VK Lüneburg, 22.03.2006 - VgK-05/2006 - Überprüfung der Nebenangebote der Bieter auf ihre Gleichwertigkeit zur ausgeschriebenen Hauptleistung und Berücksichtigung dieser bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ; Interesse am Auftrag und Geltendmachung einer Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften als Voraussetzung für das Rechtschutzbedürfnis ; Verstoß von Nebenbedingungen gegen die Bewerbungsbedingungen; Verpflichtung, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen; Anforderungen an die "positive Kenntins" i. S.d. § 107 Abs. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB); Verstoß gegen das Vergaberechtliche Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB; Möglichkeit von den Bietern abgegebene Nebenangebote auf ihre Gleichwertigkeit zu der mit dem Leistungsverzeichnis ausgeschriebenen Hauptleistung zu überprüfen und im Falle eines positiven Prüfungsergebnisses bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots zu berücksichtigen ; Subjektives Recht auf ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens und insbesondere der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 7 GWB; Fertigung eines die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthaltenden Vermerks über die Vergabe; Pflicht des Auftraggebers, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderliche Überprüfbarkeit zu gewährleisten ; Fehlende Dokumentation der Durchführung einer Prüfung der Gleichwertigkeit der Nebenangebote in einer Vergabeempfehlung und einem Vergabevermerk; Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Auswahl desjenigen Anbieters, der den niedrigsten Preis anbietet, oder desjenigen Anbieters, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat; Nichtberücksichtigung von Nebenangeboten mit der Begründung, es handle sich um bedingte Angebote, die von Festlegungen des Planfeststellungsbeschlusses abweichen; Beurteilung des Erfordernisses von Mindestanforderungen für die Wertung von Nebenangeboten in der Rechtsprechung; Festlegung von Mindestbedingungen in Form eines "Schattenleistungsverzeichnisses" für Nebenangebote

Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 08.05.2006, Az.: VgK-07/2006

Europaweite Ausschreibung der Abfuhr verschiedener Abfallarten im offenen Verfahren in zwei Losen; Niedrigster Preis als Zuschlagskriterium; Rüge zahlreicher Details der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen als Anlass für mehrere Bieterrundschreiben; Forderung des Ausschlusses eines konkurrierenden Angebots auf Grund eines mangelnden Nachweises der geforderten Eintragung ins Handelsregister; Vorwurf der Unvollständigkeit des Angebots und fehlender Eignung; Präklusion mangels unverzüglicher Rüge; Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Nachprüfungsantrags; Durch Eintragung in das Handelsregister wirksam gewordene Umfirmierung einer ansonsten unverändert gebliebenen GmbH als Ausschlussgrund; Einfluss einer Änderung des Firmennamens auf die Identität einer Gesellschaft und damit des Bieters; Auf die alte Firma ausgestellte Nachweise wie Handelsregisterauszüge und Nachweise für die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb; Wettbewerbsbeschränkende Abrede in Form eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs; Durch eine Unternehmensumstrukturierung bewirkter Austausch einer Vertragspartei als Angebotsänderung; Vorzug des Kriteriums "wirtschaftlichstes Angebot" vor dem Kriterium "niedrigster Preis"

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
08.05.2006
Aktenzeichen
VgK-07/2006
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 17439
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • IBR 2006, 468 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand

Vergabe der Abfallentsorgung im Landkreis xxx

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer BOR Weyer
auf die mündliche Verhandlung vom 02.05.2006
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 8.752 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat dem Auftraggeber und der Beigeladenen zu 1 die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war sowohl für den Auftraggeber als auch für die Beigeladene zu 1 notwendig.

Begründung

1

I.

Der Landkreis xxx hat die Abfuhr verschiedener Abfallarten mit Bekanntmachung vom 18.11.05 im offenen Verfahren für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2013 - mit einer Verlängerungsoption um 3 Jahre - in 2 Losen europaweit ausgeschrieben. Zurzeit werden die Leistungen von der Antragstellerin ausgeführt.

2

Los 1 umfasst Einsammlung und Transport von Restabfällen, die Lieferung von Transpondern, die Behältererstaufstellung, die Zuordnung von Transponderdaten und den Behälterdienst, Los 2 die Sammlung von Sperrmüll, Elektroschrott, Kühlgeräten sowie Grünabfällen.

3

Als Bedingung für die Teilnahme wird die Vorlage verschiedener Nachweise mit dem Angebot angekündigt, einige sind als Mindestvoraussetzung gekennzeichnet.

4

Daneben behält sich der Auftraggeber die Forderung weiterer Unterlagen zur Prüfung der wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit vor.

5

Als Angebotsschluss wurde der 17.01.2006 bekannt gegeben, die Bindefrist soll am 30.06.06, im Falle eines Nachprüfungsverfahrens bis 4 Wochen nach Rechtskraft des letztinstanzlichen Beschlusses enden. Zuschlagskriterium soll der niedrigste Preis sein.

6

Die Verdingungsunterlagen bestehen aus

  • der Aufforderung zur Angebotsabgabe und den Bewerbungsbedingungen (Teil I),

  • dem Angebotsschreiben mit Leistungsverzeichnis (Teil II),

  • der Leistungsbeschreibung (Teil III) und

  • den Besonderen Vertragsbedingungen (Teil IV).

7

Angebote können für ein Los oder beide Lose abgeben werden.

8

Mit dem Angebot sind die in der Bekanntmachung angekündigten Eignungsnachweise vorzulegen. Die Zuverlässigkeit soll anhand der Angaben zur Unternehmensstruktur, des Handelsregisterauszugs, der Nachweise über die Zahlung von Steuern und Abgaben und der Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb geprüft werden. Leistungsfähigkeit und Fachkunde sollen in Form einer Gesamtbetrachtung und summarischen Bewertung der vom Bieter vorgesehenen Leistungserbringung prognostisch beurteilt werden.

9

Der Zuschlag soll losweise auf das Haupt- oder Nebenangebot mit dem niedrigsten Angebotspreis erteilt werden. Für den Fall, dass die Gesamtsumme der wirtschaftlichsten Angebotskombination höher ist als die gutachterlich ermittelten Kosten bei Selbstausführung, behält sich der Auftraggeber die Aufhebung der Ausschreibung vor.

10

Der Angebotsvordruck sieht unter Ziff. 3 verschiedene Bietererklärungen vor. Sie betreffen u.a. die ausreichende Beantwortung von Rückfragen durch den Auftraggeber und Ausschlüsse gemäß § 7 Nr.5 VOL/A in anderen Vergabeverfahren. Für den Fall, dass der Bieter vorgegebene Erklärungen nicht abgeben kann, sind die betreffenden Erklärungen zu markieren und die Gründe hierfür auf einem separaten Blatt zu erläutern.

11

Unter Ziff. 4 ist eine Erklärung des Bieters über die Anerkennung der vom Auftraggeber festgelegten Bindefrist vorgegebenen.

12

Die Leistungsbeschreibung enthält allgemeine Informationen zum Entsorgungsgebiet. Außerdem sind 7 Anhänge, hierunter die Abfallentsorgungssatzung des Landkreises xxx, beigefügt. Den allgemeinen Informationen folgen detaillierte Beschreibungen der Leistungen beider Lose.

13

Die Vergabeunterlagen wurden von 42 Firmen angefordert. Die Antragstellerin erhielt die Vergabeunterlagen am 23.11.2005. Mit 3 Anwaltsschriftsätzen vom 28.11.05 rügte sie zahlreiche Details der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen.

14

Die 1. Rüge betrifft die Bekanntmachung. Gerügt werden

  • die durch den Vertragsbeginn zum 01.01.2008 bedingte lange Vorlaufzeit,

  • die nicht begründete Forderung einer Bankbürgschaft, die zudem nicht nur die sach- und fristgemäße Durchführung der verlangten Leistung absichern soll,

  • die unpräzise Festlegung der Rechtsform der Bietergemeinschaft

  • mangelhafte Festlegungen der Nachweise zur persönlichen Lage des Wirtschaftsteilnehmers, und zwar

  • unzulässige Eigenerklärungen nach § 7 Nr. 5 VOL/A,

  • unzulässige Verweise auf Erklärungen in den Verdingungsunterlagen,

  • unpräzise und unzulässige Forderung von Angaben zur Unternehmensstruktur,

  • die unpräzisen Forderungen von Nachweisen zur technischen Leistungsfähigkeit, und zwar bezüglich der Anforderungen an

  • das EFB-Zertifikat,

  • die Referenzen,

  • die technische Ausstattung,

  • die unzulässige Verwendung der geforderten Beschreibung der organisatorischen und technischen Abläufe als Eignungsnachweis,

  • unzulässige Vorbehalte zur Nachforderung von weiteren nicht bekannt gegebenen Nachweisen,

  • eine unvollständige Bekanntgabe der Zuschlagskriterien,

  • die Forderung von E-Mail-Adressen,

  • die Ankündigung der Aufhebung der Ausschreibung,

  • die fehlende Bekanntgabe der Bedingungen für Nebenangebote,

  • der unbestimmte Verweis auf die Option zur Vertragsverlängerung,

  • unpräzise Angaben zum Angebotseingang,

  • die Länge der Bindefrist.

15

Die 2. Rüge betrifft die Vergabeunterlagen. Gerügt werden

  • die Angaben zu Auskünften,

  • fehlerhafte und unvollständige Angaben zur Vertragsdauer,

  • die Angaben zum Aufbau der Verdingungsunterlagen,

  • die Verpflichtung zur Prüfung der Vollständigkeit der Unterlagen,

  • unpräzise bzw. unvollständige Angaben zur Einreichung der Angebote und zum Fristablauf,

  • der Hinweis auf die Nichtberücksichtigung von Skonti bei der Wertung,

  • die Forderung zur Vorlage der Urkalkulation,

  • unklare Festlegungen für die Zulässigkeit von Nebenangeboten,

  • die Festlegungen zu Bietergemeinschaften und Nachunternehmern,

  • die Angaben zu unzulässigen Wettbewerbseinschränkungen,

  • die Länge der Zuschlagsfrist und die automatische Verlängerung der Bindefrist,

  • unklare Angaben zu den geforderten Sicherheiten,

  • der Hinweis zur Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren,

  • unpräzise und unschlüssige Angaben zu den als Angebot/vom Bieter einzureichenden Unterlagen,

  • die Forderung von Angaben zur Unternehmensstruktur und ihre Verwendung als Zuverlässigkeitsnachweis,

  • Unklarheiten bezüglich vorzulegender Bescheinigungen über die Zahlung von Abgaben,

  • die Eignung der geforderten Angaben zur technischen Ausstattung als Eignungsnachweis,

  • erneut - die Verwendung der Beschreibung der organisatorischen und technischen Abläufe als Eignungskriterien,

  • überzogene Forderungen bezüglich der Angaben zu Bietergemeinschaften und zum Nachunternehmereinsatz,

  • fehlerhafte / unklare Angaben zur Eignungsprüfung, Preisprüfung und zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes,

  • erneut - die Ankündigung zur Aufhebung der Ausschreibung.

16

Die 3. Rüge betrifft nochmals die Vergabeunterlagen. Gerügt werden

  • ein Fehler in den Angaben zu den Angebotsbedingungen,

  • die Forderung von Eigenerklärungen des Bieters bezüglich seiner Zuverlässigkeit,

  • fehlerhafte Vorgaben für die Erklärungen des Bieters bezüglich seines Angebotes,

  • Unzulänglichkeiten der Leistungsbeschreibung bezüglich

  • der zu kalkulierenden Müllmengen,

  • des Behältereinsatzes,

  • der Abfuhrrhythmen,

  • der Verlässlichkeit / Vollständigkeit der Angaben im Anhang 4 (Straßennetz und der Erschwernisse bei der Abfuhr),

  • der Angaben zum bestehenden privatwirtschaftlichen Fullservice,

  • unklare Forderung von Leistungsreserven des AN für die Leistungserbringung bei Behinderungen,

  • der Vorbehalt zur Forderung von monatlich max. 50 Nachleerungen,

  • unklare Anforderungen und nicht bekannt gegebene Nachweisforderungen bezüglich der Anforderungen an das Personal,

  • unangemessene / diskriminierende Forderungen bezüglich der technischen Fahrzeugausstattung,

  • Eingriffe in die Kalkulationsfreiheit bei den Festlegungen zum Entgelt,

  • unklare und diskriminierende Festlegungen bezüglich der Systemanforderungen (Transponder),

  • unklare Angaben zum Datenverkehr,

  • die Haftungsansprüche für Gebührenausfälle und Mehraufwand im Falle einer fehlerhaften oder verspäteten Behälterlieferung,

  • unklare Angaben zu notwendigen Anpassungen im Falle einer Übertragung der Gebührenveranlagung auf einen Dritten,

  • die Überwälzung der Kosten für Ersatzbeschaffungen im Falle ungeklärter Behälterverluste auf den AN,

  • unklare Vorgaben für die Organisation der Annahme von Anforderungen der Sperrmüllabfuhr,

  • unbestimmte Vorgaben

  • zur Sperrmüllentsorgung "aus anderen Herkunftsbereichen",

  • von Mehrmengen gegenüber angemeldeten Mengen und

  • für die Abfuhr von Grünabfällen,

    in den Besonderen Vertragsbedingungen

  • ein offensichtlicher Fehler in § 1,

  • unzulässige und unbestimmte Verpflichtungen des AN in § 3,

  • die Entgeltregelungen in § 6 hinsichtlich

  • der Zahlungsmodalitäten und

  • fehlender Anpassungsregelungen für Verluste auf Grund der langen Bindefrist / des späten Leistungsbeginns,

  • unklare und unangemessene Regelungen im Falle von Vertragsstörungen in § 8,

  • unklare und im Widerspruch zur VOL/B stehende Haftungsregelungen in § 9,

  • im Widerspruch zur VOL/B stehende Regelungen zur Beendigung des Vertrags aus außerordentlichem Grund in § 12,

  • unbestimmte, der VOL/B widersprechende bzw. unzulässige Regelungen zur Vertragsanpassung oder Kündigung wegen Veränderung der Geschäftsgrundlage in

17

§ 14.

18

In zwei weiteren Schriftsätzen vom 06.12. und 12.12.2005 trug die Antragstellerin weitere Rügen vor.

19

Die Rüge vom 06.12.05 richtet sich gegen

  • unklare Preisabfragen im Angebot für den Behälterdienst und den sog. privatwirtschaftlichen Fullservice,

  • unbestimmte Beschreibungen der besonderen Pflichten des AN bei der Behälterleerung in der Leistungsbeschreibung,

  • fehlende Hinweise auf zusätzliche Kosten für den erhöhten Schallschutz der Fahrzeuge,

  • die Unvollständigkeit der Leistungsbeschreibung bezüglich des Behälteridentifikationssystems (Kenntnisse des AN hinsichtlich der Handhabung, Referenzen),

  • erneut gegen die Haftungsansprüche für Gebührenausfälle und Mehraufwand im Falle einer fehlerhaften oder verspäteten Behälterlieferung und dieÜberwälzung der Kosten für Ersatzbeschaffungen im Falle ungeklärter Behälterverluste auf den AN,

  • Mängel der Leistungsbeschreibung bezüglich der Anforderungen an die Betriebsstätte und die Fahrzeuge und

  • eine unzulässige Preisgleitklausel in § 7 der Besonderen Vertragsbedingungen.

