Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 10.10.2006, Az.: VgK 23/06

Rechtzeitigkeit der Rüge eines offenkundigen Verstoßes gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens; Bestimmung der Rügefristen; Umfang der Präklusionswirkung einer verspäteten Rüge; Beachtlichkeit der verspäteten Rüge bei Bestehen einer Amtsermittlungspflicht; Ausmaß einer Amtsermittlungspflicht; Folgen der für die Zuständigkeit der Vergabekammer zuständigen Schwellenwertüberschreitung; Kriterien für die Bestimmung des Schwellenwerts; Anforderungen an eine grundsätzlich zulässige Nachkalkulation

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
10.10.2006
Aktenzeichen
VgK 23/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 26522
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOB Vergabeverfahren Erweiterung und Umbau des Hafens ...

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Dierks
auf die mündliche Verhandlung vom 06.10.2006
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 4.564 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat der Auftraggeberin und der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war sowohl für die Auftraggeberin als auch für die Beigeladene notwendig.

Gründe

1

I.

Der Auftraggeber hat den Auftrag für die Erweiterung und Umbau des Hafens ... in drei in sich abgeschlossene Hauptbaumaßnahmen aufgeteilt:

2

Küstenschutz- und Hafenbau,

3

Hochbau mit der Erstellung des Fährhauses und

4

Straßenbau mit der Anpassung der Verkehrsflächen an das neue Fährhaus.

5

Er hat lt. Vergabevermerk für den Umbau und die Erweiterung des Fährhafens ... eine Gesamtfinanzierung für diese drei Hauptbaumaßnahmen in Höhe von 9.120.000 EUR gemäß Genehmigungsantrag aufgestellt. Die drei Hauptbaumaßnahmen werden zu mehr als einem Drittel aus europäischen Fördermitteln finanziert und zu knapp einem Drittel aus Mitteln des Küstenschutzes. Die Eigenmittel für die drei Hauptbaumaßnahmen betragen lediglich 2.571.000 EUR.

6

Der von dem Auftraggeber mit der Planung und Abwicklung der Ausschreibung beauftragte ... (...) - Betriebsstelle ... - (im Folgenden als Planungsbüro bezeichnet) ging davon aus, dass es sich um drei voneinander unabhängige, in sich geschlossene Baumaßnahmen handelt.

7

Hinsichtlich der Schätzung des Auftragswertes befindet sich in der Vergabeakte eine Seite 28 eines Ingenieurbüros zur Schätzung der Kosten des "Fährhafens ...". Dort sind zur Ermittlung des Auftragswertes unter der Überschrift "4. Kosten" (handschriftlich hinzugefügt: "gem. Ermittlung vom November 2005") einzelne Positionen angekreuzt. Durch Addition der Summen dieser angekreuzten Positionen ergibt sich der Netto-Auftragswert von 4.045 Mio. EUR.

8

Das Planungsbüro hat für den Auftraggeber die strittige Baumaßnahme Küstenschutz- und Hafenbau national im Submissions-Anzeiger und Ausschreibungsblatt der Bauindustrie ausgeschrieben. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung 16.06.2006 (acht Monate nach der Schätzung des Auftragswertes!) ging das beauftragte Planungsbüro noch von kalkulierten Gesamtbaukosten in Höhe von rd. 4,8 Mio. EUR brutto bzw. 4,13 Mio. EUR netto aus.

9

In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes war lediglich festgelegt, dass Nebenangebote zugelassen sind. Es galten nur die Anforderungen, die in den Bewerbungsbedingungen unter Nr. 5 der EVM (B) BwB/E - 212 festgelegt sind. Da das Planungsbüro für den Auftraggeber die zu vergebende Leistung nur national ausgeschrieben hat, waren auch keine Zuschlagskriterien genannt worden.

10

Während die zu erbringenden Leistungen bereits ausgeschrieben waren und den Bietern vorlagen, stellte das vom Planungsbüro eingeschaltete Ingenieurbüro fest, dass die Angaben der vorstatischen Berechnung nicht mehr haltbar seien. Die sich aus dieser Feststellung ergebenden Änderungen wurden in die Angebotsunterlagen eingearbeitet und den Bietern zugestellt. Der Submissionstermin wurde vom 27.07.2006 letztendlich auf den 24.08.2006 geändert. Nach Feststellungen der Vergabekammer wurde das Leistungsverzeichnis lediglich dahingehend geändert, dass statt des zum zweiten Mal verwendeten alten Titels 1.9 "Umbau der östlichen Hauptdeichrampe" ein neuer Titel 1.9 "Flügeldeichumbau- und Rampenbauarbeiten am Westhöft" mit neuen und anderen Anforderungen eingefügt und ein neuer Titel 1.14 "Stundenlohnarbeiten" angefügt wurde. Änderungen in anderen Titeln des Leistungsverzeichnisses wurden nicht vorgenommen.

11

Aufgrund der eingearbeiteten Änderungen ging das Planungsbüro von Mehrkosten in Höhe von 600.000 EUR bis 700.000 EUR netto aus. Es hielt ausdrücklich fest, dass das am 16.06.2006 eingeleitete Angebots- und Vergabeverfahren mit insgesamt rd. 4,8 Mio. EUR netto voraussichtlichen Baukosten weitergeführt werden könne.

12

In dieser Phase der Ausschreibung (Angebotsfrist lief bereits!) ist offenbar vom beauftragten Planungsbüro eine neue Zusammenstellung der überschlägigen Kostenermittlung vom November 2005 und Juli 2006 ohne Bedarfs- und Stundenlohnpositionen aufgestellt worden. Diese Zusammenstellung umfasst insgesamt 11 Titel mit einem geschätzten Gesamtauftragswert in Höhe von 4.583.620 EUR netto. Die zu diesem Zeitpunkt bereits laufende Ausschreibung umfasste die o. g. 14 Titel einschließlich eines Titels Stundenlohnarbeiten. Warum in der Zusammenstellung des geschätzten Auftragswertes des Planungsbüros die Titel Konstruktive Bearbeitung, Wasserhaltung und Stundenlohnarbeiten nicht berücksichtigt wurden, ist der Vergabeakte nicht zu entnehmen.

13

Mit Schreiben vom 18.08.2006 stellte das beauftragte Planungsbüro den Bietern in Bezug auf das Leistungsverzeichnis noch einiges klar. Bei der Angebotseröffnung am 24.08.2006 ergab sich, dass insgesamt 7 Bieter neben den jeweiligen Hauptangeboten insgesamt 54 Nebenangebote unterbreitet hatten; hinzu kam noch, dass vier Bieter einen Preisnachlass gewährten.

14

Die geprüften Angebotssummen ergaben, dass die Antragstellerin das preisgünstigste Hauptangebot mit einer Brutto-Angebotssumme in Höhe von 6.531.069,15 EUR eingereicht hatte. Sie hatte auch noch 18 Nebenangebote vorgelegt. Die Beigeladene hatte die zu erbringende Leistung für 6.916.901,31 EUR abzüglich eines Preisnachlasses in Höhe von 2,5% (= 6.743.978,80 EUR) angeboten. Sie hatte 12 Nebenangebote vorgelegt.

