Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 10.03.2006, Az.: VgK -06/2006
Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwerts für einen Dienstleistungsauftrag; Rüge der Verdingungsunterlagen; Fehlende Mindestabnahmemengen und ein Sonderkündigungsrecht auf Seiten der Auftraggeberin als unwägbares Risiko für den Auftragnehmer; Außerordentliches Kündigungsrecht der Auftraggeberin aus Haushaltsgründen im Spannungsfeld der finanziellen Leistungsunfähigkeit nach § 275 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 10.03.2006
- Aktenzeichen
- VgK -06/2006
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 13155
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 275 BGB
- § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 100 Abs. 1 GWB
- § 107 Abs. 3 S. 1 GWB
- § 127 GWB
- § 114 Abs. 1 GWB
Fundstelle
- IBR 2006, 350 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
Verfahrensgegenstand
VOL-Vergabeverfahren Mietvertrag für Kopiergeräte; Lieferung von Kopiergeräten einschließlich Serviceleistungen
Mit Bekanntmachung schrieb die Stiftung Universität ... den Mietvertrag für Kopiergeräte im offenen Verfahren europaweit aus. Der Auftrag soll die Lieferung und Miete von 39 Kopiersystemen verschiedener Kapazitäten und Ausstattungen sowie Serviceleistungen umfassen. Der Zuschlag soll erteilt werden auf das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich der Kriterien Servicezeiten, technische Eigenschaften und niedrigster Preis. Eine Priorität dieser Kriterien wurde nicht festgelegt. Die Antragstellerin rügte die Ausschreibung als vergaberechtsfehlerhaft, da sie dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufbürde. Die Rüge blieb erfolglos. Hiergegen richtet sich der nach Ansicht der Vergabekammer unzulässige Nachprüfungsantrag. Die Antragstellerin habe von ihr im Vergabeverfahren erkannte vermeintliche Verstöße nicht unverzüglich gerügt. Die Rüge habe angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten würden, grundsätzlich binnen ein bis drei Tagen zu erfolgen. Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt werde, könne einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert.
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Raab,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer Diplom-Ökonom Brinkmann
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
- 3.
Die Kosten werden auf 2.552 Euro festgesetzt.
- 4.
Die Antragstellerin hat der Auftraggeberin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Auftraggeberin notwendig.
Gründe
I.
Mit Bekanntmachung vom 07.01.06 schrieb die Stiftung Universität ... den Mietvertrag für Kopiergeräte im offenen Verfahren europaweit aus. Der Auftrag soll die Lieferung und Miete von 39 Kopiersystemen verschiedener Kapazitäten und Ausstattungen sowie Serviceleistungen umfassen. Als Leistungsumfang werden ca. 4 500 000 S/W-Kopien und ca. 30 000 Farbkopien pro Jahr angegeben. Die Vertragslaufzeit soll am 01.04.2006 beginnen und am 31.03.2011 enden. Nebenangebote sind nicht zugelassen.
Der Zuschlag soll erteilt werden auf das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich der Kriterien Servicezeiten, technische Eigenschaften und niedrigster Preis. Eine Priorität dieser Kriterien wurde nicht festgelegt.
Die Verdingungsunterlagen konnten bis zum 01.02.2006 angefordert werden, als Angebotsschluss war der 28.02.2006 festgelegt.
Zu den Verdingungsunterlagen gehören u.a. eine Leistungsbeschreibung und ein Mietvertragsmuster. Im Leistungsverzeichnis sind die Mindestanforderungen an die vom Auftragnehmer bereitzustellenden Kopiersysteme beschrieben und werden die Leistungsdaten der angebotenen Systeme abgefragt. Die §§ 1 und 2 "Gerätesystem" und "Wartung und Betrieb" des Vertragsentwurfes legen die zu erbringenden Leistungen fest.
In § 3 "Preisvereinbarung" werden als Bietereintragungen die Seitenpreise für S/W- und Farbkopien verlangt. Hierbei unterscheidet der Auftraggeber zwischen den Seitenpreisen für ein prognostiziertes jährliches Kopiervolumen von ca. 4,5 Mio. S/W-Kopien und 30 000 Farbkopien (Abs. 1) und besonderen Seitenpreisen für ein darüber hinausgehendes Kopiervolumen (Abs. 2). In diesen Kopienpreisen sollen alle mit der Bereitstellung der Kopiersysteme verbundenen Kosten (mit Ausnahme von Papier, Heftklammern und Bindematerial) enthalten sein. Die Preise verstehen sich zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer.