20

Die Rüge vom 12.12.05 bezieht sich auf

  • fehlende Aussagen zur Verbindlichkeit von Mengenangaben in der Leistungsbeschreibung,

  • fehlende Regelungen zur Kalkulation im Falle möglicher Satzungsänderungen und

  • mangelhafte Beschreibungen von Behinderungen und ihrer Konsequenzen für die Leistungserbringung.

21

Die umfangreichen Rügen der Antragstellerin und zwei weitere Rügen und Nachfragen anderer Bieter waren Anlass für ein sehr umfangreiches Bieterrundschreiben vom 19.12.05 und ein weiteres Bieterrundschreiben vom 23.12.05, in denen der Auftraggeber Hinweise gab und einzelne Änderungen an den Verdingungsunterlagen vornahm.

22

Mit Schriftsatz vom 30.12.05 teilte die Antragstellerin mit, dass ihren Rügen mit den Bieterrundschreiben nicht abgeholfen worden sei. Die Bieterrundschreiben hätten ihr außerdem Anlass für Erweiterung bzw. Modifizierung ihrer Rügen gegeben.

23

Diese beziehen sich auf

  • die geforderten Kautionen und Sicherheiten,

  • die Nachforderung von Nachweisen zur persönlichen Lage der Bieter,

  • die Eignungsnachweise,

  • die Ankündigung zur evtl. Aufhebung der Ausschreibung.

24

In zwei weiteren Bieterrundschreiben vom 04. und 10.01.06 gab der Auftraggeber weitere klarstellende Hinweise und nahm nochmals Änderungen an den Verdingungsunterlagen vor.

25

Mit Schriftsatz vom 16.01.06 rügte die Antragstellerin die Vergabeunterlagen erneut, diesmal rügte sie die im Angebotsschreiben von den Bietern geforderten rechtsverbindlichen Erklärungen.

26

Insgesamt gingen 17 Angebote fristgerecht beim Auftraggeber ein. Die Antragstellerin und die Beigeladenen hatten jeweils Angebote für beide Lose und ein Nebenangebot vorgelegt, wobei die Beigeladene zu 1) hierbei als Fa. xxx Container Dienst GmbH firmierte. Wie dem Vergabevermerk zu entnehmen ist, durchliefen die Angebote Prüfung und Wertung nach §§ 23 und 25 Nr. 1 VOL/A wie auch die Prüfungen von Eignung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit ohne Beanstandungen. Das wirtschaftlichste Angebot wurde nach Maßgabe der Angebotspreise ermittelt. Das Ergebnis wurde tabellarisch dargestellt. Hiernach hatte die Beigeladene zu 1) das niedrigste Hauptangebot zu Los 1 abgegeben. Auf Rang 2 folgt das Angebot der Antragstellerin, auf Rang 3 das der Beigeladenen zu 2). Für Los 2 rangiert das Angebot der Beigeladenen zu 2) an erster Stelle, danach folgt das Angebot eines nicht beigeladenen Bieters. Das günstigste Nebenangebot hatte die Beigeladene zu 1) abgegeben, gefolgt vom Nebenangebot der Beigeladenen zu 2). Das Nebenangebot der Beigeladenen zu 1) liegt preislich jedoch höher als die Loskombination der Hauptangebote der Beigeladenen zu 1) und 2). Einem entsprechenden Vergabevorschlag stimmte der Auftraggeber zu.

27

Mit Schreiben vom 28.03.06 informierte der Auftraggeber die Bieter über den beabsichtigten Zuschlag auf die Angebote der Fa. xxx Container Dienst GmbH (Los 1) und das Angebot der Fa. xxx GmbH (Los 2). Der Antragstellerin teilte er mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das niedrigste sei.

28

Mit Schriftsatz vom 30.03.06 rügte die Antragstellerin diese Entscheidung. Sie forderte den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu Los 1, da diese die geforderte Eintragung ins Handelsregister nicht nachweisen und auch andere geforderte Nachweise nicht erbringen könne. Ihr fehle die Eignung, da sie nicht als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert sei. Zudem sei sie nicht hinreichend leistungsfähig, da ihre Kapazitäten durch umfangreiche andere Aufträge gebunden seien. Wegen der von der Antragstellerin gerügten aber nicht ausgeräumten Vergaberechtswidrigkeiten der Bekanntmachung und der Verdingungsunterlagen habe die Antragstellerin, die zudem als bisherige Auftragnehmerin einen Wissensvorsprung habe, ein hohes Kostenrisiko einkalkulieren müssen. Sie habe ihr Angebot äußerst knapp kalkuliert und müsse deshalb davon ausgehen, dass die preislich günstigeren Angebote in Unkenntnis der gerügten Unklarheiten und Unsicherheiten kalkuliert wurden und daher unauskömmlich seien. Hätte der Auftraggeber den Rügen abgeholfen, hätte auch die Antragstellerin die ausgeschriebenen Leistungen deutlich günstiger anbieten können. Die Antragstellerin forderte eine Neubewertung aller Angebote, sodass auch Los 2 nicht wie vorgesehen vergeben werden könne.

29

Die Rüge war offenbar Anlass für eine tel. Nachfrage des Auftraggebers bei der Beigeladenen zu 1). Die Vergabeakte enthält ein Fax der Fa. xxx Entsorgung GmbH vom 30.03.06, mit welchem unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom gleichen Tage eine Kopie der Beurkundung vom 12.12.2005 übersandt wurde, aus der die Namensänderung von Fa. "xxx Container Dienst GmbH" in Fa. "xxx Entsorgung GmbH" hervorgeht. Außerdem wurden mit gleichem Schreiben Kopien des aktuellen Handelsregisterauszuges, der Benachrichtigungen des Amtsgerichtes xxx und des Notarsüber die Eintragung der Namensänderung in das Handelsregister übersandt. Hiernach wurde die Eintragung in das Handelsregister am 17.01.06 ausgeführt.

30

Die Benachrichtigung des Amtsgerichts an die Beigeladene datiert vom 19.01.06. Der Notar hatte die Beigeladene mit Schreiben vom 23.01.06 über die Eintragung benachrichtigt.

31

Mit Schreiben vom 03.04.06 wies der Auftraggeber die Rüge zurück und teilte hierbei mit, dass die Beigeladene zu 1) nach Abgabe ihres Angebots lediglich ihren Namen geändert habe und daher kein Anlass für eine Änderung der Zuschlagsentscheidung vorliege.

32

Mit Schriftsatz vom 04.04.06 wiederholte und erweiterte die Antragstellerin ihre Rüge an der Vergabeentscheidung. Wegen der während des Wettbewerbs vorgenommenen Umfirmierung sei auszuschließen, dass die Beigeladene zu 1) die erforderlichen Nachweise erbracht haben könne. Aus dem gleichen Grunde habe der Auftraggeber auch keine sachgerechte Eignungsprüfung durchführen können. Ihres Wissens sei die Beigeladene zu 1) wegen fehlender Tariftreue unzuverlässig, auch sei ihr bekannt, dass sie sich in bestehenden Auftragsverhältnissen als unzuverlässig erwiesen habe.

33

Im Ergebnis beabsichtige der Auftraggeber, trotz aller von ihr gerügten Vergaberechtsverstöße, den Zuschlag - unter Verstoß gegen die von ihm festgelegten Kriterien - nicht auf das wirtschaftlichste Angebot, sondern auf unauskömmliche Angebote zu erteilen.

34

Mit Schriftsatz vom 06.04.06 wandte sich die Antragstellerin per Fax an die Vergabekammer Lüneburg und beantragte ein Nachprüfungsverfahren nach § 107 GWB. Unter Verweis auf ihre umfangreichen Rügen trägt sie vor, der Auftraggeber dürfe die aus ihrer Sicht nicht wettbewerbsneutrale Unternehmensumstrukturierung der Beigeladenen zu 1) nicht unbeachtet lassen. Weder für die Fa. xxx Container GmbH noch für ihre Firmennachfolgerin hätten fristgerecht die geforderten Nachweise vorliegen können. Daher hätte das Angebot wegen Unvollständigkeit / fehlender Eignung ausgeschlossen werden müssen. Da die Fa. xxx Container GmbH nach Ablauf der Angebotsfrist bzw. vor Zuschlagerteilung nicht mehr existent sei, dürfe der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden. Er könne auch nicht auf Los 2 erteilt werden, da im Falle des gebotenen Angebotsausschlusses eine nochmalige Wertung unter Einschluss der Nebenangebote stattfinden müsse.

35

Die Angebotswertung sei nicht nach den bekannt gemachten Zuschlagskriterien erfolgt, da der Zuschlag nicht auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden soll. Dies sei das Angebot der Antragstellerin, da sie die durch die gerügten Unklarheiten in den Verdingungsunterlagen bedingten Risiken einkalkuliert habe. Die Angebote der Bestbieter seien dagegen unauskömmlich, weil diese die Risiken nicht in ihren Kalkulationen berücksichtigt hätten.

36

Im Übrigen ließen die von ihr gerügten Mängel der Bekanntmachung und der Verdingungsunterlagen eine vergaberechtskonforme Entscheidung nicht zu.

37

Nach Akteneinsicht vertieft sie ihren Vortrag und rügt die Angebotsprüfung und deren defizitäre Dokumentation. Die Prüfung sei nicht auftragsbezogen nach Losen getrennt vorgenommen worden, auch seien die geforderten Nachweise lediglich auf Vollständigkeit, nicht aber inhaltlich überprüft worden. Bei der Eignungsprüfung habe der Auftraggeber nicht die Eignung der Bieter positiv festgestellt, sondern lediglich, dass "keine Zweifel an deren Eignung" bestehen. Die Unzuverlässigkeit der Beigeladenen zu 1) werde imÜbrigen auch durch ihre unwahren Angaben zu ihrer Firmierung belegt.

38

Angesichts der hohen Abweichung des Angebotes der Beigeladenen zu 1) von der eigenen Kostenschätzung hätte der Auftraggeber in einer gebotenen Preisprüfung dessen Unauskömmlichkeit feststellen können und müssen. Der Angebotspreis lasse auch darauf schließen, dass die Beigeladene zu 1) keine ausschreibungskonformen Fahrzeuge einsetzen werde.

39

Wegen wettbewerbswidriger Abreden mit einem konzernverbundenen Mitbieter und mangelnder Auskömmlichkeit sei auch das Angebot der Beigeladenen zu 2) auszuschließen.

40

Die Antragstellerin beantragt

  1. 1.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut in die Angebotswertung einzutreten,

  2. 2.

    hilfsweise andere geeignete Maßnahmen zu treffen,

  3. 3.

    höchst hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung aufzuheben und

  4. 4.

    dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzugeben,

  5. 5.

    festzustellen, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten hat,

  6. 6.

    die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners für notwendig zu erklären.

41

Der Auftraggeber beantragt

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag abzuweisen,

  2. 2.

    die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären,

  3. 3.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

42

Er tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen und verweist hierbei auf seine Bieterrundschreiben.

43

Soweit sich der Antrag auf die Rügen vom 06. und 12.12.05 und vom 16.01.06 stütze, sei er unzulässig, da diese nicht unverzüglich vorgetragen worden seien. ImÜbrigen sei der Antrag unbegründet.

44

Der begehrte Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu 1) sei nicht zu rechtfertigen, da lediglich der Firmenname geändert wurde, ansonsten aber rechtliche und tatsächliche Identität der Fa. xxx Container Dienst GmbH und der Fa. xxx Entsorgung GmbH bestehe. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache sei festzustellen, dass die geforderten Nachweise und Erklärungen mit dem Angebot der Beigeladenen zu 1) vorgelegt worden sind. Der Vortrag der Antragstellerin bezüglich fehlender Leistungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit lasse keine Zweifel an der Eignung der Beigeladenen zu 1) entstehen. Im Hinblick darauf, dass das Bieterfeld für beide Lose sehr eng beieinander lag, bestehe kein Anlass für Zweifel an der Auskömmlichkeit der Angebote. Die abschließende Wertung sei ausschließlich nach Maßgabe der bekannt gemachten Zuschlagskriterien erfolgt.

45

Für den Fall eines Ausschlusses der Beigeladenen zu 1) bliebe es im Übrigen bei der Erstplatzierung der Beigeladenen zu 2).

46

Die mit Schreiben vom 28.11.05 vorgetragenen Rügen gäben keinen Anlass für eine Aufhebung der Ausschreibung. Bei einem Großteil der Rügen sei nicht erkennbar, in welchen subjektiven Rechten die Antragstellerin verletzt sein könnte und welcher Schaden ihr drohe:

  • Bekanntmachung und die Verdingungsunterlagen enthielten bezüglich des Vertragsbeginns und der geforderten Kautionen und Sicherheiten keine unzumutbaren Wagnisse. Soweit sie Unklarheiten enthalten hätten, seien diese mit der 1. Bieterinformation aufgeklärt bzw. beseitigt worden.

  • Die gerügte Forderung von Nachweisen sei zulässig und korrekt bekannt gemacht worden, Verweise auf die Verdingungsunterlagen seien hierbei notwendig und zulässig. Der Vorbehalt zur Nachforderung von Nachweisen wurde durch Bieterinformation vergaberechtskonform modifiziert.

  • Auch die Zuschlagskriterien seien nicht zu beanstanden.

  • Der gerügte Aufhebungsvorbehalt sei aus Gründen der Fairness bekannt gegeben worden.

  • Die Verlängerungsoption und auch die Regelungen zur Bindefrist seien zulässig.

  • Die Zulässigkeit von Nebenangeboten sei hinreichend und eindeutig geregelt.

  • Die Zweifel der Antragstellerin an der Rechtmäßigkeit der angekündigten Eignungsprüfung seien nicht nachvollziehbar, hierzu sei in der 1. Bieterinformation Stellung genommen worden.

  • Mit den Allgemeinen Informationen zum Entsorgungsgebiet und den im Anhang zur Leistungsbeschreibung beigefügten Unterlagen sowie ergänzenden Bieterinformationen seien den Bietern alle zur Verfügung stehenden Daten und Informationen über Erschwernisse zur Verfügung gestellt worden. Auf dieser Grundlage und etwaiger örtlicher Besichtigungen konnten sie ihre Angebote ohne ungewöhnliche Wagnisse kalkulieren. Im Übrigen sei die Antragstellerin diesbezüglich als bisherige Auftragnehmerin vergeblich um weitergehende Informationen gebeten worden.

  • Der an mehreren Stellen der Leistungsbeschreibung erwähnte privatwirtschaftliche Fullservice wurde in der 1. Bieterinformation erläutert und konkretisiert.

  • Klargestellt wurde auch, dass der Bieter die für die Leistungserbringung nach den Feiertagsregelungen erforderlichen Leistungsreserven selbst einzuschätzen habe.