15

Dem Submissionsprotokoll ist zu entnehmen, dass keiner der Bieter die zu erbringenden Leistungen in etwa für den geschätzten Auftragswert erbringen kann. Eine Nachrechnung der Vergabekammer ergab, dass der durchschnittliche Netto-Angebotspreis unter Berücksichtigung der gewährten Preisnachlässe bei 6.328.270,13 EUR liegt und damit deutlich oberhalb des Schwellenwertes und der beiden Schätzungen.

16

Hinsichtlich der Tatsache, dass keines der Hauptangebote in etwa dem geschätzten Auftragswert entsprach, hielt das Planungsbüro bei der Prüfung der Angemessenheit der Preise fest:

"Die Differenz der verlesenen Angebote zwischen dem günstigsten und dem zweitgünstigsten Bieter liegt bei rd. 3% und somit unter den im Landesvergabegesetz festgelegten 10% zwischen den beiden günstigsten Bietern. Bis zum viertgünstigsten Angebot ist lediglich eine Differenz von 11% vorhanden. Die Überschreitung der Vorkalkulationsnettobaukosten rd. 4,8 Mio. EUR zu rd. 5,5 Mio. EUR (= ohne Bedarfs- und Stundenlohnposition) ist hauptsächlich durch die enorme Verteuerung in den Schüttstein- und Schotterpositionen, die gegenüber dem Vorjahr um ca. 200.000 EUR netto gestiegen sind, sowie durch die Preissteigerung bei den Stahlarbeiten, die noch um rd. 50.000 EUR höher liegen als in der Vorkalkulation, begründet. Weiterhin sind die kurzfristig ermittelten Zusatzkosten für die Baukonzeptänderung um rd. 100.000 EUR ausgefallen."

17

Im weiteren Vergabevermerk setzte sich sodann das Planungsbüro mit den einzelnen Nebenangeboten auseinander und hielt fest, dass die Beigeladene unter Berücksichtigung des Hauptangebotes, der gewerteten Nebenangebote und des Preisnachlasses mit einer Brutto-Angebotssumme in Höhe von 6.413.612,53 EUR (= 5.528.976,32 EUR netto) das wirtschaftlichste Angebot eingereicht hatte. Von der Antragstellerin wurde keines der 18 Nebenangebote als gleichwertig gewertet, sodass ihr Hauptangebot mit einer Bruttoangebotssumme in Höhe von 6.531.069,15 EUR (= 5.630.232,03 EUR netto) an zweiter Stelle lag.

18

Sodann ist vermerkt, dass der Vorstand des Auftraggebers sich der Auffassung des Planungsbüros anschloss und den Beschluss fasste, der Beigeladenen den Auftrag zu erteilen. Der Antragstellerin wurde letztendlich nach Auswertung der Erläuterungen zu ihren Nebenangeboten am 05.09.2006 mitgeteilt, dass die Vergabeentscheidung zugunsten der ostfriesischen Bietergemeinschaft ausgegangen sei. Die nicht berücksichtigten Bieter haben lt. Vergabevermerk mit Datum vom 05.09.2006 ein Absageschreiben gemäß EFB (B/Z) Abs. 1 erhalten.

19

Mit Schreiben vom 05.09.2006 rügte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Vergabeentscheidung und die Tatsache, dass ihre Nebenangebote wegen fehlender Gleichwertigkeit nicht gewertet wurden. Sie stellt fest, dass das beauftragte Planungsbüro auf seiner Homepage von einem Bauvolumen ausgeht, das deutlich oberhalb des Schwellenwertes liege. Die Vergabe hätte im offenen Verfahren ausgeschrieben werden müssen. Die Überschreitung des Schwellenwertes hätte letztendlich zur Folge, dass in den Verdingungsunterlagen Mindestanforderungen genannt werden müssen, die etwaige Nebenangebote oder Änderungsvorschläge zu erfüllen hätten. Da keine Mindestanforderungen an Nebenangebote oder Änderungsvorschläge genannt worden seien, können grundsätzlich auch keine gewertet werden, so dass allein die wirksam eingereichten Hauptangebote hätten gewertet werden dürfen.

20

Selbst wenn der Auftraggeber wider Erwarten Nebenangebote berücksichtigen durfte, sei die Nichtberücksichtigung ihrer Nebenangebote vergaberechtswidrig, da sie nachgewiesen habe, dass ihre Nebenangebote 1 - 8, 11, 12 und 15 gleichwertig seien; dies gelte letztendlich auch für die Nebenangebote 10 und 17. Sie habe daher sowohl das wirtschaftlichste Haupt- als auch Nebenangebot eingereicht.

21

Nachdem das Planungsbüro mit Schreiben vom 06.09.2006 der Antragstellerin lediglich mitgeteilt hatte, dass die Aufträge bereits vergeben seien und mit den Arbeiten schon begonnen wurde, beantragte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 07.09.2006 die Einleitung eines Nachprüfverfahrens. Sie begründet ihren Antrag im Wesentlichen unter der Argumentation des Rügeschreibens gegenüber den Auftraggebern vom 05.09.2006.

22

Ferner weist die Antragstellerin darauf hin, dass das Auftragsvolumen der Baumaßnahme lt. einer Pressemitteilung des Planungsbüros vom 16.06.2006 mit 9 Mio. EUR beziffert werde. Da das Auftragsvolumen deutlich oberhalb des Schwellenwertes läge, hätte der Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollten, gemäß § 13 VgV 14 Tage vor Vertragsabschluss informieren müssen. Da der Auftraggeber diese Vorabinformation vor der Beauftragung nicht erteilt habe, seien die geschlossenen Verträge nichtig, so dass die formale, aber unwirksame Zuschlagserteilung dem Verfahren nicht entgegenstehen würde.

23

Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht wies die Antragstellerin darauf hin, dass das beauftragte Planungsbüro trotz dokumentierter Kenntnis der Veränderungen es unterlassen habe, seine Kostenschätzung vor der Vergabebekanntmachung zu aktualisieren.

24

Ferner geht die Antragstellerin davon aus, dass die Unterteilung der Gesamtbaumaßnahme in drei Hauptbaumaßnahmen willkürlich erfolgte. Hervorzuheben sei, dass es sich um eine Gesamtmaßnahme "Umstrukturierung des Hafens" handelt, die überwiegend mit Fördergeldern des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE-Mittel) gefördert wird und ein Volumen von insgesamt netto 9,12 Mio. EUR ausmacht. Dass es sich bei der Umstrukturierung um eine einheitliche Baumaßnahme handelt, könne man auch dem Bauentwurf vom November 2004 entnehmen.

25

Die Antragstellerin beantragt,

dem Antragsgegner aufzugeben, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen,

26

hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, das Angebot der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten,

27

weiter hilfsweise, dem Antragsgegner aufzugeben, das Vergabeverfahren "Erweiterung und Umbau des Hafens ..." aufzuheben,

28

die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären und der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen.

29

Der Auftraggeber beantragt,

  1. 1.

    die Anträge zurückzuweisen,

  2. 2.

    die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären und der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.

30

Der Auftraggeber tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.

31

Der Nachprüfungsantrag sei bereits mangels rechtzeitiger Rüge unzulässig. Da die Bieter im europaweiten Vergabeverfahren massiven Rügepflichten unterworfen seien und binnen einer Frist von ein bis drei Tagen rügen müssen, dürfe hier nichts anderes gelten.

