Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 06.07.2006, Az.: VgK-13/2006

Vergabe von Softwarelösungen für den Sozialbereich eines Zusammenschlusses kommunaler Gebietskörperschaften; Rüge gegen die Direktvergabe an einen Bewerber durch einen öffentlichen Auftraggeber ohne vorherige europaweite Ausschreibung; Addition der Auftragswerte mehrerer Verträge bei Berechnung des Schwellenwerts; Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit und Nachprüfbarkeit von sog. de-facto-Vergaben; Aufgaben des Allgemeininteresses nach Rechtsprechung des EuGH; Gesetzliche Aufgaben der Kommunen im Sozialbereich als Teil des Allgemeininteresses

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
06.07.2006
Aktenzeichen
VgK-13/2006
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 24324
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe von Softwarelösungen für den Sozialbereich der Landkreise ... und ...

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Bürgermeister Prokop,
auf die mündliche Verhandlung vom 23.06.2006
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die streitbefangenen, von den Landkreisen ... und ... benötigten Softwarelösungen für den Sozialbereich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen, europaweiten Vergabeverfahrens zu beschaffen. Die diesbezüglich bereits geschlossenen Beschaffungsverträge mit der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 sind nichtig.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 2.685 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Die Antragsgegnerin wurde im Jahre 1972 als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts von kommunalen Gebietskörperschaften im südniedersächsischen Raum als zentrale Einrichtung zum Zwecke einer wirtschaftlichen Nutzung der Elektronischen Datenverarbeitung gegründet.

2

Nach Maßgabe des aktuellen Gesellschaftsvertrages besteht die Antragsgegnerin derzeit aus insgesamt 49 kommunalen Gebietskörperschaften, darunter die Beigeladenen zu 3 und 4. Die Gesellschafter sind berechtigt, ihre in § 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages genannten Aufgaben von der Antragsgegnerin bearbeiten zu lassen. Der Gesellschaftsvertrag ermöglicht der Antragsgegnerin daneben auch im Wege von Einzelvereinbarungen ein Tätigwerden für andere Benutzer, die nicht Gesellschafter sind. Die Ausgaben der Gesellschaft werden gemäß § 8 Abs.1 des Vertrages durch die von den Gesellschaftern und den anderen Benutzern zu zahlenden Entgelte abgedeckt. Die Höhe der Entgelte wird im Leistungs- und Abrechnungsverzeichnis und in Einzelfällen durch zusätzliche Beschlüsse des Verwaltungsrats bzw. der Gesellschafterversammlung festgesetzt. Gemäß § 8 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages erzielt die Gesellschaft keinen Gewinn. Zu den Aufgaben nach § 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages gehören u.a. die Softwareberatung, -einführung, -entwicklung und -pflege, Beschaffung, Verkauf und Vermietung von IT-Produkten und -einrichtungen. Gemäß § 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages kann die Aufgabenerledigung durch Arbeits- oder Projektgruppen unterstützt werden, in denen Mitarbeiter der Gesellschafter und der Gesellschaft vertreten sind.

3

Vor dem Hintergrund bereits bestehender Softwareprobleme im Bereich der Aufgaben nach der Sozialgesetzgebung und der Asylgesetzgebung hatte sich eine 15-köpfige Arbeitsgruppe, bestehend aus 11 Sozialhilfeanwendern mehrerer Gesellschafter, darunter die Beigeladenen zu 3 und 4 sowie 4 Mitgliedern der Antragsgegnerin, mit Fragen der Beschaffung einer geeigneten, möglichst einheitlichen Softwarelösung für den Leistungsbereich nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beschäftigt. Die Wahl der Arbeitsgruppe fiel für diesen Aufgabenbereich auf die Softwarelösung .../... der Beigeladenen zu 2. Die Software ... der Beigeladenen zu 1 rangierte auf Platz 2. Der Wahl entsprechend beschloss der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin im November 2004 u.a., die vorhandene von verschiedenen Anwendern gemeinsam benutzte Software durch die Softwarelösung .../... der Beigeladenen zu 2 zu ersetzen.

4

Den Beigeladenen zu 3 und 4 wurde als sog. Optionskommunen zum 01.01.2005 zusätzlich die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB IIübertragen.

5

Für die Bewältigung dieser Aufgaben entschlossen sich die Beigeladenen zu 3 und 4 zur Nutzung der Software ... der Beigeladenen zu 2, um kurzfristig eine integrierte Gesamtlösung zu erhalten. Im Laufe des Jahres 2005 stellte sich jedoch heraus, dass sich die Einführung der Software .../... unbestimmt verzögern würde.

6

Die Beigeladenen zu 3 und 4 erhielten zudem zu verschiedenen Anlässen Kenntnis über unterschiedliche Referenzen der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2. Sie nahmen dies zum Anlass, ihre Entscheidung zu überprüfen und differenzierte Auskünfte bei den ihnen bekannten Anwendern beider Software-Lösungen einzuholen. Die Ermittlungen ergaben, dass die Software-Lösung ... der Beigeladenen zu 1 gegenüber der Software-Lösung der Beigeladenen zu 2 zu bevorzugen sei. Andere Software-Lösungen wurden nicht erkennbar ernsthaft in Erwägung gezogen.

7

Die Beigeladene zu 1 legte der Beigeladenen zu 3 auf deren Nachfrage ein Angebot vom 10.12.05 für die Organisationslösung ... SGB II - Landkreis und Gemeinden Fallmanagement vor. Das Angebot umfasst eine Unternehmenslizenz für die Nutzung von 162 gleichzeitigen Zugriffen von max. 216 Arbeitsplätzen und von 11 administrativen Testnutzern, eine Dienstleistungsgutschrift sowie Dienstleistungen für die Einführung des Fallmanagements. Die Angebotssumme beläuft sich auf 194.363,80 EUR.

8

Mit Schreiben vom 19.01.06 unterrichteten die Beigeladenen zu 3 und 4 die Antragsgegnerin über ihre Entscheidungen bzgl. der DV-Unterstützungen im Bereich Sozialwesen, definierten hierbei ihren konkreten Softwarebedarf und forderten die Antragsgegnerin zur Vorlage von Angeboten für einen Nutzungsvertrag unter Berücksichtigung der von ihnen gewünschten Softwarelösungen auf.

9

Die Antragsgegnerin legte daraufhin den Beigeladenen zu 3 und 4 Angebote vor, die deren Wünsche zur Nutzung der Software ... der Beigeladenen zu 1 berücksichtigen. Für den beabsichtigten Einsatz der Software .../... im Bereich der Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB XII kündigte sie jeweils ein gesondertes Angebot an.

10

Mit Schreiben vom 24.02.2006 teilte der Beigeladene zu 3 der Antragsgegnerin mit, dass er mit deren Angebot noch nicht vollständig zufrieden sei und noch einige Änderungen wünsche. Aus Termingründen beauftragte er die Antragsgegnerin aber gleichzeitig mit der Lieferung und Leistung der Organisationslösung ... der Beigeladenen zu 1.

11

Mit Schreiben vom 24.02.06 nahm der Beigeladene zu 4 das an ihn gerichtete Angebot der Antragsgegnerin an.

12

Die Antragsgegnerin bestellte daraufhin am 10.03.06 bei der Beigeladenen zu 1 die Software ... für die Beigeladenen zu 3 und 4.

13

Am 03.03.06 schloss sie schließlich mit der Beigeladenen zu 1 in eigenem Namen und für eigene Rechnung zwei Verträge über die zeitlich unbefristete Überlassung der Standardsoftware ... Organisationslösung gegen Einmalvergütung. Als Nutzer sind in diesen Verträgen der Beigeladene zu 3 und der Beigeladene zu 4 aufgeführt.

14

Der für den Beigeladenen zu 3 geschlossene Vertrag umfasst eine Unternehmenslizenz ... Organisationslösung für 225 Vollzeitstellen und die hierzu gehörigen Dienstleistungen und Einführungsseminare. Kostenschuldnerin für die Lizenzgebühren in Höhe von 208.750,00 EUR ist die Antragsgegnerin. Die Kosten für die Dienstleistungen und Einführungsseminare in Höhe von 56.250,00 EUR sollen direkt von dem Beigeladenen zu 3 entrichtet werden. Der Gesamtwert (netto) des Vertrages für den Beigeladenen zu 3 beträgt 265.00,00 EUR.