  • Der in der Leistungsbeschreibung enthaltene Vorbehalt zur Forderung von monatlich max. 50 Nachleerungen sei unverzichtbar und auch nicht unangemessen.

  • Die Forderung bezüglich eines erhöhten Schallschutzes der Fahrzeuge sei mit der 2. Bieterinformation zurückgenommen worden.

  • Das mit den Regelungen zum Entgelt verfolgte Ziel wurde in der 1. Bieterinformation erläutert, die Regelungen dienen in der vorliegenden Form der Abfederung des Bieterrisikos.

  • - Bei den Anforderungen an das System habe man sich bewusst auf die Normierung des BDE bezogen, da diese auf der ISO Norm 11784 / 11785 basiere und als Branchenstandard anerkannt sei. Dass sich die Antragstellerin als deutscher Bieter hierdurch diskriminiert sieht, sei unverständlich, zumal sie einen BDE-Transponder angeboten habe.

  • Der Begriff der optionalen Felder in der Leistungsbeschreibung zum Datenverkehr wurde erläutert.

  • Die gerügte Abwälzung der Beschaffungskosten im Falle ungeklärter Behälterverluste wurde durch die 1. Bieterinformation zu Gunsten des Auftragnehmers geändert.

  • Die Vorgaben für die Organisation der Annahme von Anforderungen der Sperrmüllabfuhr seien durch die 1. Bieterinformation so ergänzt worden, dass etwaige Unklarheiten und Risiken nicht mehr bestehen.

  • Die in der Leistungsbeschreibung mehrfach erwähnten Mehrmengen im haushaltsüblichen Rahmen könnten von einem fachkundigen Bieter abgeschätzt werden.

47

Die Prüfung der Regelungen des Vertrages seien nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens. Unbeschadet dessen seien die Besonderen Vertragsbedingungen nicht zu beanstanden.

48

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Beigeladenen zu 1), aufzuerlegen,

  3. 3.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung von Bevollmächtigten durch die Beigeladene zu 1) notwendig war.

49

Sie unterstützt den Vortrag des Auftraggebers. Sie erläutert insbesondere die Umstände ihrer Umfirmierung, welche ihre Rechtspersönlichkeit nicht berühre und vergaberechtlich nicht relevant sei. Die Mutmaßungen und Behauptungen der Antragstellerin bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit weist sie entschieden zurück.

50

Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag. Sie unterstützt ebenfalls den Vortrag des Auftraggebers und tritt der Auffassung der Antragstellerin entgegen, ihr Angebot sei wegen zu besorgender wettbewerbswidriger Absprachen mit einem weiteren, inzwischen konzernangehörigen Bieter auszuschließen. Derartige Absprachen habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben.

51

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 02.05.2006 Bezug genommen.

52

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Zum Teil ist die Antragstellerin mangels unverzüglicher Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB bei ihrem Vorbringen präkludiert. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er jedoch sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch der beiden hilfsweise gestellten Anträge unbegründet. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Der Auftraggeber war und ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, die Angebote der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 von der Angebotswertung auszuschließen. Aber auch die von der Antragstellerin zur Stützung ihrer hilfsweisen Anträge behaupteten zahlreichen vermeintlichen Vergaberechtsverstöße in Form von Mängeln und unzulässigen Festlegungen der Vergabebekanntmachung und der Vergabeunterlagen liegen nicht vor. Weder die Vergabeunterlagen noch die in der Vergabeakte dokumentierte Angebotswertung sind im Ergebnis als vergaberechtswidrig und rechtsverletzend zu beanstanden. Die Vergabekammer hat keine Veranlassung, den Auftraggeber zur Aufhebung des Vergabeverfahrens zu verpflichten.

53

1.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag betreffend die Einsammlung und den Transport von Restabfällen, die Lieferung von Transpondern, die Behälteraufstellung, die Zuordnung von Transponderdaten und den Behälterdienst (Los 1) sowie die Sammlung von Sperrmüll, Elektroschrott, Kühlgeräten und Grünabfällen (Los 2), für den gemäß § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000 EUR gilt. Der Wert des streitbefangenen Auftrags überschreitet diesen Schwellenwert bei weitem. Unter Zugrundelegung der vom Auftraggeber als niedrigste Angebote ermittelten Hauptangebote der Beigeladenen zu 1 für Los 1 und der Beigeladenen zu 2 für Los 2 betragen die Kosten für die ausgeschriebenen Dienstleistungen bereits 3.081.847,82 EUR brutto p.a. Über die gesamte ausgeschriebene sechsjährige Vertragslaufzeit summieren sich die Kosten somit auf mindestens 18.491.086,92 EUR brutto.

54

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, der Auftraggeber sei verpflichtet, das Angebot der Beigeladenen zu 1 insbesondere wegen fehlender Erklärungen und Nachweise bereits auf der 1. Wertungsstufe aus formalen Gründen vom Vergabeverfahren auszuschließen, weil die entsprechenden mit dem Angebot eingereichten Erklärungen und Nachweise ihr wegen der zwischenzeitlich erfolgten Umfirmierung nicht mehr zuzurechnen seien. Ferner könne auch das von dem Auftraggeber als preislich niedrigstes Angebot ermittelte Hauptangebot der Beigeladenen zu 2 zu Los 2 nicht berücksichtigt werden, weil dieses wegen eines zu besorgenden Verstoßes gegen das Verbot wettbewerbswidriger Absprachen auf Grund der Beteiligung von zwei konzernverbundenen Unternehmen gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A jedenfalls zwingend von der Angebotswertung auszuschließen sei. Weitere vermeintliche Rechtsverletzungen macht sie im Hinblick auf zahlreiche Festlegungen und Regelungen der Vergabebekanntmachung und der Vergabeunterlagen geltend, die sie überwiegend für vergaberechtswidrig hält und mit insgesamt sieben zwischen dem 23.11.2005 und dem 16.01.2006 abgesetzten Rügeschreiben angefochten hat. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954). Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Angebotswertung eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, was sich vorliegend schon daraus ergibt, dass die Antragstellerin ausweislich der Vergabeakte und des dort als Anhang zur Angebotswertung abgehefteten Preisspiegels (Blatt 98) bei Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 1 das günstigste Hauptangebot zu Los 1 und bei gleichzeitigem Ausschluss der Beigeladenen zu 2 auch das preislich niedrigste losübergreifende Nebenangebot abgegeben hat. Es ist imÜbrigen nicht erforderlich, dass ein Antragsteller auch schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24). Das tatsächliche Vorliegen der Rechtsverletzung ist vielmehr eine Frage der Begründetheit (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 24.11.1999, Az.: 13 Verg 7/99). Auch soweit die Antragstellerin mit ihrem hilfsweise gestellten Antrag die Aufhebung der Ausschreibung wegen einer vermeintlich mangelhaften Leistungsbeschreibung begehrt, hätte sie im Erfolgsfall die Möglichkeit, sich bei einer dann erforderlichen erneuten Ausschreibung mit einem neuen Angebot zu beteiligen. Sie hat damit schlüssig die Möglichkeit eines Schadens dargelegt.

55

Die Antragstellerin ist hinsichtlich ihrer umfangreichen Anfechtungen des Vergabeverfahrens im Nachprüfungsverfahren auch überwiegend ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber den Auftraggebern unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Werden etwa beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses vermeintliche Ungenauigkeiten festgestellt, liegt bereits positive Kenntnis vor (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 681). Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/00). Dabei hängt die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, vom Einzelfall ab. Grundsätzlich teilt die Vergabekammer die Auffassung des OLG Koblenz, dass die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen 1 bis 3 Tagen nach positiver Kenntniserlangung erfolgen muss (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 18.09.2003, Az.: 1. Verg. 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff. [OLG Düsseldorf 13.04.1999 - Verg 1/99]), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger, insbesondere anwaltlicher Hilfe erfordert.

56

Unter Zugrundlegung dieses zutreffenden Maßstabs sind nicht alle Rügen, die die Antragstellerin zum Gegenstand ihres Nachprüfungsantrags gemacht hat, unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfolgt. Die Antragstellerin erhielt die Vergabeunterlagen am 23.11.2005. Bereits am 28.11.2005 rügte sie mit insgesamt drei Anwaltsschriftsätzen vermeintliche Mängel der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen. Es folgten weitere anwaltliche Rügeschreiben vom 06.12., 12.12. und eine zusammenfassende und ergänzende Rüge vom 30.12.2005, eine siebte Rüge am 16.01.2006 und schließlich, im Nachgang zum Informationsschreiben des Auftraggebers gemäß § 13 VgV, ein achtes Rügeschreiben mit Anwaltsschriftsatz vom 30.03.2006. Die ersten vier Rügeschreiben - also einschließlich des Schriftsatzes vom 06.12.2005, sind in Ansehung der Komplexität der Vergabeunterlagen und der Tatsache, dass ein Rechtsanwalt mit der Prüfung der Unterlagen und Absetzung der Rügen beauftragt wurde, noch unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme der vermeintlichen Mängel erfolgt. Gleiches gilt für die zusammenfassende Rüge vom 30.12.2005, soweit hier lediglich Einwendungen aus den ersten vier Rügeschreiben konkretisiert wurden. Soweit dort allerdings erstmalig die geforderten Kautionen und Sicherheiten, die Nachforderung von Nachweisen zur persönlichen Lage der Bieter, die Eignungsnachweise und die Ankündigung zur evtl. Aufhebung der Ausschreibung angefochten wurden, ist die Antragstellerin hinsichtlich dieser Sachverhalte, die aus den Verdingungsunterlagen zumindest für ein anwaltlich beratendes Fachunternehmen ohne weiteres zu erkennen waren, präkludiert. Diese Tatsachen hätte die Antragstellerin spätestens in ihrem Rügeschreiben vom 06.12.2005 rügen können und müssen. Gleiches gilt für den Inhalt der Rügen vom 12.12.2005 und vom 16.01.2006. Beide Rügen beziehen sich ausschließlich auf Passagen der Vergabeunterlagen (fehlende Aussagen zur Verbindlichkeit von Mengenangaben im Leistungsverzeichnis, fehlende Regelungen zur Kalkulation im Falle möglicher Satzungsänderungen, Beschreibungen von Behinderungen und ihren Konsequenzen für die Leistungserbringung, von den Bietern geforderte rechtsverbindliche Erklärungen). Auch diese vermeintlichen Mängel hätte die anwaltlich beratende Antragstellerin bereits in ihrem ersten Rügeschreiben vom 28.11.2005, spätestens aber in ihrem vierten Rügeschreiben vom 06.12.2005 und damit noch innerhalb von 14 Tagen nach positiver Kenntnisnahme dieser Passagen rügen können und müssen.

57

Soweit sich die Antragstellerin erstmalig mit Rügeschreiben vom 30.03.2006 gegen die Berücksichtigung der Angebote der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 wandte, erfolgte diese Rüge jedoch rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB, da die Antragstellerin erst auf Grund des Informationsschreibens des Auftraggebers vom 28.03.2006 von der Beteiligung der beiden Unternehmen und die beabsichtigte Zuschlagserteilung Kenntnis erlangt hat.

58

2.

Der Nachprüfungsantrag ist sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch hinsichtlich der hilfsweise gestellten Anträge unbegründet. Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Der Auftraggeber ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, die Angebote der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 von der Angebotswertung auszuschließen. Die nach Angebotsabgabe durch Eintragung in das Handelsregister wirksam gewordene Umfirmierung der ansonsten hinsichtlich der Gesellschafter, der Unternehmensstruktur und der Geschäftsführung unverändert gebliebenen GmbH der Beigeladenen zu 1 führt nicht zu einem zwingenden Ausschlussgrund gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 a VOL/A. Die entsprechend der Bekanntmachung von den Bietern mit Angebotsabgabe zwingend abzugebenden Nachweise wie Handelsregisterauszüge und Nachweise für die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, die noch auf den alten Namen der Beigeladenen ausgestellt wurden und die diese ordnungsgemäß mit ihrem Angebot vorgelegt hat, sind der Beigeladenen auch unter dem neuen Firmennamen zuzurechnen. Der Sachverhalt bietet auch keinen Anlass, von einer Unzuverlässigkeit oder von einer wegen anderweitiger Auslastung erschöpften Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 1 auszugehen (im Folgenden a). Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 2 gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A vor. Die Tatsache, dass ein weiteres konzernangehöriges Schwesterunternehmen der Beigeladenen zu 2 sich ebenfalls am streitbefangenen Vergabeverfahren beteiligt hat, ist nicht per se vergaberechtswidrig. Anhaltspunkte für eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede in Form eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs liegen nicht vor (im Folgenden b). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die in der Vergabeakte enthaltene Dokumentation der Eignungsprüfung auch der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 als auch die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes sowohl den Anforderungen des § 25 Nr. 2 und 3 VOL/A als auch den Anforderungen des § 30 VOL/A (im Folgenden c). Auch soweit die Antragstellerin hilfsweise beantragt hat, die Aufhebung des Vergabeverfahrens wegen vermeintlicher Mängel in der Vergabebekanntmachung und den Vergabeunterlagen anzuordnen, war der Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Die Vergabebekanntmachung enthielt alle nach den §§ 17, 17 a VOL/A erforderlichen Angaben. Die Vergabeunterlagen selbst sind zumindest in der Gestalt, die sie durch die Klarstellungen und Modifizierungen in den ausführlichen Bieterrundschreiben 1 bis 4 erfahren haben, vergaberechtlich nicht zu beanstanden (im Folgenden d).