32

Die Antragstellerin sei mit ihrem Vorbringen präkludiert, soweit sie nun behaupte, dass ein europaweites Vergabeverfahren hätte stattfinden müssen. Dies hätte sie als erfahrenes Unternehmen bereits aus den Ausschreibungsunterlagen entnehmen können. Im Übrigen habe das beauftragte Planungsbüro den Auftragswert sachgerecht geschätzt.

33

Soweit der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig ist, sei er jedenfalls offensichtlich unbegründet. Die Zuständigkeit der Vergabekammer sei nicht gegeben, da es sich nicht um ein Vergabeverfahren handelt, dass dem vierten Abschnitt des GWB zugängig sei.

34

Die Baukosten seien gemäß den Genehmigungsantragsunterlagen vom November 2005 auf 4,130 Mio. EUR netto ermittelt worden. Diese Nettobaukosten entstammen einer Kalkulation des beauftragten Planungsbüros inklusive Zuschlag für die Erhöhung der Deichkrone im Bereich der Deichrampenverbreiterung.

35

Während des laufenden Verfahrens habe das der Kalkulation zugrunde liegende Baukonzept noch spezifiziert werden müssen. Die dadurch erforderlichen Änderungen des Konzeptes seien allen Bietern bekannt gewesen. Diese Änderungen hätten die ermittelten Baukosten mit weiteren ca. 600.000 EUR belastet, sodass sich eine Nettobausumme von 4,8 Mio. EUR ergeben hätte.

36

Keiner der Bieter habe die sich durch die Änderung des Konzeptes ergebende Verschiebung des Submissionstermins oder die Anforderungen gemäß Punkt 5 der Bewerbungsbedingungen gerügt.

37

Die Preissteigerung von der Vorkalkulation des Planungsbüros in Höhe von 4,8 Mio. EUR auf 5,5 Mio. EUR für das günstigste Angebot sei hauptsächlich durch die Kostensteigerungen in den Positionen Schüttsteine, Schotter und Stahllieferungen begründet, die mindestens 250.000 EUR netto höher liegen würden als die errechneten Kosten aus November 2005 bzw. Juli 2006. Im Hauptangebot der Antragstellerin seien die Zusatzkosten aufgrund der Baukonzeptänderung um mindestens 100.000 EUR netto höher ausgefallen, als im Juli 2006 kurzfristig überschläglich ermittelt. Der Löwenanteil der Verteuerungen sei jedoch den starken Preissteigerungen im Baugewerbe, die vor allem im zweiten Halbjahr auch bei anderen Baumaßnahmen auffällig geworden seien, zuzuschreiben.

38

Die Beigeladene beantragt,

  1. 1.

    zu dem Vergabeverfahren beigeladen zu werden,

  2. 2.

    den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,

  3. 3.

    Akteneinsicht in die Vergabeakte,

  4. 4.

    die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen für notwendig zu erklären.

39

Die Beigeladene unterstützt den Vortrag des Auftraggebers und vertritt die Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, da die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen präkludiert im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB sei. Die Antragstellerin habe in Erwartung, den Auftrag zu erhalten, die erkennbaren Fehler nicht umgehend gerügt, um erst später als Notbehelf auf diesen Fehler zurückzukommen, als sich die gehegte Erwartung zu zerschlagen drohte.

40

Da somit kein zulässiger Nachprüfungsantrag vorliege, könne auch keine Amtsermittlung durch die Vergabekammer erfolgen. Der Untersuchungsgrundsatz des § 110 GWB greife nur dann, wenn überhaupt in zulässiger Weise ein Vergabenachprüfungsverfahren eingeleitet werden kann. Erst im Laufe eines zulässigen Nachprüfungsverfahrens könne die Vergabekammer dann im Rahmen ihrer Überprüfungsmöglichkeiten über die von der Antragstellerin geltend gemachten Verstöße hinausgehend die Rechtmäßigkeit des Verfahrens überprüfen. Bei entsprechender Berücksichtigung der Rügepflicht könne die Vergabekammer nicht präkludierte - vermeintliche - Vergaberechtsverstöße im Rahmen der Amtsermittlung wieder überprüfen.

41

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 06.10.2006 Bezug genommen.

42

II.

Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Die Antragstellerin hat es versäumt, den auch ihr spätestens seit Kenntnisnahme von den Submissionsergebnissen am 24.08.2006 offenkundigen Verstoß der Auftraggeberin gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens gem. §§ 100, 101 GWB, §§ 1 a, 3 a VOB/A rechtzeitig im laufenden Vergabeverfahren gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Die diesbezüglich erst mit Anwaltsschriftsatz vom 05.09.2006 erfolgte Rüge erfolgte nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB. Diese Präklusion erstreckt sich auf alle weiteren mit der Unterlassung der europaweiten Ausschreibung zusammenhängenden Beanstandungen. Mangels eines zulässigen Nachprüfungsantrages ist es der Vergabekammer verwehrt, von Amts wegen gem. §§ 110 Abs. 1, 114 Abs. 1 GWB den Auftraggeber zur Aufhebung des streitbefangenen Vergabeverfahrens und zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens zu verpflichten. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die streitbefangene Baumaßnahme den maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 4 VgV deutlich überschreitet und die diesbezügliche ex ante Schätzung des Auftraggebers bei Einleitung des Vergabeverfahrens nicht den Anforderungen der §§ 1, 3 Abs. 1, Abs. 10 VgV genügte.

43

1.

Bei dem Auftraggeber handelt es sich um einen kommunalen Zweckverband im Sinne des § 7 des Niedersächsischen Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (NKomZG) (Nds. GVBl. S. 63), der gemeinsam von den Gemeinden ... und ... sowie der Sielacht ... getragen wird. Es handelt sich somit um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Dabei erfolgt die Finanzierung überwiegend durch die beiden kommunalen Träger und damit durch Gebietskörperschaften im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der Hafenzweckverband ... ist somit ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB, der selbstständig und unmittelbar passiv legitimiert ist. Die Einstufung als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts folgt zudem aus § 98 Nr. 5 GWB, da die hier streitbefangenen Küstenschutz- und Hafenbaumaßnahmen Teil des Gesamtprojekts Erweiterung und Umbau des Hafens ... sind. Der Auftraggeber hat für dieses in drei Hauptbaumaßnahmen aufgeteilte Projekt eine Gesamtfinanzierung in Höhe von 9.120.000 EUR gemäß Genehmigungsantrag aufgestellt. Die drei Hauptbaumaßnahmen werden zu mehr als 1/3 aus europäischen Fördermitteln finanziert und zu knapp 1/3 aus Mitteln des Küstenschutzes. Die Eigenmittel für die drei Hauptbaumaßnahmen betragen ca. 2.571.000 EUR. Die streitbefangenen Tiefbaumaßnahmen werden somit zu mehr als 50% durch öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 und Nr. 2 GWB finanziert, so dass auch die Voraussetzungen des § 98 Nr. 5 GWB erfüllt sind.