15

Der für den Beigeladenen zu 4 geschlossene Vertrag umfasst eine Unternehmenslizenz ... Organisationslösung für 120 Vollzeitstellen und die hierzu gehörigen Dienstleistungen und Einführungsseminare. Kostenschuldnerin für die Lizenzgebühren in Höhe von 130.000,00 EUR ist auch hier die Antragsgegnerin, die Kosten für die Dienstleistungen und Einführungsseminare in Höhe von 30.000,00 EUR sind direkt von dem Beigeladenen zu 4 zu entrichten. Der Gesamtwert dieses Vertrages beträgt 160.00,00 EUR (netto).

16

Mit Datum vom 23.03.06 schloss die Antragsgegnerin einen Überlassungsvertrag für die Software .../... sowie einen Vertragüber die Pflege dieser Software mit der Beigeladenen zu 2.

17

Der Überlassungsvertrag beinhaltet die zeitlich unbefristeteÜberlassung der Software .../... für 100 Arbeitsplätze gegen Einmalvergütung zum Preis von 41.200 EUR netto.

18

Ziff. 14.1 des Vertrages enthält folgende Vereinbarung:

"Der Auftraggeber schließt mit Abschluss diesesÜberlassungsvertrages gleichzeitig einen Vertrag über die Softwarepflege betreffend sämtliche Arbeitsplätze, auf denen die Software genutzt wird, ab. Nur dadurch werden dem Auftraggeber die Weiterentwicklungen der Software im dort genannten Umfang durch den Auftragnehmer zugänglich gemacht."

19

Ziff. 14.2. regelt die Übertragbarkeit der Nutzungsrechte wie folgt:

"14.2.1
Der Auftraggeber ist berechtigt, das Nutzungsrecht an der vertragsgegenständlichen Software im Rahmen der gemäß Nr. 3.1 zahlenmäßig eingeräumten Lizenzen zum Einsatz der Software bei seinen Mitgliedsgemeinden an diese weiter zu übertragen. Derzeit sind dem Auftragnehmer folgende Kunden bzw. Nutzer bekannt:

Stadt ..., Landkreis ..., Landkreis ..., Landkreis ..., Landkreis ... jeweils mit den kreisangehörigen Gemeinden.

14.2.2
Eine Übertragung an andere Nutzer ist nur nach vorheriger und ausdrücklicher Einwilligung des Auftragnehmers gestattet."

20

Der zweite Vertrag über die zugehörige Softwarepflege verpflichtet die Antragsgegnerin zur Zahlung von monatlich 4.040,00 EUR netto in Phase I und 3.525,00 EUR in Phase II. Vertraglich ist eine Mindestvertragsdauer von 24 Monaten festgelegt.

21

Nach Auskunft des Beigeladenen zu 3 ist die Software inzwischen installiert und wird genutzt, ein entsprechender Nutzungsvertrag mit der Antragsgegnerin sei jedoch noch nicht geschlossen worden.

22

Die Antragstellerin bietet ebenfalls Software, technischen Support, intensive Anwenderbetreuung und Schulungen für die Sozialhilfesachbearbeitung in Städten, Kreisen und Gemeinden an. Sie hatte mehrfach ihr Interesse an entsprechenden Aufträgen deutlich gemacht und bot den Beigeladenen zu 3 und 4 ihre diesbezüglichen Dienstleistungen an. Gegenüber dem Beigeladenen zu 3 geschah dies, wie sie vorträgt, im Januar 2006 in Form eines detaillierten Initiativangebotes. Auf ihre mehrfache Nachfrage teilten ihr die Beigeladenen zu 3 und 4 in gleich lautenden Schreiben mit, dass man sich nach umfassender Markterkundung im Jahr 2004 für die Softwarelösung eines anderen Anbieters entschieden habe. Für die Entscheidung sei auch die Geschäftspolitik der Anbieter im Hinblick auf Support, Service und Customizing ausschlaggebend gewesen. Die diesbezüglichen Referenzen der Antragstellerin seien nichtüberzeugend gewesen. Da der ursprünglich ausgewählte Anbieter, die Beigeladene zu 2, den vorgegebenen Zeitplan nicht einhalten konnte, habe man den nächstplatzierten Anbieter, die Beigeladene zu 1 beauftragt.

23

Erst im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens VgK-12/2006, gerichtet gegen den Beigeladenen zu 3, war die Antragstellerin am 30.05.06 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der Beigeladene zu 3 die Software nicht selbst beschafft, sondern dass die Software von der Antragsgegnerin im Rahmen eines Liefer- und Dienstleistungsvertrages mit den Beigeladenen zu 3 und 4 beschafft worden sei. Mit Anwaltsschriftsatz vom 31.05.2006 rügte die Antragstellerin daraufhin bei der Antragsgegnerin die Beschaffung einer Software-/ Organisationslösung ... ohne Durchführung eines transparenten Vergabeverfahrens und forderte die Kündigung und Rückabwicklung des mit der Beigeladenen zu 1 geschlossenen Vertrages.

24

Mit Anwaltschriftsatz vom 12.06.06 wandte sie sich per Fax an die Vergabekammer Lüneburg und beantragte ein Nachprüfungsverfahren nach§ 107 GWB gegen die Antragsgegnerin. Unter Hinweis auf ihre Rüge gegen die Direktvergabe an die Beigeladene zu 1 trägt sie vor, die Antragsgegnerin habe die Lieferung von Softwarelösungen für die Sozialgesetzgebung unter Verstoß gegen das Vergaberecht beauftragt. Da nach ihrer Schätzung der Auftragswert der zu beschaffenden Software den Schwellenwert von 200.000,00 EUR nach § 2 VgV deutlichüberschreite und es sich bei der Antragsgegnerin zweifellos um einenöffentlichen Auftraggeber i. S. des § 98 GWB handele, hätte diese die benötigte Software nicht ohne vorherige europaweite Ausschreibung beschaffen dürfen. Diesbezügliche Verträge seien nichtig.

25

Die Antragstellerin biete selbst eine Software für die Bearbeitung aller Bereiche der Sozialgesetzgebung an. Dies und ihr Interesse an einem Auftrag habe sie anlässlich verschiedener Kontakte und in mehreren Schreiben an die Beigeladenen zu 3 und 4 deutlich zu erkennen gegeben und um Zusendung von Informationsunterlagen gebeten. In einem Vergabeverfahren hätte sie gute Startvoraussetzungen und die Chance gehabt, die Stärken ihres Produktes unter Beweis zu stellen.

26

Die Antragstellerin beantragt

  1. 1.

    festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 1 geschlossene Vertrag vom 03.03.2006 über eine Organisationslösung ... , beschafft für den Beigeladenen zu 3, nichtig ist,

  2. 2.

    festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 1 etwaig geschlossene Vertrag über eine Organisationslösung ..., beschafft für den Beigeladenen zu 4, nichtig ist,

  3. 3.

    festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 2 etwaig geschlossene Vertrag über die Software-Lösung .../..., beschafft für den Beigeladenen zu 4, nichtig ist,

  4. 4.

    der Antragsgegnerin zu untersagen, Aufträge zur Beschaffung von Software-Lösungen für den Sozialbereich, wie sie in den vorgenannten Anträgen umschrieben sind, ohne vorangegangenesöffentliches Vergabeverfahren zu vergeben,

  5. 5.

    der Antragsgegnerin die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

27

Die Antragsgegnerin beantragt

  1. 1.

    die Anträge auf Feststellung und Untersagung zurückzuweisen,

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und

  3. 3.

    die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

28

Sie tritt der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen.

29

Der Nachprüfungsantrag sei wegen verschiedener Verletzungen der Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB unzulässig.

30

Die Antragstellerin sei auch nicht antragsbefugt, da sie zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 03.03.06 gar kein geeignetes marktreifes Produkt vorweisen konnte.

31

Schließlich sei der Antrag unzulässig, da die Antragsgegnerin erwerbswirtschaftlich tätig sei und damit nichtöffentliche Auftraggeberin i. S. des § 98 GWB sei. Bereits deshalb unterfielen ihre Beschaffungen nicht dem Vergaberecht.

32

Zudem seien die Regelungen des § 13 VgV nicht anwendbar, da ein Vergabeverfahren nicht stattgefunden habe.

33

Die Beigeladene zu 2 beantragt

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag zu verwerfen, soweit dort die Feststellung begehrt wird, dass der von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 2 etwaig geschlossene Vertrag über die Softwarelösung ..., beschafft für den Beigeladenen zu 4, nichtig ist,

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Beigeladenen zu 2 aufzuerlegen,

  3. 3.

    die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen zu 2 für notwendig zu erklären.