59

a)

Ausschluss der Beigeladenen zu 1

60

Der Sachverhalt bietet für den Auftraggeber unter keinem der von der Antragstellerin geltend gemachten Gesichtspunkte Anlass, von einem zwingenden Ausschlussgrund zu Lasten der Beigeladenen zu 1 auszugehen oder einen fakultativen Ausschluss ihrer Angebote zu prüfen:

61

aa)

Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, die Angebote der Beigeladenen zu 1 seien auszuschließen, weil dieser auf Grund der im Laufe des Vergabeverfahrens erfolgten Umfirmierung die von den Bietern mit Angebotsabgabe zwingend abzugebenden Nachweise wie insbesondere Handelsregisterauszüge und Nachweise für die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, die noch auf den alten Namen der Beigeladenen zu 1 ausgestellt wurden, nicht zuzurechnen seien, liegt der entsprechende Ausschlussgrund gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 a VOL/A i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A nicht vor. Danach können Angebote, die nicht die erforderten Angaben und Erklärungen enthalten, ausgeschlossen werden. Dieses Ermessen reduziert sich durch Selbstbindung eines Auftraggebers immer dann auf Null und damit auf einen zwingenden Ausschluss, soweit der Auftraggeber mit der Vergabebekanntmachung, der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder den sonstigen Vergabeunterlagen die Nachweise und Belege zur Mindestbelegung erhebt, indem er ihre Vorlage ausdrücklich mit Angebotsabgabe verlangt und auf einen zwingenden Ausschluss im Falle der Nichtbeifügung hinweist. Der Auftraggeber ist dann an diese Voraussetzungen gebunden und darf nicht nachträglich von seinen Mindestvoraussetzungen abweichen (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 06.05.2002, Az.: 1/SVK/034-02; BayObLG, Beschluss v. 20.12.1999, Az.: 8/99, BauR 2000, 558, 560; OLG Celle, Beschluss v. 11.03.2004, Az.: 13 Verg 3/2004). Die Beigeladene zu 1 hat jedoch ausweislich der vorliegenden Vergabeakten mit Datum vom 16.01.2006 vollständige Hauptangebote auf die Lose 1 und 2 sowie ein losübergreifendes Nebenangebot unter dem ursprünglichen Firmennamen xxx Container Dienst GmbH abgegeben. Sämtliche beizufügenden und auch tatsächlich beigebrachten Nachweise, wie insbesondere der Handelsregisterauszug, die steuerliche Bescheinigung des Finanzamtes xxx zur Beteiligung an öffentlichen Aufträgen, die Unbedenklichkeitsbescheinigung der AOK xxx, der BGF Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen, die Angaben über den Gesamtumsatz des Unternehmens und der Umsätze bezüglich der angebotenen Leistungen, der Nachweis über die Erbringung ähnlicher Leistungen, die Referenzen und das Überwachungszertifikat der Entsorgergemeinschaft xxx e. V. über die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb sind ebenfalls auf die ursprüngliche Firma xxx Container Dienst GmbH ausgestellt. Sowohl die Angebote als auch die beigefügten Belege und Zertifikate sind der Beigeladenen zu 1 entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nach der zwischenzeitlich erfolgten Umfirmierung in die Firma xxx Entsorgung GmbH zuzurechnen. Die Umfirmierung war zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch nicht wirksam, da die Eintragung der Änderung des Firmennamens in das Handelsregister ausweislich der in der Vergabeakte enthaltenen, mit Fax der Beigeladenen zu 1 vom 30.03.2006 an den Auftraggeber übersandten Kopien des aktuellen Handelsregisterauszuges, der Benachrichtigung des Amtsgerichts xxx und des Notars über die Eintragung der Namensänderung in das Handelsregister erst am 17.01.2006 erfolgt ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist hinsichtlich des Zeitpunkts der Wirksamkeit der Namensänderung nicht auf die notarielle Beurkundung der Änderung des Gesellschaftsvertrags vom 12.12.2005 abzustellen. Die Eintragung der Änderung in das Handelsregister ist nicht deklaratorisch, sondern konstitutiv. Dies folgt aus § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GmbHG. Danach reicht es nicht aus, die Abänderung des Gesellschaftsvertrages zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Abänderung hat ausdrücklich keine rechtliche Wirkung, bevor sie in das Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft auch tatsächlich eingetragen ist.

62

Aber auch unabhängig davon hat die bloße Änderung des Firmennamens keinen Einfluss auf die Identität einer Gesellschaft und damit des Bieters. Die Firma ist nämlich nur der Name der Gesellschaft (§ 4 GmbHG, § 17 Abs. 1 HGB). Solange eindeutig ist, welche Gesellschaft bezeichnet wird, ist es rechtlich unerheblich, unter welchem Namen die Gesellschaft bezeichnet wird. Die Firma darf lediglich keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen (§ 18 Abs. 2 HGB). Zwar kann die Änderung einer Sachfirma ein Indiz dafür sein, dass sich die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft verlagert hat bzw. verlagern wird. Denn nach dem auch in § 18 Abs. 2 HGB niedergelegten Grundsatz der Firmenwahrheit muss die Sachfirma den Geschäftsbereich der Gesellschaft zutreffend kennzeichnen. Dafür bestand jedoch im vorliegenden Fall kein Anlass, denn der Firmenwechsel brachte hier nur zum Ausdruck, dass sich die Geschäftstätigkeit der Beigeladenen zu 1 von einem (reinen) Containerdienst zu einem Entsorgungsbetrieb verlagert hat. Da die Beigeladene zu 1 schon seit vielen Jahren als Entsorgungsbetrieb organisiert und tätig ist, war sie gemäß § 13 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 18 Abs. 2 HGB sogar gehalten, ihre Firma zu ändern.

63

Wird - wie im vorliegenden Fall - die Struktur und Identität der Gesellschaft nicht geändert, spricht vergaberechtlich nichts gegen die Teilnahme des Unternehmens am Wettbewerb um öffentliche Aufträge in der Phase der Umfirmierung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 03.09.2002, Az.: VK-21/2002-L). Soweit sich die Antragstellerin zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 16.11.2005 - Verg 56/05 bezieht, verkennt sie, dass der dort zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist. Im dortigen Fall hatte das OLG Düsseldorf den durch eine Unternehmensumstrukturierung bewirkten Austausch einer Vertragspartei als eine besonders tief greifende Angebotsänderung gewertet, weil ein Kernelement des anzubahnenden Vertragsverhältnisses - Parteien, Leistung, Gegenleistung - verändert wurde. In diesen Fällen liegt eine vergaberechtlich gemäß § 24 VOL/A unzulässige Änderung des Angebotes vor, weil der potenzielle Auftragnehmer nicht mehr mit der Person identisch ist, die das Angebot eingereicht hat. Aus diesem Grunde ist auch eine Änderung einer Bietergemeinschaft zwischen Angebotsabgabe und Zuschlagserteilung nicht zulässig (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.01.2005, Az.: Verg 45/04, Beschluss v. 24.05.2005, Az.: Verg 28/05; VK Darmstadt, Beschluss v. 28.06.2005, Az.: 69 d VK 07/2005). Eine solche Änderung in der Identität der Gesellschaft der Beigeladenen zu 1 liegt hier aber nicht vor. Die Gesellschaftsform, die Zusammensetzung der Gesellschafter, die Geschäftsführung, der Gesellschaftszweck wie auch die gesamte Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit sind von der Firmenänderung völlig unberührt geblieben. Bloße Umfirmierungen aber sind vergaberechtlich irrelevant, da sie die rechtliche Identität des Bieters und damit seine Eignung unberührt lassen (vgl. VK Düsseldorf, Beschluss v. 03.09.2002, Az.: VK-21/2002-L; VK Südbayern, Beschluss v. 06.05.2002, Az.: 12-04/02).

64

bb)

Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, der Auftraggeber sei verpflichtet gewesen, auf der Ebene der Eignungsprüfung den fakultativen Ausschluss der Beigeladenen zu 1 zu prüfen, weil diese sich auf Grund einer verspäteten Information des Auftraggebers über die Umfirmierung als unzuverlässig erwiesen habe, geht die Antragstellerin bereits von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Ausweislich des von dem Auftraggeber in Kopie vorgelegten, als Serienschreiben abgefassten Informationsschreibens der Beigeladenen zu 1, das den Eingangsstempel "10.01.2006" des Auftraggebers trägt, hat die Beigeladene zu 1 den Auftraggeber schon vor Angebotsabgabe über die Umfirmierung informiert. Dass der Auftraggeber, worauf die Antragstellerin hingewiesen hat, die Bieter mit seinem Informationsschreiben gemäß § 13 VgV vom 28.03.2006 über die beabsichtigte Zuschlagserteilung irrtümlich unter Nennung des alten Firmennamens der Beigeladenen zu 1 informiert hat, kann der Beigeladenen zu 1 nicht entgegengehalten werden und ist vergaberechtlich unbeachtlich.

65

cc)

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sich der Auftraggeber auch in nicht zu beanstandender Weiseüber die Frage einer möglichen Auswirkung der Umfirmierung der Beigeladenen zu 1 auf ihre Identität und Eignung auseinander gesetzt. In der Vergabeakte (Blatt 100, 101) ist ein Vermerk des mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragten Ingenieurbüros xxx vom 12.04.2006 enthalten, der sich in Ergänzung des ebenfalls in der Akte enthaltenen ausführlichen Vergabevorschlags vom 23.02.2006 mit der Umfirmierung der Beigeladenen zu 1 auseinander setzt und unter Zitat von einschlägiger Rechtsprechung in nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, dass sich die Identität der Beigeladenen zu 1 nicht verändert hat und ihr deshalb sämtliche Eignungsnachweise zuzurechnen sind. Auch der Einwand der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2006, dass der Auftraggeber sich mit dieser Frage erst auseinander gesetzt habe, nachdem die Antragstellerin die Umfirmierung der Beigeladenen zu 1 während des laufenden Vergabeverfahrens mit Schreiben vom 30.03.2006 gerügt hat, geht fehl. Sinn der Rügeverpflichtung nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ist es gerade, dem Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren die Möglichkeit zu geben, Vorwürfen von Bietern nachzugehen, vermeintliche Vergabeverstöße zu prüfen und ihnen ggf. selbst abzuhelfen.

66

dd)

Auch der Ansatz der Antragstellerin, der Auftraggeber sei gehalten gewesen, im Rahmen der Angebotswertung zu prüfen, ob die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 1 nicht wegen anderweitiger Auslastung "verbraucht" oder "erschöpft" sei, entbehrt einer konkreten Grundlage. Unstreitig ist die Beigeladene zu 1 bereits durch andere öffentliche Entsorgungsträger mit Entsorgungsdienstleistungen vergleichbaren Umfangs beauftragt. Dies folgt bereits aus den mit dem Angebot eingereichten Referenzen, u.a. des Landkreises xxx vom 11.01.2006. Die vergleichbaren Aufträge und die diesbezüglichen Referenzen sprechen jedoch gerade für die Eignung der Beigeladenen zu 1 für den streitbefangenen Auftrag. Die Akquisition weiterer Aufträge wird ihr dadurch nicht verwehrt. Ein Verbrauch oder eine Erschöpfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 1 für den hier streitbefangenen Auftrag ist vorliegend nicht zu besorgen. Dieser Aspekt kommt überhaupt nur in Betracht, soweit ausgeschriebene Dienstleistungen durch das Vorhalten technischer oder personeller Kapazitäten geprägt sind, die für den Bieter im Zeitraum zwischen Zuschlagserteilung und Beginn des Vertragszeitraums nicht ohne weiteres zu beschaffen sind. Im Bereich der Entsorgungsdienstleistungen kann dies z.B. der Fall sein, wenn der Bieter Deponiekapazitäten einbringen muss, die er weder unmittelbar selbst noch über Verträge mit Deponiebetreibern nachweisen kann. Da Deponiekapazitäten nicht ohne weiteres beliebig oder kurzfristig erweiterbar sind, kann dies dazu führen, dass ein Bieter sich mit zu vielen Aufträgen übernimmt und dass die Eignung eines Bieters trotz offensichtlich vorhandener Fachkunde und Zuverlässigkeit am Kriterium der Leistungsfähigkeit scheitert, weil ein wesentlicher Kapazitätsnachweis nicht erbracht werden kann. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch unter keinem Gesichtspunkt zu befürchten. Ausgeschrieben wurden hier die Einsammlung und der Transport von Restabfällen, die Lieferung von Transpondern, die Behältererstaufstellung, die Zuordnung von Transponderdaten und der Behälterdienst sowie die Sammlung von Sperrmüll, Elektroschrott, Kühlgeräten und Grünabfällen. Weder ist es den sich um öffentliche Aufträge bewerbenden Entsorgungsfachbetrieben zumutbar, noch ist es objektiv erforderlich, dass sie bereits im Stadium der Angebotsabgabe stets eine den ausgeschriebenen Auftrag abdeckende logistische Reserve vorweisen können. Vielmehr ist unstreitig, dass die Entsorgungsfachbetriebe üblicherweise für derartige Aufträge die erforderlichen Fahrzeuge erst dann beschaffen und das erforderliche Personal erst dann einstellen, wenn sie einen Zuschlag auch tatsächlich erhalten haben. Üblich ist nach Kenntnis der Vergabekammer aus anderen einschlägigen Vergabeverfahren ebenfalls, dass nach Möglichkeit zum Zeitpunkt des Beginns des ausgeschriebenen Vertragszeitraums sowohl Personal als auch im Einzelfall Fahrzeuge und andere für die Logistik notwendige Ausstattung vom bisherigen Inhaber des Entsorgungsauftrags übernommen werden. In jedem Fall aber wird vorliegend durch den ausreichend bemessenen Zeitrahmen zwischen Ablauf der Binde- und Zuschlagsfrist (30.06.2006) und dem Beginn des Auftragszeitraums (01.01.2008) gewährleistet, dass sich die Beigeladene zu 1 im Zuschlagsfall die erforderlichen sächlichen Mittel und das erforderliche weitere Personal rechtzeitig zum Leistungsbeginn beschafft. Angesichts der positiven Referenzen der Beigeladenen zu 1 hatte und hat der Auftraggeber keinen Anlass, an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 1 zu zweifeln.

67

b)

Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 2

68

Auch die Voraussetzungen für den von der Antragstellerin geforderten Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 2 gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A liegen nicht vor. Die Tatsache, dass sich mit der Fa. xxx GmbH ein inzwischen selbst zum xxx Konzern gehörendes und damit ein Schwesterunternehmen der Beigeladenen zu 2 ebenfalls am streitbefangenen Vergabeverfahren beteiligt hat, ist nicht per se vergaberechtswidrig. Anhaltspunkte für eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede in Form eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs liegen nicht vor. Der Auftraggeber hat in der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2006 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Chronologie des Konzernbeitritts bereits gegen den von der Antragstellerin gemutmaßten Verstoß gegen den Geheimwettbewerb spricht. Ausweislich des von der Antragstellerin als Anlage AST 14 mit Schriftsatz vom 27.04.2006 vorgelegten Beschlusses der 10. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes vom 17.03.2006, Az. B 10-141/2005, wurde das Zusammenschlussvorhaben von einschlägigen Geschäftsbereichen der Fa. xxx GmbH und der Fa. xxx AG am 21.11.2005 bei der Kartellbehörde angemeldet. Dieser Zusammenschluss ist erst durch die Freigabe des Bundeskartellamtes mit Beschluss des Bundeskartellamtes gemäß §§ 36, 40 Abs. 2 GWB vom 17.03.2006 und damit deutlich nach Abgabe der Angebote der Beigeladenen zu 2 und der Fa. xxx GmbH im streitbefangenen Vergabeverfahren wirksam geworden. Unabhängig davon ist die Beteiligung mehrerer, rechtlich selbstständiger Fachunternehmen eines Konzerns an einem Vergabeverfahren vergaberechtlich unbedenklich, solange - wie im vorliegenden Fall - keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs oder sonstige wettbewerbsbeschränkende Abreden im Sinne des § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A vorliegen.