§ 4 des Vertragsentwurfes regelt die Abrechnung. Hiernach hat die Auftraggeberin einen vom Auftragnehmer zu kalkulierenden monatlichen Abschlag zzgl. Umsatzsteuer an den Vermieter zu überweisen. Als Abrechnungsstichtag ist der 31.10. eines jeden Jahres festgelegt. Berücksichtigt werden die Summen der S/W- und Farbkopien aller nach diesem Vertrag bereitgestellten Kopiergeräte. Durch die monatlichen Abschlagszahlungen nicht bezahlte Kopien sollen durch Einzelanweisung der Auftraggeberin nachgezahlt werden, eingetretene Überzahlungen sollen vom Auftragnehmer erstattet werden.
Die §§ 5 und 6 enthalten Regelungen zu Versicherungs- und Haftungsfragen, zur Vertragsdauer und folgende Regelung für außerordentliche Kündigungen:
"Jeder Vertragspartner hat ein außerordentliches Kündigungsrecht, wenn Umstände eintreten, unter denen die Aufrechterhaltung des Vertrages für ihn unzumutbar wird.
Das ist für den Mieter insbesondere der Fall, wenn die Leistungen des Vermieters nicht dem Bedarf des Mieters entsprechen oder wenn der Mieter aus Haushaltsgründen zu Einschränkungen verpflichtet ist."
Die Vergabeunterlagen wurden von 17 Firmen angefordert. Die Antragstellerin tat dies per E-Mail am 12.01.2006. Die Vergabeunterlagen wurden am 17.01.2006 per Post an die Antragstellerin abgesandt. Der Vergabeakte ist zu entnehmen, dass 7 Angebote bei der Auftraggeberin eingegangen sind. Die Antragstellerin hat kein Angebot abgegeben.
Am 06.02.2006 stellte die Antragstellerin per E-Mail verschiedene Fragen. Sie betrafen die Zusicherung einer Mindestabnahmemenge, das Magnetkartensystem, eine evtl. Netzwerkeinbindung der Kopiersysteme, den vorgesehenen Nutzerkreis sowie Details zu Nutzung und Abrechnung. Unter Hinweis auf bereits erfolgte telefonische Anfragen bat die Antragstellerin außerdem um schriftliche Bestätigung, dass bestimmte Abweichungen von den Anforderungen an das Farbsystem kein Ausschlusskriterium darstellen und in der Wertung nicht gewichtet werden.
Die Auftraggeberin beantwortete die Anfragen mit E-Mail vom 07.02.2006. Hierbei teilte sie u.a. mit, dass der Vertragsentwurf eine Mindestabnahme nicht definiere.
Mit Schreiben vom 15.02.06 rügte die Antragstellerin die Ausschreibung als vergaberechtsfehlerhaft, da sie dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufbürde.
Die Ausschreibung verlange eine fixe Kostenangabe auf Seitenbasis für die gesamte Vertragslaufzeit, in welcher alle Kosten, auch die Kosten der Hardware, enthalten sein müssen. Eine Mindestabnahmemenge werde ausdrücklich nicht zugesagt. Im Falle einer Überzahlung durch die monatlichen Abschlagszahlungen müsse der Auftragnehmer die Minderkopien zum Seitenpreis an die Auftraggeberin zurück vergüten. Er habe keinen Einfluss auf die Abnahmemenge und müsse u.U. hinnehmen, dass das tatsächliche Kopiervolumen um 40% und mehr von dem für die Abschlagszahlung kalkulierten Kopiervolumen abweichen kann, ohne dass ihm ein Ausgleich zugebilligt werde. Die Unterschreitung des Kopiervolumens führe lediglich zu Einsparungen nicht benötigter Verbrauchsmaterialien und Ersatzteile. Maximal dieser Anteil könne rückvergütet werden. Im Falle einer vollständigen Rückvergütung seien jedoch die Kosten der Hardware faktisch nicht gedeckt.