34

Soweit sich der Antrag gegen eine Beauftragung der Beigeladenen zu 2 richte, sei er präkludiert, weil eine Rüge gänzlich fehle. Auch sei eine Pflicht zu europaweiter Ausschreibung nicht gegeben, weil die Auftragswerte beider mit ihr geschlossener Verträge den Schwellenwert des§ 2 VgV weder erreichen noch überschreiten. Beide Aufträge dürften - allein im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Verwendung - nicht zusammengerechnet werden.

35

Die Beigeladenen zu 1, 3 und 4 haben in diesem Nachprüfungsverfahren keine eigenen Anträge gestellt.

36

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die von der Antragsgegnerin vorgelegten Dokumente über die angefochtenen de-facto-Vergaben, die beigezogenen Akten im Parallelverfahren VgK-12/2006 und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 23.06.2006 Bezug genommen.

37

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin hat gegen das vergaberechtliche Wettbewerbsgebot gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie den Softwarebedarf für den Sozialbereich ihrer beiden Gesellschafter, der beigeladenen Landkreise ... und ... jeweils ohne Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens durch direkte Dienstleistungs- und Lieferverträge mit der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 gedeckt hat. Diese Verträge sind in entsprechender Anwendung des§ 13 VgV nichtig. Die von der Rechtsprechung des EuGH und des BGH aufgestellten Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit von sog. de-facto-Vergaben liegen vor.

38

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

39

a)

Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Die Antragsgegnerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und damit eine juristische Person privaten Rechts. Sie wird durch insgesamt 49 Gesellschafter, darunter die Beigeladenen zu 3 und zu 4, die ihrerseits als Gebietskörperschaften öffentliche Auftraggeber im Sinne des§ 98 Nr. 1 GWB sind, überwiegend finanziert. Ausweislich des Gesellschaftsvertrages über die Errichtung und den Betrieb einer Datenverarbeitungszentrale (...) vom 30.11.1971 in der Fassung vom 22.11.2005, in Kraft getreten zum 01.01.2006, ergibt sich auch, dass dieseöffentlichen Gesellschafter über die Gesellschafterversammlung und den Verwaltungsrat die Aufsicht über die Antragsgegnerin ausüben. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde sie auch zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. In § 2 (Gesellschaftszweck und Gesellschafter) Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages heißt es:

"Zweck der Gesellschaft ist die Errichtung und der Betrieb einer kommunalen Datenverarbeitungszentrale zur Erledigung von Aufgaben der technikunterstützten Informationsverarbeitung (TUI):

- Betrieb von Rechenzentren,

- Betrieb eines Weitverkehrsnetzes, Softwareberatung, -einführung, -entwicklung und -pflege,

- Bereitstellung und Betrieb von sicheren Interneteinrichtungen,

- Aufbau und Unterstützung von e-Government und virtuellen Postdiensten,

- Beratung zur Planung und Durchführung von TUI-Maßnahmen,

- Planung und Installation lokaler Netzwerke,

- Administration lokaler Netzwerke,

- Beschaffung, Verkauf und Vermietung von IT-Produkten und -Einrichtungen,

- Durchführung von Aus- und Fortbildungsveranstaltungen,

- Bestellung gemeinsamer Datenschutzbeauftragter,

- Sonstige Dienstleistungen."

40

Die kommunalen Gesellschafter der Beigeladenen haben die Beigeladene eigens zu dem Zweck gegründet, die Sicherstellung der IT-Unterstützung der kommunalen Gesellschafter bei der Erledigung ihrer gesetzlichen Aufgaben - wie im vorliegenden Fall z.B. im Sozialbereich - sicherzustellen. Diese Versorgung umfasst ausweislich des in § 2 des Gesellschaftsvertrags definierten Gesellschaftszwecks ausdrücklich sowohl die Beschaffung von Hard- und Software als auch jegliche Serviceleistungen, die den Gesellschaftern dann im Rahmen eines Nutzungsvertrages von der Beigeladenen zur Verfügung gestellt werden. Der Begriff des Allgemeininteresses ist weder durch die EG-Vergaberichtlinien noch durch den deutschen Gesetzgeber definiert oder umschrieben. Er wird aber überwiegend dahingehend verstanden, dass im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche sind, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte (vgl. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, § 98 GWB, Rdnr. 540). Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen, solche, die eng mit dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind und der Einrichtung durch Gesetz zugewiesen wurden. Dies soll sogar dann gelten, wenn die Einrichtung selbst nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist (vgl. EuGH, Urteil v. 27.02.2003, Az.: C-373/00). Aus dieser Rechtsprechung kann geschlossen werden, dass es dem EuGH gerade darauf ankommt, einen möglichst weiten Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien zu Gewähr leisten und eine Flucht aus der Staatlichkeit zu unterbinden. Die gesetzlichen Aufgaben der Kommunen im Sozialbereich sind ohne weiteres dem Allgemeininteresse zuzuordnen. Aber auch die Organisation der zur Durchführung dieser Aufgaben heute unabdingbaren IT-Infrastruktur und damit der gesamte Wirkungsbereich der Antragsgegnerin als kommunale Datenverarbeitungszentrale dient im Sinne der EuGH- Rechtsprechung unmittelbar den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der kommunalen Gesellschafter.

41

Die Geschäftstätigkeit der Antragsgegnerin ist auch nicht gewerblicher Art. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin nicht ausschließlich für ihre Gesellschafter tätig wird. Vielmehr wird die Antragsgegnerin sowohl nach ihrem Gesellschaftsvertrag als auch nach ihrem eigenen Bekunden im tatsächlichen Geschäftsverhalten - in geringem Maße - darüber hinaus auch für andere Einrichtungen der öffentlichen Hand tätig. In § 2 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages heißt es:

"Kunden der Gesellschaft, die nicht Gesellschafter sind, werden als andere Benutzer bezeichnet. Für sie regelt der Verwaltungsrat die Bedingungen. Stellt die Gesellschaft ihre Leistungen den anderen Benutzern zur Verfügung, so sind dafür Einzelvereinbarungen erforderlich."

42

Weiter heißt es unter § 8 (Finanzierung) in Abs. 1:

"Die Ausgaben der Gesellschaft werden durch die von den Gesellschaftern und den anderen Benutzern zu zahlenden Entgelte gedeckt. Die Höhe der Entgelte wird im Leistungs- und Abrechnungsverzeichnis und in Einzelfällen durch zusätzliche Beschlüsse des Verwaltungsrates bzw. der Gesellschafterversammlung festgesetzt."

43

Die Antragsgegnerin hat auf Nachfrage der Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren erklärt, dass sie auch tatsächlich auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages Umsätze auch durch Verträge mit anderen Benutzern erzielt, wobei es sich insgesamt in den Jahren 2003, 2004 und 2005 um durchschnittlich 50 andere Benutzer pro Jahr gehandelt habe. Die Umsätze, die damit pro Jahr durch diese anderen Benutzer realisiert werden, beliefen sich - prozentual betrachtet - auf etwa 7,5% im Durchschnitt. Absolut betrachtet variierten diese Zahlen allerdings - bezogen auf den vorgenannten Prozentsatz in Höhe von 7,5% - zwischen 360.000 EUR bis 370.000 EUR pro Jahr. Durch die Erzielung dieser Einkünfte sei die Beigeladene auf jeden Fall in der Lage, einen Teil der Personalkosten wie der Mietkosten in Höhe von 90.000 EUR (im Jahre 2003) bzw. 97.000 EUR (im Jahre 2006) vollständig zu begleichen. Als "andere Kunden" in diesem Sinne hat die Antragsgegnerin unter anderem das ..., den ..., die ... und die ... benannt. Der Einstufung der Antragsgegnerin als Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB steht diese Tätigkeit für Dritte jedoch nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hängt die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht davon ab, welcher Anteil ihrer Tätigkeit die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art ausmacht (EuGH, Urteil v. 23.05.2003, Az.: C-18/01). Die deutsche Rechtsprechung ist zu diesem Tatbestandsmerkmal nicht einheitlich. Während nach einer Auffassung es aus Gründen der Rechtssicherheit ausreichend ist, dass der Anteil der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben überwiegt (vgl. 2. VK Bremen, Beschluss v. 23.08.2001, Az.: VK 3/01), ist es nach anderer Auffassung unerheblich, wenn eine Vergabestelle berechtigt ist, auch gegenüber Dritten Leistungen zu erbringen. Der Anwendbarkeit des § 98 Nr. 2 GWB stehe nämlich nicht entgegen, wenn der Auftraggeber nicht ausschließlich zu dem Zweck tätig ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Vielmehr reiche es bereits aus, dass er auch solche Aufgaben erfüllt; auf den Umfang der Tätigkeit kommt es nicht an (vgl. Weyand, Vergaberecht,§ 98 GWB, Rdnr. 548, m.w.N.). Die gesellschaftsvertragliche und auch die tatsächliche Geschäftsausrichtung der Antragsgegnerin erfüllt angesichts des geringen Anteils der Tätigkeiten für Dritte ohne weiteres auch die Forderung nach einer überwiegend nicht gewerblich ausgerichteten Tätigkeit. Dem entspricht auch die Regelung in§ 8 (Finanzierung) des Gesellschaftsvertrages. Dort heißt es in Absatz 4:

"Die Gesellschaft erzielt keinen Gewinn."