44

Der streitbefangene Auftrag übersteigt entgegen der Auffassung des Auftraggebers auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag im Sinne des § 1 VOB/A. Für Bauaufträge gilt gem. § 2 Nr. 4 der Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 5 Mio. EUR. Zwar geht die Vergabekammer entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht davon aus das schon die Aufteilung des Gesamtprojektes "Erweiterung und Umbau des Hafens ..." mit einem geschätzten Gesamtvolumen von ca. 9.120.000 EUR in die drei Hauptbaumaßnahmen "Küstenschutz und Hafenbau", "Hochbau mit der Erstellung des Fährhauses" und "Straßenbau mit der Anpassung der Verkehrsflächen an das neue Fährhaus" gegen § 3 Abs. 2 VgV verstößt. Danach darf der Wert eines beabsichtigten Auftrages nicht in der Absicht geschätzt oder aufgeteilt werden, ihn der Anwendung dieser Bestimmungen zu entziehen. Für den Vorwurf einer derartigen gezielten, missbräuchlich niedrigen Schätzung durch sachfremde Aufteilung des Gesamtprojektes bietet der Sachverhalt jedoch ungeachtet der Tatsache, das das Gesamtprojekt Gegenstand eines wasserrechtlichen Plangenehmigungsverfahrens ist, keinen Anlass. Eine derartige Manipulation liegt nur dann vor, wenn die Aufteilung eines Bauprojektes nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist (vgl. Weyand, Vergaberecht, VGV § 3, Rdnr. 2025, m.w.N.) Unzulässig ist z.B. die Trennung eines größeren Gebäudekomplexes in einzelne Bauabschnitte oder einer Straßenbaumaßnahme in Straßenbauarbeiten und Brückenbauarbeiten (vgl. Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., A § 1a, Rdnr. 8). Die vorliegende Aufteilung des Gesamtprojekts in die drei Hauptbaumaßnahmen ist zumindest funktionsorientiert und damit nicht sachfremd.

45

Dies kann jedoch dahinstehen, weil bereits die hier allein streitbefangene Baumaßnahme "Küstenschutz- und Hafenbau" ausweislich der in der Vergabeakte dokumentierten Submissionsergebnisse vom 24.08.2006 den maßgeblichen Schwellenwert deutlich überschreitet. Preislich niedrigstes Hauptangebot ist danach das Angebot der Antragstellerin mit einer Angebotssumme von 6.531.069,15 EUR brutto = 5.630.232,03 EUR netto. Die höchste Angebotssumme beläuft sich auf 8.248.580,50 EUR brutto = 7.110.845,26 EUR netto. Der Durchschnittsangebotspreis auf Basis der ungeprüften submittierten Angebote beläuft sich auf 6.408.917,85 EUR netto ohne bzw. 6.328.270,13 EUR netto unter Berücksichtigung der Nachlässe. Ein Vermerk über die geprüften Angebotssummen ist in der Vergabeakte nicht enthalten. Eine Überprüfung der Hauptangebote durch die Vergabekammer hat einen Durchschnittspreis von 6.551.760,69 EUR netto ergeben.

46

Diese tatsächliche deutliche Überschreitung des Schwellenwerts durch sämtliche im streitbefangenen Vergabeverfahren eingegangenen Hauptangebote ist entgegen der Auffassung des Auftraggebers auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil der Auftraggeber selbst vor Einleitung des Vergabeverfahrens im November 2005 im Rahmen der Schätzung nach § 1 VgV von einer Gesamtauftragssumme von lediglich 4.045.000 EUR netto ausgegangen ist und sich deshalb entschieden hat, von einem europaweiten Vergabeverfahren abzusehen. Stattdessen hat er lediglich ein - nationales - öffentliches Vergabeverfahren mit Bekanntmachung im Submissionsanzeiger vom 21.06.2006 eingeleitet. Auch eine Nachkalkulation im Juli 2006, die nötig wurde, weil nach Beginn der Ausschreibung im Zuge der Überarbeitung des Generalplans Küstenschutz für ... und ... durch die Betriebsstelle ... des ... (Vergabestelle) an den Küstenschutzanlagen im inneren Hafen- und Ortskern auch Fehlhöhen im östlichen Deichbereich außerhalb der Ortslage festgestellt wurden, ergab nach den Schätzungen des Auftraggebers lediglich Gesamtkosten in Höhe von 4.130.000 EUR netto. Dies folgt aus dem in der Vergabeakte enthaltenen - undatierten - Vergabevermerk. Der Vergabekammer ist es jedoch nicht verwehrt, die Kostenschätzung selbst zu überprüfen. Die Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwerts ist eine Anwendungsvoraussetzung des vergaberechtlichen Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahrens und daher jederzeit von Amts wegen zu prüfen. Diese Prüfung bleibt unbeeinflusst von dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten, insbesondere davon, ob und wann diese zu den tatsächlichen Grundlagen der Schwellenwertberechnung oder zu den fachlichen und rechtlichen Fragen der Berechnung (Vorausschätzung) des voraussichtlichen Auftragswertes (Honorarsumme nach HOAI) im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB Rügen erhoben haben (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 30.03.2004, Az.: 6 Verg 1/03, zitiert nach VERIS). Die tatsächlichen Ausschreibungsergebnisse sind für die Frage, ob der maßgebliche Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung des streitbefangenen Bauauftrags im offenen Verfahren gem. §§ 100, 101 GWB und §§ 1, 2 Nr. 4 VgVüberschritten wird, nur dann außer Acht zu lassen, wenn sich aus der Vergabeakte ergibt, dass die diesbezügliche ex ante Schätzung des Auftraggebers den Anforderungen des § 3 VgV genügte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die öffentlichen Auftraggeber verpflichtet sind, den ordnungsgemäß (seriös) geschätzten Gesamtwert des zu vergebenden Auftrags in einem Vergabevermerk festzuhalten, und zwar - gem. § 3 Abs. 10 VgV - bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die Bekanntmachung über die beabsichtigte Auftragsvergabe abgesandt wird bzw. das Vergabeverfahren sonst wie eingeleitet wird (vgl. Glahs, in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl., § 2 VgV, Rdnr. 4, 5 m.w.N.).