Kritisiert wird auch das außerordentliche Kündigungsrecht in § 6 Abs. 2 des Vertragsentwurfs. Mit den beispielhaft für die Mieterin aufgeführten Kündigungsgründen wälze die Auftraggeberin das Risiko der Verfügbarkeit der ihr nach den Haushaltsplänen zur Verfügung stehenden Mittel vergaberechtswidrig auf den Auftragnehmer ab. Soweit sie ein Kündigungsrecht für den Fall wünsche, dass die Leistungen nicht ihrem Bedarf entsprechen, sei dies hinreichend durch die Regelungen des § 543 BGB gewährleistet.
Außerdem beanstandet sie die Vorgabe des bisherigen Kartenlesesystems, welche den bisherigen Auftragnehmer begünstige, da er die vorhandenen Magnetkartensysteme weiter nutzen könne, während alle anderen Bieter die Bereitstellung neuer Kartenlesesysteme einkalkulieren müssten.
Unter Fristsetzung forderte sie die Auftraggeberin auf, die gerügten Mängel abzustellen und insbesondere eine Mindestabnahme festzulegen.
In ihrer Rügeantwort vom 21.02.06 wies die Auftraggeberin darauf hin, dass weder in der Bekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen eine Mindestabnahmemenge festgelegt worden sei. Eine Diskriminierung durch die Vorgabe des bisherigen Kartenlesesystems sehe sie nicht, da auch der bisherige Auftragnehmer neue Kartenlesegeräte anbieten müsse.
Auf die Kritik an den Regelungen zur außerordentlichen Kündigung ging sie nicht ein.
Sie wies darauf hin, dass die Rüge nicht den Anforderungen der Unverzüglichkeit entspreche.
Mit E-Mail vom 28.02.06 meldete die Antragstellerin sich nochmals bei der Auftraggeberin, um zu klären, zu welchem Seitenpreis die in§ 4 Abs. 2 des Vertrages geregelten Überzahlungen vom Auftragnehmer rückerstattet werden müssten.
Die Auftraggeberin stellte per E-Mail am gleichen Tage klar, dass dies von der Festlegung der Abschlagszahlung bzw. der ihrer Kalkulation zu Grunde liegenden Anzahl der Kopien abhänge.
Entsprechend den sonstigen Informationen der Bekanntmachung stellte die Antragstellerin am 28.02.06 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer der OFD Hannover. Diese teilte ihr am 01.03.06 mit, dass ihre Zuständigkeit nicht gegeben sei.
Mit Schreiben vom 01.03.06 wandte sich die Antragstellerin schließlich per Fax an die Vergabekammer Lüneburg und beantragte ein Nachprüfungsverfahren nach § 107 GWB. Sie verweist auf ihre Rüge, die sie unverzüglich nach Kenntnisnahme der aus ihrer Sicht nicht akzeptablen Regelungen der Verdingungsunterlagen vorgetragen habe. Die Rüge sei im Übrigen von der Auftraggeberin unvollständig beantwortet worden.
Die Antragstellerin wiederholt ihre Kritik an der fehlenden Festlegung einer Mindestabnahmemenge. Hierzu legt sie dar, dass wegen des gleichzeitigen Ausschlusses jeglicher alternativer Abrechnungsverfahren der Bieter lediglich die Kostenseite, nicht aber die Einnahmen kalkulieren könne, sodass er nicht sicherstellen könne, dass seine fixen Anschaffungskosten gedeckt werden können. Soweit die Auftraggeberin vortrage, es sei ihr unter den gegebenen Umständen nicht möglich, eine Mindestabnahme festzulegen, sei ihr entgegenzuhalten, dass ihr zumindest für den Verwaltungsbereich umfangreiche Kenntnisse über den Verbrauch vorliegen müssten. In dem Verzicht auf die Festlegung einer Mindestabnahme sieht sie ein ungewöhnliches Wagnis i. S. des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A, da sie keinen Einfluss auf das Kopierverhalten der Auftraggeberin habe.
Ein gleicher Verstoß liege auch in der Festlegung des außerordentlichen Kündigungsrechtes in § 6 Abs. 2 des Vertragsentwurfs. Der Bieter habe keinen Einfluss auf die Haushaltslage der Auftraggeberin und müsse - möglicherweise schon nach kurzer Zeit - eine solche Kündigung entschädigungslos hinnehmen.