44

Es kann deshalb dahinstehen, ob die Antragsgegnerin darüber hinaus - wovon die Antragstellerin ausgeht - auch öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 3 GWB ist. Danach fallen unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers auch Verbände, deren Mitglieder unter § 98 Nr. 1 oder 2 fallen. Die kommunalen Gesellschafter der Beigeladenen sind Gebietskörperschaften und damit ihrerseits sämtlich Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung umfasst der Verbandsbegriff des § 98 Nr. 3 GWB nicht nur die klassischen Verbände wie etwa Zweckverbände oder Wasser- und Bodenverbände. Umfasst werden danach vielmehr alle Kooperationen vonöffentlichen Auftraggebern nach § 98 Nr. 1 und Nr. 2 GWB mit gemeinsamer Zwecksetzung. Deshalb könne es sich auch um rein privat-rechtliche Zusammenschlüsse handeln, etwa in der Form von Arbeitsgemeinschaften, auch Einkaufskooperationen und privatrechtliche Spitzenverbände (vgl. Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht,§ 98, Rdnr. 252, m.w.N.). § 98 Nr. 3 GWB stellt jedoch lediglich einen Auffangtatbestand dar, der eingreift, wenn die Verbände - anders als im vorliegenden Fall - nicht eigene Auftraggeberqualität haben (vgl. Weyand, a.a.O., § 98 GWB, Rdnr. 568; VK Düsseldorf, Beschluss v. 18.04.2002 - Az.: VK-5/2002/L).

45

b)

Sowohl die streitbefangene Softwarebeschaffung für den Bedarf des Landkreises ... (Beigeladener zu 3) als auch die mit dem Nachprüfungsantrag ebenfalls angefochtene Beschaffung für den Bedarf des Landkreises ... (Beigeladener zu 4) überschreiten jeweils den für eine europaweite Ausschreibung maßgeblichen Schwellenwert. Die Beschaffung einer Software-Organisationslösung für die Aufgabenwahrnehmung nach SGB II, SGB VII und AsylbLG ist ein kombinierter Dienstleistungs- und Liefervertrag im Sinne des § 99 Abs. 1, Abs. 2 und 4 GWB, der bei Erreichen oder Überschreiten des hier maßgeblichen Schwellenwerts in Höhe von 200.000 EUR gem.§ 2 Nr. 3 VgV europaweit auszuschreiben ist und der Nachprüfung durch die Vergabekammer nach dem 4. Abschnitt des GWB unterliegt. Die Kosten der Beschaffung der streitbefangenen Software ... für den Landkreis ... (Beigeladener zu 3) betragen ausweislich des von der Antragsgegnerin übersandten, mit der Beigeladenen zu 1 abgeschlossenen Vertrages vom 03.03.2006 über die zeitlich unbefristete Überlassung von Standardsoftware insgesamt 265.000 EUR netto. Diese Kosten gliedern sich in 208.750 EUR für die Lizenz für die ... Organisationslösung für 225 Vollzeitstellen und 56.250 EUR für das Paket Dienstleistungen und Einführungsseminare.

46

Aber auch hinsichtlich der Beschaffung für den Landkreis ... (Beigeladener zu 4) ist der Schwellenwert von 200.000 EURüberschritten. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2 gilt dies bereits bei isolierter Betrachtung der von der Antragsgegnerin mit ihr geschlossenen Verträge. Die Antragsgegnerin schloss am 23.03.2006 mit der Beigeladenen zu 2 zwei Verträge. Zum einen handelt es sich dabei um einen Vertrag über die zeitlich unbefristete Überlassung der Standardsoftware ... zum Preis von 41.200 EUR netto. Parallel dazu schloss die Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 2 einen Vertrag über die Pflege von Standardsoftware über einen Zeitraum von zwei Jahren gegen eine monatliche Pauschale in Höhe von 4.040 EUR in Phase 1 und 3.525 EUR in Phase 2. Bei der 24-monatigen Laufzeit handelt es sich um eine Mindestvertragslaufzeit. Die Beigeladene zu 2 geht ausweislich ihres Schriftsatzes vom 20.06.2006 (S. 4 ff.) selbst davon aus, dass der Pflegevertrag erst nach zwei Jahren voraussichtlich in Phase 2 überführt wird, sodass hinsichtlich des Auftragswertes die monatliche Maximalpauschale für Phase 1 in Höhe von 4.040 EUR zu Grunde zu legen ist. Über die gesamte zweijährige Mindestlaufzeit beträgt der Wert des Softwarepflegevertrages somit 193.920 EUR netto. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2 sind die Auftragswerte des Softwareüberlassungsvertrages und des Softwarepflegevertrages als Gesamtvergütung im Sinne des § 3 Abs. 1 VgV zusammenzuziehen. Beide Verträge bilden wirtschaftlich und funktional eine Einheit. Deshalb ist für die Berechnung des Schwellenwertes auf die Summe der Einzelleistungen abzustellen (vgl. OLG München, Beschluss v. 28.04.2006, Az.: Verg 6/06). Der Zusammenhang beider Verträge ergibt sich vorliegend ausdrücklich bereits aus dem Softwareüberlassungsvertrag selbst. Dort heißt es unter 14.1 (Softwarepflege):

"Der Auftraggeber schließt mit Abschluss diesesÜberlassungsvertrages gleichzeitig einen Vertrag über die Softwarepflege betreffend sämtliche Arbeitsplätze, auf denen die Software genutzt wird, ab. Nur dadurch werden dem Auftraggeber die Weiterentwicklungen der Software im dort genannten Umfang durch den Auftragnehmer zugänglich gemacht."

47

(Hervorhebungen durch die Vergabekammer)

48

Nach dieser vertraglichen Regelung waren sich die Vertragsparteien einig, dass der Softwareüberlassungsvertrag zwingend mit dem parallelen Abschluss eines Softwarepflegevertrages einhergeht. Der Wert des streitbefangenen Gesamtauftrags an die Beigeladene zu 2 für den Softwarebedarf des Landkreises ... (Beigeladener zu 4) beträgt somit 234.120 EUR.

49

Aber auch der von der Antragsgegnerin für den Bedarf des Landkreises ... (Beigeladener zu 4) erteilte Teilauftrag an die Beigeladene zu 1 hinsichtlich der ... Software-Organisationslösung vom 03.03.2006 unterliegt der europaweiten Ausschreibungspflicht und damit der Nachprüfung durch die Vergabekammer. Zwar beträgt der Gesamtwert dieses Teilauftrags lediglich 160.000 EUR netto. Auch diese Beschaffung der ...-Lösung bei der Beigeladenen zu 1 ist jedoch lediglich Teil der von der Antragsgegnerin getätigten Gesamtbeschaffung für den Softwarebedarf des Landkreises ... (Beigeladener zu 4) für den Sozialbereich. Dies ergibt sich bereits aus der schriftlichen Bestellung des Landkreises ... vom 19.01.2006. Dort heißt es:

"Der Landkreis ... bittet um ein detailliertes Angebotes Ihres Hauses zu folgender Konstellation einer DV-Unterstützung im Bereich "Sozialwesen":

- Fallmanagementlösung ... der Firma ... für das hiesige Jobcenter ...

- DV-Lösung für die Leistungsgewährung "sur" der Firma ...l für den Bereich SGB II (ca. 60 User ...) inkl. Schnittstelle zum Fallmanagement; Server, Betreuung pp. vorrangig bei der ...

- DV-Lösung für die Leistungsgewährung ".../..." der Firma ... für den Bereich SGB XII (ca. 25 User, Schnittstelle zu ... nicht notwendig); Server, Betreuung pp. vorrangig bei der ...

Alternativ bitte ich um ein Angebot jeweils einer herstellerhomogenen Ausstattung.