47

Die in der Vergabeakte dokumentierte Schätzung des Auftraggebers vom November 2005 und erst recht die erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens erfolgte Nachkalkulation vom Juli 2006 genügt diesen Anforderungen nicht. Dies folgt schon daraus, dass gem. § 3 Abs. 10 VgV maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes der Tag der Absendung der Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe oder die sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens ist. Da die Einleitung des Vergabeverfahrens durch Bekanntmachung im Submissionsanzeiger vom 21. Juni 2006 erfolgte, war der Auftraggeber deshalb gehalten, Anfang Juni oder wenigstens Ende Mai 2006 eine aktuelle Schätzung vorzunehmen und ihre Grundlagen und das Ergebnis in der Vergabeakte zu dokumentieren. Dies hat der Auftraggeber versäumt. Aber auch unter Heranziehung der im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens im Sinne des § 3 Abs. 10 VgV nicht mehr aktuellen Schätzung vom November 2005 ist zweifelhaft, ob der Auftraggeber bei seiner Schätzung von einer realistischen Marktsituation unter Berücksichtigung der tatsächlichen Preisentwicklungen für die von ihm ausgeschriebenen Leistungen ausgegangen ist. Maßgebend für die Schätzung ist der Verkehrs- oder Marktwert, zu dem eine bestimmte Leistung zum maßgebenden Zeitpunkt am Markt zu erhalten ist (vgl. Glahs, a.a.O., § 3 VgV, Rdnr. 7). Gemäß 3 Abs. 1 VgV ist bei der Schätzung des Auftragswertes von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung - und damit für sämtliche Leistungsbestandteile - auszugehen. Aus der von der Vergabekammer durchgeführten Gegenüberstellung der Schätzung vom November 2005 mit den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass bei der Schätzung nicht alle tatsächlich im Leistungsverzeichnis aufgenommenen Leistungen (insgesamt 13 Titel zuzüglich eines weiteren, nicht mit § 9 Nr. 1 VOB/A zu vereinbarenden Titels Stundenlohnarbeiten) berücksichtigt wurden. So wurden bei der Schätzung die regelmäßig bei Baumaßnahmen anfallenden Kosten für die Baustelleneinrichtung und -räumung (Ordnungszahl 1.1 des Leistungsverzeichnisses), die konstruktive Bearbeitung (Ordnungszahl 1.2 des LV) und die Wasserhaltung (Ordnungszahl 1.3 des LV) gar nicht erst in Ansatz gebracht. Entscheidend für die Fehlkalkulation des Auftraggebers war aber offenbar in erster Linie, dass er für die kostenintensivsten Teilleistungen von zumindest bei Beginn der Ausschreibung nicht mehr realistischen Marktpreisen ausgegangen ist. So hatte der Auftraggeber in seiner Schätzung vom November 2005 für die Position Rammarbeiten (Ordnungszahl 1.4 des LV) lediglich Kosten in Höhe von 1.300.000 EUR netto angesetzt. Diesen Ansatz hatte er zwar bei der Nachkalkulation im Juli 2006 - nach Einleitung des Vergabeverfahrens - noch auf 1.631.500 EUR korrigiert. Der Durchschnittspreis der tatsächlich eingegangenen Hauptangebote betrug jedoch 2.337.130,80 EUR. Die Position "Rammarbeiten" war und ist jedoch maßgeblich von der Stahlpreisentwicklung beeinträchtigt. Ausweislich des vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Indexes der Erzeugerpreise (amtliche Statistik) für die Stahlpreisentwicklung (Quelle: Die Bauindustrie NRW, abrufbar auf der dortigen Website) hat sich z.B. der Preis für Spundwandstahl zwischen November 2005 und Mai 2006 um 15.8 Prozentpunkte erhöht (Basisjahr 2000 = 100%). Noch größer ist die Preissteigerung beim Betonstahl, wo sich der Preis im gleichen Zeitraum von 149,5% auf 181,3% laut Index gesteigert hat. Grob verschätzt hat sich der Auftraggeber auch bei der Kalkulation der Kosten für die Position Bau der Ostmole - Sicherungs- und Deckwerksbauarbeiten (Ordnungszahl 1.11 des LV), wo der Auftraggeber lediglich von Kosten in Höhe von 600.000 EUR netto ausgegangen ist, während der Durchschnittspreis der tatsächlich eingegangenen Angebote für diese Position 1.021.925,48 EUR beträgt. Insgesamt beträgt der tatsächliche Durchschnittspreis auf der Grundlage der Hauptangebote 6.551.760,69 EUR netto und liegt damit um ca. 62% über der Schätzung des Auftraggebers. Eine zum Zeitpunkt der Absendung der Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe im Sinne des § 3 Nr. 10 VgV aktuelle Schätzung des Auftraggebers wurde zumindest nicht schriftlich fixiert und ist in der Vergabeakte nicht enthalten. Auch die - insofern irrelevante, weil nach Bekanntmachung erfolgte - Nachkalkulation des Auftraggebers vom Juli 2006 lag mit 4.812.801 EUR netto deutlich unter den tatsächlichen Marktpreisen. Immerhin hätte das Ergebnis dieser Nachkalkulation wegen der erheblichen Steigerung gegenüber der Ursprungskalkulation vom November 2005 und der unmittelbaren Nähe zum Schwellenwert von 5 Mio. EUR aber nach Auffassung der Vergabekammer für den Auftraggeber Anlass sein müssen, seine ursprüngliche Kalkulation und Schätzung in Frage zu stellen.

48

Spätestens aber bei der Submission am 24.08.2006 wusste der Auftraggeber, dass er sich grob verschätzt hatte und sämtliche Hauptangebote deutlich oberhalb des maßgeblichen Schwellenwerts lagen. Der Auftraggeber hat aber auch dieses Submissionsergebnis nicht zum Anlass genommen, die Aufhebung der Ausschreibung gem. § 26 VOB/A in Erwägung zu ziehen, um anschließend den streitbefangenen Bauauftrag europaweit ausschreiben zu können. Eine Aufhebung ist gem. § 26 Nr. 1 lit. c unter anderem dann statthaft, wenn "andere schwerwiegende Gründe bestehen". Derartig schwerwiegende Gründe können gerade auch in schwerwiegenden rechtlichen Fehlern des Auftraggebers im Vergabeverfahren liegen (vgl. Portz in: Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Aufl., A § 26 Rdnr. 16).

49

Zu diesen schwerwiegenden rechtlichen Fehlern des Auftraggebers im Vergabeverfahren gehört auch das Unterlassen eines europaweiten Vergabeverfahrens trotz Überschreitung des Schwellenwertes. Dies gilt zumindest dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Bieter schon bei ihrer ersten Angebotskalkulation hätten erkennen können und müssen, dass der Schwellenwert deutlich überschritten wird (vgl. Franke/Grünhagen in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB, 2. Aufl., § 26 VOB/A, Rdnr. 42; OLG Koblenz, Beschluss v. 10.04.2003, Az.: 1 Verg 1/03). Der Auftraggeber wäre somit spätestens nach Durchführung der Submission am 24.08.2006 zur Aufhebung des streitbefangenen Verfahrens berechtigt gewesen. Stattdessen entschied er sich ausweislich einer der Vergabekammer mit Schriftsatz vom 28.09.2006 übersandten Niederschrift über die Vergabeberatung des Vorstandes des Hafenzweckverbandes ... und dem Oberdeichrichter der Deichacht ... vom 1. September 2006, den Zuschlag auf ein Nebenangebot der Beigeladenen mit einem Gesamtpreis von 6.413.612,53 EUR brutto zu erteilen.

50

2.

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, der Auftraggeber habe ihre Nebenangebote zu Unrecht wegen vermeintlich fehlender Gleichwertigkeit nicht berücksichtigt. Zumindest aber sei der Auftraggeber überhaupt daran gehindert, Nebenangebote zu berücksichtigen, da der streitbefangene Bauauftrag wegen Überschreitung des Schwellenwertes eigentlich hätte europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben werden müssen, was wiederum zur Folge habe, dass der Auftraggeber verpflichtet gewesen sei, in den Verdingungsunterlagen Mindestanforderungen für Nebenangebote oder Änderungsvorschläge zu benennen. Mangels Wertbarkeit der Nebenangebote sei der Zuschlag auf ihr Hauptangebot zu erteilen, da dieses Zwischenergebnis der Submission das wirtschaftlichste sei. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Zwar wurde sie durch das Unterlassen einer europaweiten Ausschreibung nicht gehindert, sich im Rahmen der Vergabe rechtswidrigerweise lediglich national durchgeführten öffentlichen Ausschreibung am Vergabeverfahren zu beteiligen und hat auch tatsächlich ein Angebot abgegeben. Sie ist damit - ebenso wie die anderen Bieter im streitbefangenen Verfahren - deutlich besser gestellt als die potenziellen Konkurrenten in den anderen EU-Mitgliedsstaaten, die mangels europaweiter Bekanntmachung vom Vergabeverfahren gar nicht informiert wurden. Die Beeinträchtigung der Rechte der Antragstellerin wie auch der übrigen Bieter im Vergabeverfahren liegt jedoch darin begründet, dass ihnen durch das Unterlassen der europaweiten Ausschreibung zugleich die Wahrnehmung des Primärrechtsschutzes nach dem 4. Teil des GWB zumindest deutlich erschwert wurde (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 23.01.2004, Az.: 1/SVK/160-03, zitiert nach ibr-online). Dies manifestiert sich vorliegend in der Tatsache, dass der Auftraggeber den Auftrag bereits an die Beigeladene vergeben hat, ohne die Bieter 14 Tage vorab über den bevorstehenden Zuschlag zu informieren, weil er sich an die Vorgabe des § 13 VgV nicht gebunden fühlte.