69

Die Beigeladene zu 2 und die Fa. xxx GmbH sind unstreitig selbstständige juristische Personen und damit ausdrücklich nicht identische Bieter. Es bestehen zudem auch keinerlei Überschneidungen in der Geschäftsführung. Daher ist der vorliegende Sachverhalt nicht etwa mit dem vergleichbar, der der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 16.09.2003, Az.: VII Verg 52/03, zu Grunde lag. Im dortigen Verfahren hatte der Vergabesenat darüber zu entscheiden, ob es zulässig ist, dass sich ein Bieterunternehmen an einem Verfahren doppelt in der Weise beteiligt, dass es zum einen ein eigenes Angebot abgibt und darüber hinaus sich an einer Bietergemeinschaft beteiligt, die ihrerseits ein Angebot über die identische ausgeschriebene Leistung abgibt. Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass in diesem Falle sowohl das Angebot des Bieters selbst wie auch das parallele Angebot der Bietergemeinschaft gemäß §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f, 2 Nr. 1 VOL/A vom Vergabeverfahren zwingend ausgeschlossen werden muss, weil durch die Abgabe dieser parallelen Angebote jedenfalls im Verhältnis zwischen diesem Bieter und der Bietergemeinschaft ein Geheimwettbewerb um den ausgeschriebenen Auftrag ausgeschaltet gewesen sei. Nur dann, wenn jeder Bieter die ausgeschriebene Leistung in Unkenntnis der Angebote, Angebotsunterlagen und Angebotskalkulation seiner Mitbewerber um den Zuschlag anbietet, sei ein echter Bieterwettbewerb möglich. Dies sei nicht mehr möglich, wenn - wie im dortigen Streitfall - ein Bieter für die ausgeschriebene Leistung nicht nur ein eigenes Angebot abgibt, sondern sich daneben auch als Mitglied einer Bietergemeinschaft um den Zuschlag derselben Leistung bewirbt. Dann sei in aller Regel der Geheimwettbewerb in Bezug auf beide Angebote nicht mehr gewahrt.

70

§ 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A setzt jedoch keine potenziell möglichen, sondern tatsächliche wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen voraus, die dann zum Ausschluss gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f VOL/A führen müssen. Vorliegend bietet weder die Vergabeakte noch der Sachverhalt im Übrigen Anhaltspunkte für das von der Antragstellerin vermutete wettbewerbsbeschränkende Verhalten der Beigeladenen zu 2. Selbst wenn die Fa. xxx GmbH als konzernangehöriges Unternehmen ebenso wie die Beigeladene zu 2 auf den zentralen Einkauf für die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen zurückgreifen kann, ist es beiden Unternehmen auch künftig nicht verwehrt, unter Beachtung des § 2 Nr. 1 VOL/A sich unabhängig voneinander um öffentliche Aufträge zu bewerben. Die Rechtsauffassung der Antragstellerin hätte gerade für den Bereich des Entsorgungssektors die Folge, dass der Wettbewerb sich bei allen Ausschreibungen nur noch auf wenige Angebote beschränkt. Dies folgt wiederum daraus, dass die Entsorgungswirtschaft inzwischen so strukturiert ist, dass die überwiegende Zahl der ehemals selbstständigen Entsorgungsunternehmen inzwischen mit einem von wenigen Konzernen verbunden ist. Eine Ausweitung der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf über die dort zu Grunde liegende Konstellation (Parallelbeteiligung als Einzelfirma und gleichzeitig im Rahmen einer Bietergemeinschaft) auf alle nur denkbaren, zivilrechtlich im Übrigen ja zulässigen Organisationsverbindungen von Bieterunternehmen würde faktisch zu einer Beschränkung des Wettbewerberkreises führen, die mit dem Ziel des Vergaberechts nicht in Einklang zu bringen ist.

71

c)

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die in der Vergabeakte enthaltene Dokumentation der Eignungsprüfung der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 wie auch die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes sowohl den Anforderungen des § 25 Nr. 2 und 3 VOL/A als auch den Anforderungen des § 30 VOL/A.

72

Gemäß § 30 VOL/A ist über die Vergabe ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Sinn dieser Bestimmungen ist es, die Überprüfbarkeit der im Rahmen des Vergabeverfahrens getroffenen Feststellungen und Entscheidungen herbeizuführen (vgl. Franke/Grünhagen, VOB/A, A § 30, Rdnr. 1, m.w.N.). Der Anwendungsbereich des § 30 Nr. 1 VOL/A erstreckt sich ebenso wie die entsprechende Regelung in § 30 Nr. 1 VOB/A dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch materiell auf die Maßnahmen, Feststellungen und die Begründung der einzelnen Entscheidungen. Der Vergabevermerk ist chronologisch zu fassen und muss sich dabei an der vorgeschriebenen Reihenfolge orientieren (vgl. Beck'scher VOB-Kommentar, A § 30, Rdnr. 12). Zu den materiellen Dokumentationspunkten zählen insbesondere die Verfahrensphasen, bei denen die Vergabestelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, wie bei der Prüfung der Angebote, Angaben über Verhandlungen mit Bietern und deren Ergebnis sowie das Ergebnis der Wertung der Angebote (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 30.04.2001, Az.: 1 SVK/23-01; 1. VK des Bundes, Beschluss v. 11.10.2002, Az.: VK 1-75/02). Ebenso sind im Vergabevermerk die Gründe für die Erteilung des Zuschlags auf das betreffende Angebot anzugeben. Es ist eine nach § 30 Nr. 1 VOL/A / § 30 Nr. 1 VOB/A zwingende Pflicht des Auftraggebers, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderlicheÜberprüfbarkeit zu gewährleisten (vgl. Brandenburg, Beschluss v. 08.03.1999, NZBau 2000, S. 44 ff. [OLG Brandenburg 03.08.1999 - 6 Verg 1/99]). Eine fehlende Dokumentation wesentlicher Schritte bis zur Vergabeentscheidung ist daher rechtsfehlerhaft und führt zu einer Nichtnachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung. Daraus folgt, dass im Vermerk die Gründe so dezidiert festzuhalten sind, dass auch einem Außenstehenden bei Kenntnis der Angebotsinhalte deutlich erkennbar und nachvollziehbar wird, warum gerade auf das betreffende Angebot der Zuschlag erteilt werden soll.

73

Die in der Vergabeakte enthaltene Dokumentation der vom Auftraggeber gemäß § 25 Nr. 1 VOL/A durchzuführenden Vollständigkeitsprüfung und der nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A durchzuführenden Eignungsprüfung genügt diesen Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Vergabevermerk gemäß § 30 Nr. 1 VOL/A. Der in der Vergabeakte (Blatt 82 - 97) enthaltende Vermerk des beauftragten Ingenieurbüros xxx über die Auswertung der Angebote vom 23.02.2006 setzt sich unter lfd. Nr. 4 auf ingesamt 3 1/2 Seiten detailliert und Schritt für Schritt mit der Frage auseinander, ob und ggf. warum Angebote zwingend nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A ausgeschlossen werden müssen bzw. ob sie wegen Vorliegens von fakultativen Ausschlussgründen gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A ausgeschlossen werden sollten. Bei den Angeboten zweier Bieter, die nicht Beteiligte dieses Nachprüfungsverfahrens sind, kam das Ingenieurbüro zu der Empfehlung, die Angebote wegen fehlender Unterlagen bzw. Referenzen gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A auszuschließen. Der Auftraggeber ist dieser Empfehlung gefolgt. Eine nähere Auseinandersetzung mit den übrigen Angeboten, die vollständig und damit unproblematisch waren, erfolgt nicht. Ihre Vollständigkeit wird jedoch anhand einer dem Vermerk (Blatt 97) beigefügten tabellarischen Übersicht dargestellt und insofern völlig ausreichend positiv festgestellt. Bei der Prüfung der Eignung auf der 2. Wertungsstufe beschränkt sich die Dokumentation in nicht zu beanstandender Weise auf die bestplatzierten Angebote. Der Vermerk setzt sich unter lfd. Nr. 5 auf Seite 7 bis 11 detailliert mit den Angeboten der Antragstellerin, der Beigeladenen zu 1, der Beigeladenen zu 2 und der Fa. xxx auseinander. Dabei wird die Eignung nach Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit anhand der vorzulegenden Umsatzzahlen, Zertifikate und Referenzen ordnungsgemäß überprüft und aussagefähig dokumentiert. Auf die Rüge der Antragstellerin vom 30.03.2006 hat sich das Ingenieurbüro und der Auftraggeber in Ergänzung zu diesem Vergabevermerk noch einmal mit Vermerk vom 12.04.2006 (Blatt 99 bis 101) in nicht zu beanstandender Weise ausführlich mit der Frage auseinander gesetzt, ob das Angebot der Beigeladenen zu 1 wegen der zwischenzeitlich erfolgten Umfirmierung ausgeschlossen werden muss, was im Ergebnis vergaberechtlich zutreffend dann verneint wurde (vgl. oben 2 a, bb, cc).

74

Auch die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ist entsprechend den Vorgaben des § 25 Nr. 2 Abs. 2, 3 und Nr. 3 VOL/A erfolgt und in einer den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte dokumentiert. Der Auftraggeber hat zu Recht die preislich niedrigsten Hauptangebote der Beigeladenen zu 1 für Los 1 und der Beigeladenen zu 2 für Los 2 als wirtschaftlichste Angebote ermittelt. Entgegen den Mutmaßungen der Antragstellerin hatte der Auftraggeber zu keinem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens weitere Zuschlagskriterien im Sinne des § 9 a VOL/A festgelegt. Bereits in der Bekanntmachung vom 18.11.2005 wurde unter IV. 2. 1 der niedrigste Preis als einziges Zuschlagskriterium benannt. Auch in den Verdingungsunterlagen heißt in Teil I: Aufforderung Angebotsabgabe, Bewerbungsbedingungen unter lfd. Nr. 5.3:

"Wirtschaftlichstes Angebot

Innerhalb des Kreises der geeigneten Bieter wird der Zuschlag losweise auf das Haupt- oder Nebenangebot mit dem niedrigsten Angebotspreis erteilt."

75

Auch im Übrigen nennen die Verdingungsunterlagen keine weiteren Zuschlagskriterien. Aus der in der Vergabeakte enthaltenen Vergabeempfehlung ergibt sich ebenfalls, dass das wirtschaftlichste Angebot allein auf der Grundlage des niedrigsten Angebotspreises ermittelt wurde. Die preisliche Gegenüberstellung unter Verwendung des der Vergabeempfehlung beigefügten Preisspiegels (Blatt 98) ergab dabei in nicht zu beanstandender Weise, dass die Kombination des niedrigsten Hauptangebotes der Beigeladenen zu 1 für Los 1 und des niedrigsten Hauptangebotes der Beigeladenen zu 2 für Los 2 die wirtschaftlichste Lösung auch gegenüber allen losübergreifenden Nebenangeboten darstellte.

76

Andere Kriterien hätte der Auftraggeber auch nicht berücksichtigen dürfen. Zwar ist gemäß § 25 Nr. 3 VOL/A der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis ist danach allein nicht entscheidend. Aus § 9 a VOL/A folgt jedoch, dass die Auftraggeber im Interesse des Transparenzgebots nur die Zuschlagskriterien berücksichtigen dürfen und müssen, die sie in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung angegeben haben. Die einschlägigen Auftragsrichtlinien der EU legen übereinstimmend fest, dass für die Auftragsvergabe grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend sein dürfen. Der Auftraggeber darf entweder den Bieter auswählen, der den niedrigsten Preis anbietet, oder denjenigen Anbieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat (vgl. Artikel 36 der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie RL 92/50 EWG, ABl. EG Nr. 1 209/1). Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 97 Abs. 5 GWB zulässigerweise ausdrücklich dafür entschieden, dem Kriterium "wirtschaftlichstes Angebot" den Vorzug vor dem ebenfalls zulässigen Kriterium "niedrigster Preis" zu geben. Das deutsche Recht schließt damit nicht aus, dass die preisliche Beurteilung des Angebotes im Rahmen der Prüfung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes eine maßgebliche Rolle spielt. Der Preis ist nach dem deutschen Vergaberecht vielmehr regelmäßig das wichtigste, aber eben nicht das allein entscheidende Kriterium (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 97, Rdnr. 144).

77

In Rechtsprechung und Schrifttum ist jedoch unumstritten, dass in den Fällen, in denen deröffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien nicht bekannt gemacht hat oder ausdrücklich nur das Kriterium "Preis" benannt hat, ausschließlich der niedrigste Preis als Zuschlagskriterium bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu Grunde gelegt werden darf (vgl. OLG Schleswig, VergabeR 2001, S. 214 ff.; Kulartz in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Vergaberecht, § 97 GWB, Rdnr. 209; Noch in: Müller-Wrede, VOL/A, § 25, Rdnr. 139; Kulartz in: Daub-Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 25, Rdnr. 43, m.w.N.; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Auflage, § 25 a VOB/A, Rdnr. 3). Auch die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ist somit korrekt erfolgt und ordnungsgemäß in der Vergabeakte dokumentiert.

78

Der Auftraggeber hatte auch keine Veranlassung, die Angemessenheit der ermittelten wirtschaftlichsten Angebote der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 in Zweifel zu ziehen und gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A zu überprüfen. Gemäß dieser Vorschrift hat der Auftraggeber in den Fällen, in denen ihm Angebote im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, die Einzelposten dieser Angebote zu überprüfen und zu diesem Zwecke vom Bieter die erforderlichen Belege zu verlangen. Die Beigeladene zu 1 hatte ausweislich der in der Vergabeakte enthaltenen Vergabeempfehlung und des beigefügten Preisspiegels (Blatt 98) für das streitbefangene Los 1 einen Preis von 2.077.040,32 EUR brutto p. a. angeboten. Dem folgte (die beiden ausgeschlossenen Angebote der im Nachprüfungsverfahren nicht beteiligten Bieter außer Acht gelassen) das Hauptangebot der Antragstellerin mit einem Preis von 2.264.927,46 EUR p.a. Für das streitbefangene Los 2 hatte die Beigeladene zu 2 mit einem Preis von 1.004.807,50 EUR brutto p.a. das günstigste Hauptangebot abgegeben. Darauf folgte - von den gewerteten Angeboten - das Angebot der Firma xxx, xxx, mit einem Angebotspreis von 1.005.778,19 EUR brutto p.a. Das erstplatzierte Angebot der Beigeladenen zu 1 für Los 1 liegt damit weniger als 10 % unter dem zweitplatzierten Hauptangebot der Antragstellerin. Der Abstand zwischen dem günstigsten Angebot der Beigeladenen zu 2 für Los 2 zum zweitplatzierten Angebot beläuft sich sogar nur auf unter 0,1 %. Das vom Auftraggeber beauftragte Ingenieurbüro hat daher unter Nr. 5.6 in seiner Vergabeempfehlung festgestellt:

"Bei den wertbaren Angeboten liegen die Abstände zum jeweils nächstplatzierten Angebot deutlich unter 10 %. Somit besteht nach unserer Auffassung keine Veranlassung, diese Angebote wegen nicht ordnungsgemäßer Kalkulation (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A) bzw. auf Grund eines offenbaren Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung (§ 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A) auszuschließen."