50

Nach der zitierten Rechtsprechung des OLG München vom 28.04.2006, Az.: Verg 6/06, ist für die Berechnung des Schwellenwertes jedenfalls dann auf die Summe der Einzelleistungen abzustellen, wenn der Auftraggeber sich offen hält, die zu vergebenden Lose/Aufträge einem einzigen Auftragnehmer zu übertragen. Auch die Bestellung des Landkreises ... spricht für den wirtschaftlichen und sachlichen Gesamtzusammenhang sämtlicher Softwarebeschaffungen. Die Teilbeschaffungen bei der Beigeladenen zu 1 und bei der Beigeladenen zu 2 können daher allenfalls als losweise Beschaffung betrachtet werden. Für Lose von Dienstleistungsaufträgen gilt gem. § 2 Nr. 8 VgV ein Schwellenwert von 80.000 EUR. Dieser wird auch hinsichtlich der Beschaffung bei der Beigeladenen zu 1 überschritten.

51

c)

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die streitbefangenen Beschaffungsvorgänge trotz bereits erfolgter Zuschlagserteilung einer Nachprüfung durch die Vergabekammer zugänglich. Der Einwand der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2, der Nachprüfungsantrag sei gem. § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB bereits unzulässig, weil er erst nach Erteilung der jeweiligen Zuschläge gestellt worden ist, ist unzutreffend. Diese Zuschläge sind in entsprechender Anwendung des § 13 VgV nichtig, weil die Antragsgegnerin nicht den Ablauf der 14-tägigen Informationsfrist abgewartet hat. Die durch die Rechtsprechung des EuGH, des BGH und der Oberlandesgerichte entwickelten Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit und Nachprüfbarkeit von sog. de-facto-Vergaben liegen hier vor. Die Antragsgegnerin hat als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des§ 98 Nr. 2 GWB alle Vorschriften des Vergaberechtsregimes zu beachten, u.a. auch § 13 VgV. Wie bereits das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 30.04.2003, Az.: Verg 67/02, zutreffend ausgeführt hat, soll mit einer Information des Auftraggebers nach§ 13 VgV über den beabsichtigten Zuschlag dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes bis zur Zuschlagserteilung entsprochen und auch dem Urteil des EuGH vom 28.10.1999 (Rs. C-81/98) Rechnung getragen werden. In diesem unter dem Stichwort "Alcatel" bekannt gewordenen Urteil (s. NZBau 2000, 33 ff. [BFH 11.08.1999 - XI R 47/98]) hat der EuGH Artikel 2 Abs. 1 lit. a und b der Richtlinie vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge dahin ausgelegt, dass die Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluss vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, indem der Antragsteller - unabhängig vom Sekundärrechtsschutz - die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Da jeder Auftraggeber grundsätzlich für seine Irrtümer selbst einstehen muss und der Irrtum als solcher objektives Recht nicht beseitigen kann, ist ein Irrtum über die Einschlägigkeit des Vergaberechts - hier über die Ausschreibungspflichtigkeit an sich - für die Anwendung des § 13 Satz 5 und 6 VgV unerheblich. Der Vorschrift des§ 13 VgV lässt sich auch nicht entnehmen, dass ihre Anwendbarkeit von der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens abhängt. Nach dem Wortlaut muss es sich nur um ein Verfahren handeln, in dem es Bieter und Angebote gibt.

52

Diese Rechtsprechung hat sich durch aktuelle Entscheidungen des EuGH, des BGH und der Vergabesenate gefestigt. Mit seinem Urteil vom 11.01.2005 in der Rechtssache C-26/03 (Stadt Halle) hat der EuGH betont, dass Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, diese in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, dahin auszulegen ist, dass sich die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen Nachprüfung der Entscheidungen der öffentlichen Auftrageber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung erstreckt, insbesondere auf die Entscheidung über die Frage, ob ein bestimmter Auftrag in den persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 in ihrer geänderten Fassung fällt. Diese Nachprüfungsmöglichkeit stehe jedem, der ein Interesse an dem fraglichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, von dem Zeitpunkt an zur Verfügung, zu dem der Wille des öffentlichen Auftraggebers, der Rechtswirkungen entfalten kann, geäußert wird.

53

Auf dieser Linie liegt die Rechtsprechung des BGH, der mit Beschluss vom 1. Februar 2005, Az.: X ZB 27/04 (= VergabeR 3/2005, S. 328 ff., 334, 335) die Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit von de-facto-Vergaben in entsprechender Anwendung des § 13 VgV festgelegt hat. Danach ist die nach wie vor bestehende Rechtsschutzlücke durch eine entsprechende Anwendung des § 13 VgV zu schließen, wenn die Beschaffung einer Dienstleistung immerhin zur Beteiligung mehrerer Unternehmen, zu verschiedenen Angeboten und schließlich zu einer Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat. Denn dann gebe es neben dem in Aussicht genommenen Unternehmen bestimmte außenstehende Dritte, die - wie im Falle eines geregelten Vergabeverfahrens - als Bieter aufgetreten sind und deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, sowie Gründe für die Nichtberücksichtigung dieser Angebote, über die der Auftraggeber zu informieren habe.

54

Demgegenüber hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 23.02.2005 - Az.: Verg 85/04 (= VergabeR 4/2005, S. 508 ff.) die Hürden für die Anfechtbarkeiten von de-facto-Vergaben unter Berufung auf die Stadt Halle-Entscheidung des EuGH vom 11.01.2005 noch herabgesetzt. Ausgangspunkt für die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist die Tatsache, dass § 13 VgV auch für das Verhandlungsverfahren gilt. Der Anwendung des § 13 VgV stehe dann nicht entgegen, dass die Auftraggeberin Verhandlungen mit nur einem einzigen Bieter führt und diesem Unternehmen den Zuschlag erteilt. Danach wäre eine de-facto-Vergabe auch dann anfechtbar, wenn es nicht mehrere Angebote oder Interessensbekundungen mehrerer Bieter gegeben hat. In dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf zu Grunde liegenden Fall war allerdings der Direktvergabe ein förmliches Vergabeverfahren vorangegangen, das der Auftraggeber abgebrochen hatte.

55

Ein derartiges nichtförmliches Vergabeverfahren als Vorstufe zur Auftragserteilung hat im vorliegenden Fall stattgefunden. Zwar ist die Antragsgegnerin bei den streitbefangenen Vertragsabschlüssen mit der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 letztlich den entsprechenden, konkreten Forderungen ihrer Gesellschafter, des Beigeladenen zu 3 und des Beigeladenen zu 4 hinsichtlich der zu beschaffenden Organisationslösung nachgekommen. Aus den der Vergabekammer seitens der Antragsgegnerin und von den beigeladenen Landkreisen übersandten Unterlagen ergibt sich jedoch, dass im Innenverhältnis zwischen der Antragsgegnerin und ihren hier betroffenen Gesellschaftern keineswegs von Anfang für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG nur die Software ... der Beigeladenen zu 1 bzw. im Fall des Landkreises ... (Beigeladener zu 4), zuzüglich des Softwareangebotes der Beigeladenen zu 2 in Betracht gezogen wurde. Vor dem Hintergrund bereits bestehender Softwareprobleme im Bereich der Aufgaben nach der Sozialgesetzgebung und der Asylgesetzgebung hatte sich nämlich bereits im Jahre 2004 eine 15-köpfige Arbeitsgruppe, bestehend aus 11 Sozialhilfeanwendern mehrerer Gesellschafter, hierunter die Beigeladenen zu 3 und 4 sowie vier Mitglieder der Antragsgegnerin mit Fragen der Beschaffung einer geeigneten, möglichst einheitlichen Softwarelösung für den Leistungsbereich nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beschäftigt. Die Bildung einer derartigen Arbeitsgruppe ist nach § 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages der Antragsgegnerin ausdrücklich geregeltes Mittel zur Aufgabenerledigung. Die einheitliche Wahl dieser Arbeitsgruppe fiel für diesen Aufgabenbereich ursprünglich auf die Softwarelösung .../... der Beigeladenen zu 2. Der Wahl entsprechend beschloss der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin, die Software der Beigeladenen zu 2 zu beschaffen. Erst als den Landkreisen ... und ... (Beigeladene zu 3 und 4) als sog. Optionskommunen zusätzlich die Aufgabenwahrnehmungen nach dem SGB IIübertragen wurden, wich die Antragsgegnerin auf Drängen dieser Gesellschafter vom ursprünglichen Beschaffungsbeschluss ab und setzte vorrangig auf die Organisationslösung ... der Beigeladenen zu 1. Lediglich für den Beigeladenen zu 4 wurde zusätzlich noch Software der Beigeladenen zu 2 beschafft, die die Antragsgegnerin gegenüber ihren Gesellschaftern nach wie vor als Gesamtlösung favorisiert hatte.