51

3.

Die Antragstellerin hat es jedoch versäumt, den von ihr im laufenden Vergabeverfahren erkannten Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens und die darauf aufbauenden, geltend gemachten Verstöße gegen die Voraussetzungen für die Wertbarkeit von Nebenangeboten gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gegenüber dem Auftraggeber oder der Vergabestelle (...) unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/02). Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs hat die Antragstellerin den in der Unterlassung der europaweiten Ausschreibung liegenden Vergaberechtsverstoß und die sich an diesen Vergaberechtsverstoß anknüpfenden weiteren Vergaberechtsverstöße nicht rechtzeitig gerügt. Dabei geht die Vergabekammer nicht davon aus, dass die Antragstellerin die Überschreitung des Schwellenwertes schon aus der Vergabebekanntmachung hätte erkennen müssen, was gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 zur Folge gehabt hätte, dass die Antragstellerin ihre Rüge hätte spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist gegenüber dem Auftraggeber erheben müssen. Der Antragstellerin mag auch zugestanden werden, dass sie nach Kalkulation und bei Abgabe ihres eigenen Hauptangebotes noch nicht positiv erkannt hat, dass die ex ante Schätzung des Auftraggebers nicht den Voraussetzungen der §§ 1, 3 Abs. 10 VgV entsprach. Zwar lag auch das Hauptangebot der Antragstellerin, das das preislich niedrigste ist, mit 5.579.443,93 EUR netto über dem maßgeblichen Schwellenwert. Angesichts einer Überschreitung ihres eigenen Angebotes um gut 10% musste sich der nunmehr im Vergabeverfahren geltend gemachte Verstoß des Auftraggebers gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Verfahrens aber zumindest noch nicht aufdrängen. Positiv erkannt hat die Antragstellerin diesen Vergaberechtsverstoß aber ebenso wie alle anderen Bieter spätestens aufgrund der ihr am 24.08.2006 mitgeteilten Submissionsergebnisse. Die Antragstellerin selbst hat eine mit ihrem Briefkopf versehene, auf den 24.08.2006 - also den Tag der Submission - datierte Tabelle vorgelegt, aus der sich ergibt, dass sämtliche in der Submission verlesenen Preise deutlich über dem Schwellenwert liegen. Daraus wurde ihr deutlich, dass drei von insgesamt sieben Hauptangeboten über 7 Mio. EUR brutto und zwei Hauptangebote sogar über 8 Mio. EUR brutto lagen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Antragstellerin, wie auch alle anderen Bieter, positive Kenntnis davon, dass der Auftraggeber gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens verstoßen hatte. Die Antragstellerin hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2006 darauf zurückgezogen, dass sie angesichts der Tatsache, dass sie das niedrigste Hauptangebot abgegeben hatte, keinen Anlass gesehen hat, die Schwellenwertkalkulation des Auftraggebers in Zweifel zu ziehen. Diese Position hat die Antragstellerin noch einmal mit nachgelassenem Schriftsatz vom 09.10.2006 bekräftigt. Diese Rechtsauffassung verkennt jedoch die Intention des Gesetzgebers, die der Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB zugrunde liegt. Der Bieter soll positiv erkannte Vergabeverstöße im Vergabeverfahren eben nicht erst dann rügen, wenn sie ihm offensichtlich zum Nachteil gereichen können. Er soll dem Auftraggeber vielmehr unabhängig davon im laufenden Vergabeverfahren unverzüglich die Gelegenheit geben, dem festgestellten Vergaberechtsverstoß selbst abzuhelfen. Nimmt er den erkannten Vergaberechtsverstoß hin, kann er sich im Nachhinein im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nicht mehr darauf berufen. Andernfalls liefe die Präklusionsregelung des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ins Leere. Die Antragstellerin verkennt auch, dass § 107 Abs. 3 GWB den Bietern im Vergabeverfahren kein Ermessen dahingehend einräumt, ob eine Rüge vor Anrufung der Vergabekammer Aussicht auf Erfolg verspricht oder nicht. Der durch das Vergaberechtsänderungsgesetz dem Bieter erstmals gewährte Primärrechtsschutz im Vergabeverfahren setzt auf der anderen Seite voraus, dass sich der Bieter seinerseits auch stets gebührend um seinen Rechtsschutz bemüht. Dazu gehört gerade auch die vorprozessuale Rüge.

52

Die erstmalig mit Anwaltsschriftsatz vom 05.09.2006 und damit 12 Tage nach positiver Kenntnisnahme vom nunmehr beanstandeten Verstoß des Auftraggebers gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens erhobene Rüge erfolgte nicht mehr rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich innerhalb von 1 - 3 Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/00; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff. [OLG Düsseldorf 13.04.1999 - Verg 1/99]), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sachverhalts- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabes war die Antragstellerin in der Lage, den Verstoß gegen die europaweite Ausschreibungspflicht innerhalb von wenigen Tagen nach Kenntnisnahme der Submissionsergebnisse vom 24.08.2006 gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Antragstellerin um ein auch bei europaweit ausgeschriebenen Infrastrukturbaumaßnahmen erfahrenes Unternehmen handelt, das selbst bereits mehrfach als Antragstellerin oder Beigeladene an Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Lüneburg beteiligt war, bedurfte sie für die Absetzung der Rüge nicht einmal einer anwaltlichen Beratung. Dies gilt umso mehr, als an den Inhalt der Rüge gem. § 107 Abs. 3 GWB regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Selbst wenn man aber der Antragstellerin zugesteht, im Vorfeld der Rüge anwaltliche Beratung einzuholen, erfolgte die erst 12 Tage nach Erlangung der positiven Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß abgesetzte Rüge nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.