79

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber nicht von unangemessenen Angeboten der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 ausgegangen ist und angesichts der geringen Preisdifferenz von lediglich 9,0 % (bezüglich Los 1) bzw. weniger als 0,1 % (bezüglich Los 2) von einer Prüfung der Angebotskalkulation abgesehen hat. Die Vorgabe des § 5 Abs. 1 des Niedersächsischen Landesvergabegesetzes vom 02.09.2002 (Nds. GVBl. S. 370), die insoweit die bis dahin geltende Vorgabe des gemeinsamen Erlasses des MW und des MI vom 27.09.2002 - 32-32573/2/25 - MBl. S. 685 - aufgegriffen und abgelöst hat, dass immer dann, wenn ein Angebot, auf das der Zuschlag erteilt werden könnte, um mindesten 10 v. H. vom nächsthöheren Angebot abweicht, die Vergabestelle die Kalkulation des Angebotes zu überprüfen hat, ist bei einem Preisabstand von unter 10 % zwischen dem erst- und zweitplatzierten Angebot nicht tangiert. Im Übrigen ist die Notwendigkeit einer zwingenden Angemessenheitsprüfung bei einer Abweichung von lediglich 10 % bei Dienstleistungen und Lieferleistungen im Gegensatz zur Situation bei den Baumaßnahmen gemäß VOB fragwürdig. Im VOB-Bereich, wo der Markt so gefestigt ist, dass größere Abweichungen nicht so häufig vorkommen wie im Dienstleistungsbereich gemäß VOL/A, ist die 10%-Grenze angemessen. Für öffentliche Dienstleistungsaufträge, die - anders als im vorliegenden Fall - erst nach dem 31. Dezember 2005 durch Bekanntmachung eingeleitet worden sind, gilt die 10%-Prüfungsgrenze gemäß § 5 ohnehin nicht, da das Landesvergabegesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 09.12.2005 (Nds. GVBl. S. 395), in Kraft getreten am 01.01.2006, nur noch Regelungen für die Vergabeöffentlicher Bauaufträge enthält. Im Übrigen ist einöffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, nur "auskömmliche" Angebote zu berücksichtigen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.11.2001, Az.: 13 Verg 12/01, m.w.N.). Bei einem grundsätzlich leistungsfähigen Bieter kann es verschiedenste Gründe geben, im Einzelfall auch ein nicht auskömmliches oder jedenfalls sehr knapp kalkuliertes Angebot abzugeben. Derartige Angebote sind im Sinne des Wettbewerbs erwünscht, solange an der ordnungsgemäßen Durchführung der Arbeiten keine Zweifel bestehen.

80

Angesichts der Tatsache, dass die Abweichung zwischen den erst- und zweitplatzierten Angeboten für die Lose 1 und 2 sogar unter 10 % liegt, hat der Auftraggeber im vorliegenden Fall jedoch noch nicht einmal Anlass, die Angemessenheit der Angebotspreise zu bezweifeln. Maßstab für die Beurteilung dieser Frage ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht der vom Auftraggeber ex ante, also vor Beginn des Vergabeverfahrens geschätzte Auftragswert, sondern nur die tatsächlich im Wettbewerb erzielten Preise.

81

Der auf Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 1 und zu 2 gerichtete Hauptantrag der Antragstellerin war daher zurückzuweisen.

82

d)

Aber auch soweit die Antragstellerin hilfsweise vermeintliche Mängel der Vergabebekanntmachung und der Vergabeunterlagen geltend macht und diesbezüglichäußerst hilfsweise beantragt hat, den Auftraggeber zur Aufhebung des Vergabeverfahrens zu verpflichten, ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Antragstellerin hat mit insgesamt 7 Rügeschreiben (die unter 1 a erörterten pläkludierten Rügen eingeschlossen) dazu 80 vermeintliche Mängel und Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, die nahezu alle Bereiche der Vergabebekanntmachung, der Leistungsbeschreibung und große Teile der Vertragsbedingungen erfassen. Bis auf zwei Rügen, die die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung fallen gelassen hat, hat sie ihre Rügen trotz der umfangreichen, auf ihre Rügen eingehenden, ihnen teilweise abhelfenden und erklärenden Bieterrundschreiben 1 bis 4 des Auftraggebers aufrechterhalten und im Nachprüfungsverfahren wiederholt. Die Überprüfung der Vergabekammer hat jedoch ergeben, dass die Antragstellerin weder durch die Abfassung der Vergabebekanntmachung noch durch die Ausgestaltung der Vergabeunterlagen - zumindest in der Gestalt, die sie durch die Erläuterungen in den Bieterrundschreiben 1 bis 4 erhalten haben - in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt ist. Der allen Rügen gemeinsame Hauptkritikpunkt der Antragstellerin ist dabei ihre Besorgnis, dass die streitbefangene Ausschreibung mangels eindeutiger und erschöpfender Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A, der nicht vollständigen Angabe aller kalkulationsrelevanten Umstände gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A und der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A keine vergleichbaren Angebote ermöglichen konnte. Während sie, die Antragstellerin, als langjährige Vertragspartnerin vermeintlich fehlende kalkulationsrelevante Angaben durch ihre eigene Erfahrung im Entsorgungsgebiet kompensieren konnte und daher trotz aller Mängel ein realistisches Angebot abgeben konnte, seien die anderen Bieter auf Grund der mangelhaften Vergabeunterlagen und der fehlenden spezifischen Kenntnisse im Entsorgungsgebiet dazu nicht in der Lage gewesen. Diese Unkenntnis habe letztlich dazu geführt, dass die Beigeladene zu 1 und die Beigeladene zu 2 ihre Hauptangebote zu einem niedrigeren Preis als die Antragstellerin angeboten haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Leistungsbeschreibung entspricht den Vorgaben des § 8 VOL/A. Sie versetzt den fachkundigen Bieter in die Lage, ein ordnungsgemäßes, vollständiges Angebot zu legen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A nicht automatisch auch eine Pflicht zur lückenlosen, detaillierten Ermittlung und Wiedergabe der Verhältnisse im Entsorgungsgebiet wie Straßenverhältnisse, aller ständigen oder auch nur zeitlich begrenzten Hindernisse wie Sackgassenlagen, Baustellen, Veranstaltungen etc. beinhaltet. Die in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Informationen versetzen die fachkundigen Bieter in die Lage, sich über die für die kalkulationsrelevante Verkehrsinfrastruktur innerhalb der für die Erstellung des Angebotes zur Verfügung stehenden Zeit ein ausreichendes Bild zu machen. Die in den Vergabeunterlagen enthaltenen Angaben und Bedingungen versetzen den Kalkulator eines Fachunternehmens in einer Branche, in der Aufbau einer Logistik und die Berücksichtigung von vorhandener Infrastruktur zum Kernbereich gehören, in die Lage, ein realistisches Angebot abzugeben, ohne dass es dazu zusätzlich der bei der Antragstellerin als bisheriger Auftragnehmerin darüber hinaus vorhandenen detaillierten zusätzlichen Kenntnisse über das Entsorgungsgebiet bedarf.

83

Insbesondere führen auch die nachfolgenden, von der Antragstellerin zumindest schlüssig gerügten Festlegungen und Gestaltungen der Vergabeunterlagen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2006 waren, im Ergebnis nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin:

84

aa)

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erwächst dem Auftragnehmer aus der Tatsache, dass zwischen dem Ablauf der Angebotsfrist und dem Vertrags- und Leistungsbeginn ein Zeitraum von fast zwei Jahren liegt, kein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A. Nach dieser Vorschrift darf dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann, aufgebürdet werden. Die Antragstellerin sieht ein derartiges ungewöhnliches Wagnis in der langen Vorlaufzeit zwischen dem Ablauf der Angebotsfrist (17.01.2006) und dem Vertragsbeginn (01.01.2008). Durch die Art der Fristenbestimmung müsse der Auftragnehmer zwei Jahre im Voraus kalkulieren, so dass ihm einseitig das Risiko für Preisänderungen bis zum Auftragsbeginn aufgebürdet werde. Die Antragstellerin verkennt, dass dem Auftraggeber durch die Regelung in § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A nicht jegliches Wagnis oder Kalkulationsrisiko genommen werden soll. Der Auftragnehmer soll lediglich nur gewöhnliche Wagnisse eingehen müssen (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 8, Rdnr. 36, 40). Für den streitbefangenen Auftrag ist der gerügte Vorlauf von nahezu 24 Monaten aber nicht nur fachkundigen Bietern zumutbar, sondern für den Auftraggeber auch geboten. Für einen derartig umfangreichen, auf 6 Jahre angelegten Auftrag für die Einsammlung und den Transport von Restabfällen, die Behälterbewirtschaftung, die Sammlung von Sperrmüll, Elektroschrott, Kühlgeräten und Grünabfällen etc. ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Bieter, der den Auftrag letztlich erhält, eine umfangreiche Logistik aufbauen muss. Zum anderen muss der Auftraggeber, wie die Praxis der Vergabekammern und die zahlreichen zu öffentlichen Entsorgungsaufträgen ergangenen Entscheidungen der Kammern und Vergabesenate zeigen, bei einem derartig umfangreichen, auch von der Auftragssumme bedeutenden Auftrag berücksichtigen, dass sich die Auftragserteilung durch Wahrnehmung der Bieterrechte gemäß §§ 107 ff. GWB und Stellung eines Nachprüfungsantrags erheblich verzögert. Der Vorlauf ist im vorliegenden Fall deshalb zwar großzügig bemessen, bürdet den Bietern aber andererseits auch kein ungewöhnliches Kalkulationswagnis auf.

85

bb)

Diese Vergabebekanntmachung selbst enthielt alle nach den §§ 17, 17 a VOL/A erforderlichen Angaben. Soweit die Antragstellerin kritisiert, dass die Vergabebekanntmachung vom 18.11.2005 hinsichtlich mehrerer kurz beschriebener Anforderungen auf weitere Erklärungen in den Verdingungsunterlagen verweist - wie etwa hinsichtlich der persönlichen Lage des Wirtschaftsteilnehmers unter III. 2.1 oder hinsichtlich der Angaben zum anzubietenden Identsystem unter III. 2.3 - sind derartige Verweisungen nicht nur üblich und sinnvoll, sondern angesichts des begrenzten zulässigen Umfangs der Bekanntmachung sogar unumgänglich. Gemäß § 17 a VOL/A darf die zu erstellende Bekanntmachung ihrer Länge nach eine Seite des EG-Amtsblattes, d. h. rd. 650 Worte, nicht überschreiten. Da die Vergabebekanntmachung im vorliegenden Fall sämtliche Mindestangaben gemäß § 17 VOL/A enthält, ist sie nicht zu beanstanden.

86

cc)

Die Antragstellerin hat sich mit ihren Rügen vom 28.11. und 30.12.2005 gegen den auf Seite 11 der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter Ziffer 6 geregelten Aufhebungsvorbehalt des Auftraggebers gewandt. Dort heißt es:

"Der Landkreis xxx (Auftraggeber) hat im Rahmen eines Gutachtens zur Restrukturierung des Betriebes Abfallwirtschaft untersuchen lassen, welche Kosten entstehen würden, wenn er die zur Vergabe anstehenden Leistungen selbst durchführen würde. Dieser Betrag wurde mit 4,5 Mio. EUR/a brutto ermittelt (ohne die Kosten für Abfallbehälter). Liegt die Gesamtsumme der wirtschaftlichsten Angebotskombination oder des wirtschaftlichsten losübergreifenden Nebenangebotes über diesem Betrag, behält sich der Auftraggeber vor, die Ausschreibung gemäß § 26 Nr. 1 c VOL/A aufzuheben."

87

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Bekanntmachung einer derartigen Kostengrenze, verbunden mit einem Aufhebungs- und Selbstdurchführungsvorbehalt, vergaberechtlich zulässig und verstößt insbesondere nicht gegen § 26 Nr. 1 lit. c VOL/A. Danach kann die Ausschreibung unter anderem aufgehoben werden, wenn sie kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt hat. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich der Auftraggeber für den Fall, dass sämtliche Angebote die für eine Selbstdurchführung kalkulierten Kosten überschreiten, die Aufhebung der Ausschreibung mangels wirtschaftlichen Ergebnisses vorbehält. Auch ist die mit einer solchen bekannt gemachten Kostengrenze verbundene Bedingung, von der der Auftraggeber abhängig macht, ob er einen Auftrag mit eigenen Mitteln und Kräften selbst erledigt oder fremd vergibt, grundsätzlich vergabeunschädlich. Das Vergaberecht unterwirft die öffentlichen Auftraggeber nicht einem allgemeinen Kontrahierungszwang (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 22.05.2003, Az.: 13 Verg 9/03, unter Hinweis auf BGHZ 139, 259, 268 ff. - dort zu den Folgen einer vergaberechtswidrigen Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens). Das "Ob" einer Beschaffung oder Dienstleistungsauftragsvergabe steht im Ermessen des Auftraggebers. Die vom Auftraggeber transparent gesetzte Kostengrenze wäre nur dann vergaberechtlich zu beanstanden, wenn sie gegen die in § 16 VOL/A festgelegten Grundsätze einer Ausschreibung verstößt, weil sie dazu führt, dass es sich um eine "Scheinausschreibung" im Sinne des § 16 Nr. 2 VOL/A handelt. Vorliegend bieten aber weder der Aufhebungsvorbehalt noch das Vergabeverfahren im Übrigen Anhaltspunkte dafür, dass die Ausschreibung lediglich der Markterkundung oder sonstigen vergabefremden Zwecken diente. Vielmehr zeigt das Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung, wie sich aus dem in der Vergabeakte auf Blatt 98 enthaltenen Preisspiegel ergibt, dass alle Angebote bzw. alle denkbaren Kombinationen für die Lose 1 und 2 die vom Auftraggeber für die Wirtschaftlichkeit einer Selbstdurchführung ermittelte Kostengrenze von 4,5 Mio. EUR brutto p.a. deutlich unterschreiten. Die Kombination der vom Auftraggeber für den Zuschlag ermittelten Angebote der Beigeladenen zu 1 für Los 1 und der Beigeladenen zu 2 für Los 2 beträgt lediglich 3.081.847,82 EUR p.a. Angesichts der im Ergebnis der Ausschreibung zu Tage tretenden Marktlage war die Aufhebungsgrenze von 4,5 Mio. EUR p.a. nicht willkürlich oder irrealistisch gesetzt. Hätten sämtliche Angebote diese Grenze überschritten, wäre der Auftraggeber ohne weiteres berechtigt gewesen, das Vergabeverfahren gemäß § 26 Nr. 1 lit. c VOL/A aufzuheben.

88

dd)

Vergaberechtlich zunächst bedenklich erscheint dagegen die vom Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen unter Teil II: Angebotsdeckblatt und Leistungsverzeichnis auf Seite 5 formulierte, vorweggenommene Einverständniserklärung des Bieters zur Verlängerung der Bindefrist bei Verzögerung durch ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren. Dort heißt es:

"An mein/unser Angebot halte ich mich/halten wir uns bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist (30.06.2006 bzw. - wenn sich die Zuschlagserteilung wegen eines Nachprüfungsverfahren verzögert - bis 4 Wochen nach Rechtskraft des letztinstanzlichen Beschlusses, sofern ich/wir am Nachprüfungsverfahren beteiligt bin/sind) gebunden."