56

Die Tatsache, dass im Vorfeld der angefochtenen Beschaffungen mehrere Softwarelösungen und dementsprechend mehrere potenzielle Bieterunternehmen diskutiert wurden, wird nicht zuletzt bestätigt durch die abgestimmten, wortgleichen Absageschreiben des Beigeladenen zu 3 und des Beigeladenen zu 4 gegenüber der Antragstellerin vom 21.05.2006 und 28.04.2006. Dort heißt es:

"Nach der Bekanntgabe, dass der Landkreis den Zuschlag als Optionskommune erhalten hatte, erfolgte bereits in 2004 eine intensive Erkundung und Bewertung der am Markt befindlichen Softwarelösungen anhand eines umfassenden Anforderungskatalogs. Damals fiel die Entscheidung auf die integrierte Softwarelösung .../... der ... (Beigeladene zu 2) unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen die Einführung der Softwarelösung bis 2005 Gewähr leistet.

Neben der geforderten Softwarefunktionalität war für die Entscheidung auch die Geschäftspolitik des jeweiligen Softwarehauses im Hinblick auf Support, Service und Customizing ausschlaggebend. Diesbezügliche Referenzen der Kommunen, die Produkte der Firma ... GmbH (Antragstellerin) einsetzen, haben insbesondere nicht überzeugt.

Nachdem die Firma ... (Beigeladene zu 2) den Zeitplan nicht einhalten konnte, erfolgte die Beauftragung des im Auswahlverfahren nächstplatzierten Anbieters, der Firma ... GmbH (Beigeladene zu 1)."

57

(Hervorhebungen durch die Vergabekammer).

58

Ein nichtförmliches Vergabeverfahren lag im Vorfeld der angefochtenen de-facto-Vergaben somit vor. Die Tatsache, dass die Beigeladenen zu 3 und 4 unter anderem auch Referenzen bezüglich der Antragstellerin eingeholt und überprüft haben, belegt zudem, dass sich die Beigeladenen zu 3 und 4 durchaus des Interesses der Antragstellerin an den entsprechenden Softwareaufträgen bewusst waren und diese auch erörtert haben.

59

Dabei kann dahinstehen, ob das bereits im Antragsschriftsatz erwähnte, von der Antragstellerin der Vergabekammer aber erst im Nachgang zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 23.06.2006 vorgelegte, konkrete Angebot der Antragstellerin vom 03.01.2006 gegenüber dem Beigeladenen zu 3 über die Lieferung einer integrierten Software für die Sozialgesetzgebung mit dem Produktnamen ... die maßgeblichen Stellen beim Beigeladenen zu 3 und über die Arbeitsgruppe ggf. auch die Antragsgegnerin tatsächlich erreicht haben. Sowohl die Antragsgegnerin als auch der Beigeladene zu 3 hat schriftsätzlich vorgetragen, dass dieses Angebot niemals beim Beigeladenen zu 3 oder bei der Antragsgegnerin eingegangen ist. Dies ist insofern verwunderlich, als die Antragstellerin erklärt hat, dieses konkrete Angebot parallel an drei Mitarbeiter des Landkreises ... versandt zu haben. Das Angebot ist laut Antragstellerin an den zuständigen Sachgebietsleiter, Herrn ..., den Amtsleiter des Sozialamtes, Herrn ..., und den seinerzeit zuständigen Dezernenten, Herrn ..., versandt worden. Die Frage, ob das Initiativangebot so, wie von der Antragstellerin nunmehr der Vergabekammer vorgelegt, seinerzeit tatsächlich die Adressaten oder einen der Adressaten in der Verwaltung des Beigeladenen zu 3 erreicht hat oder nicht, lässt sich mangels entsprechender Belege nicht klären.

60

Die Beteiligung der Antragstellerin an diesen nichtförmlichen Vergabeverfahren für den Softwarebedarf des Beigeladenen zu 3 und des Beigeladenen zu 4 steht jedoch bereits auf Grund der übrigen, zwischen den Beteiligten unstreitig erfolgten schriftlichen Interessensbekundungen und der daraufhin erfolgten Einholung und Prüfung von Referenzen bezüglich der Antragstellerin letztlich außer Frage. Die Antragstellerin hatte noch vor Abschluss der streitbefangenen Softwareverträge zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen zu 1 und 2 seit 2004 mehrfach gegenüber den beigeladenen Landkreisen ihr Interesse an der Lieferung einer integrierten Software für die Sozialverwaltung, insbesondere auch für das Optionsmodell auf der Grundlage von Hartz IV bekundet. Dies ergibt sich u.a. aus dem von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 16.06.2006 vorgelegten Anlagenkonvolut K 9. Danach sind allein an den Landkreis ... zwischen dem 09.02.2004 und dem 16.11.2005 insgesamt 13 Schreiben gerichtet worden, mit denen die Antragstellerin für ihre integrierte Software für die Bereiche der sozialen Leistungsgesetzgebung geworben hat. Die Schreiben enthielten auch ausdrückliche Angebote hinsichtlich weiterer Informationen und Gesprächsangebote bezüglich der Modalitäten für die mögliche Einführung von ...-Softwarepaketen. Die Beigeladenen zu 3 und 4 haben in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2006 den Zugang derartiger formloser Interessensbekundungen der Antragstellerin auch nicht in Abrede gestellt.

61

Diese an die beigeladenen Landkreise versandten Interessensbekundungen der Antragstellerin sind der Antragsgegnerin auch zuzurechnen. Zwar hat die Antragsgegnerin keine unmittelbaren Interessensbekundungen von der Antragstellerin erhalten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin auf Grund der Schreiben der Landkreise ... und ... vom 21.05.2006 und 28.04.2006, die inhaltlich völlig identisch sind, bis zum Schluss den Eindruck gewinnen musste, dass die notwendige Softwarebeschaffung von den Landkreisen direkt durchgeführt wurde. Die Einschaltung der ... wurde der Antragstellerin erstmals im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens VgK-12/2006 mit Schriftsatz des Landkreises ... (Beigeladener zu 3) vom 29.05.2006 bekannt gegeben. Die Antragstellerin hat nach Überzeugung der Vergabekammer jedoch über ihre Gesellschafter, die Beigeladenen zu 3 und 4, von den Interessensbekundungen der Antragstellerin erfahren. Dies folgt zum einen daraus, dass die streitbefangenen Beschaffungen eben für diese beigeladenen Landkreise auf Grund der von dort erfolgten Anforderungen, zugeschnitten auf den dortigen Bedarf, erfolgten. Darüber hinaus wird der Umstand, dass die Antragsgegnerin vom Interesse der Antragstellerin am Auftrag Kenntnis erhalten hat, durch die der Vergabekammer mit Schriftsatz des Beigeladenen zu 3 vom 13.06.2006 übersandte Chronologie des Beschaffungsablaufs belegt. Aus der dortigen Seite 5 geht hervor, dass am 05.12.2005 auf Einladung der ... (Antragsgegnerin) auf Druck der beiden Landkreise ein Gespräch mit den betroffenen Amts- und Fachbereichsleitungen stattgefunden hat. Dort heißt es:

"In diesem Gespräch haben sich die beiden Optionskommunen für die Beschaffung des Produktes ... durch die ... ausgesprochen. Da die beiden Optionskommunen die Bundesmittel in 2005 nicht ausschöpfen konnten, sollte die Organisationslösung ... noch in 2005 beschafft werden, um den Bundeshaushalt 2006 nicht zusätzlich zu belasten.

Auf der Internetseite der ... GmbH (Antragstellerin) weist diese unter "Aktuelle Meldungen" erstmals am 01.12.2005 (Anlage 30) darauf hin, dass das Fallmanagement des Produktes ... wesentlich verbessert wurde. Das vom Landkreis ... ausgestellte Anforderungsprofil für eine Filemanagementarbeitsvermittlungs-Software wird selbst durch diese Neuerungen nicht erfüllt, sodass auch zu diesem Zeitpunkt das Produkt ... nicht in die engere Wahl für den Landkreis ... gekommen wäre."

62

Es ist daher davon auszugehen, dass die beigeladenen Landkreise sich gelegentlich der Abstimmungsgespräche oder im Rahmen der eingerichteten Arbeitsgruppe mit der Antragsgegnerin auch über das Softwareangebot der Antragstellerin ausgetauscht haben.

63

Das von der Rechtsprechung für die Anfechtbarkeit von de-facto-Vergaben vorausgesetzte, nichtförmliche Vergabeverfahren hat vorliegend somit auch unter Einschluss der Interessensbekundungen der Antragstellerin stattgefunden.