Mit den beanstandeten Regelungen wälze die Auftraggeberin das wirtschaftliche Risiko vergaberechtswidrig komplett auf die Bieter ab, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Auftraggeberin selbst Einnahmen aus der Kopierernutzung generiere und somit wirtschaftlichen Nutzen ziehe.
Aus den genannten Gründen sehe sie sich nicht in der Lage, ein wirtschaftliches Angebot abzugeben und habe damit auch keine Möglichkeit, den Zuschlag zu erhalten.
Dem Vorwurf, sie habe die Vergaberechtsverstöße nicht unverzüglich gerügt, hält die Antragstellerin entgegen, es sei betrieblich nicht praktikabel, die Vergabeunterlagen einer Ausschreibung bereits 4 Tage nach ihrem Eingang zu rügen. Die Aufnahme der Bearbeitung der zahlreichen Ausschreibungen, an denen sie sich beteilige, erfolge nach dem Dringlichkeitsprinzip und orientiere sich hierbei an den Angebotsfristen.
Auch sei es üblich, bereits als kritisch erkannte Punkte zunächst formlos mit dem Auftraggeber zu klären. Im vorliegenden Fall habe die Antragstellerin schließlich am 15.02.06 - ohne schuldhaftes Zögern - gerügt, weil die formlose Klärung nicht zu einer entsprechenden Korrektur der Vergabeunterlagen geführt habe.
Da auch die Rüge erfolglos geblieben sei, habe sie schließlich am 28.02.06 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Die zunächst fehlerhafte Adressierung und die damit eingetretene Verzögerung um 2 Tage sei auf die fehlerhafte Bekanntmachung zurückzuführen und deshalb der Auftraggeberin anzulasten.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.99, AZ.: Verg 1/00) sei ihre Rüge unter den gegebenen Umständen noch unverzüglich erfolgt.
Die Antragstellerin beantragt
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung aufzuheben und der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Auftraggeberin beantragt,
- den Nachprüfungsantrag wegen Unzulässigkeit ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten abzuweisen,
- der Antragsgegnerin gemäß § 115 Abs.2 GWB zu gestatten, den Zuschlag zu erteilen,
- der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
- die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Sie hält den Nachprüfungsantrag für offensichtlich unzulässig, denn die Antragstellerin habe die beanstandeten Rechtsverstöße nicht unverzüglich nach Erlangung positiver Kenntnis gerügt.
Die Antragstellerin habe die Vergabeunterlagen in der 3. Kalenderwoche erhalten. Die vermeintlichen Vergaberechtsverstöße wurden jedoch erst in der 7. Kalenderwoche am 15.02.06 gerügt, obwohl die Antragstellerin sich nachweislich schon vor dem 06.02.06 inhaltlich mit den Vergabeunterlagen auseinandergesetzt habe. Man müsse erwarten, dass die Antragstellerin als regelmäßig an vergleichbaren Vergabeverfahren beteiligte Bieterin bereits bei Durchsicht des Vertragentwurfes positive Kenntnis von den vermeintlichen Verstößen erlangt hat. Eine unverzügliche Rüge hätte daher bereits im Januar erfolgen können und müssen.
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung weist sie den Vorwurf eines ungewöhnlichen Wagnisses i. S. des § Nr. 1 Abs. 3 VOL/A zurück.
Der Verzicht auf Festlegung einer Mindestabnahmemenge stelle im vorliegenden Fall ein nicht zu vermeidendes Wagnis dar, da ein Großteil der Kopien von den Studierenden gefertigt werde. Auf deren Anzahl und Kopierverhalten habe sie keinen Einfluss und könne daher auch keine Mindestabnahmemengen ermitteln. Sie habe daher als Kalkulationsbasis aktuelle Erfahrungswerte angegeben. Die Bieter könnten diesem Wagnis mit entsprechend höher kalkulierten Kopienpreisen begegnen.
Die Einräumung eines Rechtes zu außerordentlicher Kündigung sei bei Mietverträgen nicht außergewöhnlich und stelle auch im vorliegenden Fall kein außergewöhnliches Wagnis dar, zumal es für beide Vertragsparteien gelten soll. Es finde im Übrigen seine Entsprechung in § 313 BGB.
