten des § 146 Abs. 4 VwGO nicht im Wege der Antragsänderung in das Beschwerdeverfahren einbezogen werden.
Gründe
Nachdem die Hauptbeteiligten das Aussetzungsverfahren mit Schriftsätzen vom 3. und 14. November 2005 in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es entsprechend § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen und nach § 173 S.1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO die Unwirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses festzustellen.
Nach § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO ist lediglich noch über die Kosten zu entscheiden. Dem dafür maßgeblichen billigen Ermessen entspricht es, diese in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise zu teilen und gegeneinander aufzuheben:
1.) Dem Antragsteller ist zunächst in seiner Auffassung beizupflichten, dass sich das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 9. Februar 2005 mit der Erteilung der Änderungsgenehmigung vom 27. Oktober 2005 tatsächlich erledigt hat. Denn es bedarf keiner Aussetzung der zunächst genehmigten Errichtung und des Betriebs von 6 Windkraftanlagen des Typs AN Bonus 1,3 MW/62 mehr, nachdem die Beigeladene Anlagen dieses Typs nicht mehr errichten will.
a.) Dass die Beigeladene ihr Vorhaben im Hinblick auf den Anlagentyp - wesentlich - geändert und dafür eine Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG erhalten hat, hat zu einer hinsichtlich des Gegenstandes neuen Genehmigung geführt, die am angeordneten Sofortvollzug der ursprünglichen Genehmigung nicht teilhaben kann. Dieser Bewertung folgt zutreffend auch der Antragsgegner, der die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 9. Juni 2005 ausdrücklich auf die Ursprungsanlagen bezogen und dabei herausgestellt hat, über den - bereits zum damaligen Zeitpunkt diskutierten - Änderungsantrag werde damit nicht mitentschieden. Entsprechend fehlt der Änderungsgenehmigung auch eine Verweisung auf eine Fortdauer der sofortigen Vollziehung oder etwa deren Neuanordnung.
b.) Schon aus dem letztgenannten Grund könnte die Änderungsgenehmigung auch nicht im Wege der Antragsänderung in das vorliegende Beschwerdeverfahren einbezogen werden. Das könnte selbst dann nicht geschehen, wenn ein Sofortvollzug bereits neu angeordnet worden wäre. Denn in Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 146 Abs. 4 VwGO besteht die Besonderheit, dass das Oberverwaltungsgericht nicht einschränkungslos in der Sache neu entscheidet, sondern lediglich die gegen die erstinstanzliche Entscheidung und die in Auseinandersetzung mit ihr von der Beschwerde dargelegten Gründe prüft, § 146 Abs. 4 S. 6, S. 3 VwGO. Das ist nicht möglich, wenn, wie hier, eine erstinstanzliche Entscheidung zum Sofortvollzug der Änderungsgenehmigung noch nicht vorliegt.
c.) Da der Antragsteller mit seiner Erledigungserklärung damit prozessual zutreffend auf die Änderung der Genehmigungslage reagiert hat, entspräche es nicht der Billigkeit, ihm die Kosten ganz oder teilweise deshalb aufzuerlegen, weil er die Weiterverfolgung seines Begehrens "grundlos" aufgegeben hätte und damit wie ein Beteiligter zu stellen wäre, der sein Rechtsmittel schlicht zurücknimmt.
2.) Andererseits kann auch allein der Umstand, dass die Erledigung eingetreten ist, weil die Beigeladene während des noch laufenden Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine Änderungsgenehmigung beantragt und erhalten hat, nicht dazu führen, ihr deshalb Kosten des erledigten Verfahrens aufzuerlegen. Insoweit ist der Auffassung der Beigeladenen zuzustimmen, dass es allein in der Dispositionsbefugnis des jeweiligen Genehmigungsantragstellers liegt, ob und wann er eine Änderung beantragt und ein genehmigtes Vorhaben durchführt. Daraus erwachsende prozessuale Folgen können im Rahmen von § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO dann nicht zu Lasten des Genehmigungsinhabers gehen, wenn er die Änderung unabhängig vom Verlauf des bisherigen gerichtlichen Verfahrens betrieben hat. So liegt es hier. Die Beigeladene hat die zum Gegenstand des Änderungsverfahrens gemachten Anlagen deshalb nicht früher zur Genehmigung gestellt, weil diese zunächst nicht lieferbar waren.