89

Ein Hinweis auf die beabsichtigte Forderung nach einer vorweggenommenen Zustimmung zur Bindefristverlängerung enthält bereits Ziffer IV. 3.7 der Vergabebekanntmachung. Dort heißt es:

"Bindefrist des Angebots: Nach Ablauf der Angebotsfrist sind die Bieter bis zum 30.06.2006 an ihr Angebot gebunden. Verzögert sich die Zuschlagserteilung wegen eines Nachprüfungsverfahrens, so sind die am Nachprüfungsverfahren beteiligten Bieter bis 4 Wochen nach Rechtskraft des letztinstanzlichen Beschlusses an ihr Angebot gebunden."

90

Zumindest die Formulierung in der Vergabebekanntmachung widerspricht der Regelung des § 19 Nr. VOL/A. Danach ist vorzusehen, dass der Bieter bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden ist (Bindefrist). Die mit der Zuschlagsfrist gleichlautende Bindefrist bedeutet die Zeitspanne, für die der Bieter an das von ihm abgegebene Angebot gebunden ist. Die Bindefrist des Bieters beginnt mit dem Eröffnungstermin und endet mit dem Ende der Zuschlagsfrist. Daraus folgt, dass die Zuschlagsfrist der Bindefrist gleichzusetzen ist. Der Bieter kann sein Angebot grundsätzlich, gleich aus welchen Gründen, innerhalb der Bindefrist weder zurückziehen noch abändern (vgl. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, § 19 VOL/A, Rdnr. 5706, m.w.N.). Läuft der Auftraggeber Gefahr, dass die Zuschlags- und Bindefrist vor Beendigung des Vergabeverfahrens abläuft, so ist er gehalten, für eine Verlängerung der Bindefrist zu sorgen, wenn er vermeiden will, dass die Bieter nicht mehr an ihr Angebot gebunden sind. Dabei entspricht es einhelliger Rechtsprechung, dass die Bindefrist im Einvernehmen des Bieters mit dem Auftraggeber verlängert werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29.12.2001 - Az.: Verg 22/01). Entgegen der Darstellung in der streitbefangenen Vergabebekanntmachung ist es aber nicht so, dass das vorläufige Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB im Falle eines Nachprüfungsverfahrens auch den Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist hemmt. Das vorläufige Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB hat vielmehr keinen materiell-rechtlichen Einfluss auf die Zuschlags- und Bindefrist. Beide Fristen laufen weiter. Um in einem solchen Fall das Vergabeverfahren möglichst ungehindert zu einem - späteren - Abschluss bringen zu können, ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die Bieter zur Verlängerung der Bindefrist zu bewegen (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., A § 19, Rdnr. 4, m.w.N.). Üblicherweise informiert der Auftraggeber im Falle der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens die Bieter über die damit verbundene Verzögerung des Vergabeverfahrens und bittet die Bieter gleichzeitig um Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist. Dabei entspricht es durchaus der Praxis und ist vergaberechtlich unbedenklich, wenn der Auftraggeber nur die Bieter der engeren Wahl befragt, ob sie der Verlängerung zustimmen (vgl. Heiermann, a.a.O.; Weyand, a.a.O., § 19 VOL/A, Rdnr. 5713).

91

Von den Nachprüfungsinstanzen nicht entschieden wurde allerdings bislang die Frage, ob diese Zustimmung der Bieter auch bereits vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, nämlich schon mit Angebotsabgabe gefordert werden darf. Die Antragstellerin sieht darin einen Verstoß gegen das Verbot der Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses gemäß § 8 Nr. 1 Satz 3 VOL/A, da von den Bietern weder vorausgesehen noch kalkuliert werden könne, ob andere Bieter ein Nachprüfungsverfahren einleiten werden. Ebenso könne von den Bietern die Länge eines Nachprüfungsverfahrens nicht vorhergesehen werden. Die Vergabekammer teilt diese Auffassung jedoch nicht. Ein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A ist mit der vorliegenden antizipierten Einverständniserklärung zur Bindefristverlängerung schon deshalb nicht verbunden, weil sich diese Erklärung ausdrücklich auf den Fall einer Verzögerung durch ein Nachprüfungsverfahren beschränkt. Nicht nur einöffentlicher Auftraggeber, sondern auch die Bieter müssen bei europaweiten Vergabeverfahren stets damit rechnen, dass ein Bieter von seinem Rechtsschutz nach den §§ 107 ff. GWB Gebrauch macht. Darin liegt kein ungewöhnliches Kalkulationsrisiko. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich die Forderung nach der antizipierten Zustimmung zur Bindefristverlängerung ausdrücklich nur auf die Bieter beschränkt, die Beteiligte eines Nachprüfungsverfahrens werden. Dies sind neben der jeweiligen Antragstellerin regelmäßig nur die Bieter, die nach dem derzeitigen Stand des Vergabeverfahrens die aussichtsreichsten Angebote abgegeben haben und deshalb von der Vergabekammer gemäß 109 GWB zum Nachprüfungsverfahren beigeladen werden. Eine Rechtsverletzung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 GWB durch die antizipierte Zustimmungserklärung scheidet für diesen Bieterkreis aus. Für die Antragstellerin folgt dies schon daraus, dass sie ohne Zustimmung zur Bindefristverlängerung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens die Antragsbefugnis im Nachprüfungsverfahren gemäß § 107 Abs. 2 GWB verlieren würde, wenn das Zuschlagsverbot gemäß § 115 Abs. 1 GWB die Zuschlags- und Bindefrist nach § 19 VOL/A überholt. Das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB und die damit verbundene Verzögerung des Vergabeverfahrens dient ja gerade den Interessen des Antragstellers und ist die zentrale Regelung des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes. Der damit verbundene Bieterschutz aber liefe ins Leere, wenn der Antragsteller den Zuschlag nach rechtskräftigem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens schon deshalb nicht erhalten kann, weil er mangels Verlängerung der Bindefrist kein wirksames Angebot mehr vorweisen kann. Da der Gesetzgeber bislang der Problematik, dass die Wirkung des Zuschlagsverbots gemäß § 115 Abs. 1 GWB die Zuschlags- und Bindefrist überholt, nicht Rechnung getragen hat, ist die Lösung über eine antizipierte Zustimmungserklärung zur Bindefristverlängerung wie im vorliegenden Fall eine recht- und zweckmäßige Regelung, die die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt.

92

ee)

Auch die in der Leistungsbeschreibung enthaltenen Regelungen wegen eines über die streitgegenständlichen Sammelleistungen hinausgehenden "privatwirtschaftlichen Fullservices" verstoßen nicht gegen das Gebot der vollständigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung des § 8 Nr. 1 VOL/A. Der Auftraggeber hat auf Seite 10 der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 2.4 (zu entsorgende Grundstücke) hinsichtlich der Abholplätze für die Behälter geregelt, dass die Bereitstellung am Straßenrand oder auch auf dem Grundstück an der Zufahrt erfolgt. Diese können durch Bürgersteige, Radwege, Grünstreifen usw. von der Straße getrennt sein. Ergänzend dazu wurde ein darüber hinausgehender, besonderer Service geregelt:

"Bei rd. 400 Grundstücken sind Verträge zwischen den Grundstückseigentümern und dem bisher beauftragten Entsorger (= die Antragstellerin - Anm. d. Kammer) über einen privatwirtschaftlichen Fullservice (Abholen und Rückstellen vom Grundstück) vereinbart worden. Es ist davon auszugehen, dass die betreffenden Grundstückseigentümer auch künftig einen privatwirtschaftlichen Service in Anspruch nehmen wollen."

93

Diese zusätzlichen Leistungen waren ausweislich Teil II (Angebotsschreiben und Leistungsverzeichnis) im Leistungsverzeichnis für Los 1 (Seite 6 von 8) ausdrücklich zu bepreisen. Dort sind unter Pos. 4 (Bedarfsleistungen) die Pos. 4-1 - Durchführung privatwirtschaftlicher Fullservice je Leerung Zwei-Rad-Behälter mit 200 Leerungen pro Monat und die Pos. 4-2 - Durchführung privatwirtschaftlicher Fullservice je Leerung Vier-Rad-Behälter mit 600 Leerungen pro Monat angegeben. Unstreitig sind mit Stand 2005 lediglich rd. 400 Grundstücke von ca. 75.020 zu entsorgenden Grundstücken betroffen, die derzeit einen derartigen privatwirtschaftlichen Service in Anspruch nehmen. Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass sie grundsätzlich kein Problem mit dieser Vorgabe an sich habe. Problematisch sei jedoch die Tatsache, dass in Abweichung zum bisherigen Vertragsverhältnis nunmehr den Bietern detaillierte Vorschriften hinsichtlich der Preise und der Verbindlichkeit dieser Preise für den Fullservice gemacht werden. Der Auftraggeber hat angesichts des geringen Anteils der mit dem Fullservice zu bedienenden Grundstücke an der Gesamtzahl von 75.020 zu entsorgenden Grundstücken (wobei monatlich etwa 90 Grundstücke lt. Leistungsbeschreibung hinzukommen) die Kalkulationsrelevanz dieses zusätzlichen Services in Frage gestellt und ferner auf seine diesbezüglichen ergänzenden Ausführungen auf Seite 14 des Bieterrundschreibens Nr. 1 vom 19.12.2005 verwiesen. Dort heißt es:

"Privatwirtschaftlicher Fullservice:

Wie es in dem betreffenden Kapitel formuliert wurde, ist unter dem Fullservice das Abholen und das Zurückstellen der Behälter vom Grundstück zu verstehen. Die Vergabestelle will diese Dienstleistung den interessierten Nutzern anbieten. Da für diese Leistung kein Gebührentatbestand definiert ist, wird der Auftragnehmer aufgefordert, das hierfür erforderliche Entgelt direkt beim Kunden einzuziehen. Die Vergabestelle geht davon aus, dass die max. Transportentfernung (Behälterstandplatz bis zur möglichen Kippstelle für das Sammelfahrzeug) max. 30 m und im Mittel 15 m beträgt. Treppenstufen, Haustüren o. a. sind nicht zu überwinden. Die Vergabestelle geht weiter davon aus, dass die in den Verdingungsunterlagen genannte Zahl von 400 Grundstücken sich nicht wesentlich verändern wird. Sofern bei einzelnen Grundstücken schlechtere Bedingungen als oben genannt bestehen, hat der Auftragnehmer das Recht, mit dem Benutzer ein angemessen höheres Entgelt als in Pos. 4-1 und 4-2 eingetragen zu vereinbaren."

94

Zumindest mit diesen zusätzlichen Angaben standen dem Kalkulator eines Fachunternehmens der Entsorgungsbranche alle Parameter zur Verfügung, die er für die Kalkulation der zusätzlichen "Fullservice"-Leistungen benötigte.

95

Gleiches gilt für die von der Antragstellerin als vermeintlich unzureichend angefochtenen Angaben in den Verdingungsunterlagen hinsichtlich der zu kalkulierenden Müllmengen, des Behältereinsatzes, der Abfuhrrhythmen, der Verlässlichkeit/Vollständigkeit von Angaben im Anhang 4 (Straßennetz und Erschwernisse bei der Abfuhr), des Bereitstellungsortes für die Müllbehälter, der Festlegungen und Anforderungen bezüglich des anzubietenden Identsystems (Transponder) sowie der Vorgaben zur Sperrmüllentsorgung "aus anderen Herkunftsbereichen", von Mehrmengen gegenüber angemeldeten Mengen und für die Abfuhr von Grünabfällen. Alle diese kalkulationsrelevanten Parameter entsprechen den Anforderungen an eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung. Die Qualität und der Umfang der Angaben hält sich durchweg im branchenüblichen Bereich. Sie enthalten alle kalkulationsrelevanten Umstände im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A und bürden dem Auftragnehmer kein branchenunübliches, ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A auf.

96

ff)

Auch der in der Leistungsbeschreibung aufgenommene Vorbehalt des Auftraggebers zur Forderung von max. 50 Nachleerungen im Monat bürdet dem fachkundigen Auftragnehmer kein unangemessenes Kalkulationsrisiko im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A auf. Der Auftraggeber hatte auf Seite 13 der Leistungsbeschreibung unter Ziffer 3.1.2 in Absatz 8 folgende Regelungen aufgenommen:

"Hat der Auftragnehmer bereitgestellte Behälter aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht geleert, hat er dies unverzüglich nachzuholen. Wenn Kunden die fehlende Leerung von Behältern reklamieren, wird der Auftraggeber den Auftragnehmer anhören. Der Auftraggeber behält sich vor, im Einzelfall eine Nachleerung anzuordnen, auch wenn nicht geklärt werden kann, ob ein Versäumnis des Auftragnehmers vorliegt; dies gilt im Umfang von bis zum 50 Nachleerungen monatlich als Nebenleistung, wobei der Auftraggeber sich bemühen wird, den Aufwand für den Auftragnehmer gering zu halten. Angeordnete Nachleerungen sind bis zum Ende des nächsten Werktages durchzuführen (Werktag = Montag bis Freitag)."

97

Der Auftraggeber hat diese Forderung auf die Rüge der Antragstellerin hin mit seinem Bieterrundschreiben Nr. 1 (S. 16) noch einmal bekräftigt und darauf hingewiesen, dass er etwaige notwendige Nachleerungen als unverzichtbaren Leistungsbestandteil sieht. Auf der anderen Seite entsprächen aber die 50 Nachleerungen angesichts einer monatlichen Gesamtleistung von über 184.000 Leerungen lediglich einem Anteil von 0,03 %. Es ist dem fachkundigen Bieter ohne weiteres zuzumuten, reklamationsbedingte Nachleerungen in einem derartig geringen Umfang in seinen Angebotspreis einzukalkulieren.

98

gg)

Im Kontext dazu ist auch die von der Antragstellerin angefochtene Haftungsregelung bezüglich verschwundener Behälter nicht zu beanstanden. Unter Ziffer 3.1.2 (Besondere Pflichten des Auftragnehmers bei der Behälterabfuhr) heißt es in Absatz 4:

"Bei der Entleerung sind die Behälter pfleglich zu behandeln. Sofern durch die Entsorgung Behälter beschädigt werden oder in das Fahrzeug fallen, sind diese vom Auftragnehmer ohne Kosten für den Auftraggeber binnen zwei Werktagen (Montag bis Freitag) gegen einen Ersatzbehälter zu tauschen. Die Kosten der Ersatzbeschaffung für Behälter und Transponder hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber zu erstatten. Der Kunde ist durch einen vom Auftragnehmer vorbereiteten Zettel an der Haustür darüber zu informieren. Dem Auftraggeber ist am selben Tage schriftlich Mitteilung über den Vorgang zu machen."

99

Auf Seite 26 der Leistungsbeschreibung heißt es unter Ziffer 3.3.2 (Behälterdienst) in Absatz 2 dazu ergänzend:

"Zeigt ein Kunde innerhalb von zwei Werktagen nach der Abfuhr den Verlust eines Abfallbehälters an, gilt dieser grundsätzlich als in das Fahrzeug gefallen. Abgängige Behälter sind innerhalb von zwei Werktagen nach Übermittlung des Auftrages durch den Auftragnehmer vor Ort zu ersetzen (s. Nr. 3.2.4 Abs. 5). Die Kosten der Ersatzbeschaffung von Behältern und Transpondern sind dem Auftraggeber vom Auftragnehmer zu erstatten."