Zur Begründung ihres Antrages auf Gestattung des Zuschlages gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB führt sie aus, dass das Interesse der Vergabestelle an der vorzeitigen Zuschlagserteilung den Interessen der Antragstellerin überwiege. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der derzeit bestehende Vertrag mit Ablauf des 31.03.06 endet und der universitäre Betrieb eine übergangslose Verfügbarkeit von Kopiergeräten verlangt.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten gem. §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt.
Die Vergabekammer Lüneburg ist zwar zuständig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Stiftung des öffentlichen Rechts und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Von dem Angebot des preisgünstigsten Bieters mit einer Angebotssumme von ca. 225.000 EUR netto für die Laufzeit von 60 Monaten ausgehend ist der gem. §§ 100 Abs. 1, 127 GWB in einer Rechtsverordnung festgelegte maßgebliche Schwellenwert für einen Dienstleistungsauftrag von 200.000 EUR überschritten, so dass die angerufene Vergabekammer zuständig ist.
Der Nachprüfungsantrag ist aber unzulässig, weil die Antragstellerin von ihr im Vergabeverfahren erkannte vermeintliche Verstöße nicht unverzüglich gerügt hat. Die von der Antragstellerin am 15.02.2006 erhobene Rüge der Verdingungsunterlagen, dass fehlende Mindestabnahmemengen und ein Sonderkündigungsrecht auf Seiten der Auftraggeberin ein unwägbares Risiko für den Auftragnehmer bedeuteten, demnach ein Verstoß gegen § 97 Abs. 7 GWB i.V.m. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A vorliege, ist verspätet und damit gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert.
Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/00). Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen ein bis drei Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg. 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff.), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert.
Die Auftraggeberin hat die Verdingungsunterlagen am Dienstag, dem 17.01.2006 an die Antragstellerin versendet, so dass von einem Eingang bei der Antragstellerin spätestens am Freitag, dem 20.01.2006 auszugehen ist. Die Antragstellerin hat am 06.02.2006 per E-Mail gegenüber der Auftraggeberin reagiert. Sie hat zu dem abzuschließenden Mietvertrag gefragt, ob in dessen § 3 Mindestabnahmemengen als Kalkulationsgrundlage festgelegt seien. Des Weiteren hat sie mehrere dezidierte Fragen technischer Art gestellt. Die Auftraggeberin hat sämtliche Fragen mit einer E-Mail vom 07.02.2006 beantwortet, dabei auch unter Hinweis auf den ihres Erachtens nach insoweit eindeutigen § 4 Abs. 2 Satz 4 des Mietvertrages klargestellt, dass keine Mindestabnahmemengen gelten würden.
Erst am 15.02.2006 rügte die Antragstellerin die Tatsache, dass keine Mindestabnahmemenge vorgesehen sei, als ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VOL/A. Dies ist unter Bezugnahme auf die oben dargestellten Grundsätze verspätet. Es lag keineswegs eine besonders schwierige Sach- oder Rechtslage an, die zu einer ausnahmsweisen Verlängerung der Rügefrist auf höchstens 2 Wochen führen kann. Mit der E-Mail war die einfache Frage zur Mindestabnahmemenge eindeutig und abschließend unter Hinweis auf die entsprechende Passage im abzuschließenden Mietvertrag mit "Nein" beantwortet. Insoweit galt für die Antragstellerin, die keine anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat, eine Rügefrist von 1 bis 3 Tagen, die sie mit ihrem Zuwarten bis zum 15.02.2006 (8 Tage) deutlich überschritten hat. Nichts anderes kann für die ebenfalls am 15.02.2006 erhobene Rüge des außerordentlichen Kündigungsrechts des Auftraggebers aus Haushaltsgründen gelten. Die Antragstellerin hat mit ihrer E-Mail vom 06.02.2006 gezeigt, dass sie sich eingehend mit den kalkulationsrelevanten Umständen der Verdingungsunterlagen beschäftigt hat, denn sie hat entsprechend dezidierte Fragen zu technischen Details und zum Mietvertrag gestellt. Mit der Antwort-E-Mail der Auftraggeberin ist sie wiederum auf eine Passage des Mietvertrags verwiesen worden. Unter diesen Umständen und angesichts des übersichtlichen, kurz gefassten und sprachlich gut verständlichen Mietvertrages ist auch hinsichtlich des außerordentlichen Kündigungsrechts von einer Kenntnis der Antragstellerin spätestens am 07.02.2006 auszugehen. Auf den Arbeitsanfall bei der Antragstellerin und ihre interne Büroorganisation kommt es für die Unverzüglichkeit der Rüge nicht an.