53

Die durch die Präklusion bewirkte Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags wegen Unterlassens der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens schlägt nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf alle mit der fehlerhaften Wahl der Art des Vergabeverfahrens zusammenhängenden Beanstandungen durch. Wird die Wahl der öffentlichen Ausschreibung nach § 3 VOB/A anstelle des gebotenen europaweiten, offenen Verfahrens nicht rechtzeitig beanstandet, erfasst die Präklusionswirkung die spätere Nichteinhaltung solcher Bestimmungen, die gerade nur bei gemeinschaftsweiter Ausschreibung einzuhalten sind. Dies gilt insbesondere für die Nichterteilung der Vorinformation nach § 13 VgV und deren Rechtsfolgen. Der dann - wie im vorliegenden Fall - nach öffentlicher Ausschreibung geschlossene Vertrag ist nicht wegen unterbliebener Vorinformation nichtig (vgl. Kammergericht Berlin, Beschluss v. 10.10.2002, Az.: 2 KartVerg 13/02, NZBau 2003, S. 338 ff. [KG Berlin 10.10.2002 - 2 KartVerg 13/02]). Diese Rechtsprechung wurde auch durch einen aktuellen Beschluss des Hanseatischen OLG in Bremen vom 07.11.2005, Az.: Verg 3/2005, mit dem der dortige Vergabesenat einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zurückgewiesen hat, bestätigt. Danach schließt die unterlassene Rüge eines gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB positiv erkannten oder - wie im dortigen Fall - nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB aus der Vergabebekanntmachung erkennbaren Verstoßes gegen die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens die Bieter mit allen Rügen aus, die unmittelbar mit der fehlerhaften Einschätzung des Auftragsumfangs durch die Vergabestelle zusammenhängen, jedenfalls soweit sie als Folge des zugrunde liegenden Verstoßes ihrerseits erkennbar sind. Das OLG Bremen hat diese Rechtsauffassung im Anschluss an diesen zitierten Beschluss im Rahmen des noch anhängigen Fortsetzungsfeststellungsverfahrens mit Beschluss vom 18.05.2006, Az.: Verg 3/2005, mit gleicher Begründung dem EuGH zur Vorab-Entscheidung auf Grundlage von Artikel 234 EG-Vertrag vorgelegt (vgl. IBR 2006, 589).

54

Die Vergabekammer teilt diese Rechtsauffassung hinsichtlich der Tragweite der Präklusionswirkung. Nur so ist die Funktion der Rügeobliegenheit gewahrt, im Interesse des das Vergaberecht beherrschenden Beschleunigungsgebots die Bieter zu veranlassen, sich bereits während des Vergabeverfahrens mit den erkennbaren Fehlern und vor allen Dingen mit den positiv erkannten Fehlern des Verfahrens zu befassen, und über dieses Befassungsgebot sicherzustellen, dass solche Mängel schon in diesem Verfahrensstadium geltend gemacht werden. Die Einschätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV bestimmt aber das weitere Ausschreibungsverfahren nicht nur hinsichtlich der Art der Ausschreibung, sondern insbesondere hinsichtlich der Frage, ob den Bietern der Weg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen eröffnet ist (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2002, Az.: 2 Kart-Verg 13/02).

55

Angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber ein zwar nicht europaweites, aber immerhin öffentliches und damit förmliches Vergabeverfahren durchgeführt hat, war die Rüge auch im Gegensatz zur Situation bei echten de-facto-Vergaben, denen überhaupt kein förmliches Vergabeverfahren vorausgeht, nicht entbehrlich.

56

Für den Fall einer echten de-facto-Vergabe auf der Grundlage von Wettbewerbsverhandlungen mit mehreren Unternehmen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens wird in Rechtsprechung und Lehre überwiegend die Auffassung vertreten, dass es einer Rüge vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht bedarf (vgl. Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 107, Rdnr. 104, m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.01.2005, VergabeR 2005, S. 343[OLG Düsseldorf 25.01.2005 - Verg 93/04]). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Diese Regelung ist nach ihrem Wortlaut auf vom Antragsteller "im Vergabeverfahren" erkannte Verstöße beschränkt. Das bedeutet, dass die Rügeobliegenheit nur innerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens besteht. Dafür spricht auch, dass die Rügeobliegenheit eine rechtliche Sonderverbindung zwischen Auftraggeber und Unternehmen voraussetzt, innerhalb derer der Grundsatz von Treu und Glauben gilt. Diese Sonderverbindung besteht im förmlichen Vergabeverfahren, nicht aber schon dann, wenn ein Unternehmen vom konkreten Beschaffungsvorgang nicht durch den Auftraggeber selbst, sondern durch Dritte Kenntnis erlangt (vgl. Burgi, NZBau 2003, S. 16, 21). Da die Antragstellerin im vorliegenden Fall vom Vergaberechtsverstoß Beteiligter eines förmlichen Vergabeverfahrens erfahren hat, war die Rüge des Verstoßes gegen die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens somit nicht entbehrlich.

57

Da das Unterlassen der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens bei derart deutlicher Überschreitung des Schwellenwerts einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Vergaberecht darstellt, hatte die Kammer jedoch zu prüfen, ob sie trotz Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags berechtigt und ggf. - bei Ermessensreduzierung auf Null - sogar verpflichtet ist, den Verstoß im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes gem. § 110 Abs. 1 GWB aufzugreifen und den Auftraggeber zu verpflichten, das Vergabeverfahren aufzuheben und den Auftrag nur nach Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens zu vergeben. Gemäß § 110 Abs. 1 GWB erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von Amts wegen. Dementsprechend ist sie gem. § 115 Abs. 1 GWB bei ihrer Entscheidung über die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern, ausdrücklich nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Damit bestehen grundsätzlich weit reichende Überprüfungsmöglichkeiten, die sich auch auf nicht vom Antragsteller geltend gemachte Verstöße erstrecken (vgl. Byok/Jaeger, VergabeR, § 110 GWB, Rdnr. 702, m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin zwischenzeitlich hilfsweise beantragt, den Auftraggeber zu verpflichten, das streitbefangene Vergabeverfahren aufzuheben. In der Praxis kann und soll diese Rechtmäßigkeitskontrolle aber aus Zeitgründen regelmäßig nicht voll ausgeschöpft werden. Dies folgt zum einen aus dem engen zeitlichen Rahmen, der der Vergabekammer durch die gesetzliche Fünf-Wochen-Frist gem. § 113 Abs. 1 GWB für das Nachprüfungsverfahren gesetzt wird. Zum anderen folgt dies aber auch aus § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB. Danach hat die Vergabekammer - ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes - bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, den Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen zu beeinträchtigen. Trotz des öffentlichen Interesses an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens findet daher keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Vergabekammer statt. Die Amtsermittlung muss sich auf andere, offenkundige und schwerwiegende Vergabeverstöße beschränken (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 110 GWB, Rdnr. 702). Bei offensichtlichen, schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen ist die Vergabekammer also auch dann nicht gehindert, diese im Rahmen ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, wenn die Verstöße von der Antragstellerin nicht gerügt wurden (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.11.2001, Az.: 13 Verg 9/01). Ein derartiger schwerwiegender Verstoß liegt z.B. ohne weiteres vor, wenn ein Auftraggeber - wie im vorliegenden Fall - von einem europaweiten Vergabeverfahren absieht, obwohl es für ihn im Rahmen seiner Prognose ohne weiteres erkennbar war, dass der Auftragsgegenstand jeweils den maßgeblichen Schwellenwert überschreiten wird.

58

Schwerwiegende, offensichtliche Verstöße gegen das europäische und das deutsche Vergaberecht wie eben das Absehen von einer objektiv gebotenen europaweiten Ausschreibung kann und ggf. muss die Vergabekammer gem. §§ 110 Abs. 1, 114 Abs. 1 GWB aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens schon von Amts wegen berücksichtigen. Die Befugnis der Kammer, in ihrer Entscheidung auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens einzuwirken, bietet ihr einen gewissen Spielraum, da die Entscheidung zwar vorrangig, aber nicht allein dem Interesse des Bieters an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens dient, sondern auch dem öffentlichen Interesse an einer zwar zügigen, aber eben auch rechtmäßigen Auftragsvergabe (vgl. Maier in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 1. Aufl. 2006, S. 110, Rdnr. 5 m.w.N.).