64

d)

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Softwareunternehmen und ausweislich der zahlreichen Interessensbekundungen im Vorfeld der Auftragsvergabe als Bewerberin ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie darauf verweist, dass die Antragsgegnerin durch die streitbefangenen Direktvergaben gegen Vergaberecht verstoßen hat. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage,§ 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass der streitbefangene Auftrag ausgeschrieben werden musste und sie sich im Falle der Ausschreibung mit einem konkreten Angebot hätte beteiligen können. Dadurch hätte sie zumindest die Chance auf einen Zuschlag erhalten.

65

Die Antragsbefugnis der Antragstellerin entfällt nicht dadurch, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu 3 und 4 im Zuge des Nachprüfungsverfahrens behauptet haben, die Antragstellerin sei gar nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig eine geeignete Softwarelösung anzubieten. Im Übrigen hätten sie der Antragstellerin auch bei einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren keinen Auftrag erteilt, weil diese als nicht geeignet eingestuft werden müsse, was sich u.a. aus einer negativen Referenz des Landkreises ... ergebe, der erhebliche Probleme mit dem Einsatz der Software ... und mit dem Service der Antragstellerin habe. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 21.06.2006 ein entsprechendes Protokoll des Landkreises ... vom 07.06.2005 über ein Gespräch mit der Antragstellerin in ... am 06.06.2005 vorgelegt, das die Unzufriedenheit des Landkreises ... mit den Leistungen der Antragstellerin bestätigt. Da die Antragsgegnerin jedoch überhaupt kein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchgeführt hat, kann auf Grund dieser einen negativen Referenz nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass ein Angebot der Antragstellerin mangels Eignung des Unternehmens oder des Produkts ausgeschlossen werden müsste. Die Eignungsprüfung und die Prüfung des Produkts könnten im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens durchaus zu einem anderen Ergebnis führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Bietern und damit auch der Antragstellerin Gelegenheit gegeben wird, ihrerseits positive Referenzen zu benennen und ihr Produkt im Rahmen des Angebotes ordnungsgemäß und ausführlich vorzustellen. Da ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren und damit jegliche Prüfung der Eignung und des Produkts unterblieben ist, kann die Antragsgegnerin nicht mit der Hypothese gehört werden, die Antragstellerin hätte auch im Falle eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens keine Chance auf einen Zuschlag gehabt.

66

e)

Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin über die streitbefangenen Direktvergaben erst nach Zuschlagserteilung informiert wurde, war im vorliegenden Fall auch eine Rüge vor Anrufung der Vergabekammer gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entbehrlich. Nach dieser Vorschrift muss der Antragsteller die von ihm im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstöße zuvor im laufenden Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich rügen, sobald er die Verstöße erkannt hat. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Der durch das Vergaberechtsänderungsgesetz dem Bieter erstmals gewährte Primärrechtsschutz im Vergabeverfahren setzt auf der anderen Seite voraus, dass sich der Bieter seinerseits auch stets gebührend um seinen Rechtsschutz bemüht. Dazu gehört gerade auch die vorprozessuale Rüge. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin erstmals im Rahmen des Parallelverfahrens VgK-12/2006 und des dortigen Schriftsatzes des Landkreises ... (Beigeladener zu 3) vom 29.05.2006 Kenntnis davon erhalten, dass die von den Landkreisen für den Sozialbereich benötigte Software nicht von diesen direkt beschafft wurden, sondern dass die Antragsgegnerin die Verträge für die beigeladenen Landkreise im eigenen Namen geschlossen hat. Dieser Schriftsatz wurde der Antragstellerin mit Verfügung der Vergabekammer vom 30.05.2006 bekannt gegeben. Während die Antragstellerin die Direktvergaben hinsichtlich des beigeladenen Landkreises ... bereits mit Schriftsatz vom 31.05.2006 und damit unverzüglich gegenüber der Antragsgegnerin rügte, unterblieb eine derartige Rüge hinsichtlich der Direktvergaben für den beigeladenen Landkreis ... (Beigeladener zu 4) völlig. Gleichwohl hat die Antragstellerin im vorliegenden Nachprüfungsverfahren auch die diesbezügliche Direktvergabe angefochten.

67

Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist eine Rüge nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB jedoch dann entbehrlich, wenn sich der Nachprüfungsantrag gegen eine de-facto-Vergabe richtet (vgl. Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107 Rdnr. 104, m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.01.2005, VergabeR 2005, S. 343; BayObLG, Beschluss v. 27.02.2003, VergabeR 2003, S. 669). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach ist die Rügepflicht ausdrücklich auf vom Antragsteller im Vergabeverfahren erkannte Verstöße beschränkt. Dies folgt aber auch aus der oben beschriebenen Funktion des Rügeerfordernisses als Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Diese ist Ausprägung des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses zwischen Bieter und Auftraggeber im förmlichen Vergabeverfahren. An einem derartigen vorvertraglichen Vertrauensverhältnis fehlt es aber gerade bei einer de-facto-Vergabe. Sinn der Rüge ist es darüber hinaus, dem Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren Gelegenheit zu geben, vermeintliche Vergaberechtsverstöße noch im laufenden Verfahren und damit vor Zuschlagserteilung abzustellen. Dieser Zweck lässt sich bei einer de-facto-Vergabe aber gerade nicht erreichen. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Rügepflicht eine den Rechtsschutz einschränkende Ausnahmevorschrift darstellt, ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass die Rügeobliegenheit nur innerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens gilt (vgl. Wiese, a.a.O., Rdnr. 104).

68

Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.

69

2.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist durch das vergaberechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Die Antragsgegnerin hat nicht nur unter Verstoß gegen den hier entsprechend anzuwendenden§ 13 VgV die Zuschläge auf die Angebote der Beigeladenen zu 1 und zu 2 erteilt, ohne den Ablauf der gesetzlichen 14-Tagesfrist zwischen Information der Bieter und Zuschlagserteilung abzuwarten, wie oben unter II. 1. erörtert. Sie hat auch unter Verstoß gegen § 127 GWB i.V.m. § 4 Abs. 1 VgV und § 3 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A versäumt, ein europaweites offenes Vergabeverfahren oder - bei Vorliegen der Voraussetzungen - ggf. europaweites nicht offenes Vergabeverfahren durchzuführen. Die Antragsgegnerin hat stattdessen faktisch ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung durchgeführt, ohne dass die diesbezüglichen Voraussetzungen des § 3 a Nr. 2 VOL/A vorliegen. In der Folge hat sie darüber hinaus entgegen § 3 a Nr. 3 VOL/A versäumt, aktenkundig zu machen, weshalb von einem offenen oder nicht offenen Verfahren abgewichen worden ist. Die Antragsgegnerin hat dadurch sowohl gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz als auch gegen den Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB verstoßen.

70

a)

Gemäß § 13 VgV informiert der Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll, und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Er sendet diese Information in Textform spätestens 14 Tage vor dem Vertragsschluss an die Bieter ab. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber. Der Zuschlag darf vor Ablauf der Frist nicht erteilt werden. Dennoch abgeschlossene Verträge sind, wie im vorliegenden Fall, nichtig. Die Regelung des § 13 VgV ist im vorliegenden Fall, wie oben unter II. 1. dargelegt, entsprechend anzuwenden. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin über die mit der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 geschlossenen Verträge über die Beschaffung von Softwarelösungen für die Sozialbereiche der beigeladenen Landkreise zu 3 und 4 überhaupt nicht informiert. Lediglich die beigeladenen Landkreise selbst haben die Antragstellerin mit abgestimmten, inhaltsgleichen Schreiben vom 28.04.2006 und 21.05.2006 darüber informiert, dass entsprechende Verträge mit der Beigeladenen zu 1 geschlossen wurden. Dabei wurde die Tatsache, dass die Antragsgegnerin die entsprechenden Beschaffungen im eigenen Namen für die beigeladenen Landkreise durchgeführt hatte, nicht einmal erwähnt. Die unter Missachtung des § 13 VgV geschlossenen Verträge sind nichtig. Bereits dadurch hat die Antragsgegnerin gegen Vergaberecht verstoßen.