3.) Damit bleibt als Maßstab für die Kostentragung grundsätzlich nur der Blick darauf, wer bei streitiger Entscheidung des Beschwerdeverfahrens "unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes" voraussichtlich unterlegen wäre.
Die Beschwerde hat beanstandet, dass das Verwaltungsgericht die aus den Windparks Lamstedt und Mittelstenahe zusammen herrührende unzumutbar hohe Belastung durch Rotorschattenwurf zwar insgesamt bewertet, die Verantwortung für Abschaltungen indessen allein dem Windpark Lamstedt zu geordnet habe, so dass der vorliegend genehmigte Park insoweit unbeanstandet geblieben sei. In der Tat erscheint nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb der Antragsgegner die Begrenzung der Rotorschlagschattendauer nicht beiden Vorhabensträgern etwa nach dem Verhältnis der Verursachungsanteile zugeordnet hat. Letztlich dürfte es allerdings, worauf die Beigeladene wohl zu Recht hinweist, im Ergebnis ohne Belang sein, welchem Windpark die - als solche ersichtlich korrekten - Abschaltzeiten auferlegt werden.
Ob die Bemühungen der Beschwerde, entgegen der herrschenden Rechtsmeinung und der vom Gericht angeführten Kommentarliteratur aus § 8 NDSchG ein Rügerecht des Eigentümers gegen mögliche Beeinträchtigungen der Denkmalseigenschaft des Gutshofensembles herzuleiten, in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfolgreich gewesen wären, erscheint trotz der vorgebrachten durchaus beachtlichen Argumente - so etwa das einer sich auf dadurch erworbene wirtschaftliche Vorteile auswirkenden Beeinträchtigung - zweifelhaft. Weniger von der Hand zu weisen ist allerdings der immerhin gutachtlich und teilweise behördlich untermauerte Einwand des Beschwerdeführers, die Windkraftanlagen würden in der Zusammenschau mit dem benachbarten Windpark eine verdrängende und übertönende Wirkung auf Gutshaus sowie den ebenfalls geschützten Gutspark entfalten und damit möglicherweise verunstaltend im Sinne von § 53 NBauO wirken. Ob die vom Verwaltungsgericht dagegen im Wesentlichen angeführten "großen Abstände" ohne weiteres eine Verunstaltung ausschließen, bedürfte weiterer Untersuchung, in welche wiederum die von der Beigeladenen zur Unterstützung dieser Auffassung dargelegten vertiefenden Gesichtspunkte einzubeziehen wären.
Im Rahmen der nach § 161 Abs. 2 S. 1 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung verbieten sich allerdings weitere Ermittlungen. Auch schwierige Fragen können nicht mehr geklärt werden (Redeker/von Oertzen, VwGO 14, Rn. 6 zu § 161), so dass die Rechts- und Tatsachenprüfung an dieser Stelle nicht weitergeführt wird. Damit ergibt sich der Befund, dass nicht sicher festgestellt werden kann, wie das Beschwerdeverfahren ausgegangen wäre. Daraus rechtfertigt sich die ausgesprochene hälftige Kostenverteilung zwischen Antragsteller einerseits und den beiden übrigen Beteiligten andererseits, wobei wegen § 154 Abs. 3 VwGO auch die Beigeladene an den Kosten beteiligt werden kann. Eine ebenfalls erwogene Drittelung würde dem Streitstand weniger gerecht, weil damit die Obsiegensaussicht des Antragstellers unangemessen stark bewertet worden wäre.