Offenbar hat die Antragstellerin noch nach Möglichkeiten gesucht, ein ausschreibungskonformes Angebot zu erarbeiten. Letztlich ist festzuhalten, dass die Antragstellerin die von ihr geltend gemachten Verstöße gegen das Vergaberecht im streitbefangenen Vergabeverfahren nicht unverzüglich gegenüber der Auftraggeberin gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt hat, sondern zunächst abgewartet hat. Gerade dieses Abwarten widerspricht den Anforderungen des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB an die Unverzüglichkeit der Rüge. Für das Erkennen i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem dem Bieter klar wird, dass seine Bemühungen um Abgabe eines Angebots endgültig gescheitert sind. Zu diesem Zeitpunkt hat er vielmehr erkannt, dass der Vergabeverstoß, wie im vorliegenden Fall, bei ihm zu einem Schaden führt. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB stellt aber auf das Erkennen des Vergabeverstoßes ab, nicht auf das Erkennen des Schadens (siehe auch BKatA, Beschluss vom 07.01.2004, Az. VK 2-137/03).
Werden beim Durcharbeiten der Verdingungsunterlagen Ungenauigkeiten festgestellt, liegt bereits positive Kenntnis vor. Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin schon seit längerem positive Kenntnis von vermeintlichen Fehlern in den Verdingungsunterlagen gehabt.
Es wäre Aufgabe der Antragstellerin gewesen, unverzüglich, d.h. nach Durcharbeiten der Verdingungsunterlagen, hier insbesondere des abzuschließenden Mietvertrages, den Sachverhalt, den sie für vergaberechtswidrig hält, zu rügen, damit der Auftraggeberin noch vor Anrufung der Vergabekammer die Möglichkeit einer Selbstkorrektur gegeben wird (BKatA, Beschluss vom 13.08.2001, Az. VK 1-25/01). Die erfolgte Rüge war verspätet.
Der Nachprüfungsantrag war demnach wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen. Eine Prüfung der Begründetheit der erhobenen Rügen durch die Vergabekammer ist damit ausgeschlossen.
Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass das außerordentliche Kündigungsrecht der Auftraggeberin in § 6 Abs. 2 S. 2 des abzuschließenden Mietvertrages aus Haushaltsgründen großen zivilrechtlichen Bedenken begegnet. Ein Ausschluss der Leistungspflicht gemäß § 275 BGB wegen finanzieller Leistungsunfähigkeit kommt nicht in Betracht. Auch nach Wegfall des § 279 BGB im Zuge der Schuldrechtsreform ergibt sich dies bereits aus dem unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung zu Grunde liegenden im Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht zum Ausdruck kommenden Prinzip unbeschränkter Vermögenshaftung (Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Auflage 2006, § 276 Rdnr. 28). Ungeachtet dessen bedeutet das außergewöhnliche Kündigungsrecht der Auftraggeberin aus Haushaltsgründen in der ausgeschriebenen Vertragskonstellation (bereitzustellen sind 39 neue Kopiersysteme mit Kartenlesesystemen über eine Laufzeit von 60 Monaten) ein vergaberechtswidriges ungewöhnliches Wagnis für den Auftragnehmer i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VOL/A. Es ist nicht zu rechtfertigen, der Auftragnehmerin das Haushaltsrisiko der Auftraggeberin zu überbürden.
Die Kammer hat gem. § 112 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage zeitnah entschieden, weil der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig ist. Eine Entscheidung über den Antrag der Auftraggeberin auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung gem. § 115 Abs. 2 S. 1 GWB erübrigt sich damit.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro - Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in§ 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1: 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.552 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt 241.623,12 EUR. Dieser Betrag entspricht den Bruttokosten auf der Grundlage des Angebotes des preisgünstigsten Anbieters und damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt an Hand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 241.623,12 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 2.552 EUR.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.
Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren i.S.d.§ 128 Abs.3 Satz 1 GWB unterlegen ist.
Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Auftraggeberin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m.§ 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Auftraggeberin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte die Auftraggeberin für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.
Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zu Gunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahrenübertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 2.552 EUR unter Angabe des Kassenzeichens ... innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen: ...
Rohn
Brinkmann