59

Einem Aufgreifen des Vergaberechtsverstoßes durch die Vergabekammer von Amts wegen steht auch grundsätzlich nicht die Tatsache entgegen, dass der Auftraggeber den Zuschlag mit Auftragsschreiben (EVM (B/L) Atr) vom 04.09.2006, eingegangen bei der Beigeladenen am 05.09.2006, bereits erteilt hat. Dieser Zuschlag wäre - im Rahmen eines zulässigen Nachprüfungsantrags - in entsprechender Anwendung des § 13 VgV nichtig, weil der Auftraggeber nicht den Ablauf der 14-tägigen Frist nach schriftlicher Information der Bieter (eine lediglich telefonische Information der Antragstellerin erfolgte am 04.09.2006, eine schriftliche Information gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin reichte der Auftraggeber am 06.09.2006 nach) abgewartet hat. Die durch die Rechtsprechung des EuGH, des BGH und der Oberlandesgerichte entwickelten Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit und Nachprüfung von so genannten de-facto-Vergaben lassen sich nach Auffassung der Vergabekammer auch auf die Situation eines zwar förmlichen, aber nur national durchgeführten Vergabeverfahrens übertragen (vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 13 VgV bei de-facto-Vergaben außerhalb förmlicher Vergabeverfahren aktuell OLG Celle, Beschluss v. 14.09.2006, Az.: 13 Verg 3/06, sowie grundsätzlich EuGH, Urteil v. 28.10.1999 (Rs. C-81/98) in Sachen "Alcatel"; Urteil v. 11.01.2005 (Rs. C-26/03) in Sachen "Stadt Halle"; BGH, Beschluss v. 01.02.2005, Az.: X ZB 24/04 und OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.01.2005, Az.: Verg 93/04).

60

Ein Aufgreifen von nicht gerügten Vergabeverstößen im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes ist der Vergabekammer jedoch nur möglich, wenn überhaupt ein zulässiger Nachprüfungsantrag vorliegt. Zwar kann die Vergabekammer gravierende Verstöße, die nicht das individuelle Interesse eines Bieters, sondern vornehmlich auch das öffentliche Interesse an einem fairen und ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigenden Vergabeverfahren im Wege der Amtsermittlung auch dann aufgreifen, wenn diese Verstöße nicht gerügt wurden (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 15.04.2004, Az.: 2 Verg 22/03). Solchen Verstößen darf die Kammer aber nur dann nachgehen, wenn der Nachprüfungsantrag zumindest in Teilen zulässig ist (vgl. Maier in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 110 Rdnr. 9, m.w.N.). Das vergaberechtswidrige Unterlassen der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens, das wegen Erreichens oder Überschreitens des maßgeblichen Schwellenwertes geboten ist, erfüllt nur bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der §§ 107, 109 GWB die Anwendungsvoraussetzungen eines Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahrens (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 30.03.2004, Az.: 6 Verg 1/03, zitiert nach VERIS). Daran fehlt es, wie dargelegt, im vorliegenden Fall mangels rechtzeitiger Rüge der Antragstellerin gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Die Antragstellerin, die spätestens seit dem Submissionstermin positiv erkannt hatte, dass der Auftraggeber gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens verstoßen hat, hat diesen Verstoß im Folgenden bewusst hingenommen, solange er die Chance sah, in dem streitbefangenen Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten. Erst als er aufgrund der Information durch den Auftraggeber gewahr wurde, dass er weder mit seinem Hauptangebot, das preislich das niedrigste war, noch mit seinen Nebenangeboten zum Zuge kommen wird, hat er den Auftraggeber auf diesen Vergaberechtsverstoß hingewiesen. Ein Bieter aber, der sich aus taktischen Gründen - in der Hoffnung auf Erhalt des Zuschlages - auf ein von ihm als offensichtlich vergaberechtswidrig erkanntes nationales Vergabeverfahren - weiterhin - einlässt, setzt sich zu diesem Verhalten in Widerspruch, wenn er im Nachhinein den für europaweite Vergabeverfahren vorbehaltenen Primärrechtsschutz beansprucht (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 10.02.2004 - Az.: Verg W 8/03).

61

Mangels eines zulässigen Nachprüfungsantrages ist es der Vergabekammer daher verwehrt, den Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens oder weiterer von der Präklusion erfasster Vergaberechtsverstöße von Amts wegen aufzugreifen und bei ihrer Entscheidung nach § 114 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen.

62

Der Nachprüfungsantrag war damit sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch hinsichtlich der hilfsweise gestellten Anträge wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen.

63

III.

Kosten

64

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-

65

Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.

66

Es wird eine Gebühr in Höhe von 4.564 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

67

Der zu Grunde zu legende Auftragswert für den streitbefangenen Gesamtauftrag beträgt ausweislich des mit der Vergabeakte vorgelegten Originalangebotes der Antragstellerin und des in der Vergabeakte enthaltenen Vergabevermerks 6.531.069,15 EUR (brutto). Dieser Wert entspricht dem Hauptangebot der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.

68

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 6.531.069,15 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 4.564 EUR.

69

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

70

Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte.

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Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten des Auftraggebers, die diesem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte der Auftraggeber für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

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Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306) [BVerwG 10.04.1978 - 6 C 27/77]. Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl.,

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§ 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zugunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

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Kosten der Beigeladenen:

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Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen zu 1) folgt aus analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Dort ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geregelt, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die analoge Anwendung dieser Vorschrift zugunsten eines obsiegenden Beigeladenen ist im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer geboten (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155, 158 [OLG Düsseldorf 12.01.2000 - Verg 3/99]; sowie OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.06.2000, Az.: Verg 6/00). Die für eine analoge Anwendung von Vorschriften erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass gem. § 128 Abs. 4 Satz 2 lediglich geregelt wird: "Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gelten entsprechend." Eine daraus folgende Ungleichbehandlung eines Beigeladenen gegenüber den anderen Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wäre jedoch nicht sachgerecht, zumal der Beigeladene schließlich gem. § 109 GWB deshalb den Beteiligten-Status erhält, weil "dessen Interessen durch die Entscheidung schwerwiegend berührt werden".

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Einerseits darf daher zwar für den Antragsteller durch (mögliche) Beiladungen kein unkalkulierbares und damit abschreckendes Kostenrisiko entstehen. Andererseits dürfen aber auch Kosten des Beigeladenen nicht zu einer Waffenungleichheit zu seinen Lasten führen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 128, Rdnr. 1034).

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Unter Berücksichtigung dieser sachgerechten Grundsätze entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit i.S.d. hier analog anzuwendenden § 162 Abs. 3 VwGO, dass die unterlegene Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen, zu denen auch die Kosten einer in einem derartig komplexen, nicht nur materielles Vergaberecht, sondern auch prozessuale Rechtsfragen berührenden Verfahren ohne weiteres erforderlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gehören, zu tragen hat.

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Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von 4.564 EUR unter Angabe des Kassenzeichens

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......

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auf folgendes Konto zu überweisen:

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......

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IV.

...

Gause
Schulte
Dierks