71

b)

Die Antragsgegnerin hat es darüber hinaus versäumt, die streitbefangenen Aufträge im Rahmen eines oder mehrerer europaweiter, offener Vergabeverfahren gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A oder ggf. - bei Vorliegen der Voraussetzungen im europaweiten nicht offenen Vergabeverfahren gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VOL/A zu vergeben. Offene Verfahren im Sinne des § 3 a Nr. 1 VOL/A und § 101 Abs. 2 GWB sind Verfahren, bei denen eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert wird. Entsprechend der Terminologie der zu Grunde liegenden EU-Richtlinien unterscheidet auch deren nationale Umsetzung in § 3 a VOL/A zwischen offenen Verfahren, den nicht offenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren. Es handelt sich hier um hierarchisch angelegte Vergabearten, die in§ 101 Abs. 1 - 4 GWB auch auf gesetzlicher Basis verankert worden sind. Diese stehen in einem strikten Stufenverhältnis zueinander (vgl. Fett in: Müller-Wrede, VOL/A, 1. Auflage, § 3 a, Rdnr. 11). Gemäß § 101 Abs. 5 Satz 1 GWB,§ 3 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A werden Aufträge grundsätzlich im offenen Verfahren vergeben. Damit ist das offene Verfahren vorrangig zu verwenden. Lediglich unter den engen, enumerativ aufgeführten Ausnahmetatbeständen darf das nicht offene Verfahren oder - unter noch strengeren Voraussetzungen - das Verhandlungsverfahren, mit oder ohne vorherige Bekanntmachung angewandt werden. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Ausnahmetatbestände trägt der Auftraggeber (vgl. Fett, a.a.O., Rdnr. 16; EuGH, Urteil v. 10.03.1987, Rs. 199/85, Slg. 1987, 1039). Der Vorrang des offenen Verfahrens ist bereits dadurch gerechtfertigt, dass diese Verfahrensart am stärksten den Wettbewerbsgrundsatz des§ 97 Abs. 1 GWB Gewähr leistet. Denn das offene Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass sich grundsätzlich jedes Unternehmen auf der Grundlage der öffentlichen Bekanntmachung mit einem konkreten Angebot am Wettbewerb beteiligen kann. Es bietet am ehesten die Gewähr für die Einhaltung der Vergabegrundsätze des§ 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB.

72

Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin faktisch die einfachste Form des Vergabeverfahrens, nämlich ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung gem. § 3 a Nr. 2 VOL/A gewählt, ohne dass die in dieser Vorschrift unter lit. a bis h abschließend aufgeführten, engen Voraussetzungen vorliegen. Dies gilt insbesondere für den Grund der Eilbedürftigkeit gem. § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A. Danach kann ein Auftraggeber einen Auftrag im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung unter anderem dann vergeben, soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn aus zwingenden Gründen, die der Auftraggeber nicht vorhersehen konnte, die Fristen gem. § 18 a VOL/A (Angebotsfrist mindestens 52 Tage) nicht eingehalten werden können. Dabei dürfen die Umstände, die die zwingende Dringlichkeit begründen, auf keinen Fall dem Verhalten des Auftraggebers zuzuschreiben sein. Die Voraussetzungen einer nicht zu vertretenden Eilbedürftigkeit liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin die streitbefangenen Beschaffungen mit ihren beiden betroffenen Gesellschaftern, den beigeladenen Landkreisen zu 3 und 4, bereits seit 2004 in Arbeits- und Projektgruppen vorbereitet und erörtert hat, war die Antragsgegnerin ohne weiteres in der Lage, die streitbefangenen Beschaffungen im Wege eines europaweiten offenen oder ggf. nicht offenen Vergabeverfahrens durchzuführen.

73

Dabei verkennt die Vergabekammer nicht, dass die Antragsgegnerin gerade durch die beigeladenen Landkreise ... und ... und damit von ihren Gesellschaftern geradezu gedrängt wurde, nur eine bestimmte anbieterspezifische Softwarelösung zu beschaffen. Die Antragsgegnerin, die gerade auch als Einkaufsgemeinschaft für ihre kommunalen Gesellschafter fungiert, hätte aber ihrerseits die beigeladenen Landkreise darauf hinweisen müssen, dass die Beschaffungen europaweit auszuschreiben sind. Soweit es sich - wie im vorliegenden Fall - bei der zu beschaffenden Software nicht um Standardsoftware handelt, müssen die Ausschreibungsunterlagen ein den Anforderungen des § 8 Abs. 1 VOL/A genügendes Pflichtenheft oder eine entsprechende ausführliche Leistungsbeschreibung enthalten, die die Anforderungen des Verwenders an die Spezialsoftware wiedergeben. Für die Erstellung von Pflichtenheften zur Softwarebeschaffung existiert sogar ausführliche, spezielle Literatur, wie z.B. "Das DV Pflichtenheft zur optimalen Softwarebeschaffung" von Grupp, MITP-Verlag, Bonn. Neben diversen Entscheidungskriterien, Evaluationsschritten und kompletten Musterpflichtenheften enthält es u.a. auch "Praxistipps für die Pflichtenhefterstellung für Behördensoftware". Ein Pflichtenheft sollte Ausführungen zu bisherigen Verfahren und Hilfsmitteln haben, zur Zielsetzung mit der Priorität nach dargestellten Unterzielen (Musskriterien, Sollkriterien und wünschenswerten Kriterien), zum Produkteinsatz, zu den Betriebsbedingungen, zum Mengengerüst, insbesondere hinsichtlich Stamm- und Grunddaten, zu Produktfunktionen (z.B. zur Frage, wie Neueingaben/Änderungen funktionieren sollen, ggf. Sortier- und Suchfunktionen), zur Benutzeroberfläche (falls besondere Wünsche bestehen) und, worauf es offensichtlich auch der Antragsgegnerin und den beigeladenen Landkreisen bei den streitbefangenen Beschaffungen ankam, zu Qualitätszielen (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 12.04.2002, Az.: 203-VgK-05/2002).

74

c)

Darüber hinaus hat es die Antragsgegnerin unter Verstoß gegen § 3 a Nr. 3 VOL/A i.V.m.§ 30 VOL/A unterlassen, aktenkundig zu machen, weshalb von einem offenen oder nicht offenen Verfahren abgewichen worden ist. Auch damit hat die Antragsgegnerin gegen den Transparenzgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB verstoßen.

75

Da es sich bei den von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 1 und der Beigeladenen zu 2 abgeschlossenen Verträgen um kombinierte Liefer- und Dienstleistungsaufträge handelt, die gem. § 97 ff. GWB dem Vergaberechtsregime unterliegen, trifft die Vergabekammer gem. § 114 GWB die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Wegen der festgestellten schwer wiegenden Verstöße gegen das vergaberechtliche Wettbewerbsgebot und das Transparenzgebot ist es erforderlich, die Nichtigkeit der geschlossenen Verträge festzustellen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die streitbefangenen Beschaffungen nur im Wege eines oder mehrerer europaweiter, vorrangig offener Vergabeverfahren durchzuführen.

76

Die Vergabekammer weist auf die entsprechende Anfrage des Beigeladenen zu 3 darauf hin, dass eine durch das vergaberechtswidrige Verhalten der Antragsgegnerin und die durch diesbezügliche Anrufung der Nachprüfungsinstanzen erfolgte Verzögerung ggf. notwendig gewordene, befristete Interimsvergabe (Nutzungsvertrag bzw. Softwarelizenz) zur Deckung des akuten, streitbefangenen Softwarebedarfs der beigeladenen Landkreise zu 3 und 4 für den Sozialbereich nur so lang bemessen werden darf, wie es erforderlich ist, die Leistungen im Wege eines rechtmäßigen, förmlichen Vergabeverfahrens zu beschaffen.

77

III.

Kosten

78

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro- Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in§ 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, sodass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.

79

Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.685 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

80

Der zu Grunde zu legende Auftragswert für die streitbefangenen Aufträge zur Beschaffung der Organisationslösung für den Sozialbereich (Software-Unternehmenslizenzen nebst Paket Dienstleistungs- und Einführungsseminare) beträgt ausweislich der der Vergabekammer vorliegenden Verträge 659.000 EUR. Die Gesamtauftragssumme ergibt sich aus dem zwischen der Antragsgegnerin und der ... GmbH, ... (Beigeladene zu 2) für den beigeladenen Landkreis ... geschlossenen Vertrag vom 03.03.2006 mit einer Auftragssumme von insgesamt 265.000 EUR netto, den für den Bedarf des Landkreises ... ebenfalls mit der Beigeladenen zu 1 geschlossenen Vertrag vom 03.03.2006 mit einer Auftragssumme von 160.000 EUR und den ebenfalls für den Bedarf des Landkreises ... am 23.03.2006 mit der Beigeladenen zu 2, der ... GmbH geschlossenen Verträge mit einer Gesamtauftragssumme von 234.120 EUR.

81

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 659.000 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 2.685 EUR.

82

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

83

Die in Ziffer 2 des Tenors getroffene Kostenregelung folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin in vollem Umfang begründet ist.

84

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

85

Die Antragsgegnerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von 2.685 EUR unter Angabe des Kassenzeichens

86

...

87

auf folgendes Konto zu überweisen:

88

...

Gause
Rohn
Prokop