100

Die Antragstellerin hatte das Fehlen einer eindeutigen Vorgabe für die Preiskalkulation gegenüber dem Auftraggeber gerügt. Auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung sahen sich allerdings weder der Auftraggeber noch die Antragstellerin selbst als bisherige Inhaberin des streitbefangenen Auftrags in der Lage, entsprechende Durchschnittszahlen hinsichtlich der Behälterverluste anzugeben. Die Antragstellerin hat erklärt, dass sie die entsprechenden Zahlen sicherlich ermitteln könnte. Auch ihre Zahlen seien dann allerdings nur bedingt aussagekräftig, weil das künftige Entsorgungssystem auf einer anderen Technik basiere. Vom Auftraggeber kann im Rahmen des § 8 Nr. 1 Abs. 1 und Abs. 2 VOL/A aber nur die Angabe von Zahlen und Eckpunkten verlangt werden, die sich für ihn in zumutbarer Weise ermitteln lassen. Mit einer bloßen Schätzung ist auch den Bietern bei der Kalkulation ihrer Angebote nicht geholfen. Da das Risiko des Behälterverlustes während des Sammelvorgangs unstreitig von der vom Bieter zu wählenden und angebotenen Entsorgungstechnik abhängt, ist nur er selbst in der Lage, das Verlustrisiko bei der Kalkulation seines Angebotes zu berücksichtigen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass das Risiko eines unbeabsichtigten Behälterverlustes während des Ladevorganges bei einem Seitenladereinsatz, wo der Fahrer allein im Fahrzeug sitzt und den Ladevorgang per Kamera überwacht, ungleich größer ist als bei einem Angebot, das den Einsatz eines konventionellen Heckladers mit einem weiteren Mitarbeiter neben dem Fahrer vorsieht.

101

hh)

Auch die in § 14 Abs. 2 der Besonderen Vertragsbedingungen enthaltene Regelung zur möglichen Veränderung der Zielanlagen für die Verbringung des Abfalls während des Vertragsverhältnisses bürdet dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis auf und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Dort heißt es unter Abs. 2:

"Der Auftraggeber ist berechtigt, die Zielanlagen zu verändern. In diesem Falle hat der Auftragnehmer die Abfälle zum neuen Standort zu transportieren. Bedingt der neue Standort insgesamt eine höhere Transportleistung (ausgedrückt in Fahrzeugeinsatzstunden), hat der Auftragnehmer nur in dem Umfang Anspruch auf die Durchführung der Abfalltransporte, wie er sie in seinem ursprünglichen Angebot zu Grunde gelegt hat. Der Auftragnehmer soll für die darüber hinausgehende Transportleistung einen Preis benennen; kommt eine Einigung nicht zu Stande, ist der Auftraggeber berechtigt, sie selbst zu erbringen oder durch einen Dritten erbringen zu lassen."

102

Abgesehen davon, dass die Vergabekammer es für wenig realistisch hält, dass der Auftraggeber im Bedarfsfall ein anderes Unternehmen als den im streitbefangenen Vergabeverfahren bezuschlagten Auftragnehmer mit den zusätzlichen Transportleistungen beauftragen wird - dies würde ja die Durchführung von zeit- und kostenträchtigen Umschlagsvorgängen erforderlich machen -, beeinträchtigt diese Regelung schon von ihrem Wortlaut her ausdrücklich nicht die Kalkulation des Bieters für die streitbefangenen ausgeschriebenen Leistungen. Denn der Auftragnehmer behält ausdrücklich seinen Anspruch auf Durchführung der Abfalltransporte in dem Umfang, wie er sie seinem ausschreibungsgemäßen, ursprünglichen Angebot zu Grunde gelegt hat. Die Absicherung des Auftraggebers für den Fall, dass er sich mit dem künftigen Auftragnehmer nicht über etwaige zusätzlich erforderliche Transportleistungen einigt, ist nicht zu beanstanden. Der Auftraggeber hat in der mündlichen Verhandlung die Relevanz dieser Klausel damit erläutert, dass insbesondere auf Grund eines anhängigen EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Beauftragung der xxx seitens des Auftraggebers sowie weiterer Gebietskörperschaften durchaus die Möglichkeit besteht, dass die Zielanlage für die Verbringung des Abfalls sich im Laufe des Vertragsverhältnisses ändert. Der Auftragnehmer solle dann nicht in die Lage versetzt werden, zu hohe Forderungen für die darüber hinausgehende Transportstrecke, die ausdrücklich nicht Gegenstand des Vergabeverfahrens ist, zu stellen. Etwaige Rechte des künftigen Auftragnehmers aus § 2 Nr. 3 VOB/B, wonach bei Änderungen in der Beschaffenheit der Leistungen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten zu vereinbaren ist, werden dadurch nicht berührt, weil der Auftragnehmer ausdrücklich auch bei Änderung der Zielanlage seinen Anspruch auf die vereinbarten Transportleistungen im ausgeschriebenen Umfang behält.

103

ii)

Auch im Übrigen sind die Besonderen Vertragsbedingungen (Teil IV der Vergabeunterlagen) entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht zu beanstanden. Gemäß § 9 Nr. 3 und 4 VOL/A und § 1 Nr. 2 lit. b VOL/B regeln die Besonderen Vertragsbedingungen die vertraglichen Pflichten, die zur Erbringung der Leistung laut Leistungsbeschreibung notwendig sind. Sämtliche streitbefangenen Regelungen halten sich in diesem Rahmen:

104

- Soweit sich die Antragstellerin gegen die in § 3 Abs. 2 der Besonderen Vertragsbedingungen enthaltene Regelung wendet, wonach der Auftragnehmer die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb während des gesamten Vertragszeitraums aufrechtzuerhalten und dem Auftraggeber bei Aktualisierung unaufgefordert eine Kopie des gültigen Zertifikats zu übersenden hat, fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung einer möglichen Vergaberechtsverletzung oder gar Schädigung der Antragstellerin. Es ist selbstverständlich, dass der künftige Auftragnehmer die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit im Sinne des § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A nicht nur im Zeitpunkt der Eignungsprüfung im Rahmen der Angebotswertung, sondern während des gesamten ausgeschriebenen Vertragszeitraums gewährleisten muss. Bei der geforderten Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb handelt es sich um einen branchenüblichen Leistungsnachweis im Sinne des § 7 Nr. 4 VOL/A, der regelmäßig bei Verfahren zur Vergabe von Entsorgungsaufträgen gefordert wird. Der Auftraggeber hat ein berechtigtes Interesse daran, dass die durch die EFB-Zertifizierung Gewähr leistete Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers während der gesamten Vertragslaufzeit aufrechterhalten wird. Auch im Übrigen hat der Auftraggeber entgegen der Auffassung der Antragstellerin den Bietern zum Nachweis ihrer Eignung keine ungewöhnlichen oder überzogenen Angaben oder Belege abverlangt. Die geforderten Erklärungen und Nachweise sind vielmehr sowohl von der Antragstellerin wie auch von der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 sowie - von zwei Ausnahmen abgesehen - auch von den übrigen Bietern mit ihrem Angebot beigebracht worden.

105

- Die Antragstellerin vertritt ferner die Auffassung, dass weder die Preisgleitklausel in § 7 der Besonderen Vertragsbedingungen noch die Regelungen zur Vertragsanpassung auf Grund Veränderung der Geschäftsgrundlage in § 14 ausreichend seien, das Kalkulationsrisiko im Falle von Veränderungen der vertraglichen Leistungen abzufedern. In § 7 (Preisgleitklausel für Abfuhr- und Transportleistungen) heißt es:

"1.
Zur Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung von Preisen bzw. Tarifen, welche die Selbstkosten des Auftragnehmers beeinflussen können, wird folgende Preisgleitklausel vereinbart; sie gilt für alle Leistungen außer für die Erstausstattung der Behälter mit Transpondern und Aufklebern und für die Erstaufstellung (Pos. 2-1 bis 2-3).

2.
Der Anpassungsfaktor wird nach folgender Formel errechnet: ... (es folgt eine detaillierte Erläuterung der Formel und der Faktoren)

3.
Eine Preisanpassung kann erstmals für das 2. Leistungsjahr (Kalenderjahr 2009) und danach - bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 5 - für jedes weitere Jahr verlangt werden.

4.
...

5.
Stichtag ist der 30.06. des Vorjahres, Vergleichsstichtag ist der 30.06.2006 (= 100 %)."

106

Die Beschränkung des Auftragnehmers, erstmalig im 2. Leistungsjahr eine Preisanpassung verlangen zu dürfen, stellt kein ungewöhnliches Wagnis für den Auftragnehmer im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A dar. Der Auftraggeber hat diese Regelung in der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass er vermeiden will, die zu entsorgenden Haushalte gleich im 1. Jahr zu einer Entsorgung mit Preissteigerungen zu belasten. Der Auftragnehmer verliere dadurch jedoch keinerlei Ansprüche. Er müsse etwaige Preisänderungen vielmehr lediglich für weniger als ein halbes Jahr (Ende der Angebotsfrist) bis zum Stichtag für die Preisanpassung 30.06.2006 (= Ende der Bindefrist) antizipieren. Die Vergabekammer teilt diese Auffassung des Auftraggebers nicht. Nach der Preisgleitklausel in § 7 Abs. 3 der Besonderen Vertragsbedingungen kann die Preisanpassung erstmals für das 2. Leistungsjahr (Kalenderjahr 2009) verlangt werden. Mehrkosten, die ihm bereits im 1. Leistungsjahr (Kalenderjahr 2008) im Vergleich zum Vergleichsstichtag 30.06.2006 (= 100 %) entstehen, kann er deshalb auch 2009 nicht geltend machen. Der 30.06.2008 dient gemäß § 7 Abs. 5 der Besonderen Vertragsbedingungen lediglich als 1. Stichtag für die Feststellung von Mehrkosten gegenüber dem Vergleichsstichtag 30.06.2006. Auf dieser Basis muss er dann bis zum 30.08.2008 eine Preisgleitanpassung ab 01.01.2009 per eingeschriebenen Brief gemäß § 7 Abs. 4 der Besonderen Vertragsbedingungen fordern. Die damit geforderte Preisstabilität für das 1. Leistungsjahr stellt für die Bieter jedoch kein ungewöhnliches Kalkulationswagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A dar und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.

107

Auch die von der Antragstellerin mit ihrem Rügeschreiben vom 06.12.2005 gerügten Parameter für den Anpassungsfaktor nach § 7 Abs. 2 sind nicht zu beanstanden. Es handelt sich bei diesen Faktoren um durchweg marktgängige Elemente. Auch die Verteilung von Fixkosten (= 50 %) und variablen Kosten (= 50 %) - in der Fassung des Bieterrundschreibens Nr. 3 vom 04.01.2006 - ist nicht zu beanstanden.

108

Alle weiteren Kostenrisiken werden durch die Regelung in § 14 Abs. 3 der Besonderen Vertragsbedingungen abgefedert. Danach gelten bei anderen wesentlichen Änderungen der Leistung, etwa auf Grund von geänderten rechtlichen Bestimmungen oder auf Grund von Satzungsänderungen oder anderen Beschlüssen des Kreistages des Landkreises xxx bezüglich Vertragsanpassungen/Preisanpassungen die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 2 VOL/B und die §§ 313, 314 BGB, soweit in diesem Vertrag nichts Abweichendes geregelt ist. Durch diese Regelung werden im Kontext mit der Preisanpassungsklausel in § 7 der Besonderen Vertragsbedingungen die in § 2 VOL/B geschützten Rechte des Auftragnehmers gewährleistet.

109

Auch im Übrigen sind die Vergabeunterlagen nicht zu beanstanden. Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

110

III. Kosten

111

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-

112

Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.

113

Es wird eine Gebühr in Höhe von 8.752 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

114

Der zu Grunde zu legende Auftragswert für den streitbefangenen Gesamtauftrag beträgt ausweislich der mit der Vergabeakte vorgelegten Originalangebot der Antragstellerin und dem in der Vergabeakte (Bl. 98) enthaltenen Preisspiegel für die gesamte ausgeschriebene 6-jährige Vertragslaufzeit 19.618.435,92 EUR. Dieser Gesamtwert entspricht dem losübergreifenden Nebenangebot der Antragstellerin in Höhe von 3.269.739,32 EUR/a für den gesamten Auftrag und damit ihrem Interesse am Auftrag.

115

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 19.618.435,92 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 8.752 EUR.

116

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

117

Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte. Auch soweit sie in der mündlichen Verhandlung vorsorglich die Auffassung vertreten hat, das bei der Kostenentscheidung im Misserfolgsfall zu berücksichtigen sei, dass sie durch die fehlerhafte (ehemalige) Firmenbezeichnung der Beigeladenen zu 1) im Informationsschreiben erst zur Stellung des Nachprüfungsantrags veranlasst worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Der Auftraggeber hat diesen Irrtum in Reaktion auf das entsprechende Rügeschreiben vom 30.03.2006 bereits mit Schreiben vom 03.04.2006 gegenüber der Antragstellerin eingeräumt und die Information vor Stellung des Nachprüfungsantrags vom 06.04.2006 korrigiert.

118

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten des Auftraggebers, die diesem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i. V .m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte der Auftraggeber für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

119

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zu Gunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahrenübertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

120

Kosten der Beigeladenen:

121

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen zu 1) folgt aus analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Dort ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geregelt, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die analoge Anwendung dieser Vorschrift zu Gunsten eines obsiegenden Beigeladenen ist im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer geboten (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155, 158 [OLG Düsseldorf 12.01.2000 - Verg 3/99]; sowie OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.06.2000, Az.: Verg 6/00). Die für eine analoge Anwendung von Vorschriften erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass gem. § 128 Abs. 4 Satz 2 lediglich geregelt wird: "Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gelten entsprechend." Eine daraus folgende Ungleichbehandlung eines Beigeladenen gegenüber den anderen Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wäre jedoch nicht sachgerecht, zumal der Beigeladene schließlich gem. § 109 GWB deshalb den Beteiligten-Status erhält, weil "dessen Interessen durch die Entscheidung schwer wiegend berührt werden".

122

Einerseits darf daher zwar für den Antragsteller durch (mögliche) Beiladungen kein unkalkulierbares und damit abschreckendes Kostenrisiko entstehen. Andererseits dürfen aber auch Kosten des Beigeladenen nicht zu einer Waffenungleichheit zu seinen Lasten führen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 128, Rdnr. 1034).

123

Unter Berücksichtigung dieser sachgerechten Grundsätze entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit i.S.d. hier analog anzuwendenden § 162 Abs. 3 VwGO, dass die unterlegene Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen, zu denen auch die Kosten einer in einem derartig komplexen, nicht nur materielles Vergaberecht, sondern auch prozessuale Rechtsfragen berührenden Verfahren ohne weiteres erforderlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gehören, zu tragen hat.

124

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von 8.752 EUR unter Angabe des Kassenzeichens

125

xxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

126

xxx

Gause
Rohn
Weyer